Livereport: THE WATCH – Bad Doberan, Kamp Theater, 26.01.2025

Die italienische Progressive-Rock-Band The Watch wurde vor 24 Jahren in Mailand gegründet und zählt heute zu den besten europäischen Genesis-Tribut-Acts. Obwohl die Band bereits zehn Studioalben mit eigenen Songs auf hohem musikalischen Niveau veröffentlicht hat, ist The Watch vor allem für ihre originalgetreuen Interpretationen von Genesis-Songs aus der Ära Peter Gabriel bekannt. Ihre aktuelle Tour unter dem Motto ›The Watch plays GENESIS‹ führt die Band auch nach Bad Doberan, einer Stadt, die bei Fans progressiver Rockmusik vor allem durch die alljährlich stattfindende Zappanale bekannt sein dürfte.

The Watch präsentieren an diesem Abend das komplette Album The Lamb Lies Down On Broadway. Die Band zollt damit dem herausragenden Genesis-Meisterwerk Tribut, das 1974 unter der maßgeblichen Federführung von Peter Gabriel entstand. Das Konzept-Doppelalbum mit seiner überladenen, in New York angesiedelten Geschichte um den puerto-ricanischen Protagonisten „Rael“ sollte auch das letzte sein, an dem Gabriel mitwirkte. 1975 verließ er die Band, um musikalisch eigene Wege zu gehen. The Lamb Lies Down On Broadway gilt heute als Meilenstein der Genesis-Ära unter Peter Gabriel. Und es ist immer wieder ein Genuss, dieses Konzeptwerk mit all seinen unterschiedlichen musikalischen Facetten in seiner Gesamtheit zu hören. Vor allem, wenn die Songs auf der Bühne so leidenschaftlich und originalgetreu zelebriert werden wie an diesem Abend.

Nach einer kurzen Begrüßung durch den Promoter der Band hören wir einen englischen Einführungstext zum Album. Dabei handelt es sich vermutlich um den Prosatext, der im Inlay des Originalalbums abgedruckt ist. Inzwischen betritt die Band unter großem Applaus die Bühne. Da kein Support-Act zum Aufwärmen vorgesehen ist, müssen die fünf Musiker von The Watch von Anfang an Vollgas geben. Das fällt ihnen nicht schwer. Schon bei den perlenden Pianoklängen, die das Titelstück The Lamb Lies Down On Broadway einleiten, liegt ein Knistern in der Luft, das sich in spürbare Begeisterung verwandelt, als die gesamte Band einsetzt und die bekannte, eingängige Melodie in fein abgestimmtem Satzgesang intoniert. Vor allem aber ist es die Stimme des Sängers und Bandleaders Simone Rossetti, die einen sofort in ihren Bann zieht. Die Nähe zur Stimme und zum dramatischen Gesangsstil des jungen Peter Gabriel ist beeindruckend. Schließt man die Augen und genießt die Musik, könnte man meinen, das Original zu hören. Nach einer kurzen Begrüßung durch Rossetti auf Deutsch geht die Reise in die surreale Welt von „Rael“ weiter. Bei dem kurzen Lied Cuckoo Cocoon zeigt Simone Rossetti, dass er nicht nur singen kann, sondern auch die Querflöte perfekt beherrscht. Gekonnt, fast routiniert bewegt sich die Band durch die teils dramatischen Genesis-Songs.

Wer The Watch schon länger kennt, dem fällt auf, dass sich die Band personell verjüngt hat. Neben Simone Rossetti gehört auch sein Sohn Mattia seit einiger Zeit zur Band. Mattia Rossetti spielt Bass, Bass Pedals und die 12-saitige Gitrarre. Keyboarder Valerio De Vittorio ist ebenfalls ein alter Bekannter bei The Watch. Den fantastischen neuen Schlagzeuger Francesco Vaccarezza habe ich schon 2022 bei The Watch gesehen. Zu seinem Percussion-Instrumentarium gehören auch ein Glockenspiel und die Chimes. Beeindruckend ist auch die Leistung des jungen Gitarristen Andrea Giustiniani, der neu zur Band gestoßen ist. Das Stück In The Cage wird zum ersten Höhepunkt des Abends. Bei Hairless Heart kehrt nach all der Dramatik wieder etwas Ruhe ein. Bei diesem Stück brilliert Gitarrist Giustiniani sowohl auf der akustischen als auch auf der E-Gitarre. Vor Counting Out Time liest Simone Rossetti diesmal selbst den entsprechenden Text des Album-Inlays. Die Geschichte von „Raels erstem Mal, das nach 78 Sekunden vorbei ist“ kommt in Rossettis gebrochenem Deutsch gut rüber. Die Carpet Crawlers sind ein weiterer Höhepunkt im ersten Teil des Konzerts. Die Pause nach The Chamber Of 32 Doors hat sich die Band redlich verdient.

Gespräche mit Freunden und Bekannten im ausverkauften Theater machen deutlich, dass die Interpretation der Songs durch The Watch ausnahmslos gut ankommt, auch bei denen, die Genesis eher aus der späteren Phase kennen.

Auch wenn das zweite Album des Meisterwerks in meinen Augen düsterer und musikalisch noch anspruchsvoller ist, hält The Watch den Großteil des Publikums bei der Stange. Die Geräusche und Effekte sowie die etwas sperrigen Rhythmen von The Waiting Room, die „Raels“ Todesängste ausdrücken sollen, werden gekonnt in Szene gesetzt. Das gilt auch für andere Stücke, die vor Soundeffekten nur so strotzen. Beeindruckend auch, wie Keyboarder Valerio De Vittorio bei Riding The Scree seinen Instrumenten nahezu die originalen Synthesizer-Sounds entlockt. Mit dem Powerstück It. endet die Reise in die fantastische Welt des „Rael“ schließlich sehr eindrucksvoll.

Keine opulente Lichtshow, keine Dias oder Filmsequenzen, keine Kostüme, nur pure Musik – leidenschaftlich vorgetragen von The Watch. Es ist ein würdiges Tribute-Konzert zum 50-jährigen Jubiläum des Genesis-Meisterwerks, das wir an diesem Abend erleben. Klar, dass das begeisterte Publikum eine Zugabe verlangt. Und die ist natürlich vorbereitet. Simone Rossetti erzählt kurz die schaurige Geschichte des Mädchens Cynthia, das den Jungen Henry tötet, indem es ihm mit einem Krocketschläger den Kopf abschlägt. Das ist die Geschichte des Genesis-Klassikers The Musical Box, den die Band als Zugabe spielt. Hier zeigen die fünf Musiker noch einmal eindrucksvoll ihre Virtuosität. Das Publikum und die Band sind begeistert. Bleibt zu hoffen, dass The Watch noch einmal nach Bad Doberan kommen dürfen. Dann bitte auch mit eigenen Songs.

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