Review: TEMIC – Terror Management Theory

Als Diego Tejeida 2021 die Band HAKEN nach über 13 Jahren verließ, war das auf den ersten Blick überraschend. Denn er ist mit der Band seit ihren Anfangstagen durch kleine Kneipen in England getingelt, den verrückten Traum einer großen Rockband im Hirn. Daran, dass HAKEN dies tatsächlich geschafft haben, hat er einen wichtigen Anteil. Denn Diego hat hier eine Keyboard-Sound entwickelt der seinesgleichen sucht. Hart, quietschig, mitreißend. Heute wird er als einer der Besten der gesamten Szene an diesem Instrument gehandelt. In gegenseitigen Statements gab die Band und Diego Tejeida bekannt, dass man sich in musikalischen Interessen auseinander gelebt habe. Die Saat für eine eigene Band war aber zu diesem Zeitpunkt schon längst in den Boden gebracht.

Tracklist:

01. TMT (02:03)
02. Through the Sands of Time (07:01)
03. Falling Away (04:58)
04. Count Your Losses (06:13)
05. Skeletons (07:01)
06. Acts of Violence (05:53)
07. Friendly Fire (05:58)
08. Paradigm (06:34)
09. Once More (05:46)
10. Mothallah (07:28)

Irgendwann im 1. Halbjahr 2023 wurde die neue Band TEMIC bekanntgegeben. Der geneigte Fan zog die Augenbrauen hoch als zu lesen war, dass ein weiterer großer dieser Band angehören wird: Eric Gillette. Diego und Eric hatten sich in ihren angestammten Bands NEAL MORSE BAND und HAKEN auf einer gemeinsamen Tour 2016 erstmalig getroffen, und neben der Mithilfe bei zwei Tracks auf dem zweiten Solo Album von Eric Gillette („The Great Unknown“, veröffentlicht 2016) arbeitete man damals zusammen in MIKE PORTNOY´s Live Projekt „Shattered Fortress“. Hier hockte man jeden Tag zusammen, hier wurde auch die Idee einer musikalischen Zusammenarbeit geboren. Nicht nur das – auch der Drummer der norwegischen Prog Metaller ARKENTYPE namens Simen Sandnes war bei „Shattered Fortress“ mit unterwegs, und zwar hier technisch verantwortlich für die Drums und für Foto und Video. Eric und Diego loben in Interviews sein wuchtiges und präzises Spiel, mit welchem es angenehm ist in der Band zu arbeiten. Simen Sandnes wiederum schlug den Sänger Fredrik Bergersen aus seinem Heimatland vor. Nun passte alles, die Idee für die neue Band war geboren.

Ein Name musste noch her. Ein Wort sollte es sein, mit hohem Wiedererkennungs- und Identifikationsgehalt. Heute in Zeiten des Internets nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. In der Pandemie studierte Diego ein wenig die alten mexikanischen Kulturen. Hier fand er die Lösung: aus einer der Sprachen heraus, die er dort kennenlernte, schlug er den Bandmitgliedern einzeln verschiedene Namen vor, und übereinstimmend wurde es TEMIC, was einfach „Traum“ bedeutet – sehr passend für die emotionale und kräftige Musik die präsentiert werden sollte. Die Songs wurden über Jahre im Wesentlichen von Diego und Eric gemeinsam erarbeitet und von allen Bandmitgliedern dann verfeinert. Jedenfalls sind alle vier in den Credits gleichwertig angegeben. Von Anfang an hatte man eine relativ klare Vorstellung dabei, wie die Band klingen sollte, in welche musikalische Richtung es gehen sollte. Beispielsweise: Solos auf Keyboard und Gitarre ja, aber nur gezielt und passend zum Song sollten sie sein, nie dem Selbstzweck dienen.

Der Albumeinstieg mit dem kurzen Instrumental „TMT“ klingt vertraut. Es führt über eine eingangs vorsichtige und melancholische Piano Linie und folgenden breiten, fetten und dramatischen, Diego Tejeida typischen Keyboard Sound direkt hin zum eigentlichen ersten Song „Through The Sands Of Time“. Vertraut, weil etliche Einstiege auf Alben von HAKEN ähnlich strukturiert sind. Dieser erste richtige Song empfängt den Zuhörer  mit voluminösen und zugänglichen Prog Metal in straffer geradeaus-Rhythmik. Als sehr angenehm empfindet man die Stimme von Fredrik Bergersen: hoch, eher zart und zumeist hallig gemischt. Sie gibt dem TEMIC Sound die entsprechend emotionale und besondere Note. Im zweiten Teil dieses Siebenminüters haben wir ein mitreißendes Headbanger Prog Riff.

Weiter mit „Falling Away“: ein straighteres Stück, wo wesentlich ebenfalls die Riffs rhythmisch gegen den Strich gebürstet sind. Dies ist ein wichtiges Stilmittel und eigentlich in allen Songs so zu finden. Die Stücke sind gute Kompositionen, nach mehrmaligem Hören kann man so manchem Teil einen gewissen Ohrwurmcharakter nicht absprechen.

In „Skeletons“ hört man am Boden des Stückes erstmals eine Bassgitarre federn. Die Band arbeitet ohne festen Bassisten; Jakob Umanski ist in den Credits als Gastmusiker angegeben. „Acts Of Violence“ dann ist mal ein bisschen zum Luft holen, vorne und hinten ist der Song eher balladesk angelegt. Ein richtiger Fetzer ist das Instrumental „Friendly Fire“. Klasse ist das krachende Keyboard-Gitarren-Riff im zweiten Teil des Stückes. Der Rausschmeißer „Mothallah“ war erst gar nicht für das Album gedacht und passt laut Aussage der Protagonisten nicht wirklich zu den anderen Songs – diesen Eindruck können wir nicht teilen. Bis zum Ausgleiten in wolkigen Sounds ist er ein würdiges Album-Ende.

pic: (C) promo temic

Diego´s Keyboards sind wie erwartet Klasse, schwer und eigen, das hat er zu TEMIC mitgenommen. Über die Qualitäten von Eric Gillette an der Gitarre muss man auch keine Worte verlieren: in seiner Arbeit in der NEAL MORSE BAND erfreute man sich von Album zu Album immer mehr über seinen Anteil. Erstaunt ist man aber, dass nun bei TEMIC vollständig auf seine tolle Gesangsstimme verzichtet wird. In den angegebenen Backing Vocals hört man ihn jedenfalls nicht heraus. Auf seinen Solo Alben singt er und spielt alle Instrumente selber ein, hier gibt er nur die Riffs und ein paar kurze Solos. Für unseren Geschmack wirkt Eric auf „Terror Management Theory“ unterrepräsentiert. Etwas mehr Dynamik und Abwechslung hätte der Gesamtwirkung des Albums gut getan, auch wenn der Meisterproduzent Rich Mouser auch hier wieder ganze Arbeit geleistet hat.

Richtig schön ist die Stimme von Fredrik Bergersen, vielleicht die eigentliche Überraschung. Simen Sandnes spielt in der Tat ein wuchtiges, präzises und variables Prog Metal Schlagzeug und muss sich damit nicht hinter großen Namen verstecken. Als Fazit meinen wir, das TEMIC ihr Potential auf „Terror Management Theory“ noch nicht ausschöpft. Vielleicht hat man sich in der musikalischen Ausrichtung in ein zu enges Korsett gesperrt, Diego und Eric können in einer neuen gemeinsamen Band mehr als sie hier zeigen. Das muss man beim höchsten musikalischen Niveau, welches man bei diesen Herren als Maßstab ansetzen muss, sagen. Trotzdem: „Terror Management Theory“ ist ein angenehmes und gutes Prog Metal Album geworden, welches man gerne hört. TEMIC steht mit ihrem Debüt-Album zurecht in den Album-Jahrespolls 2023 der verschiedenen Gazetten zumeist ziemlich weit oben.

Nun steht die TEMIC Konzertpremiere am 3. Februar 2024 im Rahmen des ersten Midwinter Prog Festivals im niederländischen Utrecht an. Ein hochenergetischer Auftritt darf erwartet werden. Wir sind dabei, freuen uns drauf und werden berichten.

Wertung: 8.5 | 10

pic: (C) promo temic

TEMIC

Eric Gillette – Guitar | Backing Vocals
Simen Sandnes – Drums
Diego Tejeida – Keyboards | Backing Vocals
Fredrik Bergersen Klemp – Vocals

Guests

Jacob Umanski (Bass) | The Mothallah Choir

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