Interview: Kaipa – Eine Tour? Aber nur auf dem Rad!

Hans Lundin macht sechs Jahrzehnte  Musik, am bekanntesten wurde er natürlich mit Kaipa, die im letzten Jahr mit „Sommargryningsljus“ ein weiteres Album veröffentlichten. Renald Mienert unterhielt sich mit dem 1948 in Uppsala geborenen Künstler.

Du machst jetzt sage und schreibe sechzig Jahre Musik!

Im Sommer 1964, da war ich 16 Jahre alt, spielte ein Schulkamerad von mir in einer Popband. Der wusste, dass ich Klavier spielte und sagte, warum kaufst du dir nicht eine Orgel und spielst mit uns? Ich war froh, ich liebte Musik. Ich hörte Radio Luxemburg, alle diese zweieinhalb Minuten Songs aus den Sechzigern von Künstlern wie den Shadows. Dieses Gespür für Melodien, das mein ganzes Leben lang mein Songwriting geprägt hat, begann mit diesen Hits aus den Sixties. Um mir die Orgel leisten zu können, musste ich das Moped verkaufen, das ich mir erst ein Jahr vorher gekauft hatte. Dann brauchte ich Mikro, einen Verstärker. Das war eine große Veränderung in meinem Leben. Im August desselben Jahres hatte ich meinen ersten Auftritt und ein Jahr später nahmen wir unsere erste Single auf. Wir waren “Nordic Pop Masters”, das war ein guter Anfang.

Und dann kam in den Siebzigern Kaipa!

Ich habe die Band 1973 gegründet. Zunächst waren wir nur zu dritt. Orgel, Bass und Schlagzeug. 1974 kam dann Roine Stolt dazu. Wir begannen bei Null. Keiner in Schweden oder in der ganzen Welt kannte uns, aber es entwickelte sich gut. Ein Jahr später verschickten wir ein Demo an den Sound Engineer Leif Mases, der dann auch für Led Zeppelin oder Jeff Beck gearbeitet hat. Ich hatte mit einer früheren Band bei ihm dort unser erstes Album aufgenommen, wir konnten dann aber für das zweite keinen Plattenvertrag bekommen. Aber 1971 war er nur ein sehr ambitionierter Teenager mit einem kleinen Studio in Uppsala. Leif gefiel die Demo und er empfahl uns weiter. Im Sommer 1975 nahmen wir dann unser selbstbetiteltes Debüt auf, das dann noch im gleichen Jahr erschien.

Gab es eigentlich Ideen, das fünfzigjährige Jubiläum der Band zu feiern?

Ich habe darüber nachgedacht. Aber alle diese Alben wurden mehrmals wieder veröffentlicht, auch remastered. Tempus Fugit, das Label von Dirk Jacob, hat 2016 die letzten Versionen auf den Markt gebracht, sogar als Vinyl. Was Veröffentlichungen angeht, gibt es also nichts mehr, was wir machen könnten. Es ist kaum zu begreifen, wie schnell die fünfzig Jahre vergangen sind. Ich habe manchmal immer noch das Gefühl, ich würde gleich wieder in den Tourbus einsteigen. Die Zeit fliegt.

Im Jahr 2002 erschien dann mit “Notes From The Past” das erste Album der zweiten Version von Kaipa.

In unserer ersten Phase spielten wir nur in Skandinavien. Woanders waren wir nicht bekannt. Doch später gab es plötzlich Interesse an uns aus anderen Ländern. Und wir bekamen eine Anfrage von dem französischen Label Musea, die unsere ersten drei Alben zum ersten Mal auf CD veröffentlichen wollten. Die Sachen haben sich recht gut verkauft. Roine war damals bereits mit den Flower Kings und Transatlantic erfolgreich und viel bekannter als ich es war. Ich hatte ja nach Kaipa nur drei Soloalben veröffentlicht, die zusammen mit Bonusmaterial auch bei Tempus Fugit wieder veröffentlicht wurden.

Roine hat die Band dann aber nach drei Alben wieder verlassen.

Wir hatten schon 1978 unsere Auseinandersetzungen, als Roine mehr oder weniger die Führung von Kaipa übernahm. Er verließ damals die Band und wir machten mit anderen Musikern weiter. Aber wir sind Freunde geblieben. Als ich ihn dann fragte, auf “Notes From The Past” Gitarre zu spielen, war das kein Problem. Aber wir kamen dann wieder in die Situation, wo er begann, das Ruder in die Hand zu nehmen. Ich denke, wir sind beide sehr starke Charaktere mit einer eigenen Identität. Ich glaube, wir haben einfach verstanden, dass wir beide Freunde sein können, aber nicht zusammenarbeiten sollten. Aber der Ausstieg von Roine war für mich kein Problem. 1998 traf ich unseren jetzigen Gitarristen. Wir haben ein Album mit der Band Hagen aufgenommen, eine Mischung aus Folk und Heavy Rock. Es hieß “Corridors Of Time” und verkaufte sich nicht besonders gut und das Projekt wurde beendet, aber wir blieben in Kontakt. 2004 sagte ich ihm, er sollte sich bereithalten, sollten wir einen Gitarristen brauchen, er war also vorbereitet. 2006 stieg er dann bei uns ein und wir haben sieben weitere Alben produziert.

Du hast das Glück, mit Aleena und Patrick für die Vocals zwei Sänger mit sehr markanten Stimmen in der Band zu haben.

Na ja, ich singe ja auch. Auf dem aktuellen Album singe ich “Chased by Wolves”. Aber das freut mich zu hören. Als wir an “Notes From The Past” arbeiteten, hatten wir zunächst keinen Plan, wer die Lead Vocals übernehmen sollte. Schließlich kontaktierte ich Patrick, den ich von Ritual kannte. Ein Grund war auch, dass unsere Stimmen ähnlich waren. Patrick und Aleena waren befreundet und hatten schon vor Kaipa zusammen gesungen, ihre Stimmen passten perfekt zusammen.

Wenn du einen Song schreibst, ist dir da schon klar, wer singt?

Anfangs nicht, aber mittlerweile schon. Wenn ich einen Song schreibe, dann erstelle ich eine Demo, bei der ich alles spiele und auch alles singe. Dann entscheide ich, was Aleena singt, sie hat eben diese sehr hohe Stimme. Patrick kann zwar auch sehr hoch singen, aber so hoch dann doch nicht. Auf dem aktuellen Album haben wir die Gesangspart mehr gemischt als vorher, anders als zum Beispiel bei dem Album davor. Auf dem neuen Album teilen wir uns die Gesangslinien sogar innerhalb der Stücke auf, es gibt nicht den einen Patrick, Aleena oder Hans Song.

Für das neue Album wurde auch altes Material verwendet…

Ich hatte eine Kassette mit Material aus der Zeit von Notes From The Post. Ich habe damals noch mit einem alten Atari Computer gearbeitet, der vor allem zum Spielen gedacht war. Aber er hatte ein Sequenzer Programm und ich konnte Midi-Files auf Kassette speichern. Irgendwie gelang es mir, diesen alten Rechner wieder zum Laufen zu bringen und die alten Tapes in mein heutiges Recording-System zu laden. Außerdem musste ich alte Keyboards und Synthesizer entstauben, aber wow, plötzlich hatte ich einen Sound von diesen alten Midifiles. Die Stücke waren zunächst rein instrumental, aber ich fand dann Passagen, die auch gut mit Gesang funktionierten, also schrieb ich Texte dazu.

Wie lang sollte ein Album heutzutage sein?

Die ersten Alben nach dem Comeback waren ja fast achtzig Minuten lang. Ich empfand das als zu viel. Jetzt versuche ich mich auf etwa eine Stunde zu beschränken, das ist für mich eine gute Laufzeit. Das neue ist zwar auch wieder achtzig Minuten lang, aber ich wollte nichts löschen, weil wir es hier mit einem sehr schönen Flow in der Musik zu tun haben.

Der Titelsong war noch gar nicht geschrieben. Ich hatte eine Aufnahmesession mit Aleena und wir machten eine Pause und gingen in meinen Garten, um Kaffee zu trinken. Aleena begann ein paar Töne zu singen, und ich sagte, oh, das ist ja wunderschön. Sie sagte, ok, dann lass uns einen Song daraus machen. Es hat nur fünfzehn Minuten gedauert, alles entstand so völlig natürlich. Ich habe dann den Text geschrieben, aber die Musik hatte so einen starken schwedischen Charakter, da musste auch der Text auf Schwedisch sein. Wir waren dann bei fünfundsiebzig Minuten, und dann ist da noch der Bonustrack und wir sind wieder bei achtzig. Aber was soll ich machen. Wir haben dann ja auch das Album nach diesem Song benannt, ursprünglich sollte “Revelationview” der Titeltrack werden.

Zwischenzeitlich hatte ja Roine zusammen mit den anderen früheren Kaipa Mitgliedern Kaipa Da Capo ins Leben gerufen…

Ich hatte überhaupt kein Problem damit, dass sie sich getroffen haben und die alten Kaipa Songs spielten, das war eine gute Idee. Aber ich fand es nicht gut, dass sie den Namen Kaipa verwendet haben. Das hat die Leute nur verwirrt. Plötzlich bekam ich Anfragen: “Ich habe gehört, dass ihr gerade in Deutschland gespielt habt, wann ist euer nächstes Konzert?” Sie haben ja auch ein neues Album gemacht, was auch ok ist. Ich weiß nicht, ob sie zukünftig noch etwas machen.. Ich habe damals auch mit Thomas Waber von Inside Out darüber gesprochen, aber er meinte nur, mach dir keine Gedanken, egal wo der Begriff Kaipa auftaucht, es ist eine gute PR. Roine hat erklärt, dass Kaipa Da Capo klingen wie 1978, das ist völlig in Ordnung. Aber meine musikalische Reise ging weiter. Für mich sind Kaipa heute eine Folk Fusion Progressive Rock Band.

Die aber nie live spielen wird?

Keine Chance. Als ich 2001 mit dieser Version von Kaipa startete, habe ich von Anfang an gesagt, dass es sich um ein reines Studioprojekt handelt. Ich bin 76 Jahre und habe zwanzig Jahre meines Lebens damit verbracht, Live zu spielen und auf Tour zu gehen. Mir reicht mein Garten und meine Tomatenpflanzen. Heute habe ich eine lange Radtour gemacht und bin zu einem besonderen Ort gefahren. Außerhalb von Uppsala, wo wir 1976 ein paar Promofotos gemacht haben. Ich habe auf Facebook Bilder gepostet, eins von mir dort heute und eins von der Band aus dem Jahr 1976. Gerade wenn ich Rad fahre, dann bringt mir das so viel Inspiration. Draußen in der Natur zu sein, du spürst den Wind im Haar. Ich habe einige Songs darüber geschrieben, zum Beispiel “Like A Serpentine” vom Album “Children Of The Sounds” aus dem Jahr 2017. Wenn Roine mit den Flower Kings auf Tour geht, gehe ich auf eine Radtour, gehe dann ins Studio und nehme mit meinen fantastischen Bandmitgliedern Musik auf. Damit bin ich zufrieden.

Und solange dabei so schöne Alben entstehen, sind wir es auch.

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