TOOL ist schon eine wundersame Band. So ziemlich alles was sie tun ist gegen den Strich etablierter Musik gebürstet. In beinahe 30 Jahren bringen es die vier Jungs gerade mal auf fünf Alben. Ihre Musik entzieht sich dabei jeder Katalogisierung. Metal? Prog? Experimental? Ja und nein. Songstrukturen, wie man sie in unserem Kulturkreis gewohnt ist? Finden höchstens in Ansätzen statt. Selbst ein Prog Fan, seines Zeichens zumeist begeisterter Genießer ungewöhnlicher Musik, Long-Track-Hörer und Analyst, fragt sich an mancher Stelle: was wollen uns die Künstler damit sagen? Ok, man ist geneigt das alles als independent zu klassifizieren, ist es aber eigentlich auch nicht. Denn das wirklich wundersame ist nun, dass dieses ganze schräge Musizieren seit Jahrzehnten wahre Massen fasziniert. Besonders, als TOOL 2019 nach 13 Jahren wieder zu Konzerten nach Deutschland zurück kehrte, aber auch jetzt wieder: die bespielten großen Arenen sind binnen Minuten ausverkauft. Was da geboten wird, ist aber auch von extrem hoher Faszination. Man verläßt die Arena mit offenem Mund, berauscht und beseelt und weiß eigentlich gar nicht wirklich, was in den letzten vielleicht zwei Stunden passiert ist. So zumindest bisherige Erfahrungen. Die Erwartungen waren also entsprechend hoch.
Tonträger werden bei TOOL nie als solche, sondern immer mit besonderen Gimmicks wie transparente Seiten im Inlay, 3D Brille in das Cover integriert oder aktuell mit Mini-Videoplayer verkauft. TOOL verstehen sich als Gesamtkunstwerk. Ihre Musik ist Kunst. Und diese Kunst kann man in der Tat nur bei ihren Live-Konzerten halbwegs komplett erfassen. Hier hält die Band schützend die Hand drüber: Foto-und Videoaufnahmen im Konzert sind strengstens verboten. Offizielle Konzert-Releases hat es in der Geschichte von TOOL nach meinem Wissen noch nie gegeben. Überhaupt nur die Verwendung offizieller Bandfotos für Pressearbeit ist nur mit hohen Auflagen verbunden; auch wir als STONE PROG sehen uns deshalb hier außerstande, mit einem Foto vom Konzert oder der Band diesen Review zu illustrieren. Man kann TOOL nun als Bewahrer eines gewissen Independent-Status, als Bewahrer einer gewissen Unnahbarkeit und ihrer Kunst im Ganzen sehen. Man kann TOOL aber auch als arrogante knallharte Geschäftsleute sehen, die die Devotheit ihrer vielen Fans ausnutzen und Preise für Tonträger und Merch aufrufen, die jenseits von gut und böse sind. Denn wenn am Merch für die LP Box von „Fear Inoculum“ (5-LP Box, auf jeder Platte ist auf einer Seite Musik und auf der anderen Seite ein Bild), signiert von der Band, sage und schreibe 700€ verlangt werden, hört das Verständnis auf. Wenn etablierte deutsche Musikmagazine nach einer Foto-Akkreditierung fragen, wird diese gern mal mit der Begründung abgelehnt, dass dieses Magazin für die Band nicht relevant sei.
Widmen wir uns dem Konzertabend. Diesmal hatte der Hauptact sich für eine Vorband entschieden. Eine coole Entscheidung hierfür BRASS AGAINST zu verpflichten, denn diese Kapelle ist nicht weniger ungewöhnlich als der Haupt-Act. Außer einer Sängerin und einem Schlagzeug wird Musik bei BRASS AGAINST ausschließlich von Blechblasinstrumenten vorgetragen. Und auf diesen wurden in der reichlichen halben Stunde im Wesentlichen TOOL-Songs gecovert. Auf die Idee muss man erstmal kommen, gegen den Strich gebürtstete Musik auch noch gegen den Strich zu präsentieren. So konnte sich das Publikum schon mal vorab mit geblasener TOOL-Musik eingrooven.
Kurz nach halb 9 war es dann soweit. Die Band betrat die Bühne, die überdimensionale Video- Wand ging an. Bereits die hohen Quietsch-Glocken im Intro zum Stück „Fear Inoculum“ zeigten erste Anzeichen der nun folgenden perfekten Show: denn diese Klänge kreisten gleich mal quadrophon durch die Arena. Eine Reminiszenz ans deutsche Publikum sollte dann bald folgen: das Intro des zweiten Songs zelebrierte Adam Jones als bissige Gitarren-Interpretation der deutschen Nationalhymne, die an die US-Version von Jimi Hendrix in Woodstock erinnerte.
Die aufwändig selbst gefertigten perfekten Video-Präsentationen sind auch diesmal ein Kernstück der Show. Das Video- Bühnen- und Licht-Design ist auch für jede Tour völlig anders. Die einheitliche Projektionsfläche ragte diesmal noch 5-10m rechts und links über die Bühne hinaus. Alles wurde illuminiert, sogar die Boxentürme wurden teilweise für Projektionen genutzt. Das Zentrum der Band stellte das Schlagzeug von Danny Carey dar. Sein Spiel konnte sogar vom gegenüberliegenden Ende der Halle gut beobachtet werden. Der Mann ist ein faszinierender Drummer; alles Geklingel und Gebimmel was man in so manchen Sequenzen der TOOL Songs kennt, wurde neben seinem druckvollen Drumming live vorgetragen. Links Andy Jones an der Gitarre, rechts Justin Chancellor am Bass. Maynard James Keenan am Mikrofon musste man manchmal beinahe suchen. Er sang auf zwei Podesten abwechselnd links und rechts hinter dem Schlagzeug. Nicht nur im Bühnendesign stark zurückgesetzt, auch ließ sich der Sänger weniger ins Licht setzen als seine Kollegen.
Die Bühne war zunächst in einen dünnen Vorhang gehüllt. Man kennt dies von hier und da, wenn ein derartiger Vorhang gesondert als Projektionsfläche dient. Diese Funktion des Vorhangs war von der Ferne allerdings nicht erkennbar. So richtig Fahrt nahm das Konzert auf, als dieser Vorhang nach vielleicht einer Dreiviertelstunde bei Song „Pneuma“ vom 2019er Album „Fear Inoculum“ aufgezogen wurde und die Lichtshow so richtig los legte. Die erwähnten eigenwilligen Video- Präsentationen nahmen an Dynamik und Wirkung zu, ab da gezielt eingesetztes weißes, grünes, blaues oder rotes Laser-Licht sowie über dem Publikum angebrachte Scheinwerfer (die gesamte Arena wurde so in die Lichtshow mit einbezogen) gemeinsam mit der speziellen Musik ihre Wirkung zu entfalten. Nicht nur mich erinnerte dieses variable Licht, perfekt und exakt auf die Musik getrimmt, an die letzten PINK FLOYD Konzerte im Rahmen ihrer „Division Bell“-Tour. Das Ganze entfaltet eine Wucht; einen Rausch, den man schwer beschreiben kann, dem man sich aber auch nicht entziehen kann. Als nach 90 Minuten die Band die Bühne verließ, meinte man schon das Konzert sei zu Ende, aber nein! Man machte 10 Minuten Pause um noch schlappe 3 Songs danach zu präsentieren. Konzert 2. Teil oder Zugabe? TOOL machen eben alles anders. Nach etwa 2 Stunden war die Herrlichkeit dann zu Ende, und das Publikum verließ zufrieden die Arena.
Den oben beschriebenen Rausch hatte ich in früheren Konzerten stärker empfunden, was aber wohl daran gelegen hat, dass die Entfernung zur Bühne, die aufgrund der hohen Ticketpreise gewählt wurde, diesmal wohl doch zu groß war. Wie auch immer, TOOL Auftritte sind unvergleichlich mit anderen Shows. Ein TOOL Konzert ist ein Ereignis. Und das war definitiv auch diesmal der Fall.
Setlist:
Fear Inoculum
Opiate
The Pot
Pushit
Pneuma
The Grudge
Right In Two
7empest
Pause
Chocolate Chip Trip
Culling Voives
Invincible