Interview mit Kalle Wallner (RPWL)

Nach ihrem Ausflug ins Weltall mit „Tales From Outer Space“ melden sich die deutschen Vorzeige-Progger mit einem neuen Album zurück. Auf „Crime Scene“ befassen sie sich vor allem mit der dunklen Seite der menschlichen Seele, und ernteten dafür nicht nur jede Menge Lob was die Reviews anging, sondern landeten sogar auf Platz 18 der deutschen Albumcharts.

pic: (C) alexey testow

Geplant war es nicht, aber wir reden ja heute auch genau an dem Tag miteinander, an dem „Crime Scene“ offiziell erscheint. Wie fühlt sich das an?

Es ist immer noch etwas Besonderes, aber natürlich nicht mehr so, wie beim ersten Album. Für ein Kind ist das erste Weihnachten auch unvergesslich, und dann hat man es schon mal erlebt und mit den Jahren wird es immer normaler. Aber weil wir ja auch alles in Eigenregie machen, ist es natürlich immer spannend, jetzt hatten wir zum Beispiel etwas Stress mit dem Presswerk, mit der roten Vinyl. Irgendwas ist eigentlich immer, aber in der Regel kriegen wir alles in den Griff. Wenn du dann das fertige Produkt zum ersten Mal in den Händen hältst, der Moment ist sehr besonders.

Das neue Album ist ja wieder ein Konzeptalbum geworden. Macht es das leichter für euch?

Das hilft uns sehr. Wir haben jetzt schon so viele Alben gemeinsam gemacht, und es ist meine größte Angst, dass wir uns zu sehr wiederholen, eine Gefahr, die immer gegeben ist. Es gibt Künstler, die machen gefühlt immer wieder das gleiche Album, zu denen möchten wir nicht gehören. Darum ist für uns das Thema, das Konzept, so wichtig. Es gibt immer musikalische Ideen, aber so richtig Fahrt aufnehmen tut das ganze erst, wen wir uns für ein Thema entschieden haben. Wenn du an Science Fiction – Themen arbeitest, dann verwendest du dann auch entsprechende Soundelemente, bei „Crime Scene“ sind das dann natürlich andere. Deshalb ist das eigentliche Thema für uns als Inspirationsquelle sehr wichtig.

Drei der sechs neuen Songs basieren ja auf realen Geschehnissen, die aber alle zumindest ihre Wurzeln in Deutschland haben. Ein sechsfacher Mord in Hinterkaifeck vor fast genau 100 Jahren, der nie aufgeklärt wurde, bildet die Geschichte zu „A Cold Spring Day in ’22“, in „Another Life Beyond Control“ geht es um Karl Denke, den Kannibalen von Münsterberg und in „Red Rose“ haben wir es mit dem Nekrophilen Carl Tanzler zu tun, der ja auch aus Deutschland stammte. War dieser geografische Hintergrund beabsichtigt?

Das ist eher Zufall. Das Thema zu „A Cold Spring Day in 22“, unserer zweiten Single aus dem Album, war schon besonders faszinierend, weil der Ort des Geschehens, dieser sechsfache Mord, ja keine hundert Kilometer von unserem Studio entfernt ist. Wenn man dann vor Ort ist, wo es ja auch einen entsprechenden Gedenkstein gibt, dann hat das schon noch einmal eine besondere Wirkung. Die eigentliche Tat hinter „Red Rose“ geschah ja dann in den USA, obwohl natürlich der Radiologe deutsche Wurzeln hat. Die Frage, die uns hier fasziniert, wann kippt eine Liebe ins krankhafte? Was ist passiert, dass dieser gebildete, studierte Mann sich entscheidet, die Leiche seiner großen Liebe aus dem Mausoleum zu holen und sechs Jahre mit ihr zusammen lebt? Irgendwo ist es ja auch eine Liebesgeschichte und das wollten wir dann auch in der Musik zum Ausdruck bringen, auch wenn die Tat an sich sehr bizarr und gruselig ist.

Die Themen eurer Lieder sind schon starker Tobak. Die Geschichten von Denke und Tanzler wurden ja auch in der Vergangenheit von diversen Bands thematisiert, allerdings eher in den düsteren Gefilden der Rockmusik. Sind eure Songs dafür nicht einfach zu schön?

Diese Entscheidung muss der Hörer fällen, uns war die Mehrdimensionalität der Themen wichtig. Es geht ja auch um Fragen wie, wo kommt das Böse her, ist jemand von Natur aus Böse, bin auch ich, der ich mich für einen guten Menschen halte, in der Lage, schlimme Dinge zu tun, wenn die Umstände entsprechend sind? Es gibt nicht nur diese Taten, diesen grausigen Aspekt, es gibt auch oft eine innere Zerrissenheit der Täter. Und darum muss dann auch die Musik nicht automatisch Death Metal sein.

Für den genialen Opener „Victim Of Desire“ habt ihr ja als Video sozusagen einen Mini-Tatort abgeliefert und richtig geschauspielert.

Im Rahmen unserer Möglichkeiten. Es ist halt die fiktive Geschichte eines Serienmörders. Aber die Idee für das Video, fanden wir alle total super. Wir agieren ja sozusagen als die Sonderermittlunsgruppe RPWL und haben überlegt, welche Rolle passt zu welchem Bandmitglied. Natürlich ist das Thema auch ein ernstes und einige Szenen sind vielleicht etwas krass, aber es hat uns allen sehr viel Spaß gemacht.

„Life in a Cage“ thematisiert dann Gewalt in der Familie.

Bei den Recherchen zu Kriminalfällen stolpert man automatisch über das Thema häusliche Gewalt. Während der Pandemie hat man ja oft davon gehört, aber die Thematik war auch vorher und nachher immer präsent, und zwar weltweit. Und das interessante daran ist, dass häusliche Gewalt fast immer von Männern ausgeht. Wenn man sich entsprechende Statistiken anschaut, es ist viel schlimmer, als ich gedacht hätte. Das führt dann zur Frage, sind nicht eher die Männer das Problem als die Gewalt. Aber wir wollen da auch keine Lösungen anbieten, wir finden Themen interessant und machen einen Song daraus, und vielleicht gelingt es ja, dass die Zuhörer dann auch für manche Dinge etwas sensibilisiert werden.

Bleibt noch „King Of The World“…

Wenn du sozusagen als König der Welt ursprünglich nur die besten Absicht hast, wo wird das alles schließlich hinführen? Ich glaube, dass sich am Ende doch wieder alles in eine Art totalitäres Regime entwickeln würde. Alles dreht sich wieder um das Thema Gut und Böse, aber dieses Mal unter einem eher gesellschaftlichen Aspekt.

Wir haben jetzt viel über die Texte geredet, aber vielen Leuten sind die ja durchaus egal…

Unsere Songs sollen natürlich auch so funktionieren, dass die Hörer sich einfach nur an der Musik erfreuen. Aber wenn jemand sich zusätzlich die Mühe macht, tiefer in die Texte einzutauchen und sich seine eigenen Gedanken macht, dann finden wir das natürlich auch toll.

Nachdem RPWL am Anfang ihrer Karriere mit Plattenfirmen gearbeitet haben, hat man sich dann aber bald entschlossen, mit „Gentle Art Of Music“ ein eigenes Label zu gründen.

Wir sind ja sehr lange im Musikbusiness unterwegs, und ich sage ganz bewusst Business. Den Gedanken, vom Booking bis zum Label alles selbst zu machen, hatten wir schon sehr lange. Aber dann so um 2009 hatten wir konkret die Situation, dass unser damaliger Vertrieb SPV kurz pleite gemacht hat, auch wenn sie sich später wieder neu aufgestellt haben. Wir hatten ja mit Tempus Fugit und Inside Out gearbeitet, uns dann aber entschieden, dass es für uns als Band das Beste ist, die Dinge in eigene Hände zu nehmen. Wir habe uns hier seit 2000 ein altes Bauernhaus hergerichtet, ursprünglich nur als Studio, mittlerweile auch als Proberaum. Wir haben jetzt zwei Studios im Haus, zwei Musikverlage und unser Label. Yogi und ich machen das gemeinsam, unterstützt von einigen freien Mitarbeitern. Wir veröffentlichen nicht sehr viel, haben uns aber auch für andere Künstler geöffnet, mit denen wir auch schon teilweise sehr lange arbeiten. Da sind Sylvan, Subsignal und Panzerballet und natürlich unsere Soloprojekte.

Muss dir die Musik der Künstler mit denen ihr auf eurem Label zusammen arbeitet auch immer gefallen?

Ich muss die Musik respektieren. Yogi und ich sind schon solange als Produzent tätig, man muss nicht immer Fan davon sein, aber man muss die Qualität schätzen. Wir müssen als Produzent auch helfen, dass ein Song funktioniert, unabhängig von dem jeweiligen Stil. Wir können uns aber gut in die Künstler hineinversetzen und versuchen, das Beste aus den Songs herauszuholen. Wenn man dabei die Musik dann aber zusätzlich noch selbst mag und auch mal privat hört, schaden tut das natürlich nicht.

Im September letzten Jahres habt ihr ja in eurer Heimatstadt Freising zwei Konzerte mit einem Orchester gespielt.

Es gibt seit 35 Jahren ein Livemusik-Projekt, das etwa alle zwei Jahre die Freisinger Musikszene zusammen bringt. Im letzten Jahr nach der Pandemie waren circa sechstausend Leute da. Es gab zwei Konzerte und beide waren ausverkauft. Die Idee ist, Songs zu spielen, die man sonst gar nicht mehr oder nur selten Live hören kann. Wir haben einen guten Freund, der hier Sinfonieorchester leitet und auch ein guter Arrangeur ist, und hatten schon länger die Idee, so ein gemeinsames Projekt zu machen. RPWL hat sozusagen die Rumpfband gestellt, aber es waren auch viele andere Musiker und vor allem Sänger und ein ganzer Chor dabei. Wir haben zum Beispiel “Bohemian Rhapsody” gespielt, uns aber quasi durch die Rockgeschichte gearbeitet, angefangen bei den Beatles, aber natürlich auch Pink Floyd. „Comfortably Numb“ mit Orchester ist einfach großartig. Es hat viel Spaß gemacht und war eine ganz andere Herausforderung. Aber mal so etwas auszuprobieren, hat dann auch immer eine positive Auswirkung auf die eigene Arbeit als Band. Das gilt übrigens auch für unsere Soloalben, die dann wieder RPWL beeinflussen.

Und jetzt geht es erst einmal auf Tour.

Wir haben bisher ein paar Festivals gespielt, die waren ausverkauft und einige kleinere Konzerte, zum Teil Nachholtermine wegen Corona, und die liefen eigentlich gut. Wir bekommen natürlich auch die Informationen aus den Clubs, die zwanzig bis dreißig Prozent weniger Besucher haben als vor Corona, während die Leute in Scharen zu den großen Stars laufen und dafür extrem hohe Ticketpreise zahlen. Unsere letzte Tour 2019 lief sehr gut, wir hatten viele ausverkaufte Shows und wir sind gespannt wie es jetzt laufen wird. Der Vorverkauf ist aber vielversprechend.

Auch personell hat sich einiges getan. Markus Grützner ist jetzt offiziell euer neuer Bassist und Keyboarder Markus Jehle hat euch verlassen.

Auf der letzten Platte habe ich ja den Bass gespielt, weil unser alter Bassist uns nach acht Jahren verlassen hat – wobei ja acht Jahre schon eine lange Zeit ist. Live haben wir uns dann mit verschiedenen Gastmusikern über Wasser gehalten, und es ist ja auch nicht so einfach, einen Musiker zu finden, der die nötige Zeit und den Enthusiasmus mitbringt. Wir sind ja auch keine 25 mehr, aber Markus war wirklich ein Glücksfall. Er kommt aus München, wir haben festgestellt, dass wir in den Achtzigern auf den gleichen Konzerten waren, wir haben den gleichen musikalischen Background und er spielt einen super Bass. Unser Keyboarder Markus musste uns nach 19 Jahren aus privaten Gründen leider verlassen. Er hat eine kleine Tochter, seine Frau ist berufstätig und es ist natürlich sehr schwer, das unter einen Hut zu bringen und dann noch vier, fünf Wochen am Stück zu touren. Das heißt aber nicht zwingend, dass man ihn in Zukunft nie mehr bei RPWL sehen wird. Auf der anstehenden Tour und den restlichen Konzerten in diesem Jahr wird ein Freund von uns die Keyboards spielen und dann sehen wir weiter. Es muss ja für alle Seiten passen, auch für ihn.

pic: (C) alexey testow

Wenn man das bedenkt, dann war das mit dem Bandnamen vielleicht doch nicht so eine gute Idee? (Falls es jemand tatsächlich nicht wissen sollte, RPWL waren die Anfangsbuchstaben der Namen ursprünglichen Bandmitglieder)

Wir haben uns das relativ bald gedacht. Aber man muss ja die Umstände berücksichtigen, als wir gestartet sind. Wir haben uns über vieles Gedanken gemacht, aber nicht um den Bandnamen. Und wir waren damals als Band auch wirklich eine sehr enge Gemeinschaft, die Songs im Proberaum haben wir immer gemeinsam gespielt, haben Sonntags zusammen gefrühstückt, gemeinsam zusammen gesessen und an den Texten gearbeitet. Da hat der Name RPWL schon Sinn gemacht. Hätten wir geahnt, was aus der Band wird, hätten wir uns vielleicht etwas mehr Gedanken um den Namen gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch, solange ihr euch vor allem Gedanken um eure Musik macht, ist alles gut.

Mit Kalle Wallner sprach Renald Mienert.

Please follow and like us:
Facebook
Instagram
TWITTER
Copyright © 2024 | STONE PROG | Die Welt des Progressive Rock