Stell dir vor, es spielen Yes und keiner geht hin. Unvorstellbar noch vor 20 Jahren. Eine der tragenden Säulen des Progressive Rock überhaupt gibt sich die Ehre eines Konzerts in der Region. Da war es doch früher so, dass man schon eine Woche vor dem Konzert vor Aufregung nicht mehr schlafen konnte. Yes-Konzerte – ein Mekka aller Progressive Rock Fans. Und heute? Selbst Freunde die man gefühlt auf jedem Konzert trifft meinen im Vorfeld: „Wo gehst du hin? Zu Yes? Ah ok, viel Spaß“. Ok, nun spielt die Band heute nicht gerade vor halbleeren Rängen, die 1.100 voll bestuhlten Plätze sind komplett belegt. Es ist aber schon ein komisches Gefühl ist, im Jahr 2024 ein Konzert von Yes zu besuchen. Auch oder gerade als einer, der die Musik seit Jahrzehnten innig liebt und verehrt.
Das Konzert selbst war unglaubliche 5 Jahre in Vorbereitung. Bereits 2019 gab es Karten für ein Konzert von Yes im Steintor Varieté Halle/Saale zu kaufen. Zunächst 3x verschoben, 2023 schließlich abgesagt, um dann doch neu für den heutigen Tag angekündigt zu werden. Da verliert selbst der hartgesottenste Fan die Geduld. Um dann doch wieder weich zu werden und das Ticket neu zu kaufen. Hey, es ist Yes, vielleicht zum letzten Mal! Da ist auch erstmal egal, wer in der Band spielt, denn die Musik hat aneinander gereiht über Jahrzehnte schon viele Stunden Gänsehaut beim Zuhören verursacht. Und um die Musik geht es ja erstmal.
Nach entspanntem Einlass begrüßt uns nach im Foyer eine doch recht üppige Ausstellung mit originalen Kunstwerken von Roger Dean. Prog-Jüngern sei gesagt, dass dieser Künstler (der eigentlich den gleichen Superstar-Nimbus hat wie z.B. Steve Howe oder Jon Anderson) die großartigen Landschaften der Cover der Alben von Yes entworfen hat, die hier teilweise auch in limitierten und überdimensionalen Original-Drucken zum Preis vierstelliger Summen zum Kauf angeboten werden. Nach Aussage des Ausstellungsleiters Michael Clifford gegenüber Stone Prog wollte Roger Dean eigentlich heute hier vor Ort in Halle sein, allerdings verhinderte ein medizinischer Notfall bei seiner Frau dies.
Eine gewisse Vorfreude hat sich schon eingestellt, als wir die bequemen Stühle im Saal einnehmen. Und als Steve Howe, Billy Sherwood und Kollegen pünktlich um 20 Uhr die Bühne betreten, ist auch ein kleines Gänsehäutchen wieder da. Die Setlist für die folgenden etwa zwei Stunden ist gut ausgewählt und beginnt mit dem schmissigen „Machine Messiah“. Etwas überraschend folgt „It Will Be A Good Day“ vom 1999er „The Ladder“-Album, wunderbar ausgewählt zwar, aber nicht unbedingt ein Klassiker in der über 50jährigen Bandgeschíchte. Diese Klassiker sollen nun im weiteren Verlauf folgen. Allerdings enttäuschten diese in ihrer Präsentation. Ich meine Jon Davidson am Mikrofon machte seine Sache sehr gut, der vertraute Duett Gesang der Stücke (er gemeinsam mit Billy Sherwood) klingt super, und an der Bass-Schlagzeug-Arbeit von Billy Sherwood und Jay Schellen gibt es nichts zu kritteln. Allerdings wird jetzt der Sound breiig, der Gesang wirkt zurückgemischt, und insbesondere die wunderbare Gitarre von Steve Howe, für viele ein Grund noch einmal in ein Yes-Konzert zu gehen, ging oft völlig in diesem Brei unter. Das mag auch an dem hohen halligen Raum liegen, aber wir meinen eine professionelle Sound-Abteilung sollte das trotzdem besser hin bekommen. Dazu kam ein katastrophales Licht. Da gibt es nichts schön zu reden. Nur bunt, keine Arbeit mit Scheinwerfern. Dazu wurden auf eine Leinwand, auf der man jede Bügelfalte nachverfolgen konnte, unscharfe bewegte geometrische Figuren projiziert, die einfach nur störten. Was wollen uns die Lichtarchitekten damit sagen? Das macht inzwischen jede kleine Band in Klubs vor 20 Zuschauern besser! Von einer Band wie Yes kann man erwarten dürfen, dass mindestens eine große Roger-Dean Leinwand hinter den Musikern zu sehen ist, wenn der Maler schon im Foyer hochgradig präsent ist. Die schöne Akustik-Version von „Turn Of The Century“ entschädigt zwar, aber die Yes-Stimmung hat nun zur Pause doch einen kräftigen Knick bekommen.
Im zweiten Konzertteil ist mit „Cut From The Stars“ ein Stück vom aktuellen Album „Mirror In The Sky“ enthalten. Es ist das einzige heute gespielte Stück, welches im neuen Jahrtausend entstanden ist. Man kann jetzt wieder ins Philosophieren verfallen, welche Wertigkeit mit dieser Auswahl die eigene neue Musik für die Bandmitglieder hat. Allerdings sind über die aktuellen Yes schon überall Auslassungen geschrieben worden, und wir bleiben lieber bei den heutigen Konzerterlebnissen.
Als Mega-Track zum Konzertende gibt es ein Medley des Albums „Tales From Topografic Oceans“ von 1974. Jedes Stück der ursprünglichen vier LP-Seiten wird in den nächsten ca. 20 Minuten zumindest gestreift. In Vergangenheit wurde in Konzerten an dieser Stelle manchmal eines der vier Stücke des Albums komplett dargeboten, aber diese Version ist neu. Und kann als durchaus mutig empfunden werden, das Album so komprimiert ihren jahrzehntelangen Fans anzubieten, die „TFTO“ praktisch mit der Muttermilch aufgesogen haben. Highlight auch hier ein Akustik-Gitarren-Part aus Teil 3 „The Ancient“, von Steve Howe´s Zauberhand gespielt. Der ist auch, wie im ersten Teil bei „Turn Of The Century“ soundtechnisch gut heraus gearbeitet. Dieses Medley ist spannend und interessant zumindest für Menschen im Publikum, die Vertrautes auch mal im neuen Gewand hören möchten. Als die Band danach nach vorne kommt und den offiziellen Teil des Konzertes damit beschießt, reagiert das Publikum irgendwie ratlos, zurückhaltend: wars das jetzt? Der Funke dieser Version scheint nicht übergesprungen zu sein. Das ändert sich aber nochmal in der zirka 15minütigen Zugabe. „Roundabout“ und „Starship Trooper“ reißen das Publikum mit und sorgen für ein doch versöhnliches Konzertende.
Das Konzert hatte seine schönen Momente, definitiv. Letztlich verlassen wir das Steintor Varieté aber mit eher gemischten Gefühlen. Als Fazit kann man den Musikern eigentlich erstmal nichts vorwerfen. Denn abgesehen von einigen kleinen Verspielern von Geoff Downes am Keyboard haben sie ihre Sache sehr gut gemacht. Nur wurde die Musik über weite Strecken im Konzert schlecht präsentiert, optisch und und vom Sound her. Das würde man bei anderen Kapellen weg lächeln, aber bei Yes, die in den Jahrzehnten ihrer Existenz für insbesondere musikalischen Perfektionismus nahezu berüchtigt sind, fällt das schwer. Sie können das alles definitiv besser! Schwer zu sagen, in wie weit Steve Howe und Kollegen auf die kritisierten Punkte Einfluss haben, zumindest werden sie von der Band anscheinend toleriert. Und dies unterstreicht das Bild von Yes, wie es nun seit etlichen Jahren in den Köpfen vieler Fans ist: die Legende wird von den Bandmitgliedern nur verwaltet und nicht gepflegt. Ich habe gehofft, dass mich Konzert mehr abholt – leider hat das nicht geklappt. So bleibt für die Zukunft eher die Musik und die Konzertfilme von Konserve, von der reichlich zu Hause im Regal steht.
Setlist:
Teil 1
(Intro vom Band: „Benjamin Britten´s The Young Persons Guide To The Orchestra)
Machine Messiah
It Will Be A Good Day (The River)
Going For The One
I´ve Seen All Good People
America (Instrumental Section)
Time And A Word
Don´t Kill The Whale
Turn Of The Century
Teil 2
South Side Of The Sky
Cut From The Stars
Medley: Tales From Topografic Oceans
Zugabe:
Roundabout
Starship Trooper