Review: Haken – Fauna (2023)

HAKEN wird bunt! So zunächst die optische Botschaft, die uns das Layout des neuen, inzwischen bereits siebten Albums der britischen Prog Metal Meister zu vermitteln scheint. Beängstigend real gezeichnete vermenschlichte Tierwesen in morbiden Bilderrahmen bzw. in museumsreifen Zimmerlandschaften begrüßen uns. Nach den eher schlanken Verpackungen der letzten beiden Alben erscheint dies als Zeichen, dass sich die Band mit ihrer Musik verändert, zumal auch der Schriftzug der Band als Logo anders ist. Das ist zunächst erst mal schön anzusehen, und hat nach dem Schlagen kräftiger Werbetrommeln im Netz sicher auch dazu beigetragen, dass “Fauna” in vielen Ländern in die Albumcharts eingestiegen ist, was es vorher so noch nicht bei HAKEN gegeben hat. Wohlverdient sind damit HAKEN in der Top-Liga des Progressive Rock angekommen.

Mit diesem Outfit hat HAKEN für das Album ein ziemlich brillantes inhaltliches Konzept gebaut. In jedem Titel bildet mehr oder weniger ein Tier die Analogie zu dessen Eigenschaften einerseits und menschlichen Verhaltensweisen andererseits. Über allem thront der Schimpanse auf dem Titelbild, im Anzug und mit ernstem Blick. Also das menschlichste aller Tiere. Ohne dass ein Affe mit einem Titel des Albums direkt in Verbindung gebracht werden kann. Interpretationen in verschiedenste Richtungen sind damit Tür und Tor geöffnet. So etwas muss einem erstmal einfallen und in dieser Brillanz umgesetzt werden! In „Taurus“ beispielsweise läuft der Stier Amok. Inspiriert wurde das Stück aber vom Ukraine  Krieg und von den Flüchtlingen. „Nightingale“ beschreibt einen Schriftsteller mit Schreibblockade und Depression. Um mal zwei Beispiele heraus zu greifen. Jedes Stück steht für sich, inhaltlich und musikalisch, und ist doch Teil des beschriebenen konzeptionellen Daches der Tierwelt. Für mich ist dieses Artwork eines der besten und durchdachtesten, die ich je als Albumcover gesehen habe.

Trotzdem war in der Entstehung von „Fauna“ zuerst die Musik und die Songs, bevor ein Konzept entwickelt wurde. Nachdem jeder seine Ideen in der Tasche hatte, haben die Jungs sich eine Woche ein Haus gemietet, alles gleichwertig zusammengeworfen und daraus die Gerüste der Songs in intensiven 14-Stunden-Tagen erarbeitet, die dann später ihr Feintuning erhielten. Das betrifft nicht nur die Musik, jeder trug auch seinen Teil zu den Lyrics bei.

„Fauna“ ist das bislang mutigste und für den Zuhörer am schwierigsten zugängliche aller HAKEN Alben. Und das muss etwas heißen, denn die Vorgänger waren bereits teilweise mutig und schwierig. Der langjährige Freund der Band ist jedenfalls überrascht, dass im Gegensatz zu vorherigen Erfahrungen mit neuen HAKEN Alben trotz der unbestreitbaren Qualität die Stücke diese zunächst nicht richtig zünden wollen. Der Drummer Raymond Hearne hat das Album in einem seiner aktuellen Posts als „Biest“ bezeichnet, und das trifft es ganz gut. Es ist geprägt davon, Dinge Bezug nehmend auf Sound und Rhythmus ausprobieren und sich nicht festlegen zu wollen, ohne den bewährten HAKEN Sound dabei zu verlassen.  „Fauna“ hat so manche ruhige Stelle, wo die Gitarren stark zurück genommen oder überhaupt nicht vorhanden sind. Diese ruhigen Stellen könnten die Handschrift des neuen Keyboarder Peter Jones (Gründungsmitglied von HAKEN und Wiedereinsteiger nach mehr als 10 Jahren Pause) sein, denn das erscheint neu. Auf jeden Fall ist er schnell fest wieder in die Band integriert und voll in den kreativen Entstehungsprozeß von „Fauna“ eingebunden gewesen. Songdienlich angenehme Keyboard-Soundspielereien sind zu hören. Die schweren Riffs auf den Vorgänger-Alben, die wesentlich durch Keyboard-Sounds unterstützt waren, sind auf „Fauna“ dann doch eher den beiden Meistern an den Gitarren Charles Griffiths und Richard Henshall überlassen.

Melodiöse Linien nehmen im Vergleich zu den Vorgänger-Alben ab, halten aber die Stücke doch zusammen. Dafür hat die Polyrhythmik weiter zugenommen. Es ist de facto bei keinem Stück mehr möglich, durchgängig mit dem Fuß zu wippen, zu tanzen oder zu headbangen. Manchmal meint man, dass der geniale Ross Jennings mit seiner Gesangsarbeit etwas anderes macht als der Rest der Band (z.B. Elemente in „Taurus“, „Sempiternal Beings“ oder „Elephants Not Forget“). So kommen die ebenfalls komplexen Stücke „The Alphabet Of Me“ und „Lovebite“ vergleichsweise schon fast als Pop-Songs daher. Das Album enthält aber natürlich genau so richtig geniale Elemente. Ein wunderbares Trompeten-Solo in „The Alphabet Of Me“. Das wiederholte verwenden vertrackter Elemente auf unterschiedlichen dynamischen Levels innerhalb von Songs (z.B. „Sempiternal Beings“) oder das Wiederholen von Motiven an verschiedenen Stellen auf dem Album, die es zu entdecken gilt. Ein konkretes Beispiel: in „Beneath The White Rainbow“ ist zunächst ein schlichtes, jazzig-vertracktes Piano-Solo in der Mitte auffällig, welches dann folgend eins zu eins in dieser jazzigen Art von der gesamten Band als komplexes Riff übernommen wird. Dem nicht genug: beim Wieder-Hören stellt man fest, dass das metallische Anfangs-Riff ebenfalls aus dieser Piano-Idee stammt.  Es unglaublich viele derartige Feinheiten auf dem gesamten Album zu entdecken.

Herauszustellen ist noch der Schlußtrack „Eyes Of Ebony“. Der Song ist Peter Henshall gewidmet, Vater des Gitarristen Richard Henshall und besonders in den Anfangsjahren größter Unterstützer und Fan der Band. Er pflegte direkten Kontakt zu HAKEN Fans weltweit und war bei sehr vielen Konzerten dabei. Peter Henshall ist während des Schreibprozesses zu „Fauna“ plötzlich und unerwartet gestorben. Typisch für das Album: die Emotionalität dieses musikalischen Nachrufes will sich nicht sofort einstellen, da das Stück eher unruhig daher kommt. Es braucht dafür schon einige Hördurchläufe. Mit dem gemalten Bild eines fülligen Nashorns mit Anzug, Pfeife und Zylinder im Artwork des Albums ist Peter Henshall auch ein optisches Denkmal gesetzt worden.

Ja, „Fauna“ fordert und macht es dem oberflächlichen Hörer leicht, das Album schnell beiseite zu tun und sich anstatt dessen mit leichterer Ware zu beschäftigen. HAKEN bewegt sich mit mit dem neuen Material auf einem schmalen Grat, sich entweder einerseits durch zu viel kreativen Mut von den bis hierhin ständig zunehmenden Anzahl Fans wieder weg zu bewegen, oder ein Album kreiert zu haben, welches einen neuen Maßstab im Progressive Rock/Progressive Metal geschaffen hat. Nach zahlreichen Hördurchläufen neige ich zu zweiterem. Wahnsinn oder Geniestreich? Es ist kurz nach Veröffentlichung des Albums viel zu früh, dies abschließend zu bewerten.

Wertung: 9 / 10

Ross Jennings (voc)

Raymond Hearne (dr)

Richard Henshall (git)

Peter Jones (keyb)

Charlie Griffiths (git)

Conner Green (bass)

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