Review: Le Orme – Le Orme & Friends (2023)

Zwölf Jahre hat es gedauert, bis die legendäre italienische Band Le Orme ein neues vollwertiges Album vorlegt. Zwischenzeitliche Kompilationen mit historischem Material und zwei/ drei neuen Songs erweiterten die Diskographie der Band, zeigten jedoch wenig Innovatives. Nun überraschen Le Orme gleich mit einer dreifach CD-Box. Das Projekt Le Orme & Friends entstammt einer Idee von Manager Enrico Vesco, der die Band seit Mitte der neunziger Jahre betreut. Schon lange träumte er von einer Reunion der Band, die die italienische Rockmusik seit Ende der 1960er Jahre maßgeblich mitgeprägt hat. In Schlagzeuger Michi Dei Rossi und dem Keyboarder der legendären Trio-Besetzung, Tony Pagliuca, fand Vesco zwei glühende Verfechter seiner Idee. Die drei kontaktierten sämtliche ehemalige Bandmitglieder sowie befreundete Musiker, um gemeinsam an diesem Projekt zu arbeiten. Im Ergebnis entstanden unter dem Namen Il Leone E La Bandiera ein für Le Orme typisches Konzeptalbum und die beiden Alben Friends und Friends II. Die ersten beiden Scheiben enthalten ausschließlich bisher unveröffentlichte Songs. Sie sind auch als limitierte und nummerierte Doppel-Gold-Vinylauflage zu erhalten.

Bei der fünfunddreißigminütigen Suite Il Leone E La Bandiera geht die Band mit viel Keyboardbombast und eingängigen Melodien zu Werke. Die Sounds sind typisch für die Band und erinnern stellenweise an ihr Konzeptalbum La Via Della Seta aus dem Jahr 2011. Lediglich die hohe, teilweise zerbrechlich klingende Stimme des aktuellen Sängers und Bassisten, Luca Sparagna, klingt neu für Le Orme Fans. Eine Ouverture eröffnet die Suite. Eingeleitet von sakralem Kirchenorgelsound ist das Stück von Hammond-Orgel und Synthesizer Passagen geprägt, die typisch für Le Orme sind. Dann erklingt bei Aqua Di Luna zum ersten Mal Lucas Stimme. Zugegeben, auch ich musste mich erst an seinen Gesang gewöhnen. Doch seine Stimme und seine Art zu singen, passen zu der Musik von Le Orme. Bei Ferro E Fuoco wird sein Gesang elektronisch verfremdet, was der rockigen Nummer mehr Power verleiht. Auch hier haben wir wieder diese bombastischen Sounds von Orgel, Klavier und Synthesizer, inklusive einer Improvisation auf der Hammond-Orgel. Das Album besticht durch den stetigen Wechsel zwischen Instrumentalpassagen und feinen Gesangsmelodien. Höhepunkt ist zweifelsohne das hymnische und sehr bewegende Stück Rosa Dei Venti, das mit gewaltigen Chören ausklingt. Den Abschluss der Suite bildet das Instrumentalstück Caigo. Getrieben von Trommelwirbeln und einem sich wiederholenden Gitarrenriff, gleicht es einem rituellen Tanz, der sich bis zum finalen Ausbruch mehr und mehr steigert.

Thematisch begibt sich die Band zurück ins frühe Mittelalter ihrer venezianischen Heimat, als der Hunnenkönig Attila in Italien einfällt und mit seinem Heer auch den kleinen Ort Aquileia zerstört. Aquileias Bewohner und viele tapfere Seeleute suchen Zuflucht in den venezianischen Lagunen und werden somit zur Keimzelle der Stadt Venedig, einer Stadt, die sich hoffnungsvoll aus dem Meer zu erheben scheint. Von all dem wird in dem Konzeptalbum gesungen. Der Cartoonist und Comiczeichner Giuliano Piccininno schuf dazu das wunderschöne Artwork des Plattencovers. Im dargestellten Torbogen, der den Blick auf das Meer eröffnet, und auf der Rückseite des Covers sind die sieben an den Aufnahmen beteiligten Musiker sowie Manager Enrico Vesco als Spielleute gekleidet dargestellt.

Das Konzeptalbum wurde eingespielt von Michi Dei Rossi (Schlagzeug), Michele Bon (Keyboards, Background-Gesang), Luca Sparagna (Gesang, Bass, Gitarren) sowie Fabio Trentini (12-saitige Akustikgitarre, Background-Gesang). Gesanglich unterstützten außerdem Betty Sfriso und der Chor Sis To Sis. Dieses melodramatische Werk bietet genau das, was Le Orme Fans kennen und von der Band erwarten.

Der zweite Silberling Friends kommt dann beinahe einem Stilbruch gleich. Auf ihm hören wir Kompositionen von ehemaligen Le Orme Musikern. Die ersten fünf Songs stammen aus der Feder von Tony Pagliuca, der von 1968 bis 1991 Keyboarder der Band gewesen ist. Die fünf Stücke, die stilistisch sehr unterschiedlich sind, wurden von Tony Pagliuca und diversen anderen Musikern eingespielt. Luca Sparagna übernahm die meisten Gesangsparts und Michele Bon spielte bei Partire das Fender Piano. Auch Germano Serafin, der bei dem Song Fly Fly My Friend auf der Violine zu hören ist, gehörte von 1976 bis 1980 zu Le Orme. Das erste Stück L’Indeciso kommt sehr leichtfüßig und rockig daher. Durch den Einsatz eines Saxofons, den zusätzlichen Gesang von Elisabetta Montino und die Piano-Coda am Schluss, birgt es einen gewissen Reiz. Elisabettas Stimme ist auch bei den Songs Partire und Fly Fly My Friend zu hören. Partire ist mit seiner eingängigen Melodie und den Loops fast schon radiotauglich. Bei der rockigen Nummer Adamo Dove Sei hören wir Pagliucas Söhne Alberto an der Gitarre und Emanuele am Schlagzeug.

Die nächsten drei Kompositionen hat Tolo Marton beigesteuert. Von 1975 und 1976 spielte er bei Le Orme neben der Violine vor allem Gitarre. So liegt der Schwerpunkt seiner Songs auf diesem Instrument. The Waiting ist ein Instrumentalstück mit interessanten Gitarren- und Hammond-Soli, bei dem Marton von Michi Dei Rossi und Michele Bon begleitet wird. Auch die rockige Nummer If I Could Go Back, bei der Marton dann auch singt, wurde von den dreien eingespielt. Am Ende des Stücks drückt Marton in einem gesprochenen Statement sein Bedauern darüber aus, dass er erst jetzt zu seinen Freunden zurückgefunden hat. Mit der instrumentalen Valzette im ¾ Takt, gespielt auf E- und 12-saitiger Gitarre, lässt Tolo Marton seinen Part besinnlich ausklingen. Tony Pagliuca und Tolo Marton sind aktuell auch mit Le Orme auf Promotion Tour zum neuen Album unterwegs.

Jimmy Spitaleri gehörte der Band von 2010 bis 2012 als Sänger an und spielte mit ihr das Erfolgsalbum La Via Della Seta ein. Mit seiner einzigartigen Stimme intoniert er seinen Song La Mia Musica, den er mit seinen alten Freunden für dieses Album aufgenommen hat.

Francesco Sartori widmet seinen Song AlMiTo ORME (dem Mythos ORME) nicht nur der Band, deren Pianist er von 1989 bis 1997 gewesen ist, sondern auch dem Publikum, das sein Leben als Musiker stets bereichert hat. Es ist ein schwelgerisches Instrumentalstück im typischen Le Orme Sound, mit dem diese zweite CD endet.

Der CD-Box liegt unter dem Namen Friends II noch eine dritte Scheibe bei. Es ist ein Sampler, den ich besonders interessant finde, da sich auf ihm Songs einiger der wichtigsten italienischen Prog-Bands befinden. Darunter sind „altgediente“ Bands wie Osanna, The Trip mit Nico Di Palo als Gast, Gianni Nocenzi mit dem Divae Project, oder Mangala Vallis mit Bernardo Lanzetti. Aber auch Bands und Künstler der jüngeren Generationen sind auf dem Sampler vertreten, wie Alex Carpani, Moongarden oder die jungen Musiker von Tal Neunder. Es sind alles Künstler und Bands, die in freundschaftlichem Verhältnis zu Le Orme stehen. Zum Teil kann man sie auch gemeinsam mit Le Orme auf der Promo-Tour zum neuen Album erleben. Auf jeden Fall zeigen die zwölf Songs das breite Spektrum der italienischen Progressive Rock Szene. Mit über drei Stunden Musik von und mit Le Orme sowie von diversen Freunden, ist der Band aus meiner Sicht eine hervorragende Werkschau gelungen, die ausgewogen ist und von künstlerischer Vielfalt zeugt. Bleibt zu hoffen, dass dies nicht das letzte Album der Band sein wird, sondern ihr Motto „La storia continua…“ weiterhin gilt.

CD 1 – Il Leone e la Bandiera

1 Ouverture

2 Acqua di Luna

3 Ferro e Fuoco

4 Lucciole di Vetro

5 L’Alba della Partenza

6 Rosa dei Venti

7 Caigo

CD 2 – Friends

Tony Pagliuca

1. L’Indeciso

2. Partire

3. Adamo Dove Sei

4. Prologo

5. Fly Fly My Friends

Tolo Marton

6. The Waiting

7. If I Could Go Back

8. Valzette

Jimmy Spitaleri

9. La Mia Musica

Francesco Sartori

10. AlMiTo ORME

CD 3 – Friends II

1. Il Mio Capitano – feat. The Trip & Nico Di Palo (vocals)

2. Prog Garden Medley – feat. Osanna

3. The Mask – feat. Mangala Vallis

4. 21.12.12 – feat. Mangala Vallis

5. Tango zoppo – feat. Divae Project

6. La Cittá Sottile – feat. Divae Project

7. Just You And Me – feat. Moongarden

8. Lava Bollente – feat. Alex Carpani

9. È Nata Una Stella – feat. Sezione Frenante

10. Sleeping Sand, Silent Cloud – feat. Monkey Diet

11. Santo Nel Buio – feat. Le Folli Arie 12. Sirima – feat. Tal Neunder

Please follow and like us:
Facebook
Instagram
TWITTER
Copyright © 2024 | STONE PROG | Die Welt des Progressive Rock