Interview: Oblivion Protocol – Ein Album zum Vergessen?

Mit “The Fall Of The Shires” veröffentlichte Keyboarder Richard West vor einigen Wochen die Fortsetzung zum Threshold-Album “Legends Of The Shires” – allerdings nicht mit seiner Stammband, sondern dem neuen Projekt “Oblivion Protocol”. Auch wenn es der Bandname nahelegt, so sollte die Gefahr, dass man das Album schnell wieder vergisst, eher gering sein. Renald Mienert unterhielt sich mit dem sympathischen Briten.

Wie kam es eigentlich zu der Idee, eine Fortsetzung zum “Legends” – Album zu machen?

Das erste Album, das wir mit Threshold 2017 veröffentlicht haben, erzählt die Geschichte eines Landes, das versucht, seinen Platz in der Welt zu finden. Es  geht aber auch um eine Person, die das Gleiche versucht. Ich wollte die Geschichte bewusst offen halten, damit die Hörer ihre eigene Geschichte schaffen. Jeder Song ist wie ein Schnappschuss aus einem Film. Ich wollte kein Narrativ, dann wäre es eine Rockoper geworden und das ist nicht das, was Threshold wollte. Es gibt diesen Farmer, der eigentlich mit seinem Leben zufrieden ist. Aber die Dinge entwickeln sich anders und  am Ende der Geschichte entschließt er sich, etwas anderes zu machen. Es gibt diesen Song “Lost in Translation” in dem es diese Textpassage gibt –  maybe a writer, a king, a star, a fighter. Und ich habe mir die Frage gestellt, was aus dieser Person geworden ist? Vielleicht ein König? Es war 2018 als wir mit “Legends” auf Tour waren und ich hatte die Idee zu “The Fall Part One”. Der König hat ein Problem, entscheidet sich für die falsche Lösung und fängt an die Bevölkerung zu unterdrücken und “The Shires” werden ein viel dunklerer Ort.

Aber wenn ein Konzept so viel Spielraum für den Hörer bietet, besteht ja auch die Gefahr, dass er etwas komplett anderes hineininterpretiert. Als du dir eigentlich gedacht hast.

Ich mag keine Rockopern, die eine eindeutige Geschichte erzählen, wie auch bei einem Musical. Auf dem neuen Album werden ja auch Songs von unterschiedlichen Standpunkten erzählt, mal aus der Sicht eines Erzählers, mal aus der Sicht des Königs und mal aus der Sicht der Bevölkerung. Vielleicht hätte ich einige ausführliche Sleeve Notes schreiben können, um die Geschichte mehr zu erklären. Künstler lieben es nicht, ihre Kunst zu erklären.

Das stimmt sicher, aber gerade in Zeiten der Streamingdienste besteht ja erst recht die Gefahr, dass die Geschichte untergeht.

Die einfache Antwort ist, kauft die Schallplatte. Sie sieht wirklich wunderbar aus!

Dem kann ich nur zustimmen!

pic: (C) promo league of lights

Das ist auch so eine Entwicklung. Viele Jahre spielten ja Schallplatten keine Rolle und man hat sich zum Beispiel über die Länge eines Albums keine Gedanken gemacht. Für “Legends” war es von Anfang an der Plan, ein Doppelalbum zu machen und wir haben das dann bewusst so gestaltet. Ich habe ja 2021 das Album „Dreamers don’t come down“ mit “League of Lights”, dem Projekt von mir und meiner Frau, veröffentlicht. Die Single hatte den Titel “2021” und jede Seite der Platte war 20 Minuten und 21 Sekunden lang. Ich habe tatsächlich bei Oblivion Protocol darüber nachgedacht, die Spielzeit pro Seite auf 20 Minuten und 23 Sekunden zu begrenzen, aber ich hätte dafür zu viel gute Musik weglassen müssen.

Das wäre doch ein zu hoher Preis gewesen. Aber warum ist “The Fall Of The Shires” kein Threshold-Album geworden?

Ich erkannte, dass der Stoff genug Potenzial für ein ganzes Album hat und ich behielt die Idee im Hinterkopf. Als wir dann mit dem Arbeiten zu einem neuen Threshold Album begannen, präsentierte ich die Idee der Band und wir hielten es zunächst für eine gute. Songs wie “Haunted” und “Domino Effect” waren ursprünglich alle geschrieben um Teil dieser Story zu sein. Aber mitten in den Arbeiten fühlten sich dann einige Bandmitglieder durch das Thema eingeschränkt. Einige der Songs würden nicht zur Story passen. Also verwarfen wir die Idee.

pic: (C) promo threshold

Warst du sauer?

Ich stand dann also da mit „The Fall Part One“ und „The Fall Part Two“, dem ersten und letzten Song eines Konzeptalbums, mit einer Story und einem Haufen Ideen. Um ehrlich zu sein, ich war schon ein wenig gekränkt. Ich hatte schließlich viel Zeit und Emotionen in diese Idee gesteckt. Und so kam ich zunächst zu dem Entschluss, das Album alleine und nur für mich fertigzustellen. Kein anderer sollte es hören, nur zu meinem eigenen Vergnügen. Und das habe ich dann gemacht. Ich musste einen Song wie „Haunted“, der ja nun auf dem letzten Threshold Album gelandet war, aber ursprünglich als Teil von “The Fall of the Shires” gedacht war, eins zu eins durch einen anderen Song ersetzen, der mehr oder weniger die gleiche Story erzählt. So entstand “Tormented”, der ja auch als Single veröffentlicht wurde. Ich habe die Songs ein wenig an meine Stimme angepasst, alles gespielt, die Drums programmiert,  und als ich fertig war, wollte ich eine einzige Schallplatte pressen. Das Album hat eine Spielzeit von 42 Minuten und passt perfekt auf eine LP.

Aber zum Glück kam es dann doch anders…

Als ich mich dann mit einem Freund, der bei einer Plattenfirma ist, unterhielt und er mich fragte, woran ich gerade arbeite, erwähnte ich dieses Projekt. Er sagte, schick es mir doch mal zu, und dann bot er mir einen Plattenvertrag an. Viele Mitarbeiter von Atomic Fire kannte ich von früher, weil sie auch bei Nuclear Blast gearbeitet haben. Es fühlte sich also sehr vertraut an und es war eine naheliegende Entscheidung. Und das geheime Projekt entwickelte plötzlich ein ganz eigenes Leben.

Und dazu gehörte wohl vor allem auch, eine richtige Band zusammenzustellen.

Als mir der Plattenvertrag angeboten wurde, musste ich natürlich nach “echten” Musikern suchen, ich konnte ja kein Album mit programmierten Drums veröffentlichen. Ich brauchte also wenigstens einen Drummer, einen Gitarristen  und einen Bassisten. Also fragte ich Gitarrist Ruud Jolie von Within Temptation, den ich von meinem Projekt League Of Lights kannte und Bassist Simon Andersson, mit dem ich zuvor bei AudioPlastik gespielt habe. Mit Darby Todd habe ich vorher noch nie zusammen gearbeitet, aber er lebt nur ein paar Hundert Meter von mir entfernt. Seit zehn Jahren reden wir immer, wenn wir uns sehen darüber, dass wir mal ein Album zusammen machen müssen, und jetzt ergab sich endlich die Möglichkeit. Diese Musiker sind mein Dream Team.

pic: (C) Promo Oblivion Protocol

Und Karl Groom hat auch einige Gitarrenparts beigesteuert, der Haussegen bei Threshold dürfte also nicht schief hängen. Aber du bist bei der Rolle des Leadsängers geblieben…

Ich hatte ja nie vor, dass das Album mit mir als Leadsänger veröffentlicht wurde, das ist einer dieser Zufälle. Ich bin keine Metalsänger. Wir sind so froh, dass wir bei Threshold immer hervorragende Sänger hatten und noch haben. Mit denen kann ich nicht konkurrieren. Ich bin eher ein Prog-Sänger, und das neue Album ist auch etwas proggiger.

Dennoch gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden „Shires“ – Alben …

Diese elektronischen Effekte gab es ja schon auf dem ersten Album, sie helfen, den Konzeptcharakter abzubilden. Und ich wollte diese Effekte auch auf dem neuen Output verwenden, die Hörer sollen erkennen, dass es sich um eine Fortsetzung handelt. Genau deshalb beginnt das Album ja auch mit der gleichen Melodie wie “Legends”. Ein Konzeptalbum ist für mich ja nicht nur eine Aneinanderreihung von Titeln, du brauchst diese Bindeglieder, um einen Flow zu erzeugen, dass du das Album von vorne bis hinten hörst. Die Hörer sollen erkennen, dass sie wieder in der Welt des „Shires“ sind.

Kehrst du erneut in diese Welt zurück?

Am Ende des Albums gibt es ja einige Hinweise, dass sich die Dinge für die Hauptperson wieder zum Guten ändern könnten. Man hört Vögel und Kirchenglocken und es gibt die Textpassage, “I hope you find your way”. Es gibt also die Hoffnung, dass er doch wieder zu der Person wird, die er mal war. Und ich habe tatsächlich die Ideen für zwei weitere Fortsetzungen.

Und werden wir euch auch live erleben können?

Ich hoffe. Das ist eine einmalige Chance für mich. Ich war ja in meiner Karriere noch nie der Leadsänger in einer Band und würde gerne als solcher auf der Bühne stehen. Es macht mir aber auch ein wenig Angst, ich saß dreißig Jahre hinter den Keyboards und war nie der Frontmann. Wenn ich an einen Sänger wie Damian Wilson denke, ist er geboren, um hinterm Mikro zu stehen, ein Entertainer und Geschichtenerzähler. Ich bin Komponist, Keyboarder und Produzent. Aber man muss im Leben auch neue Sachen ausprobieren, und das ist eine davon.

Und wir sind sicher, du wirst sie mit Bravour meistern.

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