Interview: Edward Reekers – Mit Musik gegen den Corona-Blues

Edward Reekers kennt man in der Progszene vor allem als Sänger der niederländischen Band “Kayak” und von seiner Beteiligung an diversen Ayreon – Projekten. Nun liegt mit “The Liberty Project” ein neues Soloalbum des Künstlers vor. Renald Mienert sprach mit dem sympathischen Holländer.

“The Liberty Project” ist dein erstes Soloalbum nach fünfzehn Jahren. Wie kam es dazu?

Es begann im zweiten Jahr von Corona. Das erste Jahr habe ich noch ganz gut überstanden, da konnte ich noch etwas von zuhause machen. Aber im zweiten kann man schon sagen, dass ich depressiv wurde. Ich dachte wirklich, es wird nicht mehr werden wie es mal war, Theater und Spielstätten gehen pleite, Produzenten sind nicht mehr da, alles ist kaputt. Ich versuchte, mit dem Musik schreiben anzufangen, aber zunächst klappte es nicht. Nach einigen Monaten kristallisierte sich aber ein Thema heraus. Meine Tochter kam dazu und sagte: Das ist aber schön, kannst du nicht weitermachen. Ich entgegnete: Wie weitermachen? Wenn der Song fertig ist, dann ist er fertig, und sie: Dann schreib doch noch einen. Und plötzlich waren wie ein Tsunami überall diese Texte und das Material für weitere Stücke in meinem Kopf, ich musste sie nur noch abrufen. Ich bin um vier Uhr nachts aufgestanden, weil mir plötzlich Melodien eingefallen sind, die ich dann ins Handy gesungen habe. Meine Frau hielt mich schon für besessen.

Und wie ging es dann weiter?

So entstanden in einigen Monaten zunächst fünfzehn Songs, später kamen noch zwei dazu. Ich begann dann in meinem kleinen Studio mit Demos, und dann rief mich der Gitarrist Mark Bogert an: Ich habe gehört, du arbeitest an Demos? Brauchst du keine Gitarre? Ich sagte:  Ja, aber es ist noch zu früh, es gibt kein Budget, nichts. Aber es war ihm egal: Ich sitze hier rum und spiele Lego. Ich kann nichts machen, nicht spielen, nicht unterrichten. Schick mir das Material und ich spiele dir die Gitarrenparts. Und das hat er gemacht. Und als der erste Song zurückkam, waren da nicht eine Gitarrenspur, sondern acht. Er meinte, ich könne mir aussuchen, was mir gefällt, oder auch Spuren kombinieren. Da begannen die Stücke auch für mich zu leben. Ich habe das Material Freunden vorgespielt, und sie motivierten mich, weiterzumachen. Ich hielt es zunächst für eine gute Therapie, bei der am Ende Musik entsteht, die aber letztlich nur für mich ist.

Aber zum Glück wurde dann doch mehr daraus!

Ich habe dann Jost kontaktiert, den man ja auch von  Ayreon kennt. Ich bat ihn, sich die Stücke anzuhören, ob man etwas damit anfangen könne. Er stimmte zu und wir waren in seinem Studio. Er hörte sich die Musik an, drehte sich zu mir um und fragte: Wann fangen wir mit den Aufnahmen an?

Und du hast eine illustre Schar von Musikern um dich versammelt.

Ich wollte mit Künstlern arbeiten, zu denen ich eine besondere Beziehung habe. Steve Hackett habe ich vor circa 40 Jahren das erste Mal getroffen. Der Chef von der De Boerderij in Zoetermeer Arje Verstegen  hat dann den Kontakt wieder hergestellt. Steve hat dann auch zugesagt, wie auch alle anderen Künstler, die ich gefragt habe. Er spielt auf “The Clash Of Believe”, eine Art Kampf zwischen den Menschen, die an Gott glauben und denen, die es nicht tun. Arjen Lucassen hört man auf “The Disease”, er spielt Gitarren und Bass und hat den Song quasi adoptiert. Ich bin froh, wie er das gemacht hat. Mit Damien Wilson bin ich seit Jahren befreundet, er musste einfach dabei sein. Er hat den Politikern die perfekte Stimme gegeben. Meine Frau sagte, du erntest jetzt die Früchte von dem, was du gesät hast.

Und Cindy Oudshoorn ist für die weibliche Hauptrolle auch mit an Bord.

Cindy ist eine meiner besten Freundinnen und wir haben viele Jahre bei Kayak gesungen. Wir sind beide 2014 dort  ausgestiegen, sind aber in Kontakt geblieben und für mich war immer klar, dass sie auf dem Album singt.

Wenn ich das Konzept richtig verstanden habe, gibt es in deiner Geschichte nach einem Big Bang die Chance für die Menschheit neu anzufangen, aber es scheint sich nicht viel geändert zu haben. Und das alles erzählst du vor dem Hintergrund einer Liebesgeschichte.

Ja, man kann sagen, die Geschichte wiederholt sich und wir lernen nichts daraus. Die Story spielt in einer Parallelwelt, die sich letztlich nicht so sehr von unserer unterscheidet. Es gibt ähnliche Bevölkerungsgruppen, die auch alle ihren eigenen musikalischen Stil auf dem Album haben.

Ein Album wie dieses ist ja nun nicht wirklich alltäglich. War es schwer, ein Label zu finden?

Es war überraschend einfach. Ich habe den Chef von Mascot kontaktiert und wollte bei ihm vorbeischauen und das Material vorstellen. Er lehnte ab und bat mich stattdessen, ihm ein paar Lieder zu schicken. Ich schickte ihm sieben Songs und nach einer Stunde hatte ich eine Antwort per E-Mail. Ich dachte, so schnell, das kann nichts Gutes bedeuten. Vermutlich in der Art: Vielen Dank für die Musik, aber es passt nicht zu uns und viel Erfolg! Aber so war es nicht, es gefiel ihm und innerhalb von wenigen Stunden war der Vertrag fertig – sie hatten noch nicht einmal alle siebzehn Stücke gehört.

Wobei es bestimmt auch geholfen hat, dass ja die Alben von Ayreon auch bei Mascot erscheinen. “The Liberty Project” unterscheidet sich aber schon deutlich von den Werken Arjen Lucassens. Wirklich hochkomplexe Elemente  oder sehr harte Gitarren gibt es bei dir nicht. Dabei scheust du dich auch nicht davor, teilweise schon in den Bereich des Musicals zu wechseln.

Ich wollte schreiben was ich schreiben möchte. Ohne den Gedanken an radiotaugliche Spieldauern. Melodien und Harmonien stehen bei meiner Art zu Komponieren immer im Vordergrund. ich muss das Bedürfnis verspüren, Musik zu machen. Wenn ich diesen Drang nicht spüre, dann schreibe ich auch nichts.

Zum Glück war dieser Drang jetzt da. Drängt es dich auch noch auf die Bühne?

Ich trete immer noch häufig auf,  zum Beispiel mit verschiedenen Tribute-Acts, das sind so etwa 80 Auftritte pro Jahr. Meine Stimme ist immer noch fit, wenn ich nach einem Auftritt acht Stunden schlafe, kann ich am nächsten Tag wieder auf der Bühne stehen.

Wie war eigentlich damals dein Einstieg bei Kayak?

Ich habe 1978 mitbekommen, dass Kayak einen neuen Sänger suchten. Ein Freund brachte mich auf die Idee, eine Kassette zu schicken. Ich dachte, die werden gerade auf mich warten. Aber sie haben mich kontaktiert und eingeladen, zum Vorsingen und auch um zu checken, ob es auf persönlicher Ebene funktioniert. An dem einen Tag stand ich noch im Publikum und schaute auf die Bühne, am nächsten war es umgekehrt. Ich kannte ja alle ihre Lieder und Texte auswendig. Sie fragten mich, was hast du vorbereitet und ich sagte ganz mutig. Spielt ruhig, ich kenn alles. Ich war 21 und bekam quasi einen Crashkurs als Popstar, Radio und TV machen und Interviews geben.

Dein größter Hit in Deutschland hat nun mit Rockmusik gar nichts zu tun. Das war “So schmeckt der Sommer”, kann man sich immer noch auf YouTube anschauen.

Ich habe viele Jahre in Holland auch Backing Vocals gemacht und auch Werbung. Der Song für die Langnese-Werbung wurde in Holland geschrieben und ich wurde gebeten, die Demo zu singen. Meine deutsche Aussprache war offenbar gut genug, dass es dann dabei blieb. Dass es dann eine Single dazu gab, damit habe ich gar nicht gerechnet.

Und auch sonst bist du in Bereichen erfolgreich unterwegs, die jetzt alles andere als typisch sind …

Ich habe bei den Harry Potter – Filmen als Regisseur für die holländischen Synchronversionen gearbeitet. Diese Arbeit macht sehr viel Spaß und ich mache das immer noch.

Solange wir nicht wieder fünfzehn Jahre auf ein neues Album warten müssen …

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