Interview: Tusmørke – Für immer im Untergrund

Nach dem letzten von drei “Kinder-Alben” melden sich Tusmørke nun mit “Hestehoven” zurück. Die norwegische Band zählt sicher zu den interessantesten der Szene, was neben der musikalischen Mischung aus Folk, Psychedelic und Prog auch an den meist düsteren Texten, dem Auftreten in altertümlichen Kostümen und dem Verwenden von fiktiven Namen liegt.

Renald Mienert sprach mit den Brüdern Benedikt und Kristoffer Momrak, upps – wir meinen natürlich Benediktator und Krizla.

pic: (C) Terje Skår

Auf eurem neuen Album mischt ihr wieder norwegische und englische Texte, warum?

Benediktator: Manche Songs scheinen besser auf Englisch zu funktionieren. Es kommt vor, dass wir Stücke sowohl auf Englisch als auch Norwegisch aufnehmen und dann später entscheiden. Manche Ideen für das neue Album sind sehr alt. Das Motiv zu “Cycle of the Gylfaginning “ stammt aus dem Jahr 2000. Die Inspiration dazu haben wir von der englischen Band “Comus”. Das ist eine Dark Folk Band aus den späten Sechzigern, frühen Siebzigern. Vor Jahren haben wir ein Festival in Oslo zusammen gespielt. Sie verwenden viel Flöte und Percussion, haben aber tatsächlich keinen Drummer. Da war es irgendwie natürlich, auf Englisch zu singen. Bei “The Wicked Ways of Witches and Wizards” greife ich auf das Buch eines Autors aus Kenia zurück. Er verwendet diese Phrase und sie gefiel mir, und er schreibt auch auf Englisch. Und dann ist da auch eine Hommage an die Band “White Willow“, das würde auch nicht auf Norwegisch funktionieren.

Der Titelsong überrascht mit Jameinlagen, unter anderem “Wenn ich einmal reich wär” aus “Der Fiedler auf dem Dach”.

Benediktator: Das ist etwas, was wir bei diesem Song live sehr häufig machen. Wir beginnen zu diesem Motiv dann einfach zu jammen. Wir hatten über die Jahre verschiedene Keyboarder und diese brachten verschiedene Referenzen auf andere Musik ein.

Krizla: Lars von Wobbler zum Beispiel brachte den “Imperial March” ein.

Benediktator: Wir haben auch schon  Motive aus “Beverly Hills Cop” verwendet, und Krizla  hatte die Idee zu “The Fiddler On The Roof”. Ich habe etwas aus Armenien beigesteuert, “The Soldiers Dance”. Manchmal integrieren wir auch ein Stück, das Blaskapellen hier am 17. Mai spielen, aber nicht die Nationalhymne. Live endet der Song faktisch nie.

Ist auch das neue Album wieder ein Konzeptalbum?

Krizla: Ja, es geht um das Übernatürliche. Der Titelsong bezieht sich natürlich auf den Pferdefuß von Satan. Bei “Kyprianos“ geht es um das “Schwarze Buch”, eine Art Handbuch für Zauberei. Um es zu bekommen, musste man einen Pakt mit dem Teufel eingehen. Die Leute, die es angeblich besaßen, zeigten es nie. Man glaubte zum Beispiel, dass Menschen, die Krankheiten heilen konnten oder Diebe finden, auch dieses Buch besaßen. Fahrende Musikanten gaben auch oft an, diese Zauberei zu beherrschen, weil sie glaubten, dann in Ruhe gelassen zu werden.

Benediktator: Mich hat dieses „Schwarze Buch”  auch inspiriert. Die Menschen haben zum Beispiel Satan verehrt, als Art der Rebellion gegen die damaligen Machtverhältnisse. Die von den Reichen propagierte Aussage war, dass man akzeptieren muss, dass Gott es so gewollt hat, dass einige Menschen reich sind, und andere arm. Wenn du das nicht akzeptiert hast, warst du ein Rebell, warst du böse. Ich habe auch viel Black – und Death Metal gehört, und es fühlte sich für mich befreiend an, wie drastisch die Texte waren. Wir haben dann das Album “Nordisk Krim” gemacht über die Leichen im Moor, früher hätte ich vielleicht gesagt, das ist zu verstörend, das kannst du nicht machen.

Auch wenn sich eure Texte eher um dunkle Themen drehen, der Musik merkt man das nicht unbedingt an.

Benediktator: Wir hören das oft. Wir versuchen die Balance zu halten zwischen Ernsthaftigkeit auf der einen Seite, wollen auf der anderen aber auch, dass die Hörer sich nicht sicher sind, ob wir es ernst meinen. Wir wollen, dass das Publikum die Dinge schon ernst nimmt, aber auch gleichzeitig darüber lacht. Wir wurden oft falsch verstanden, die Leute besonders hier in Norwegen hielten uns entweder für komplette Clowns oder für hochtrabend und langweilig. Aber wenn wir zum Beispiel über das Übernatürlich schreiben, dann mindestens so ernsthaft, dass wir uns für diese Phänomene interessieren.

pic: (C) Sylwia Rodan

Vor und nach dem schon erwähnten “Nordisk Krim” gab es ja mit “Bydyra”, “Leker for barn, ritualer for voksne” und “Intetnett” diese drei “Kinderalben”.

Krizla: Ja, diese Alben mit den Kindern entstanden als eine Art fortlaufendes Projekt mit Musicals, dort wo ich arbeite. Wir haben jeweils die Hälfte der Songs und der Scripts beigesteuert, mit dem Hintergedanken, ein Album daraus zu machen, aber es wurden schließlich drei, weil wir nicht mehr stoppen konnten, was wir in Bewegung gesetzt hatten. Aber es hat Spaß gemacht. Wir haben viele verschiedene Stile eingebracht, Disco, Pop, Soul -von Giorgio Moroder bis Kraftwerk. Außerdem ist es etwas anderes, Texte für Kinder zu schreiben. Eines der Kinder war furchtbar erregt, weil bei einem der Musicals die Bösen am Ende gewonnen hatten und wollte das gesamte Projekt verlassen, das war sicher eine sehr ehrliche Meinung. Die Kinder waren zwischen sechs und zehn Jahren alt, aber wir haben mit dem Thema abgeschlossen, weil es so zeitaufwendig ist.

Benediktator: Nicht nur Kinder haben sich aufgeregt…

Krizla: Einige der Lehrer waren auch außer sich. Aber sie kamen damit nicht zu mir, sondern sind gleich zum Direktor gelaufen. Das Musical sei viel zu politisch und für Kinder nicht geeignet. Es ging um Informationstechnologien und den Missbrauch unserer Daten. Konzerne wie Google stellen den Schulen kostenlose Software zur Verfügung und im Gegenzug erhalten sie die Nutzerdaten der Kinder. Ich denke, die Kinder haben ein Recht darauf zu erfahren, wie Unternehmen davon profitieren, wenn man unkritisch diese kostenlose Software nutzt. Aber zum Glück kannte der Direktor das Stück schon und war damit einverstanden. Aber Benedikt macht auch einige Songs zum Thema Vertretungslehrer. Wir haben die Missstände am gesamten Schulsystem angeprangert.

Benediktator: Diese ganzen Dinge, dass Lehrer nur befristete Verträge bekommen mit schlechter Bezahlung. Aber die Leute trauen sich nicht, ehrlich zu sein, weil sie Angst haben, dann als schwierig zu gelten. Ich bin seit zwanzig Jahren Lehrer und mittlerweile in einer sicheren Position, aber ich habe auch lange Jahre die Dinge heruntergeschluckt und den Mund gehalten. Die Kinder sollten auch wissen, dass die Lehrer, die sie gerade haben, auf einer sehr unsicheren Basis leben. Sie stellen sich ja auch Fragen, wenn ein Lehrer, den sie mögen, plötzlich fort ist. Was ist passiert? Mag er uns nicht mehr? Vielleicht haben wir damit ja einige Köpfe erreicht, aber wahrscheinlich ist es eher so, dass die Leute die Hände über dem Kopf zusammenschlagen  und sagen, das kann nicht sein, aber aus irgendeinem Grund ist es nicht möglich, etwas zu ändern.

Krizla: Eine Hauptinspiration für diese politischen Motive war die deutsche Band Floh De Cologne mit dem Album “Rockoper Profitgeier”. Ein sehr gutes Album mit guter Rockmusik und voller politischer Themen.

Wie kam es eigentlich zu der Vorgängerband “Les Fleurs du Mal”?

Benediktator: Als später Teenager hatten wir bereits eine Psychedelic Band und hatten einen Gig in einem Jugendclub. Wir dachten, wir könnten etwas Geld verdienen, aber die Leute fanden uns völlig uncool, mit langen Haaren und Schlaghosen. Irgendwann hatte unser Bassist die Nase voll und schmiss hin. Wir fielen dann quasi in ein Loch, jammten zu dritt und beschlossen dann, die Psychedelic Band aufzulösen und als Trio weiterzumachen und akustische Musik zu spielen. Andreas, der jetzt bei Wobbler singt, kam an den Wochenenden dazu. Wir studierten dann in der Stadt, in der auch Andreas lebte. Er sagte,  ihr drei seid Tusmørke, und ich will keiner bestehenden Band beitreten, ich will mit einer neuen von vorne anfangen. Einer der Songs aus dieser Zeit ist immer noch Bestandteil unseres Repertoires. Er wurde noch nie aufgenommen, ist aber mittlerweile zwanzig Minuten lang – in der Pipeline seit 1996.

pic: (C) Sylwia Rodan

Warum verwendet ihr auf den Alben nicht eure richtigen Namen?

Krizla:. Wir sehen das als eine Art Tribut an die Tradition, Rockmusik zu etwas anderem zu machen, als das gewöhnliche Leben. Wenn du auf der Bühne stehst oder im Studio einen Song aufnimmst, dann bist du nicht mehr die Person, die du im Alltag bist. Du bist  in einer anderen Welt, das ist für mich sehr wichtig, dieses Bühnenoutfit, diese anderen Namen. Du kommst nicht einfach von der Arbeit und gehst auf die Bühne, dein Bewusstsein ist in einem anderen Zustand.

Eure Ursprünge reichen bis 1994 zurück, aber irgendwie seid ihr immer Underground geblieben.     

Benediktator: Ich wurde vor einigen Jahren gemeinsam mit anderen Underground-Bands interviewt und nach meinem Lieblingsweihnachtslied gefragt. Ich hatte noch nie von den anderen Bands gehört und war zwanzig Jahre älter. Und ich dachte, Yeah, immer noch Underground, Baby!

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