Interview mit Argos – Very British

Man kann sich nun wirklich nicht beschweren, was die Anzahl von qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen aus deutschen Landen angeht. Argos veröffentlichten mit“ Halfway Between Heaven And Mirth“ ein neues Studioalbum, das ebenfalls voll überzeugen kann. Grund genug für Renald Mienert, sich mit den beiden Köpfen der Band Thomas Klarmann und Robert Gozon zu unterhalten.

Bei Argos erwartet der Hörer ja im Normalfall eine Mischung aus Retroprog und Canterbury. Der Opener „Marshmallow Moon“  überrascht aber eher als ein unbeschwerter Popsong, auch wenn die Instrumentalpassagen dann eher in Richtung Prog gehen. Man fühlt sich an Bands wie Klaatu und ihr Album „Hope“ erinnert.

Thomas: Du bist nicht der erste, der uns mit Klaatu vergleicht. Robert und ich sind ja auch Beatles-Fans. Das hört man auch schon mal raus. Von dem Song gibt es zwei Versionen, Robert und ich haben schließlich unterschiedliche Stimmen. Am Ende ist es dann meine Version geworden, den zweiten Song  „The Fire Of Life“, den singt dafür Robert.  Wir sind eben auch nicht nur an Prog interessiert, auch an gutem Pop oder Bands wie Steely  Dan, die auch ganz viel Jazz-Akkorde benutzen, aber auch eine Melodie drüber legen, die wie Pop klingt. Ich glaube, auf dem neuen Album sind wir so abwechslungsreich wie noch nie.

Robert: Ein Album ist ja auch immer eine Reaktion auf frühere Veröffentlichungen, und davon gibt es ja nun schon einige. Wir haben schon einige Sachen ausgelotet, Longtracks oder klassischen Prog wie Genesis. Aber es ist auch immer wieder reizvoll, neue Sachen auszuprobieren. Und die Beatles sind da immer eine gute Referenz. Sie sind Meister was das Songwriting angeht, auch in einem kürzeren Format, was ich sehr reizvoll finde – was kann man in vier oder fünf Minuten sagen. Und wir haben diese tollen Gastmusiker dabei, die zusätzliche Klangfarben einbringen. Wenn ich an Progbands mit Saxophon denke, dann ist das faktisch bei jedem Stück dabei und kann fast schon penetrant wirken. Das wollten wir nicht. Es geht um das Songwriting und das ist auch etwas, wo Thomas und ich sich immer noch gegenseitig anstacheln.

Thomas:  Und ich habe nicht das Gefühl, das wir auf der Stelle treten und uns wiederholen.  Jeder hat über die Jahre neue Bands entdeckt, neue Einflüsse. Jedes Mal ist sozusagen eine neue Mischung am Start, das finde ich sehr spannend.

Was hat es mit der Frauenstimme am Ende des ersten Songs zu tun?

Thomas: Ich versuche ja immer eine gewisse Stimmung zu erzeugen. Und wir haben hier ja eine SF-Thematik und diese Frauenstimme, gehört einer Frau, die in den 60ger Jahren, als es noch keine Synthesizer gab,  bei der BBC in den sogenannten Soundlaboren gearbeitet hat. Und diese Frau hat das Thema der Serie „Dr. Who“ komplett mit elektronischen Mitteln eingespielt.  Es war, glaube ich, das erste Mal, dass ein Stück ohne konventionelle Instrumente eingespielt wurde. Das hatte so etwas retro-spaciges und ich habe dann im Internet ein Interview mit dieser Frau gefunden. Und diese Stelle fand ich passend für das Ende dieses Songs. Es war auch viel Zufall dabei, aber ich finde, man muss den Zufall auch ausnutzen. Wenn man an einem Song arbeitet, weiß man ja oft nicht, wie es am Ende klingt und dann denkt man, da könnte man ja noch so eine Sprachelement einbauen. Die Frau hieß Delia Derbyshire.

Auf dem Album gibt es mit „Daedalus Machines“ auch einen Longtrack, Daedalus war ja der Vater von Ikarus. Was gibt es zu dazu zu sagen?

Robert: Generell wollen wir die Dinge nicht zu ernst nehmen und ich finde es auch reizvoll, mit den Erwartungen des Hörers zu spielen. Ikarus, wofür steht das? Er wollte hoch hinaus, dann ist er abgestürzt.  Ich wollte das dann mit dem verbinden, was gerade in der Welt passiert. Die Technik schreitet immer weiter fort. Die Leute sind vernetzt, das nimmt alles überhand. Peter Gabriel hat das Thema ja auch aufgegriffen. Aber wir sehen das immer mit einem Augenzwinkern. Wenn man den Text liest, werden sicher einige Leute sagen, was soll das eigentlich. Aber gerade Longtracks legen wir auch immer an wie eine psychedelische Reise, aber nicht im Sinne von Drogenkonsum. Es ist also nicht so, dass eine stringente Geschichte erzählt wird.

Euch als rein deutsche Band zu bezeichnen ist  ja nicht ganz richtig. Euer Gitarrist Ákos kommt aus Rumänien.

Thomas: Robert, Ulf und ich sind so der konstante Faktor in der Band. Ákos hat ja mit „Yesterdays“ noch eine eigene recht erfolgreiche Band am Start, die für ihn Vorrang hat. Da müssen wir dann zurückstecken und das ist auch der Grund, dass es mit dem neuen Album so lange gedauert hat. Wir mussten halt warten, bis er Zeit hatte, seine Parts einzuspielen. Aber er ist verblüffend zu sehen, wie er sich da einbringen kann.  Verglichen mit den Demos hat er den Stücken immer noch eins draufgesetzt.

Robert:  Ákos ist für unsere Musik sehr bedeutsam und sie geht in eine etwas andere Richtung als mit Rico vorher, wir haben ihn auch über Zufälle kennen gelernt.

Und dann gibt es diverse Gastmusiker. Dass bei dieser Art von Musik wieder Andy Tillison dabei ist, wundert nicht und auch Marek Arnold ist sozusagen ein alter Bekannter. Andy ist auf „Marshmallow Moon“ zu hören und Marek war bei „The Fire of Life“, „Fidgety Philip“ und dem „Deadalus“  Longtrack dabei.

Thomas:  Ein Freund von Andy hat ihm wohl eine CD von uns gegeben und meinte, hör dir das mal an, wird dir bestimmt gefallen. Das war „Cruel Symmetry“, da war auch ein Longtrack drauf, und so kamen wir in Kontakt. Ich hab ihn dann gefragt, ob er einen Beitrag beisteuern möchte, und er hat es gemacht. Das war beim Nachfolgealbum „A Seasonal Affair“ und seitdem ist er bei fast allen Alben auf einem oder zwei Stücken mit dabei. Ich glaube Marek haben wir das erste Mal in Wales getroffen, aber so ganz genau  kann ich das gar nicht mehr sagen.

Robert: Jedenfalls war Marek dieses Mal ja wirklich intensiv eingebunden, besonders was das Mischen anging. Das war auch eine sehr wichtige Erfahrung für uns.

Nicht zu vergessen Alexei Tolpygo, er ist ein seit knapp dreißig Jahren in Lissabon lebender russischer Staatsgeiger. Ihm gefiel das Niveau der Kompositionen und er kontaktierte die Band. Mittlerweile ist er mehr, als nur ein Gastmusiker.

Thomas: Das ist eine Art Zwischending. Er hat mich ja auch schon einmal auf einer Tour vertreten und Bass gespielt, zusätzlich zur Geige. Auch wir haben uns Online kennengelernt, aber er bringt sich total in unsere Musik ein. Es gibt ja auf dem neuen Album diesen kurzen Song „The Other Life“, das sind faktisch nur Robert und Alexej. 

Das gleichnamige Debüt von euch erschien 2009. Zunächst wart ihr ja eine typische Remote-Band.

Robert:  Ulf und Rico kommen ja aus Mecklenburg. Für uns war es immer schwierig sich persönlich zu treffen. Thomas und ich kommen aus der Ecke Mainz / Wiesbaden, da war es einfach mit der Kommunikation. Aber ein Treffen als Band hat es jahrelang nicht gegeben, das lief alles Online.

Thomas: Oliver Wenzler von Progressive Promotion, die damals unsere Alben herausgebracht haben, meinte, wir müssten unbedingt einmal Live spielen. Da gab es ja dieses Progressive Promotion Festival. Wir haben überlegt und dachten, es müssen ja nicht gleich zwei Stunden sein, aber eine sollten wir hinkriegen. Jeder hat dann für sich begonnen zu üben und dann sind wir nach Greifswald gefahren und haben geprobt und es hat gut geklappt  und auch der Gig war ein Erfolg. Wir waren jedenfalls sehr euphorisch. Man kann also auch aus einer Internetband eine gute Liveband machen!

Wie entstehen eure Songs?

Robert: Die Basis unserer Songs kommt in der Regel von Thomas und mir. Ich starte oft mit ganz einfachen Ideen. Und mit der Zeit wird dann da ein aufwändigeres und interessantes Arrangement draus.

Thomas:  Wenn dann die Demos gemacht haben, dann fangen wir im Prinzip mit dem Schlagzeug neu an. Ulf spielt dann die Drums, aber nicht so, wie sie auf dem Demo waren, sondern  so, wie er es möchte. Daraufhin spiele ich dann den Bass neu ein, zu dem Schlagzeug von Ulf. Da ändert sich dann einiges und klingt manchmal schon gar nicht mehr so sehr nach der Demoversion. Einer hört auf den anderen und wir versuchen es als Band homogen klingen zu lassen.

Fühlt ihr euch mit der Kategorisierung als Mischung aus Retro-Prog und Canterbury wohl?

Thomas: Wir wurden tatsächlich mit dem ersten Album vor fünfzehn Jahren mal als Neo-Prog bezeichnet. Und ich glaube Neo-Prog ist das, was wir am wenigsten haben. Wir haben Retro-Prog-Einflüsse kombiniert mit allen möglichen anderen Stilen, Pop und Canterbury. Da gibt es Ähnlichkeiten zu Gentle Giant oder Van der Graaf Generator, aber das ist ja auch kein Neo-Prog. Marillion höre ich bei uns jetzt nicht raus.  

Robert: Ich verstehe schon, dass es diese Kategorien geben muss. Aber wir fühlen uns in dieser Nische – eine deutsche Canterbury-Band zu sein, sehr wohl. Was ja eigentlich ein Widerspruch ist. Uns wurde schon gesagt, dass wir ziemlich britisch klingen – und das nehme ich eigentlich als Kompliment. Ich finde es schön, britisch zu klingen. Das steht ja auch für eine gewisse Tradition und Verspieltheit. Wir klingen nicht wie Transatlantic oder Neal Morse.  Wir haben da für uns einen Stil gefunden, und offensichtlich gibt es auch dafür ein paar Hörer und das freut uns.

Dann müsstet ihr doch eigentlich in England am populärsten sein?

Thomas: Das ist tatsächlich querbeet. Wir sind ja auf Bandcamp und da sieht man ja, wer die Musik runterlädt, und es wirklich bunt gemischt. England spielt schon eine große Rolle, wir waren ja auch auf einem englischen Label, aber dann kam der Brexit und das war dann eher ungünstig. Aber wir haben auch Hörer in Südkorea oder Italien. In Polen haben wir ja auch schon zwei Mal gespielt. In Deutschland nimmt man uns anscheinend nicht so wahr, nicht wie RPWL zum Beispiel.

Robert: Aber wir freuen uns, wenn uns jemand entdeckt. Und vielleicht machen wir es den Leuten auch nicht so leicht. Es gibt Songs, die kommen ganz leicht daher, so wie der Opener, und dann gibt es auch sperrige Elemente, in die man sich erst einarbeiten muss. Aber uns macht das Spaß. Wir spielen aber eben auch nur sehr unregelmäßig Konzerte, während andere Bands den Vorteil haben, touren zu können. Das geht bei uns rein praktisch nicht. Aber ich bin froh, dass wir das schon fünfzehn Jahre machen.

Und hoffentlich mindestens auch noch die nächsten fünfzehn!

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