Nachdem Live-Comeback auf der Night Of The Prog ist vor wenigen Wochen nach 26 Jahrne mit „We Can Fly“ auch ein neues Studioalbum der deutschen Neo-Prog-Veteranen Chandelier erschienen. Das war natürlich Grund genug für uns, die Band um ein Interview zu bitten. Sänger Martin Eden und Gitarrist Udo Lang beantworteten gerne unsere Fragen.
Kann man davon ausgehen, dass es ohne euren Auftritt auf der Loreley 2019 das neue Album nicht gegeben hätte?
Martin: Die Loreley war wirklich der Auslöser, das Angebot kam für uns sehr überraschend. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob da nicht auch Christophs Verbindungen zu IQ eine Rolle gespielt haben, die waren ja schon für die Loreley gebucht. Wir dachten, das ist so skurril, das machen wir. Und das Konzert war ein riesiger Erfolg und hat Spaß gemacht, und da dachten wir, warum sollen wir uns diesen Spaß denn nach unser „kleinen“ Pause nicht weiter gönnen.
Aber vor diesem Konzert gab es ja schon die Neuveröffentlichungen der drei alten Alben…
Udo: Mir fielen die alten Bänder wieder in die Hände fielen, mit den Files bevor sie zum Mastern gingen. Immerhin waren die Aufnahmen schon digital und sie waren wie ungeschliffene Diamanten. Irgendwann habe ich dann Christoph getroffen, und da kamen wir auf die Idee mit der Neuveröffentlichung.
Martin: Als ich involviert wurde, hieß es schon, dass ein polnisches Label Interesse hätte und eine Bonus-CDs pro Album mit Liveversionen und unveröffentlichten Sachen möchte. Ich war zunächst nicht begeistert, habe mich dann aber doch breitschlagen lassen und ein paar Song neu eingesungen. Man will ja seine alten Kumpels nicht im Stich lassen und wie das so ist, umso mehr Blut man leckt, um so schmackhafter wird das Ganze.
Sind eigentlich die Songs auf dem neuen Album erst nach der NotP entstanden?
Martin: Teils, teils. Ich hatte über die Jahre relativ wenig komponiert, wovon aber auch etwas in die neuen Stücke eingeflossen ist, aber der Großteil des Materials entstand tatsächlich nach dem Konzert.
Udo: Meine Beiträge sind alle danach entstanden.
Eure Musik klingt immer noch unverwechselbar nach Chandelier. Das ist vermutlich auch genau das, was die meisten der Fans hören wollen.
Udo: Ich würde durchaus eine Weiterentwicklung sehen, aber wir haben uns nie um Erwartungshaltungen gekümmert. Diese Musik entsteht einfach so, das ist weder Absicht noch irgendein Hinterherlaufen. Martin: Natürlich unterliegen wir wie jede andere Band auch diversen Einflüssen, wir existieren ja nicht im luftleeren Raum. Aber am Ende entsteht dann Musik, die wir schön finden. Wenn es anderen auch gefällt, wunderbar, wenn nicht, dann Pech gehabt. Ich bin sehr stolz auf das, was wir gemacht haben.
Gibt es aus eurer Sicht etwas Besonderes an der Produktion?
Udo: Wir haben die Platte Live eingespielt – das ist die sogenannte Schmutzspur. Das haben wir dann auch größtenteils so gelassen, mit all den ganz natürlichen Temposchwankungen. Normalerweise wird das nachbearbeitet und auf ein Tempo korrigiert. Das haben wir nicht gemacht, so klingt das alles lebendiger.
Der Titel „Light“ basiert auf einer Komposition von Peter Machajdik.
Martin: Das ist ein slowakischer Komponist aus dem Klassik oder Neo-Klassik-Bereich. Er hat auch schon für Jon Anderson Sachen gemacht. Wir haben uns zufällig getroffen und sind seit dem gut befreundet. Von ihm stammt ein sehr schönes Orgelwerk, „On The Seven Colours Of Light“, das aus verschiedenen Sätzen besteht. Das Hauptthema aus einem dieser Sätze, das natürlich ursprünglich rein instrumental war, habe ich dann verwendet und eine Gesangslinie dazu geschrieben. Natürlich habe ich ihn gefragt, aber es war ihm recht und er hat sich auch höchst zufrieden, fast schon begeistert, über das Ergebnis geäußert. Und ich bin auch sehr stolz. Ich kann das Original auch nur jedem empfehlen, wenn man „Awaken“ von Yes mag, dann wird einem diese Komposition auch gefallen – fantastische Orgelmusik.
Gesanglich unterstützt euch Toni Moff Mollo (Rainer Loskarn) von Grobschnitt.
Martin: Toni hat ja schon auf dem zweiten Album für uns einen Song gesungen, danach ist aber der Kontakt irgendwie abgebrochen, keiner weiß warum. Jetzt haben wir gedacht, das können wir doch einfach wiederholen und es hat sich gelohnt. Die zweistimmigen Passagen oder die Stücke, in denen wir uns abwechseln klingen für meine Ohren sehr gut.
Das neue Album trägt den Titel „We can Fly“ und zeigt passend dazu einen fliegenden Seelöwen.
Martin: Ich bin ja für die Texte oder das sozusagen philosophische Konzept zuständig. Und mir war es wichtig, einen Gegensatz zu diesen ganzen dystopischen Werken zu schaffen. Ale Filme, die mit der Zukunft zu tun haben, da ist immer alles grau und kaputt. Es herrscht Barbarei und die Menschen leben in schrecklichen Zuständen. Es gibt kein positives Ausmalen der Zukunft mehr. Natürlich leben wir in einer schweren Zeit, und die Chancen, dass es uns noch lange gibt, mögen nicht so groß sein, aber sie sind noch da und es ist durchaus möglich, dass die Menschheit einer rosigen Zukunft entgegen sieht. Deshalb „We can fly“, wenn wir wollen, können wir eine Menge erreichen, der Mensch ist ein enorm anpassungsfähiges Wesen. Die Intelligenz ist ja nicht das Problem, die Emotionen sind da Problem, die immer wieder dafür sorgen, dass wir in ein Verhalten zurückfallen, das uns wahnsinnig behindert.
Wenn man etwas erreichen will, dann muss man daran glauben. Das heißt aber nicht umgekehrt, dass man auch alles erreichen kann, wenn man nur daran glaubt.
Martin: Auch wir als Band können natürlich nicht mehr alles erreichen. Wir stecken quasi auf „Amateurniveau“.
Amateurniveau ist nun wirklich untertrieben…
Martin: Aber mit der Weltkarriere wird es nichts mehr. Die Musik hört kaum noch jemand, auch wenn es zwischenzeitlich wieder etwas mehr Leute geworden sind. Anstelle von CD und Vinyl dominieren heute digitale Plattformen. Im Progbereich sind ja Größtenteils ältere Semester unterwegs, die auch unsere Vorlieben teilen, sowohl was die Musik als auch die Medien angeht. Von da her kann uns das egal sein. Aber uns macht diese Musik Spaß, wir haben alle unser Auskommen, keiner nagt am Hungertuch. Aber eine Chance auf einen Welthit haben wir natürlich nicht mehr, vor einigen Jahrzehnten wäre das noch anders gewesen.
Udo: Aber einen Zufallstreffer kann man immer haben!
Ihr wart ja in der Vergangenheit immerhin bei Inside Out, habt ihr das nicht wieder versucht?
Martin: Wir haben das Album gar keinem Label angeboten, wir wollten von vornherein alles selbst machen, dann kann uns niemand reinreden. Was sollen wir uns noch mit Leuten über irgendwelche finanzielle Themen streiten.
Wie entstehen eure Songs?
Udo: Natürlich hat immer einer eine Ausgangsidee, meine sind in der Regel schon etwas weiter ausgearbeitet, Martins weniger. Und dann wird im Proberaum daran gearbeitet. Ich staune immer, weil Demokratie und Musik doch eigentlich nicht zusammen passen. Aber bei uns funktioniert das dann doch ganz gut. Jeder kann sein Veto einlegen und dann wird darauf auch Rücksicht genommen.
Neben dem typischen Gesang ist auch das Wechselspiel von Gitarre und Keyboards eines eurer Markenzeichen.
Udo: Wenn die Gitarre immer nur im Vordergrund steht, dann wird es irgendwann langweilig und das wäre mir auch viel zu anstrengend.
Und ihr steht offensichtlich auf schöne Melodien…
Ich bin ein großer Melodie-Junkie. Ich stehe auf Melodien, ich mag ja auch aus dem Folkbereich CSN&Y, oder auch Paul Simon. Das wird alles von Melodien getragen. Wenn jemand unsere Musik als melodisch bezeichnet, dann empfinde ich das als Lob. Und was diese Schubladen angeht, ich habe diese Definition des Neo-Prog nie verstanden. Wenn Melodien dabei eine Rolle spielen, dann müsste ja auch Genesis Neo-Prog spielen, und die haben ja den Prog sozusagen mit erfunden. Die Welt kann uns gerne in Schubladen stecken wenn es denn hilft, aber uns ist das egal.
Es liegen sechsundzwanzig Jahre zwischen „We can fly“ und „Timecode“. Mittlerweile müsstet ihr auch so um die Sechzig sein. Wenn es bei dem Tempo bleibt, dann könnte es eng werden mit dem Nachfolger…
Martin: Das wäre wirklich eng. Wenn die Frage darauf abzieht, wann es ein neues Album gibt, die Frage könnte ich jetzt noch nicht beantworten, und ich schätze, die anderen Bandmitglieder auch nicht. Das ist ja reiner Hedonismus, wir machen das, was uns Spaß macht. Wenn wir in einem Jahr merken, es macht uns keinen Spaß, dann würden wir aufhören, macht es Spaß, machen wir weiter.
Wir wünschen euch und uns, dass euch der Spaß erhalten bleibt!