Review: The Flower Kings – Look At You Now

Wenn eine Band im Progressive Rock sich langsam ihrem 30jährigen Jubiläum nähert, kann man diese schon als Urgestein bezeichnen. Dabei ruhen sich die FLOWER KINGS nicht auf ihren Erfolgen der 90er Jahre aus, sondern erfinden sich gerade aktuell beinahe jedes Jahr neu. Insbesondere personell. Und das tun sie nicht, wie bei solchen Entscheidungen üblich, weil musikalische Differenzen bestehen. Sondern primär aus kostentechnischen und logistischen Gründen, um die Band spielfähig und am Leben zu erhalten. Denn nachdem im vergangenen Jahr, Jonas Reingold am Bass ausgestiegen war (sein umfangreiches Touren mit der STEVE HACKETT BAND waren mit den Plänen der FLOWER KINGS nicht vereinbar), musste 2023 der kalifornische Keyboarder Zach Kamins die Segel streichen. Die allgemeine Kostentwicklung, ihn regelmäßig aus seiner Heimat für einzelne Gigs, Proben oder Touren nach Europa einfliegen zu lassen, hätte die die finanziellen Möglichkeiten der Band gesprengt und zum neuen Ende der Band geführt.

Tracklist:

1. Beginner’s Eyes 
2. The Dream 
3. Hollow Man
4. Dr. Ribedeaux 
5. Mother Earth 
6. The Queen 
7. The Light in Your Eyes
8. Seasons End 
9. Scars 
10. Stronghold
11. Father Sky
12. Day For Peace 
13. Look At You Now

Unter diesen Bedingungen legen die FLOWER KINGS mit „Look At You Now“ aktuell ihr insgesamt sechzehntes Studioalbum und bereits ihr viertes Oeuvre seit ihrem Neubeginn 2018 vor.  Bereits bei den ersten Single-Veröffentlichungen im Netz fällt auf, dass an ein paar musikalischen Stellschrauben gedreht wurde: erstens erscheint das Schlagzeug mehr nach vorne gemischt. Das passt zu den zuletzt beobachteten Live-Auftritten der FLOWER KINGS, wo der seit 2018 angestellte Drummer Mirko de Maio ein stärkeres Selbstbewusstsein an den Tag zu legen scheint; den Sound der Band mehr beeinflusst und treibt als in seinen Anfangstagen. So ist er erstmalig auch beim Instrumental „Dr. Ribedeaux“ in den Kreativ-Credits mit genannt. Weiter nehmen Keyboards und soundtechnische Experimente wieder einen größeren Rahmen ein. Gleich im Intro und im weiteren Fortschritt des ersten Stückes „Beginners Eyes“ fällt dies auf. Das Wechselspiel zwischen Gitarre und Keyboards wurde im Sound zuletzt etwas vermisst, war dies doch eine Stärke im Sound der Band insbesondere in den 90ern. Spannend dabei, dass die FLOWER KINGS aktuell ohne festen Keyboarder arbeiten. Im Studio hat Roine Stolt die Keyboards eingespielt, mit Unterstützung des Keyboard-Tausendsassas Lalle Larsson. Die Gitarre ist weiter prägend für den Sound, allerdings nicht mehr so dominant wie zuvor. Das ganze klingt entsprechend insgesamt voller, fetter und breiter als auf den letzten Werken und tut den verwöhnten Ohren des geneigten Fan für sinfonischen progressive Rock gut.

Neu ist weiter, dass mit inzwischen drei Sängern gearbeitet wird. Neben den bewährten Stimmen von Hasse Fröberg und Roine Stolt bringt Michael Stolt hier eine völlig neue Klangfarbe in den Sound. Er steuert gemeinsam mit seiner Partnerin Jannica Lund (die wieder als Backgroundsängerin mit auf dem Album vertreten ist) mit „Mother Earth“ und „Father Sky“ auch zwei eigene Stücke mit bei. Beide Songs sind an verschiedenen Stellen des Albums plaziert, und stellen zwei Teile eines Ganzen Stückes dar. Überhaupt hat sich Roine Stolt gesanglich etwas die Last von seiner Schulter genommen, die gesangliche Arbeit scheint weitgehend gleich auf die drei genannten Herren verteilt. In „Scars“ wechseln sich sogar alle drei  in ihren Sangeskünsten ab. Im Intro dieses Stückes lässt Roine Stolt auch mal seine heimliche Liebe zum Blues aufblitzen.

Die Stücke wollen in Musik und Lyrics insgesamt positive Energie streuen, in schwierigen Zeiten, was auch gut funktioniert. Es geht um´s Mut machen, um Liebe als höhere Macht und um Sorge, um Natur und unseren Planeten. Die Texte sind klarer als auf anderen Alben der FLOWER KINGS und lassen den Hörer seine eigenen Empfindungen wiederfinden. Dies, aber auch so manche klangliche Spielerei erinnern mich an das Meisterwerk „The Sum Of No Evil“.

Das große Auge in ein Blumenherz eingebettet wirkt auf dem Albumcover beängstigend real, und stellt doch Wesen und Botschaft des Albums in einem großartigen Bild dar. Ein paar Stücke gilt es neben den genannten noch herauszuheben. „The Dream“ ist eine starke Komposition, die leise anfängt und sich dann zum Schluss hin zu sinfonischer Größe verbreitert. „The Queen“ ist ein besonderer Titel auf „Look At You Now“. Er beginnt wie ein klassisches Madrigal mit Spinett, Akustik-Gitarre und mittelalterlicher Rhythmik, dessen Komposition auch 300 Jahre alt sein könnte und entwickelt sich dann logisch und harmonisch zu einem melodisch schönen  FLOWER KINGS Instrumental. Das Stück ist auf der zweiten Seite der Vinyl Edition eingebettet in „Mother Earth“ und „The Light In Your Eyes“, was in Text und Bezeichnung dieser drei Stücke die Tür zu konzeptionellen Interpretationen weit öffnet. Der 12-minütige abschließende Titeltrack kommt insgesamt eher ruhig daher und rundet das Album in Inhalt und Musik ab. Interessanterweise taucht die Titelzeile des Stückes und des Albums „Look At You Now“ weder hier noch irgendwo anders auf dem Album als Textzitat auf und ist so mehr denn je als Botschaft zu verstehen. Dafür aber hört man erstaunt im ruhigen Ende das musikalische Zitat „Welcome Back To The World“, welches, genau so dargeboten, die auch erste Textzeile des ersten FLOWER KINGS „Welcome Back To The World Of Adventures“ aus 1995 ist. Will Roine damit etwa andeuten, dass „Look At You Now“ das letzte FLOWER KINGS Album gewesen sein könnte? Weil sich dadurch der große Kreis an Flower Kings Music schließt? Dies gilt es noch zu klären.

Ein neues FLOWER KINGS Meisterwerk wie „Stardust We Are“ oder „Unfold The Future“ ist „Look At You Now“ nicht geworden, aber wir haben hier trotzdem das beste Album zumindest seit 2018 vorliegen. Irgendwie wirkt das neue Werk zumindest wie das krönende Ende eines künstlerischen Weges dieser letzten vier Alben. Spiegelungen musikalischer Motive und konzeptionelle Zusammenhänge über Song-Grenzen hinweg sind bereits jetzt erkennbar und sind sollten durch weitere Hördurchläufe noch vertieft werden. Für die große Europa Tour im Oktober ist ein Mix der Songs dieses Albums mit Bandklassikern angekündigt, was bestimmt im Set sehr gut zusammen passen wird. Man darf gespannt sein, was Roine Stolt mit seiner Herzensangelegenheit „THE FLOWER KINGS“ die nächsten Jahre so planen wird. Oder etwa nicht?

Wertung: 9/10 Punkte

The Flower Kings beim Fanday in Rüsselsheim 2023

pic: (C) gunter dreßler

THE FLOWER KINGS 2023:

Mirko De Maio (dr)

Hasse Fröberg (voc, git)

Michael Stolt (bass, voc)

Roine Stolt (git, keyb, voc)

mit

Hasse Bruniusson (perc)

Lalle Larsson (keyb)

Jannica Lund (back voc)

Marjana Semkina (voc)

Jörgen Sälde (acoustic git)

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