Im April dieses Jahres kamen die Kanadier von Mystery für fünf Konzerte nach Europa und stellten dort ihr neues Album „Redemption“ vor. Die Band, deren Ursprünge bis 1986 zurückreichen, erfreut sich besonders bei Freunden von Musik in der Schnittmenge zwischen melodischem Neoprog und AOR großer Beliebtheit. Renald Mienert unterhielt sich dem Bandleader Michel St-Père.
Seit der der Veröffentlichung des letzten Albums von Mystery „Lies and Butterflies“ sind fünf Jahre vergangen. Hält das neue Album „Redemption“ Überraschungen bereit?
Ich glaube, es ist eine gewisse normale Kontinuität bei unseren Alben vorhanden. Wenn wir eine an einer neuen CD arbeiten, dann versuchen wir nicht auf Teufel komm raus neue Sachen zu probieren, sondern machen einfach das, was sich in dem Moment richtig anfühlt. Die letzten vier Jahre waren für jeden auf der Welt sehr schwierig und ich glaube, dass hat sich auch auf unsere Musik ausgewirkt. Aber wir sind sehr stolz auf das neue Album.
Du bist für Produktion und Mix zuständig und hast auch viele der Stücke komponiert…
Ich habe sozusagen das Gerüst für die meisten Songs geschrieben und dann an die Bandmitglieder verschickt, die dann ihre Parts zuhause aufgenommen haben. Und dann wurde das Material in meinem Studio finalisiert. Wir mussten sogar einige Stücke kürzen, weil sie sonst nicht auf eine CD gepasst hätten.
Aber auch Sänger Jean Pageau und Keyboarder Antoine Michaud durften Songs beisteuern…
„Every Note“ stammt von Jean. Als er zu uns kam, hatte er bereits einige Songs geschrieben, und dieses Mals war der richtige Zeitpunkt, einen davon auch auf das Album zu nehmen. Antoine ist eigentlich Gitarrist, aber er kann auch Keyboards spielen. Ursprünglich ersetzte er unsern Gitarristen Sylvain nur für eine Tour. Aber als Benoît Dupuis uns 2017 verließ, brauchten wir einen neuen Keyboarder, also fragten wie Antoine, ob er den Job wollte, und er stimmte zu. „Homecoming“ ist der erste Song, den er für Mystery geschrieben hat.
Sind alle deine Titel speziell für „Redemption“ geschrieben worden?
Ich habe tatsächlich viel altes Material, das bisher nicht veröffentlich wurde, aber es wird weniger. Manchmal hast du eine Idee für einen Song, der es dann doch nicht auf das aktuelle Album schafft, und dann denkst du, ok, für das nächste. Aber dann fehlen dir zum Beispiel doch die Ideen, um das Stück fertigzustellen. Und dann schreibst du ein Stück und plötzlich passt Material aus der Vergangenheit perfekt dazu. Die Idee zu „My Inspiration“ entstand vor mehr als 25 Jahren geschrieben, und wir haben den Song jetzt fertiggestellt. Es geht darum, dass zum Beispiel der Musiker immer im Vordergrund steht, aber oft gibt es eine Person im Hintergrund, die sich kümmert, die mit ihrer Liebe vieles erst möglich macht, aber von der kaum jemand Notiz nimmt.
Ein schöner Song mit einem schönen Text. Worum geht es sonst in den Songs?
„Behind The Mirror“ wurde von der Flüchtlingskrise inspiriert. Da war in den Nachrichten dieses Bild von einem kleinen Jungen im Wasser, vielleicht drei Jahre alt, und das Boot mit den Flüchtlingen war gekentert. Das blieb mir im Gedächtnis. Es geht um diese Menschen, die alles zurücklassen um ein neues, besseres Leben zu finden – aber es ist nicht immer besser, darum auch dieser Spiegeleffekt. Auf „The Beauty and the Least“ geht es um eine Prostituierte. Sie ist wunderschön, wird aber von den meisten Menschen verachtet und hat am wenigsten. Dabei ist sie auch nur ein ganz normaler Mensch, der ein Leben haben möchte. „Pearls And Fire“ ist ein Lied über einen kanadischen Soldaten, er hieß Léo Major. Er ist eine Art Kriegsheld und hat im zweiten Weltkrieg in den Niederlanden eine Stadt von den Deutschen befreit. Als ich den Song schrieb, war klar, dass es um Krieg gehen würde. Jemand brachte mich dann auf die Idee, über diese Person zu schreiben. Wir spielen ja auch sehr oft in Holland.
Wie auch jetzt, im Rahmen einer sozusagen Mini-Tour…
Wir nehmen diese Konzerte als eine Art Neuanfang nach der Pandemie, auch um zu sehen, ob die Leute wieder auf Gigs gehen. Ende des Jahres oder im nächsten Jahr, ist eine richtige Tour geplant. Natürlich ist es immer ein finanzielles Risiko, zumal ja alles teurer geworden ist. Und wir wissen auch, dass die Künstler Schwierigkeiten haben, die Hallen zu füllen. Wir haben im letzten Sommer in Aschaffenburg gespielt, und es war eher enttäuschend. In Kanada ist die Situation nicht anders. Wir haben uns daran gewöhnt, es uns auf dem Sofa gemütlich zu machen und Netflix zu schauen. Aber wir sind zuversichtlich, dass es wieder besser wird. Es dauert nur noch ein bisschen.
Dieses Jahr wart ihr mit dem Gig im Colos-Saal aber durchaus zufrieden. Und es gab auch einen Auftritt bei Artrockfestival in Reichenbach…
Festivals unterscheiden sich schon sehr von einem normalen Konzert. Man hat weniger Zeit zur Vorbereitung und die Sets sind natürlich auch wesentlich kürzer. Aber die Atmosphäre ist fantastisch. Normalerweise nutzen wir die Zeit auch, um mit Fans ins Gespräch zu kommen, aber dieses Mal mussten wir gleich abreisen um unseren Flug nicht zu verpassen. Aber als wir 2028 Night Of The Prog spielten, waren einige Bandmitglieder schon Tage vor dem Festival dort und wir blieben auch den zweiten Tag.
Die Geschichte von Mystery ist ja auch durch zahlreiche Wechsel im Line Up geprägt, das scheint jetzt vorbei….
Tatsächlich ist das Line Up seit 2017 stabil. Mystery war sehr lange eine Art Studioprojekt, ohne viele Auftritte. Die Leute haben ihr eigenes Leben – Jobs, Familie. Und wenn zwischen zwei CDs nicht viel passiert, dann muss man damit rechnen, dass sie nicht verfügbar sind, wenn es an ein neues Album geht. Erst 2009 begannen wir regelmäßig Live zu spielen und seit wir regelmäßig in Europa auftreten, hat sich eine Besetzung herauskristallisiert.
Mit Benoît David hattet ihr ja auch einen Sänger, der zeitgleich für Yes hinterm Mikro Stand. Aber als er Yes verlassen musste, ging es für ihn auch bei Mystery nicht weiter.
Er hatte stimmliche Probleme. Ich habe gesagt, nimm dir Zeit und versuche es wieder hinzukriegen. Wir überbrücken die Zeit mit dem Livealbum „Tales from the Netherlands“ und dann sehen wir, ob du weiter machen kannst.
Das konnte er ja dann leider nicht. Aber du scheinst ein gutes Händchen zu haben, wenn es darum geht, Sänger zu finden, der stimmlich in der gleichen Liga spielen.
Genau, für diese Art von Sängern schreibe ich meine Musik. Ich bin ein großer AOR Fan, ich liebe Bands wie Styx und Journey. Und zum Glück finde ich auch immer die richtigen Leute.
Und zum Glück macht ihr immer noch tolle Musik!