Interview: Dawnation – Warum in die Ferne schweifen …

…Sieh, das Gute liegt so nah. Und genau so ist es bei der Band aus Neubrandenburg in Mecklenburg – Vorpommern, und zwar gleich im doppelten Sinne. Zum einen findet man auch in der deutschen Progszene immer wieder hervorragende Alben, zum anderen liegt mein Geburtsort nur circa eine halbe Stunde von Neubrandenburg entfernt. Da war ein Interview natürlich Pflicht, für das mir der Keyboarder Bert Wenndorff und Gitarrist Christoph Piel Rede und Antwort standen – und das oft mit einem Augenzwinkern.

pic: (C) promo dawnation

Mit eurem zweiten Album „Well For The Past“ sorgt ihr aktuell für ziemliche Furore in der Progszene. Dabei kommt ihr ganz ohne die beliebten überlangen Stücken oder Frickelorgien aus.

Christoph: Sollte Musik nicht gerade für Leute sein, die kein Instrument spielen und nicht wissen wie toll das ist, was man da gerade spielt? Es ist eine schmale Gratwanderung zwischen den übertriebenen Frickeleien und den wohlklingenderen Passagen.

Bert: Ich halte es da mit Genesis. Egal, in welcher Phase sich diese Band befand, es ging immer um die Songs und nie um das zur Schau stellen von irgendwelchen Fähigkeiten. Das hat Genesis  ja immer von Künstlern wie ELP unterschieden. Es kann auch mal diese komplexen Passagen geben, man darf sich ja auch nicht einschränken lassen. Und das war uns als Band sehr wichtig, es geht immer zuerst um den Song.

Christoph: Es kommt auch immer auf die Idee hinter dem Songs an. Du hast eine Idee und die wird verarbeitet. Wenn der Song drei Minuten dauert, dann ist das so. Bei fünfzehn Minuten genauso. Wir haben weder die Konventionen radiotauglich zu sein, noch irgendwelche Überlängen einzuhalten. Wenn man versucht, etwas künstlich zu erzwingen, dann wird es schwierig.

Gerade während der Pandemie haben ja viele Bands ihr Material remote erstellt, ihr auch?

Bert: Wir wohnen alle in einer Stadt und haben uns auch während Corona getroffen. Bei uns funktioniert das nicht so, dass wir am Computer Files austauschen. Es gab ja eine Phase bis 2017, als es uns als Band nicht gab. Da hat dann schon jeder auch für sich zuhause Demos aufgenommen. Songs wie „Holes“ und „Fly“ basieren auf Ideen, die schon über zehn Jahre alt sind. „Deception“ und „Fall“ sind auch älter. Man kann sagen, die eine Hälfte des Materials entstand aus neuen Ideen.

Christoph: Ich glaube, das macht ja jeder so. Du hast eine Idee und hältst die fest, und wenn du gerade mal kein Album machst, dann holst du sie halt wieder vor, wenn es soweit ist.

Euer Album ist sehr abwechslungsreich, neben progressiven Elementen gibt es wunderschöne ruhige Passagen, dann wird es auch schon mal heavy. Trotzdem wirkt es wie aus einem Guss.  Und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es in die Prog-Ecke stecken würde….

Christoph: Aber ist es nicht gerade progressiv, wenn man nicht in eine bestimmte Sparte passt? Bert und ich haben einen komplett unterschiedlichen musikalischen Background. Wenn wir gemeinsam einen Song schreiben, da muss zwangsläufig immer irgendein Mischmasch bei rauskommen. Bert würde keinen reinen Heavysong machen.

Das bedeuten dann wohl, dass die härteren Passagen auf dein Konto gehen?

Christoph: Als Gitarrist bleibt dir ja nichts anderes übrig.

Bert: Ich habe aber auch alle Black Sabbath Alben!

Christoph: Aber du schreibst Songs auf dem Keyboard und ich an der Gitarre!

Bert: Und das macht den Unterschied. Wir sind musikalisch alle sehr breit aufgestellt, ich höre zum Beispiel alles Mögliche, auch mal Hip Hop.

Christoph: Ich nicht !!!!

Bert: Oder die Siebziger oder Achtziger. Unser Bassist kommt noch aus einer ganz anderen Ecke. Die größte Herausforderung ist es, aus allen diesen Einflüssen ein homogenes Album zu machen. Das hätten wir selbst nicht für möglich gehalten! Ein Song wie „Fly“ kann neben „Deception“ stehen und man denkt nicht, das sind zwei unterschiedliche Bands.

Christoph: Es ist schon ein zähes Ringen, bis ein Song dann soweit ist, dass jeder einverstanden ist. Aber dafür sind wie eine Band.

Ihr beide habt ja zusammen mit eurem Sänger bis 2004 schon in einer Band namens Glistening Dawn gespielt und auch einige Alben veröffentlicht. Zwölf Jahre später habt ihr euch wieder getroffen und über einen Neuanfang nachgedacht. Den gab es dann zum Glück ja auch, aber unter neuem Namen. Ist „Dawnation“ jetzt  eine Art Wortspiel aus „Dawn“ und „Nation“ oder warum habt ihr diesen Namen gewählt?

Bert: Weil es gut klingt! Wir haben lange gesucht, waren uns dann aber schnell einig. Wir waren damals alle der Meinung, die Zeit von  Glistening Dawn ist vorbei.

Christoph: Außerdem konnten die Leute den alten Bandnamen nicht aussprechen. Das hieß dann immer „Listen Down“. Wir wurden sogar so angesagt. Das ging dann soweit, dass auch die Leute, die den Bandnamen richtig aussprechen konnten, sich einen Spaß daraus gemacht haben, und auch „Listen Down“ gesagt haben.

Bert: Das Wort „Dawnation“ gibt es ja so gar nicht. Aber es klingt auch ähnlich wie „Donation“ also Spende.

Jetzt verstehe ich, ihr wollt die Leute quasi über das Unterbewusstsein zum Spenden animieren….

Christoph: Deswegen machen wir den Scheiß doch! Und seit es Pop gibt, wird viel in die Dinge hineininterpretiert. Was bei den Beatles alles spekuliert wurde, und am Ende haben sie einfach nur einen Joint geraucht!

Die vielen positiven Reaktionen auf euer Album haben euch ja schließlich auch euren ersten Liveauftritt beschert. Ihr habt auf dem Art-Rock Festival in Reichenbach gespielt.

Christoph: Bert ist im Vorfeld extra runter gefahren, weil der Organisator Uwe ihn vorher kennenlernen wollte. Na ja, immerhin haben „The Watch“ da gespielt.

Bert: Ich mag ja Genesis und der Bergkeller ist ja auch schön. Aber das war kein zwei Stunden – Ausflug, das sind schon mal 500 km von hier.

Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Wart ihr sehr aufgeregt?

Christoph: Ich  nicht so sehr. Wir hatten gut geprobt und es ist wie in der Schule. Wenn du auf die Klausur vorbereitet bist, dann musst du keine Angst haben. Wir haben einen extrem guten Drummer, selbst wenn man sich mal verspielt hat, kommt man immer wieder in den Song zurück. Außerdem spielen Bert und ich ja relativ viel live, da ist das Lampenfieber nicht mehr so stark. Bei unserem Sänger und dem Bassisten sieht das schon anders aus, die sind jahrelang nicht mehr aufgetreten.

Bert:  Routine hatten wir keine und ein Festival ist ja immer etwas Besonderes. Ich hatte schon großen Respekt.

Christoph: Wir sind am Tag zuvor angereist und kamen schon am Abend vor dem Konzert mit Leuten ins Gespräch, die unsere Songs kannten. Und am nächsten Tag kommen wir dann um 13:30 auf diese relativ große Bühne, und der Saal ist fast voll. Dann spielst du den ersten Songs und hast so eine positive Resonanz, danach spielen sich die Songs wie von selbst.

Bert: Wenn das Konzert um halb zwei beginnt, denkst du, man spielt vor zehn Leuten. Wir haben mit dem Erfolg überhaupt nicht gerechnet.

Aber in eurer Heimat Mecklenburg-Vorpommern scheint es mit Auftrittsmöglichkeiten schwierig zu sein?

Christoph: Es gibt schlichtweg kaum Möglichkeiten, wo man auftreten kann. Und schon gar nicht mit eigener Musik. Du musst immer davon ausgehen, dass unsere Musik die Leute kaum interessiert.

Bert: In unserem Umfeld gehen die Clubs eher auf Nummer sicher, da spielen dann viele Coverbands oder du hast schon einen bestimmten Status. Die Leute sind da nicht wirklich mutig. Wir haben ja auch zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt angefangen. Wir sind jedenfalls dem Uwe sehr dankbar, dass wir in Reichenbach auftreten durften.

Christoph: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und in drei Jahren Corona kann man sich auch mal daran gewöhnen, nicht weg zugehen. Die meisten Jugendlichen hören doch keine handgemachte Musik mehr. Wir brauchen und da nichts vorzumachen, Rockmusik ist was für alte Leute.

Bert: Ich bin da eher positiv. Man hat den Rock schon so oft totgesagt, aber es kommt immer was nach.

Christoph: Wie hat Frank Zappa gesagt? Jazz  ist nicht tot, er stinkt nur ein bisschen. Vielleicht ist das bei Rock genauso.

Ohne Unterstützung eines größeren Labels bleibt auch vieles an euch hängen, das nichts mit der Musik zu tun hat…

Christoph: Wir sind halt keine Verkaufsgenies. Es ist schon sehr aufwändig, sich zum Beispiel  ans Telefon zu setzen und die Veranstalter abzuklappern.

Bert: Das sollte man eigentlich als Band auch nicht selbst machen müssen. Wir wurden in Reichenbach auch durchaus angesprochen, es gibt ja auch kleine Promotion – oder Bookingagenturen. Eine Band kann nicht alles alleine machen, das funktioniert einfach nicht.

Christoph: Wir haben einen Kumpel, der hat ein kleines Label beziehungsweise Verlag aufgebaut, eher für Freunde mit den unterschiedlichsten Musikrichtungen. Das ist aber quasi ein Einmannbetrieb, damit haben wir einen Labelcode und können uns bei der GEMA anmelden.

Bert: Und der Vertrieb läuft über Just For Kicks. So müssen wir nicht auch noch bei jeder Bestellung die CDs selbst eintüten und verschicken.

Vielleicht ergibt sich ja mal die Chance auf einen Supportslot bei einer bekannteren Band?

Christoph: Aber auch da musst du rankommen…

Bert: Ich sehe das sogar als einzigen Weg, der funktionieren könnte. Oder eben Festivals wie in Reichenbach, wo ja von vornherein Leute kommen, die solche Musik lieben.

Zwangsläufig müsst ihr auch noch andere Dinge machen, um über die Runden zu kommen…

Christoph: Wir beide und unser Drummer geben Musikunterricht. Und die beiden anderen haben einen richtigen Beruf! Bert spielt noch in einer etwas poppigeren Band, die auch teilweise eigene Songs hat und ich bin in einer Black Sabbath Coverband. Bert und ich sind auch Mitglied der Magical Mystery Band, die die Beatles und Pink Floyd covert.

Aber für den ersten Dezember ist ja immerhin auch ein Auftritt in Neubrandenburg im Latücht geplant. Hoffentlich klappt es und hoffentlich gibt es bald mehr davon!

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