Anfang 2023 erreichte uns über die sozialen Medien die Information über ein uns bis dato unbekanntes Prog Rock Festival in Katowice/Polen namens „Summer Fog“. Die Konzentration auf eine 2-Tages-Edition, der Besuch einer Region, die uns noch ein weißer Fleck auf der Landkarte war, insbesondere aber ein großartiges Lineup führten uns zu der Entscheidung, an diesem Festival teilzunehmen. Dazu trug auch bei, dass das am gleichen Wochenende stattfindende klassische deutsche Festival „Night of the Prog“ zu dem Zeitpunkt noch nicht mit einem klaren Lineup aufwarten konnte.
Das Festival wurde 2019 als Ein-Tages-Festival ins Leben gerufen und fand bisher an unterschiedlichen Tagen zwischen Juni und September in verschiedenen Klubs in Warschau statt. Die Zwei-Tage-Edition und der Veranstaltungsort Katowice haben also 2023 Premiere. Als Veranstaltungsort wurde das „Spodek“ (dt. „Untertasse“) gewählt; eine zentrumsnah gelegene riesige Mehrzweckarena, in der bereits seit den 1970er Jahren Sport- und Kulturveranstaltungen abgehalten werden. Sie hat ein Gesamt-Fassungsvermögen von 11.500 Zuschauern. Allerdings ist für das „Summer Fog“ durch die Bühnengestaltung nur reichlich die Hälfte der Halle genutzt; und auch die Oberränge blieben frei. Beim Blick über das Auditorium mit Erinnerung an „Night-of-the Prog“-Festivals, hatte man das Gefühl, sich auf einem ähnlichen Zuschauerniveau zu bewegen. Für das Festival-Auditorium ist die Arena komplett bestuhlt, was wir als gesetzte Prog Rock Fans als angenehm empfinden. Weiter ist die Arena hervorragend klimatisiert und damit bei Außentemperaturen von größtenteils über 30 Grad in Katowice gerade der angenehmste Ort den man sich vorstellen kann. Die tatsächliche Zuschauerzahl ist schwer zu schätzen, aber 2000-3000 Leute sind es schon. Die für das Festival vorgesehenen Ränge scheinen ausverkauft zu sein.
Bei den gebuchten Acts wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: die neun auftretenden Bands haben alle einen großen Namen. Wenn man nur alleine die Headliner der beiden Tage betrachtet: in der Rezension über ein NICK MASON Konzert vor ca. einem Jahr auf diesen Seiten philosophierten wir noch über Vergleiche zwischen NICK MASON und STEVE HACKETT: als Originalmitglieder der beiden Fundamentalbands des Progressive Rock PINK FLOYD und GENESIS machen es sich beide seit Jahren zur Aufgabe, mit eigenen Bands die klassischen Stücke der Anfangsjahre Ihrer Kapellen authentisch und lebendig vorzutragen. Alleine dass diese beiden Acts beide Acts Headliner auf einem gemeinsamen Festival sind, macht dieses Wochenende 2023 für jeden Prog-Fan zu etwas besonderem, historischem, vielleicht einmaligem, was es so wohl nicht gleich wieder geben wird.
Gong
Wir haben in der dunklen und wohl temperierten Arena Platz genommen. Pünktlich um 15.30 Uhr beginnt die Musik mit einem Gong und der Band mit dem gleichen Namen. Die Band spielt nach eigenen Angaben das erste Mal in Polen. Bereits 1967 in der Hoch-Zeit des Flower Power gegründet, spielen sie in der heutigen Besetzung nach dem Tod der beiden Gründungsmitglieder Daevid Allen und Gilly Smith seit ca. 8 Jahren zusammen.
Von „alter Band“ ist überhaupt nichts zu spüren, im Gegenteil. Der musikalische Mix aus Psychedelic, Space, Kraut, Classic und Progressive Rock geht voll nach vorne. Die Anmoderation des Stückes „My Guitar Is A Spaceship“ ist dabei also gewissermaßen Programm. Für teilweise offene Münder sorgte dabei die hervorragend animierten Videoprojektionen auf den drei Leinwänden, eine große auf der Bühne hinter der Band und zwei an der Seite. Von diesen Leinwänden wird noch öfters die Rede sein. Da die Musik nur begrenzt „abgefahren“, sondern eher zugänglich präsentiert wird, ist das Ganze insgesamt ein beinahe magischer optisch-akustischer Trip und hervorragender Festivaleinstieg.
Setlist Gong:
Forever reocurring
Kapital
Tiny Galaxies
My Sawtooth Wake
Rejoyce!
My Guitar Is A Spaceship
Insert Yr own Prophecy
O.R.k.
Rein von der Zeit ihrer Existenz ist O.R.k eine eher noch junge Band; 2015 wurde das erste Album „Inflamed Rides“ von bis heute vier Studioalben veröffentlicht. Mit ihrer eigenwilligen, kraftvollen Musik tourt die Band seitdem anscheinend durch jeden manchmal noch so kleinen Club, in dem sie spielen kann. Diesmal aber verdientermaßen auf der ganz große Bühne.
Bis auf eine Ausnahme werden heute alle Stücke ihres 2022er Albums „Screamnasium“ aufgeführt. Die beiden Italiener Lorenzo Esposito Fornarasi (LEF) und Carmelo Pipitone stellen in einer Band gleichberechtigter Mitglieder vielleicht das kreative Herz dar, die kraftvolle und präzise Gesangsstimme von LEF lernten wir spätestens im Laufe dieses Konzertes kennen und lieben.
Die heimlichen Stars sind aber Pat Mastelotto (z.B. STICK MEN oder KING CRIMSON) am Schlagzeug und Colin Edwin (ehem. PORCUPINE TREE). Letzterer führt etwas überraschend mit seinen Moderationen durch das Programm. Pat Mastelotto schätzen wir mit seinem speziellen Drum-Stil aus verschiedenen Bands, haben ihn aber noch nie ein Mikrofon in die Hand nehmen sehen. Heute kündigt er sehr emotional den finalen Titel des Sets „Someone Waits“ an, den er nur wenige Minuten nach der Mitteilung des Todes seines KING CRIMSON Bandkollegen Bill Rieflin erhalten hatte. O.R.k spielen ein anderes, aber genauso großartiges Konzert wie der Festival-Opener. Unser Eindruck ist aber, dass das Publikum sich von dem tollen ersten Konzert gerade ein klein wenig erholen muss.
Setlist O.R.k.
Something Broke
Signals Erased
Don´t Call Me A Joke
Kneel To Nothing
Time Corroded
As I Leave
Beyond Sight
I feel Wrong
Deadly Bite
Consequence
Unspoken Words
Lonely Crowd
Someone Waits
IQ
Diese britische Neo-Prog Band gibt bes nun auch schon mehr als 40 Jahre. So oft wir IQ schon gesehen haben (z.B. ausführlicher Konzertbericht zum Konzert vom Januar 2023 in Aschaffenburg auf diesen Seiten zum Nachlesen) – diese Show hier in Katowice ist vielleicht die beeindruckendste, die wir bisher je gesehen haben.
Üblicherweise spielt IQ ja wie beinahe jede Prog Band in kleinen bis mittleren Clubs, die Video-Show auf drei kleinen quadratischen Leinwänden hinter ihnen. Hier war das anders: die Bilder wurden auf die großen Leinwänden links und rechts der Bühne sowie hinter der Band projiziert. Dies gab den Stücken und dem Konzert eine ganz andere emotionale Wucht. Auch meinten wir, die Video-Show zu „Road Of Bones“ mit Winterlandschaft, Zeitungsschnipseln und Polizeifotos so noch nicht gesehen zu haben. Damit wirkte auch die Aura des Sängers Peter Nicholls viel intensiver.
Die gespielten Songs, wieder ein guter Mix zwischen alten und neuen Stücken, wirkte in der zur Verfügung stehenden reichlichen Stunde auch intensiver und kompakter als vorher erlebt. Unser IQ-Fazit: die Band gehört definitiv auf eine große Bühne wie hier. Leider befinden wir uns aber in der Realität des Prog Rock – so etwas ist leider nur allzu selten möglich.
Setlist IQ
The Darkest Hour
Frequency
Guiding Light
Stay Down
Widow´s Peak
Subterranea
Further Away
SBB
Drei der neun in auf dem Summer Fog Festival hier in Katowice präsentierten Formationen sind einheimische Bands aus Polen. Und diese drei stellen auch gleich die auch wohl international bekanntesten Vertreter des Prog Rock dieses Landes dar. Die erste dieser polnischen Bands ist auch gleich die speziellste. SBB wurde bereits 1971 als Begleitband von Ceslaw Niemen gegründet und spielt heute wieder in der klassischen Dreier-Originalbesetzung. Die betagten, aber musikalisch äußerst lebendigen Herren bekommt man nicht nur außerhalb ihres Heimatlandes kaum noch zu Gesicht, offenbar ist die heutige Show die einzige der Band im Jahr 2023 überhaupt.
Josef Skrzek ist dabei der klare Chef im Ring, er gibt den Rahmen und die Länge der Stücke vor. Jerzy Piotrowski´s Schlagzeug lieben wir durch seine präzise und schnelle Art zu spielen, was in Ansätzen auch heute zu erleben ist. Apostolis Anthymos wirkt als Ruhepol und banddienlicher Gitarrist. Ihre Konzerte wie auch das heutige sind von extrem hohem musikalischem Niveau gekennzeichnet. Kennt man die Musik von SBB nun nicht gerade komplett auswendig kann man nur ahnen: wo sind die Stücke komponiert, wo ist etwas abgesprochen abgesprochen und wo ist improvisiert. Das trifft auch explizit auf den Gesang zu. Das ist die ganz hohe Schule!! So folgt nach beispielsweise einem keyboard-dominierten fließenden Rocksong auch gleich mal ein waschechter Blues; alles perfekt und authentisch gespielt.
Die Musik wirkt dabei immer eingängig und gefällig, und die Stücke finden auf wundersame Art und Weise auch immer ein Ende. Großartig am Schluss, wenn Apostolis Anthymos am Ende des regulären Sets hinter das zweite Schlagzeug steigt und sich mit Jerzy Piotrowski sich ein Drum Duett liefert! Vom Publikum wird das Ganze abgefeiert. SBB pfeift auf Vorgaben und überzieht mit einer viertelstündigen Zugabe. Übrigens als einzige Band des gesamten Festivals. Wen scherts: wir haben eine musikalische Legende erleben können! Beseelt schweben wir nach draußen ins Helle und Warme, um bei einem Pausenbier das Erlebte erstmal sacken zu lassen.
Setlist SBB
Freedom With Us
Odlot
Rainbow Man
3rd Reanimation
Going Away
(Zywiec) Mountain Melody
Walking Around The Stormy Bay
Born To Die
Drum Solo/Drum Battle/improv
Zugabe
Figo-Fago
Steve Hackett
Rund 10 Jahre ist der Meister nun schon mit Musik von GENESIS aus der Zeit bis zu seinem Ausstieg 1977 unterwegs. Präsentiert diese mit einer in sich gewachsenen Band und höchster musikalischen Perfektion. Die Stücke werden praktisch original präsentiert, aber nicht immer sklavisch nachgespielt, sondern an so mancher Stelle nahezu unbemerkt für den GENESIS Laien mit neuen Ideen versehen. Die Stimme von Nad Sylvan ist zwar eigen, aber nahe an der damaligen von Peter Gabriel. Das heutige Konzert stellt das Ende der aktuellen Sommer-Tour der Unternehmung dar, bevor man in eine längere wohlverdiente Konzertpause geht.
Auch heute beginnt STEVE HACKETT seinen musikalischen Reigen mit eigenen Songs, ist gewissermaßen seine eigene Vorband Bezug nehmend zu den GENESIS Stücken. Beispielsweise „The Devil´s Cathedral“ ist episch und dämonisch, „Every Day“ ist ein kleiner Pop-Song. Zu erwähnen und auffällig ist die Wahl des Einsatzes der bereits beschriebenen Video-Wände im Unterschied zu bisher gesehenem: die meisten auftretenden Kapellen präsentieren auf allen drei Wänden live Bilder von Kameras am Bühnenrand.
STEVE HACKETT verzichtet auf den Einsatz der Wand auf der Bühne direkt hinter der Band, was dem gesamten Konzert optisch eine Art Ruhe und Reife verleiht. Nur die Scheinwerfer treiben ihr entspanntes Spiel zur Unterstützung von Band und Musik. Die Fans warten aber auf den GENESIS Teil, der heute im Wesentlichen aus der kompletten Präsentation des Albums „Foxtrott“ besteht. Besonders „Watcher Of The Skies“ und das monumentale „Suppers Ready“ sind absolute Klassiker des Progressive Rock, die auch beim wiederholten Hören jedes Mal ein Hochgenuss sind.
Musikalisch richtig spannend ist aber die überlange Zugabe, in der „Firth Of Fifth“ und „Los Endos“, mit bisher ungehörten neuen Ideen versehen werden und den Rahmen bilden für wechselnde Solos von Craig Blundell am Schlagzeug und Jonas Reingold am Bass. Das Publikum gibt sich begeistert! Glücklich und zufrieden verlassen die Fans die riesige Arena, um in der lauen Sommernacht draußen sich über das heute gesehene auszutauschen oder gleich den Weg in die Hotelbetten zu suchen, voller Vorfreude auf den morgigen Tag.
Setlist Steve Hackett
Ace of Wands
The Devil´s Cathedral
Every Day
Camino Royale
Shadow Of The Hierophant
Watcher Of The Skies
Time Table
Get ‚em Out By Friday
Can-Utily And The Coastliners
Horizons
Suppers Ready
Firth Of Fifth
Bass and drum solo
Drum Solo
Slogans
Los Endos
Das war der Bericht vom ersten Tag, morgen könnt ihr lesen, was am zweiten Festivaltag passierte und wie unser Fazit dazu ist.