Im September brachten TesseracT mit “War Of Being” fünf Jahre nach dem letzten Studioalbum ihr neues Epos auf den Markt, flankiert von beeindruckenden Videos und einem Computerspiel. Renald Mienert sprach mit Leadsänger Daniel Tompkins.
Das Feedback zu eurer neuen Veröffentlichung ist – wieder einmal – ausgesprochen positiv. Du musst ziemlich stolz sein?
Natürlich, das neue Album ist ein großer Schritt vorwärts für die Band. Die Reaktionen auf die erste Single “War Of Being” waren auch schon überwältigend. Die zweite Single ist wesentlich kürzer, wir wollten den Fans einfach einen Vorgeschmack geben, welche Vielfalt sie auf dem Album erwartet.
Nachdem die Pandemie überwunden war, entfielen ja all die Restriktionen….
In der Vergangenheit hat vor allem Acle, unser Hauptgitarrist, die Stücke geschrieben. Meine Rolle bestand vor allem darin, die Vocal-Lines beizusteuern und ihn zu unterstützen, die Ideen zu komplettieren. Dieses Mal war es anders. Seit unserem Debüt waren wir wieder alle zusammen für einige Wochen in einem Studio und haben die Stücke zusammen geschrieben. Wir hatten einen Produzenten und ich hatte zum ersten Mal eine Vocal Engineer. Es war eine sehr angeregte Atmosphäre und es entstanden sehr viele Ideen. Früher hatten wir auch einfach nicht das Budget, solange in einem Studio zu arbeiten.
Bei “War Of Being” geht es um mehr als Musik…
Wir sind eine Band, die immer nach vorne blickt und die sehr kreativ ist. Über die Jahre haben wir uns eine loyale Fanbasis aufgebaut, und die Prog-Metal Community liebt Konzeptalbum. Wir auch und wir mögen es, die Geschichte visuell zu unterstützen. Das neue Album mit den beiden Hauptcharakteren erzählt eine tiefgründige Geschichte und das wollten wir auch mit dem ersten Video zeigen. Dabei spielt ja auch eine Rolle, dass es ein Videospiel zu dem Album geben wird, basierend auf der Unreal-Engine. In der Vergangenheit waren wir mit unseren Promovideos nie hundertprozentig zufrieden. Hier ist das anders. Verschiedene Teams haben lange an dem Video gearbeitet, wir hatten ein relativ großes Budget, aber dafür steht jetzt auch jeder voll hinter dem Ergebnis.
Du musst ja nicht die ganze Story hinter dem Konzept erklären, aber was ist die Quintessenz?
Wenn man die Geschichte mit einem einzigen Satz beschreiben sollte, es wäre einfach: Wer bin ich? Was ist deine eigentliche Identität? Unser Ego spielt eine große Rolle für jeden von uns, aber viele verstecken sich hinter einer Art Fake-Ego, das verbirgt, wer sie eigentlich sind.
Es geht auch um Angst, und wenn es gelingt, diese Angst zu überwinden, dann sind wir in der Lage, ein Wissen in uns frei zu setzen, das die Wahrheit für uns alle erkennbar macht. Die Leute sollen sich das Album nicht nur anhören, sie sollen etwas mitnehmen und daran wachsen.
Das Spiel basiert auf der Unreal-Engine. Ich weiss noch, als das erste Unreal – Spiel erschien – es war mega erfolgreich, aber unterm Strich war es ein Ego-Shooter.
Es geht in unserem Spiel um viel mehr, als nur zu kämpfen. Es ist eher eine Reise, in der das Individuum erkennt, wer es ist.
Du warst zwischenzeitlich bei TesseracT ausgestiegen, kamst dann aber wieder zurück. Was waren die Beweggründe?
Ich mache vermutlich Dinge anders als die meisten. Musiker sind üblicherweise Freigeister, speziell wenn sie jung sind, sie wollen mit ihrer Musik die Welt begeistern, aber sie sind noch nicht bodenständig. Ich hatte zunächst eine ganz normale berufliche Karriere. Als ich mich entschloss, Musiker zu werden, war ich in dieser Beziehung sehr unerfahren und hatte keine Ahnung, wie das Business funktionierte. Als wir unsere erste Tour hatten und das erste Album erschien, haben wir daran kaum etwas verdient. Und ich stand da und dachte, Scheiße, ich kann meine Rechnungen nicht bezahlen. Also entschied ich mich, die Band zu verlassen. Ich habe dann aber schnell erkannt, dass es durchaus möglich ist, von Musik zu leben. Viele Musiker haben ja andere Jobs, aber auch in der Musik. Ich wurde also Gesangslehrer, was ein großer Schritt für mich war. Ich habe auch für unterschiedliche Projekte Musik geschrieben. Aber als die Dinge mit dem damaligen Sänger Ashe auf dem zweiten Album, nicht so liefen wie sie sollten, kam die Band zu mir zurück und fragte, ob ich zurück wollte. Ich war in einer Position, in der es funktionieren konnte, also stimmte ich zu.
Progressive Metal ist in der Regel sehr von den instrumentalen Fähigkeiten der Bandmitglieder geprägt. Bist du als Sänger für die Emotionen zuständig?
Es ist zumindest ein großer Teil davon. Mit der Stimme kommunizieren wir, was einfach daran liegt, dass wir Menschen sind. Mit deiner Geburt beginnst du, über die Stimme mit deinen Eltern zu kommunizieren. Wenn du ein Lied hörst, ist es oft die Stimme, die den größten Einfluss auf den Hörer hat. Das ist mir immer bewusst. Aber es ist natürlich nicht nur der Gesang, die Menschen genießen die Musik auf unterschiedliche Art. Mein Gesang muss erkennbar sein und emotional, das ist es auch, was ich generell an der Musik liebe. Aber es geht immer auch Hand in Hand mit der Musik. Auch Acle investiert viele Emotionen in die Musik, die er schreibt. Ich versuche mein inneres Selbst in die Musik einzubringen, und so schaffen wir eine besondere akustische Erfahrung.
Ich habe über euch gelesen, ihr seid “Leaders, not Followers”…
Egal, wie weit man das zugibt. Jeder ist zunächst einmal von anderen Künstlern beeinflusst. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Acle war ziemlich beeinflusst von Meshuggah und Pink Floyd, und diese beiden Dinge hört man. Auf der einen Seite Djent, Polyrhythmik und auf der anderen diese “cleane” Musik. Mit jedem Album wird aber der Einfluss der Musik, die du hörst immer weniger und du bist immer mehr darauf fokussiert, was alleine du machst.
Im Progressive Metal spielen die Keyboards in der Regel eine große Rolle, habt ihr da nicht was vergessen?
Wir haben tatsächlich einmal darüber nachgedacht, einen Keyboarder in die Band zu bringen. Aber das Problem ist – und das mag jetzt brutal klingen – du hast dann natürlich auch ein weiteres Maul zu stopfen. So wie Acle Synth einsetzt, damit kann man absolut arbeiten. Und live arbeiten wir mit dem entsprechend komplexen technischen Setup. Das ist manchmal schon beängstigend, wenn ein Teil des Systems ausfällt, ist die ganze Show vorbei.
Ihr geht jetzt zunächst auf Amerika Tour und kommt dann Anfang nächsten Jahres nach Europa und spielt auch einige Konzerte in Deutschland.
Corona hat so viele musikalische Karrieren zerstört. Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen, zum Beispiel mit “Portals”, was auch sehr inspirierend war. Ich bin froh, dass wir wieder unterwegs sind, es ist ein wichtiger Bestandteil unseres Jobs. Aber es wird auch immer härter, je älter wir werden. Es gibt so viele Dinge, die man berücksichtigen muss. Es ist nicht so einfach, so lange von zu Hause fort zu sein, speziell wenn man Kinder hat. Man muss außerdem versuchen, persönlich fit zu bleiben.
Auch dafür, aber natürlich auch künstlerisch wünschen wir euch viel Erfolg!