Interview mit Steve Hackett – Ohne jegliche Ermüdungssymptome

Steve Hackett ist 74 Jahre alt, aber was seine Kreativität und sein Bühnenpräsenz angeht, so ist davon nichts zu merken.  Während er sich live vor allem seiner Zeit mit Genesis widmet, erscheint auch regelmäßig neues Solomaterial von ihm – aktuell „The Circus and the Nightwhale“. Renald Mienert sprach mit der sympathischen Prog-Legende.

pic: (C) tina korhonen

Mir hat mal jemand gesagt, Steve Hackett ist ständig auf Tour, ich glaube, der hat gar kein Haus.

Tatsächlich kann man sagen, mein Koffer ist mein Haus. Aber ich habe tatsächlich eins, auch wenn ich es nicht sehr oft sehe.

Bist du mit den bisherigen Reaktionen auf das neue Album zufrieden?

Ich freue mich sehr darüber, dass das Interesse an dem neuen Album sehr groß ist. Es gibt ja zwei Videos und vor allem das erste zu dem Opener des Albums „People Of Smoke“ hat schon über 130.000 Klicks.  Ich mag es sehr, und bin gespannt wie es weiter geht. Das Album ist ja erst erschienen, aber vielleicht sagen es ja die Leute ihren Freunden weiter. Man kann heute nicht mehr vorhersehen, was passiert, wir leben in einer verrückten Welt.

„The Circus and the Nightwhale” ist ja ein Konzeptalbum geworden…

Ich verwende nicht den Begriff Konzept, für mich ist es eher ein Narrativ oder eine Geschichte. Es ist ein autobiographisches Album und jeder der Songs steht für eine Periode in meinem Leben. Der erste Song zum Beispiel spielt in den 50er Jahren, als ich geboren wurde. Das London der Nachkriegszeit, im Wiederaufbau begriffen, aber sehr schmutzig, viel Rauch. Und überall waren noch die Kriegsschäden sichtbar. Ein völlig anderes London als das von heute.

Man nennt das Album auch ein „Rites Of Passage“ – Album.

Ja, die Songs beziehen sich auf meine frühere Karriere, die frühe Liebe. Da sind sowohl erfreuliche Themen aber auch Herausforderungen.  Die Freude, ein Teil von Genesis zu sein auf der einen Seite, aber auch der Wunsch nach Unabhängigkeit auf der anderen. Die anderen Mitglieder wollten, dass ich exklusiv für Genesis spiele, das stand aber im Widerspruch zu meinem Streben nach Autonomie. Es ist so wichtig frei zu sein, und so startete ich meine Solokarriere.

Und das auf der einen Seite bis heute sehr kreativ und sehr erfolgreich, auf der anderen Seite sind da die „Genesis Revisited“ – Alben.

Jahre später sollte ich dann derjenige sein, der die Erinnerung Genesis mehr am Leben hielt, als jeder andere. Speziell  wenn ich an die beiden Alben „Foxtrot“ und „Selling England by the Pound“ denke, das sind für mich die beste Platten, die Genesis je gemacht haben.  Es gibt auf beiden keinen einzigen schwachen Song. Das war, als John Lennon über uns sagte, Genesis wären die wahren Söhne der Beatles. Er war sich der Tatsache bewusst, dass wir stark von den Beatles beeinflusst waren. Wir haben oft versucht, von den Beatles zu lernen. Sie haben viel Musik gemacht, die nicht generisch war. Nicht zu Beginn ihrer Karriere, da waren sie eine typische Rock‘n’Roll Band mit den üblichen Liebesliedern. Danach haben sie diese Muster verlassen, beide Lennon und McCartney. Ein Lied zum Beispiel wie „Nothing’s Gonna Change My World“ ist so lyrisch, sehr eigenständig, genau wie „Fool On The Hill“ oder „Eleanor Rigby“.  Eine der großen Stärke der Beatles war auch das Darstellen von Charakteren, sie konnten in die Haut dieser imaginären Leben schlüpfen, wie bei „Eleanor Rigby“ oder „She’s Leaving Home“.

pic: (C) andreas Tittmann

„The Circus and the Nightwhale” ist sehr abwechslungsreich, von sehr vielseitiger Gitarrenarbeit über jazzige und orientalische Elemente.

„Circo Inferno“ hat diese orientalischen Klänge und sie kommen von einem Musiker aus Aserbaidschan. Er heißt Malik Mansurov und ist ein absoluter Meister seines Fachs. Er spielt die Tar, eine kleines Instrument, das in der Region Iran, Irak und auch der Türkei verbreitet ist. Es klingt etwas wie die Sitar. „Found And Lost“ ist diese jazzige Ballade. Es geht da um die erste Liebe, sie ist da und dann ist sie für immer gegangen.

Warum gibt es auf dem Album eigentlich drei Drummer zu hören?

Ursprünglich haben wir die Drumparts während der Tour bei den Soundchecks aufgenommen.  Ich habe Craig gefragt ob er „People Of Smoke“ schon eingespielt hätte, weil ich hören wollte, wie es geworden war. Aber er war sich nicht sicher. Er hat eher auf die Musik geachtet und war nicht so mit den Songtiteln vertraut, und so haben dann bei dem Song die Drums gefehlt. Ich habe dann Nick D’Virgilio gefragt, einfach weil er verfügbar war.  Ich kannte ihn von einer Tour durch die USA und wusste, dass er sehr gut war. Der andere Drummer ist Hugo Degenhardt. Ich hatte Kontakt mit ihm und es gab einen Song, der sehr spät entstand, als meine Band nicht verfügbar war. So habe ich auch Bass gespielt und mit Drumloops gearbeitet. Ich habe ihm den Song gezeigt und er meinte, er verwende auch sehr oft diesen Rhythmus. Wir hatten nicht mehr viel Zeit und ich habe schon überlegt, bei den Loops zu bleiben, aber zum Glück konnte er sehr schnell seinen Part einspielen. Hugo hat ja auch schon live mit mir gespielt und auf einigen meiner Platten mitgewirkt, auf „Dark Town“, „Guitar Noir“ oder  meinem Bluesalbum „Blues with a Feeling“ . Danach haben wir uns aus den Augen verloren aber er hat mich kürzlich kontaktiert und wir haben über die Möglichkeit geredet, wieder etwas zusammen zu machen. Er war auch Mitglied dieser sehr bekannten Beatles Tribute Band „The Bootleg Beatles“. Er hat mit ihnen auf der ganzen Welt getourt, man muss halt sein Geld verdienen, aber er meinte, er hätte auch die Arbeit mit mir sehr genossen. So sind dann auf dem Album drei Drummer zu hören, es war so nicht geplant, es ist einfach passiert.

Es gibt ja durchaus immer noch Progband wie „The Watch“ oder auch kürzlich „The Book Of Revelations“ die neue Songs im Stil der frühen Genesis produzieren. Du bist auf deinen Soloalben da eher zurückhaltend.

Es gibt den Song „Enter The Ring“ auf dem neuen Album, und der ist schon stark an den frühen Genesis orientiert. Ich singe da zusammen mit Amanda Lehmann, das ist ein Unterschied zu Genesis, also nicht „Geneses Revisited“ sondern eher „Genesis Revitalized“. Aber auch das Stück „The Devils Cathedral“ vom letzten Album, das von Nad Sylvan gesungen wird, ähnelt stilistisch Genesis, wenn auch um Gothic – und Jazz – Aspekte erweitert. Es ist möglich, diese Musik von damals zu wiederholen, da bin ich mir sicher.  Aber Musik muss überraschen. Ich versuche immer, mich weiter zu entwickeln. Meine Frau sagt, die Musik die ich im Moment mache, reicht von lautem Schreien bis hin zur Romanze. Scheue dich nicht vor einem Liebeslied, nicht vor Speed Metal Einflüssen. Und nicht jeder Song braucht ein Gitarrensolo. Ich versuche die Gitarrensoli  immer eher kurz zu halten.

pic: (C) andreas tittmann

Als du deine Liveshows unter das Motto „Seconds Out“  gestellt hast, waren Genesis zeitgleich auf Abschiedstour.

Viele Leute haben sich beide Shows angeschaut. Ich habe den Leuten auch dazu geraten, so bekommen sie einen Querschnitt aus dem, was Genesis ist, oder besser gesagt, war. Ich möchte der frühen Phase von Genesis die Ehre erweisen. Ich habe damals alles gegeben, dass sich die Band international einen Namen machte.  Genesis haben damals zunächst in vielen kleinen Clubs gespielt und die Leute haben unsere Musik nicht verstanden. Wir spielten Songs auf die wir sehr stolz waren und die Leute kapierten es nicht, und wir fragten uns, was haben wir falsch gemacht?  Wir mussten lernen, dass bei Songs, die Geschichten erzählten, auch der visuelle Aspekt sehr wichtig war. Jetzt kann ich diese Musik spielen, und die Leute lieben es, weil  die Alben sich mit den Jahren als so erfolgreich erwiesen haben. Ich will nicht meine eigene Tribute-Band sein.

Davon gibt es ja ohnehin genug!

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