Werkschau: Flying Circus

Schade das Flying Circus in einer Zeit ihren klassischen, harten Rock verbunden mit vielen anspruchsvollen Ingredienzien entwickelten, als es für diese Art Musik sehr schwer war, besonders im deutschsprachigen Raum. Es gibt genügend Beispiele: Chandelier aus Neuss, Emerald Lies aus Friedberg, Ines & Hansi Fuchs aus Region Stuttgart, Green aus Hagen, Mirror aus Gelsenkirchen und viele mehr. Allesamt fantastische Formationen mit sehr guten Veröffentlichungen, die eine sehr große Zeitlücke (oder mehrere mittelgroße) in der Karriere hatten und nun in den letzten Jahren noch einmal kämpferisch und leidenschaftlich durchstarten. Und schade ist auch, dass auch Flying Circus nach sieben so exzellenten Alben, massenhaft musikalischer Qualität und absolut versierten Musikanten nicht den Bekanntheitsgrad besitzen wie eine Handvoll deutscher Formationen in der Spitze der Pyramide dieser musikalischen Ausrichtung. Damit teilen sie das schwere Los mit beispielweise Crystal Palace aus Berlin oder die vielen Projekte von Marek Arnold aus Remse, Thüringen (Toxic Smile, Cyril, Seven Steps To The Green Door, Art-Rock-Projekt).

Und was können wir tun, damit mehr Licht auf diese großartigen Bands fällt ?? Genau, darüber berichten, je häufiger und umfangreicher, je besser. Da bin ich mir mit allen Musik-Redaktionen die mir meine Berichte abnehmen einig. Und was können die Bands noch machen ?? Genau, spielen, spielen, spielen. Und was noch ?? Mutige Veranstalter die sich das Risiko mit den Bands teilen und die denen dann eine Bühne geben. Nur so erreicht man mehr Menschen und damit stemmt man sich dem Verfall dieser Musikkultur entgegen. Ich höre schon wieder die Stimmen der Besserwisser, es wird doch genug Geld in die Kultur gepumpt. Ja sicher, aber das meiste bleibt leider in den Bereichen an den Hauptadern. Was kommt denn tatsächlich dann noch in den schwächer durchbluteten Bereichen an ?? Und hier sind nun auch die öffentlich-rechtlichen Medien im Boot, die von uns deutschen Bürgern bezahlt werden. Damals vor der Zeit als Flying Circus sich formierte, gab es im TV und Radio noch vereinzelt Sendungen die genau diese Bereiche abdeckte, nicht üppig aber rudimentär. Aber diese Sendungen wurden immer seltener und die Schar der Liebhaber solchen anspruchsvollen Rock immer kleiner. Und inzwischen gibt es heute erfreulicherweise einige digitale Audiosendungen die genau diese Lücke wieder etwas geschlossen haben. Zu diesem neuen Format gehört auch Stone Prog FM und ganz aktuell auch deren Stone Prog Podcast (Gastgeber: Marek Arnold), der nun regelmäßig tiefe und authentische Einblicke liefert.

Flying Circus beim ARF 2024

Die klassische Rockband Flying Circus wurde im Winter 1989 von Michael Dorp (16. November 1968, Not Rising) und Michael Rick (26. November 1969, Hellrick) an einem denkwürdigen Abend im Irish Pub in der linksrheinischen Kleinstadt Grevenbroich gegründet. Gitarrist Michael hinterließ seine Adresse und Telefonnummer für den Sänger Michael auf einem Bierdeckel um mit ihm in Kontakt zu bleiben und wie besprochen eine Band zu formieren. Dieser unscheinbare, sechseckige Pappdeckel (Marke Diebels Altbier) mit handschriftlichen Bleistift-Gekritzel ist quasi das Gründungsdokument von Flying Circus, die es zu diesem Zeitpunkt namentlich so eigentlich noch nicht gab. An diesem besagten Abend war der Dritte im Bunde Gitarrist Ralf Ohm, der die Band allerdings noch vor der eigentlichen Namensgebung schon wieder verließ. Mit Schlagzeuger Falco Kurtz kam schnell ein weiterer Gleichgesinnter dazu und nach einiger Zeit des Kommens und Gehens verschiedener Mitmusiker (Michael Gailowitz am Bass sowie der Grevenbroicher Bürgermeister Klaus Krützen) fand man mit Harald Krause am Bass, Michael Nolte an den Keyboards/zusätzlicher Gesang und Markus Wasen an der zweiten Gitarre eine erste stabile Besetzung. Die harte Rock-Musik der späten 60er und frühen 70er war ihr gemeinsamer starker Bezugspunkt. So ist es kaum verwunderlich, dass man erst einmal damit begann, Klassiker aus dieser Zeit zu spielen und interpretieren, aber es kamen auch schnell erste eigene Kompositionen dazu. Der allererste Auftritt im Herbst 1990 fand in Michael Ricks ehemaligen Schule (katholisches Norbert Gymnasium) im Areal Kloster Knechtsteden nähe Dormagen bereits als Flying Circus statt. Mit dem gewählten Namen, entlehnt von der zu der Zeit auch hierzulande nicht wirklich unbekannten, gleichnamigen Comedy-Serie der britischen Komiker-Truppe Monty Python, stellte man leider erst mal keinen direkten Zusammenhang zur harten Rockmusik her. Dennoch machte die Band ihre Sachen in der Öffentlichkeit so gut, dass sie innerhalb kürzester Zeit in der gesamten Region Niederrhein zu einer gefragten wie auch erfahrenen Live-Band avancierte. Aber das Interpretieren von Rocktiteln anderer Bands reichte den sechs talentierten Jungs aus Grevenbroich schnell nicht mehr, die Entwicklung ging rasant und progressive weiter.

Dieses Septett entwickelte schließlich den größten Teil des Materials, unter anderem im damaligen Proberaum im Keller von Michael Dorps Eltern, das dann Ende 1997 auf dem Debüt Seasons beim Label Early Birds (Mutter-Label Second-Battle Berlin) erschienen ist. Bis heute das Meisterstück dieser fantastischen Band, ein Meilenstein der anspruchsvollen, deutschen Rockmusik und inzwischen in verschieden Formaten veröffentlicht. Die im CD-Büchlein verwendeten, phantasievollen Bilder von Gitarrist Lorenz Gelius-Laudam sind zudem eine ideale Ergänzung und machen diese Veröffentlichung noch viel wertiger. Bonus-Material, Ausstattung und Design/Grafik sind ideenreich bei allen weiteren Veröffentlichungen geblieben bis heute. Erwähnenswert_1: Seasons wurde von Roger Weitz (10. Juli 1951, Elleven, Flageolett, Thin Crow) produziert und von ihm in seinem Roger’s Farm House Studio in Kirchherten bei Bedburg aufgenommen und gemischt, an Keyboards hat er auch noch einiges beigetragen. Erwähnenswert_2: Weiterhin auch noch das dieses Debüt Seasons große Wellen geschlagen, damit Flying Circus enorme Aufmerksamkeit in der Musikpresse europaweit eingeheimst und zum ersten Auftritt beim Burg Herzberg Festival geführt hat (18.07.1998).

Michael Dorp

Der Klang-Tüftler Michael Rick (The Sound Tinkerer) öffnete für Flying Circus mit seinem wachsenden Interesse auch an den akustischen Gitarren sowie Erfahrungen als Gastmusiker in einem Folk-Projekt erstmals Türen auch in andere Richtungen als nur die des klassischen Hard-Rock. Auch die Texte von Michael Dorp (The Poet) entfernten sich inzwischen unter dem wachsenden Einfluss so verschiedener Lyriker wie Blake, Coleridge und T.S. Eliot immer mehr von den üblichen Rock’n’Roll-Klischees. Und mit Markus Erren konnte man dann 1994 auch noch einen Bassisten verpflichten, der mit seinem fanatischen Interesse an progressiven Rock für die Band zu einer Art Katalysator auf dem Weg in diese Musik-Richtung wurde und die sie zukünftig unbedingt einschlagen wollten. Auch bedingt dadurch fing das Personal-Karussell sich an weiter zu drehen. Michael Nolte und Markus Wasen, beides Mitglieder der ersten stabilen Urbesetzung, stiegen aus, der Ur-Bassist Harald Krause kehrte zu dieser Zeit nach einer kurzen Phase außerhalb der Band als Keyboarder zu Flying Circus zurück. Sein zwischenzeitlicher Bass-Nachfolger (zuständig auch für Artwork & Design) Lorenz Gelius-Laudam rückte an die zweite Gitarre weiter.

Und das war erst der Anfang dieser kreativen Reise-Etappe. Allein durch den Umstand, dass Keyboarder Harald Krause noch während der Aufnahmen zu Seasons aus Zeitgründen erneut seinen Abschied von Flying Circus erklärte und durch Mitproduzent Roger Weitz (The Silent One) ersetzt wurde, ergaben sich weitere wichtige Veränderungen. Durch Rogers langjährige Erfahrung auch mit Bands aus anderen Rock-Bereichen wurden die Titel auf Out Of The Waste Land (2000, Early Birds) nun noch viel dichter im Arrangement. Sänger Michael Dorp: „Die neuen Songs, gemeinsam mit Roger entstanden, sind in keinem Moment mehr entweder Hard-Rock oder Progressive, sondern stets beides zugleich. Ich denke, wir nähern uns damit einer noch perfekteren Umsetzung der Vision, die wir jetzt schon seit längerer Zeit verfolgen und mittlerweile einfach immer konkreter fassen können.“ Mit stabiler und eingespielter Mannschaft sowie klaren Zielen vor Augen ging es in die nächste Runde. Obwohl Schlagzeuger Falco Kurtz und Bassist Markus Erren während der Aufnahmen zur dritten Album beide ihren Studienabschluss zu bewältigen hatten, letzterer darüber hinaus noch beruflich für eine Weile nach Los Angeles ging und das Label Early Birds seine Aktivitäten aus finanziellen Gründen einstellen musste, konnte man mit dem nun vollständig selbstproduzierten Pomp (2004, Rockwerk Records) ein Werk vorlegen, das an die hohe Qualität von Out Of The Waste Land anknüpfte, die sogar noch einmal steigerte. Die Musik-Magazine bewerteten europaweit durchweg wieder sehr gut, die Konsumenten waren ebenso des Lobes voll, Grad der Bekanntheit stieg, nach 14 Jahren war man endlich deutlich auf Erfolgsspur. Roger Weitz startete in dieser Phase seine Arbeit in der Band Elleven (2007: Inside, 2015: Transfiction).

Rüdiger Blömer | Michael Rick

Ende 2005 fand dann bei Flying Circus der nächste große Besetzungswechsel seit 1997 statt. Tieftöner Markus Erren, der hatte mehr als 10 Jahre die Geschicke der Band als einer der Hauptkomponisten entscheidend mitbestimmt, musste aber nun doch seinen Abschied erklären. Sein ursprünglich temporär gedachter beruflicher Aufenthalt in Los Angeles wurde zu einer langfristiger angelegten Sache. Eine Lösung wurde für Flying Circus jedoch wieder mit dem Hütchen-Spiel schnell gefunden: Roger Weitz, erst Produzent und dann Keyboarder der Band, wechselte an sein eigentliches Lieblingsinstrument Bass. Er machte damit den Weg an den Tasten frei für Lars Frik, der die Band schon bei verschiedenen Gelegenheiten unterstützt hatte, besonders wenn Markus in den USA war. Zum 20-jährigen Jubiläum Forth (vorwärts oder weiter, aber phonetisch auch identisch mit Vier, Englisch: fourth), das ist Ende 2009 der doppeldeutige Titel des vierten Albums und trotz aller beschriebenen Widrigkeiten die klare Botschaft der Band: Es geht weiter vorwärts !! Und sogar noch einen Schritt mehr, gleichzeitig mit dem zweiten Album mit nahliegenden Titel Back (2010), 13 unveröffentlichte Kompositionen aus der Frühzeit 1990 bis 1995, die es nie auf ein Album geschafft hatten und bisher nur auf uralten Demo-Kassetten und Live-Bootlegs erhältlich waren. Hier von der aktuellen Besetzung und Ex-Mitgliedern komplett neu eingespielt. Beide Alben gab es auch als spezielle Jubiläums-Ausgabe Back & Forth in luxuriöser Deluxe-Version. Da die Kritiken erneut hervorragend waren und auch die Verkäufe der Alben dank der Erschließung internationaler und nun auch digitaler Vertriebswege sensationell liefen, war der Enthusiasmus in der Band so groß wie nie. So begannen insbesondere Michael Rick und Roger Weitz schnell damit, neue Songs zu komponieren, Sänger/Texter Michael Dorp hatte sogar eine Idee für ein Konzept-Album, entwickelte dazu Material. Außerdem wurde geplant einige Songs, die innerhalb dieses größeren geschlossenen Werks keinen Platz finden würden, relativ zeitnah auf einer EP zu veröffentlichen.

Allerdings wurde schnell klar, dass einige Bandmitglieder dieses gesteigerte Engagement und beschleunigte Arbeitstempo aus beruflichen und/oder familiären Gründen nicht mitgehen konnten und wollten. So erklärten relativ bald nacheinander Lars Frik (Keyboards), Falco Kurtz (Schlagzeug) und Lorenz Gelius-Laudam (Gitarre) schweren Herzens ihren Abschied von Flying Circus. Die drei verbliebenen Bandmitglieder Michael Dorp, Michael Rick und Roger Weitz, arbeiteten ja schon länger auch im Unplugged-Cover-Trio Thin Crow zusammen, machten sich ebenso traurig wieder mal auf die Suche nach passenden Mitstreitern. Inzwischen waren die Drei sehr stark in die niederrheinische Musikszene eingewachsen und hatten durch Zusammenarbeiten in anderen Formationen viele gute Kontakte. Mit Ande Roderigo (31. März 1963, Hard Days Night, Sankt Pank) war 2011 schnell der neue Schlagzeuger (The Self-Taught Guy) gefunden.

Ande Roderigo

Bassist Roger Weitz, der hatte ja bereits schon Tastenarbeit übernommen, übernahm erst einmal die Keyboards. Die Gitarren bearbeitete Michael Rick nun im Alleingang. Bei einem Gala-Auftritt der Akustiker Thin Crow mit vielen Gästen wurde auch der ehemalige Mitmusiker Rüdiger Blömer (15. November 1960) von Roger Weitz aus Tagen der Jazz-Rock-Band Flageolett (1987: Horizonte) für Unterstützung an Keyboards und Geige eingeladen. Bei den Proben wurden seine Aufgaben immer umfangreicher und nach dem mehr als gelungenen Konzert, bei dem unter anderem eine Version des Band-Klassiker Seasons mit furiosen Geigensolo am Schluss dargeboten wurde, war Flying Circus (2012: Mark VI) mit Rüdiger Blömer (The Scholar) in der 2024-Besetzung dann komplettiert. Rüdigers Geigen, ein 110 Jahre altes Familienerbstück davon wurde beim Besuch des Herzberg Festival 2023 stark beschädigt, waren nun ein zusätzliches Instrument (wie Oud und Mandoline von Roger) im Klangbild der Band. Dieses Quintett erarbeitete dann Ones And Zeros: The EP (2013) sowie das Konzept-Album Starlight Clearing: A Story und 25 Live (beide 2016), zum 25-jährigen Band-Jubiläum (beide auch im Bündel).

Das war auch Start für eine neue Internet-Präsentation von Flying Circus. Diese 5er-Besetzung ist bis heute sehr aktiv, hat danach noch das sehr interessante und äußerst beachtete Album 1968 (2020), zwei Live-Alben (2022/23) im Eigenvertrieb und die Werkschau Flying Circus (2021) mit neu eingespielten altem Material von vor 2011 veröffentlicht. Außerdem erschien 2022 das bereits mehrfach erwähnte Debüt-Album als Seasons 25, auch als limitierte 25er Jubiläums-Doppel-CD mit dem Original-Album von 1997 und 12 Titeln neu eingespielt 2021/22 in der Mark VI Quintett-Besetzung.

Damit ist diese seit 12 Jahren stabil bestehende Formation, trotz Pandemie und Kulturverfall, die kreativste und eifrigste Inkarnation von Flying Circus. Ich habe diese sympathische Truppe schon mehrfach Live erlebt. Deshalb, dieser Band und ihrer unkonventionellen Musik gebührt sicher mehr Beachtung. Nutzt die Chance, wenn sie mal wieder irgendwo auftreten, taucht ein in den besonderen Kosmos dieser Band. Und die Grevenbroicher haben für 2024/25 noch einiges geplant. Die letzten Worte haben Flying Circus (wie wahr gesprochen): „Was einerseits Bands wie Led Zeppelin oder Black Sabbath mit ihren abgedrehteren Songs, andererseits Bands wie Pink Floyd, Yes oder King Crimson in ihren nachvollziehbareren Momenten geschaffen haben, sucht bis heute seinesgleichen. Wenn man derartiges verbinden könnte, wäre das Ergebnis sicherlich kaum noch zu übertreffen.“

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