Livereport: Crystal Palace & Overhead | Das Rind Rüsselsheim, 10.05.2024

Sommerliches warmes Wochenend-Wetter am Ufer des Main, großes Feiern mit Musik unter freiem Himmel in Sichtweite zum Musik-Club Das Rind in Rüsselsheim. Nicht die besten Voraussetzungen für eine 4-stündige Veranstaltung in einer Halle. Aber den circa 100 Besuchern war es egal, denn es hatten sich zwei Rockbands der Extraklasse im Doppelpack angesagt. Beim meinem Eintreffen am renommierten Musik-Tempel, zusammen mit Olli Wenzler von Progressive Promotion Records, lief schon der druckvolle Sound-Check und die Hallenwände vibrierten.

Bekannte Klänge, endlich mal wieder, denke ich so bei mir. Wir entern mit unserem Stand-Gedöns die spärlich beleuchtete Halle und werden sofort von einem druckvollen Klangbild begrüßt. Und wir strahlten uns gegenseitig an, auf der Bühne Gründungsmitglied Yenz Strutz, Langzeit-Gitarrist Nils Conrad sowie die beiden Neuzugänge Marcel Schwarz alias Mac Black (Tastengeräte) und der dynamische Trommler Olli Pahl.

Endlich wieder auf der Bühne !! Das Berliner Quartett Crystal Palace haben als Musikschaffende in den letzten drei Jahre fast alle Höhen und Tiefen durchlebt. Nach dem belastenden Erstarren der Kultur durch die Pandemie, haben sie kurz hintereinander ihr erstes Live-Album Scattered Over Europe (2021) als Audio-Video-Combo veröffentlicht, dann das sehr beachtete Konzept-Album Still There (2022). Sie waren in Europa eifrig unterwegs, spielten sogar jenseits des Atlantik, hatten etliche Buchungen, arbeiteten schon fleißig an dem neuen Material. Aber dieser positiv fließende Strom wurde jäh im Laufe von 2022 gebremst. Schicksalsschläge, Umorientierung, Lebenskrise bei den Musikern, der Verlust des Probenraums, irgendwie war der Wurm drin. Auswanderung aus Deutschland und neue Prioritäten hinsichtlich Beruf des Keyboarders machten einen Personalwechsel nötig. Da waren es nur erst mal noch drei und kurze Zeit später mit dem Weggang des Schlagzeugers leider nur noch ein 13-saitiges Gitarren-Duo. Ich erinnere mich an diese düstere Zeit ungern, an die Gespräche über: „wie soll es den weitergehen.“ Die Hoffnung haben 5-Saiter und Sänger Jens Uwe und 8-Saiter Nils nie aufgegeben.

Und kaum waren 2023 einige Tage ins Land gegangen, tauchte unerwartet Mac Black aus der quirligen Berliner Szene auf, plötzlich hatten sie auch wieder einen Proberaum und zuletzt hat nun Olli Pahl als neuer Schlagzeuger sich das CP-Material drauf geschafft. Die Halle füllte sich, es waren viele Fans von Crystal Palace dabei, alle sind gespannt und wir freuen uns kollektiv zusammen mit der Band auf das erste Vollprogramm seit fast drei Jahren. Und es beginnt mit einem sehr druckvollen Sleepless, einer von drei langen Dingern aus The System Of Events (2013). Hier zeigt sich schon eine Änderung, drei Musiker in der vorderen Reihe ständig in Bewegung, der Schlagzeuger wegen des Platzbedarfs zwar dahinter, aber die vier interagieren konzentriert und intensiv über den gesamten Auftritt. Dann im selben Tempo und musikalischen Gewand die Klassiker Scattered Shards und Simply Irresistible Cruel Intentions von Scattered Shards (2018) sowie Orange Popsicle Sky und Planned Obsolescence von Still There.

Und nach diesen fünf Titeln merkt man noch deutlicher was sich noch geändert hat; Zusammenhalt, Freude, Spiellaune, brillante Solos, eine lebendige Truppe auf der Bühne. Dazu die kleinen Geschichten von Yenz, von seiner zweiten Bass-Frau oder der Katze als Untermieter, das Publikum spürt die Lebensfreude und sie zeigen es durch Zwischenrufe, Kommentare und Applaus. Ich sitze im Dunkeln, freue mich, das ich bei dieser Neuauflage der sympathischen Berliner dabei sein durfte. Mit dem Titellied The System Of Events und Confess Your Crime (2016: Dawn Of Eternity) ist Crystal Palace 2024 bei sich selbst und vollends beim begeisterten Publikum angekommen. Zum Abschluss wie gewohnt und wie Yenz meint, dass man Traditionen beibehalten sollte, der zweiteilige 15-minüter Beautiful Nightmare. Acht lange Kompositionen aus der letzten 10-jährigen Karriere und fast 80 Minuten rockige Ohrwürmer von einer spielgelaunten Band. Yenz sagte mir später, er hätte endlos weiterspielen können, Mac und Olli dass sie die bisherige Zeit im Kristall-Palast bis heute genossen haben.

Kurze Umbaupause für die B-Seite mit Overhead aus Helsinki, die mal schnell für ein halbes Dutzend Auftritte in Deutschland, Niederlande und Belgien nach Mitteleuropa gekommen sind. Wie sehr sich beide Bands schätzen, zeigt das die Finnen schnell noch nach dem Sound-Check das Crystal-Palace-Logo in ihre Animation eingebaut hatten und damit das Quartett aus Berlin entzückten, Respekt. Overhead hat inzwischen in jeder Hinsicht große Eigenständigkeit entwickelt. Nach sieben Alben, vier Label-Wechsel, kurzes Gastspiel auch bei Progressive Promotion Records, hat die Fünfer-Bande seine letzten beiden Alben Haydenspark (2018) und Doppeldecker Telepathic Minds (2023) komplett in Eigenregie abgewickelt, inklusive die Promotion und Buchung. Sie behalten jetzt alle Fäden fest und selbstbewusst in den eigenen Händen.

Genauso stand auch dieses Quintett auf der Rüsselsheimer Bühne mit modernster Licht-Ton-Technik und so gaben sie sich auch später an ihrem Merch-Stand. Auch beim Auftritt von Overhead, zufällig spielten auch sie acht Titel, standen die langen Kompositionen im Mittelpunkt. Dabei spielten sie ihre Trümpfe voll aus, konnten Alex Keskitalo (Gesang, Flöte), Jaakko Kettunen (Gitarren), Janne Pylkkönen (Bass), Mikko Patama (Keyboards), Ville Sjöblom (Schlagzeug) ihr Handwerk solistisch und als Kollektiv gut präsentieren. Wie zu erwarten stand das aktuelle Album mit War To End All Wars, Ghosts From The Future, Tuesday That Never Came, Telepathic Minds im Zentrum, damit schon fast 45 Minuten moderne, anspruchsvolle Rockmusik.

Das Publikum war nimmermüde die Präsentation immer wieder mit Szenen-Applaus zu honorieren. Ich sah sogar mehrere Gäste die Texte mitsingen. Auch die Finnen brechen nicht mit alten Traditionen, die Zugabe ist wieder eine lange und eruptive Version des King Crimson Klassiker 21st Century Schizoid Man. Das Publikum ist begeistert und besonders Alex Keskitalo läuft zu absoluter Höchstform auf. Eine wunderbare Veranstaltung, professionell von Florian Haupt und sein Team in Szene gesetzt, die lautstark nach Wiederholung schreit. Ich habe da einige Doppeldecker im Auge, die dieses Rock-Spektakel wiederholen könnten, auch wieder gemischt und vielleicht auch mal in Deutsch oder Französisch. Eine fantastische Veranstaltung in einem schönen Musik-Tempel, die allemal noch mehr Publikum verdient hätte.

Setlist – Crystal Palace

1. Sleepless (2013: The System Of Events) 2. Scattered Shards (2018: Scattered Shards) 3. Simply Irresistible Cruel Intentions (2018: Scattered Shards) 4. Orange Popsicle Sky (2022: Still There) 5. Planned Obsolescence (2022: Still There) 6. The System Of Events (2013: The System Of Events) 7. Confess Your Crime (2016: Dawn Of Eternity) 8. Beautiful Nightmare (2013: The System Of Events)

Setlist – Overhead

1. War To End All Wars (2023: Telepathic Minds) 2. Haydenspark (Haydenspark) 3. Ghosts From The Future (2023: Telepathic Minds) 4. Butterfly’s Cry (2005: Metaepitome) 5. …To The Madness (2008: And We’re Not Here After All) 6. Tuesday That Never Came (2023: Telepathic Minds) 7. Telepathic Minds (2023: Telepathic Minds) 8. 21st Century Schizoid Man (King Crimson Cover)

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