Stoner mit Texten in unserer Muttersprache? Ja, das geht gut !! Die drei gestandenen Männer von Holz aus Kassel schaffen den Spagat heißen, erdigen Wüstensound mit deutscher Lyrik von der Bühne krachen zu lassen. Das Trio formierte sich bereits 2010 und seitdem versuchen sie die trockene Wüste der US-Südstaaten ins kühle, verregnete Nordhessen zu holen. Keine Effekte, Schnörkel, Haken oder Ösen, dafür jede Menge Schweiß und harte Bühnen-Arbeit, das sind die signifikanten Merkmale auch dieser ungewöhnlichen Truppe.
Diese drei Hart-Holz-Köpfe heißen Leonard Riegel (Gitarre, Gesang), Martin Nickel (Schlagzeug) und Maik Blümke (Bass) und die haben auch schon mehrere Alben eingespielt. »Nach Fest Kommt Ab« heißt ein Titel auf »Holz IV«, das passt zur hier gebotenen Darbietung, man hatte ständig das Gefühl irgendwann reißen die Saiten. Gehobener Stoner-Rock mit deutschen Texten funktionierte hier zum Vorglühen gut und die kleinen Flämmchen züngeln mit jedem flotten Lied stärker, am Ende brennt der Baum lichterloh und es Zeit für den Feuerlöscher: Nach zu fest kommt ab. Die Besucherzahl und gute Stimmung nimmt wieder zu und erfreulich ist auch das Wetter passend sommerlich schön. Der Veranstalter hatte mit dieser delikaten hessischen Vorspeise wieder mal einen guten Riecher.
Und weiter geht’s mit einer weiteren Energieladung auf eine Reise durch Zeit und Raum, diesmal mit einem Orbiter aus der Region bayrische Hauptstadt. Schon der Bandname Mindcrawler gibt Marschrichtung der Münchener Stonernauten seit Ende 2016 vor. Das Quartett sortiert sich irgendwo zwischen Doom und Stoner ein, bisweilen auch angenehm mit einer Brise harten Rock, Space und auch Psychedelisch verfeinert. Hier ist also mehr drin als man zuerst denkt. Parallelen zu anderen Reisenden im Kiffer-Musik-Kosmos sind auch ohne weitere Nennung von Anhaltspunkten zu erahnen.
Vom Debüt »Lost Orbiter« (2020) ist das meiste gute Material, das den Frühaufstehern vorne an der Bühne versiert und druckvoll präsentiert wird. Thomas Sebastian (Bass) und Joe Wagner (Gitarre, Gesang) duellieren sich ständig mit ihren tiefhängenden Instrumenten, wirken manchmal wie schleichende Außerirdische. Die vielen Lauscher werden aber Nonstop mit Fuzz-Salven aus gleich drei Gitarren bearbeitet. Da heißt es das wabern auf der Gesichtshaut, den Scheitel nach hinten versetzt und die austretenden Schmiermittel aus den Ohren zu ignorieren. Durchhalten, irgendwann muss denen doch mal die Puste ausgehen, oder sie trinken bitte mal was. Aber weit gefehlt, diese vier Orbitalen Helge, Joe, Johannes und Tom beenden erst ihre beinharte Gästebetreuung mit Ziehen der Stecker und kreuzen der Stöcke. Kurz ins Publikum gegrüßt und schon sind sie wieder auf der Reise zur nächsten Station der Orbital-Mission.
Überraschend und doch erfreulich wurde erst wenige Tage vor Beginn des Festivals bekannt gegeben das Siena Root diesmal nun zum dritten Mal beim diesjährigen Aqua Maria Fest gastieren wird. Man meint diese schwedische Band gibt es seit den 70ern, denn das Orgel-Gitarre betonte nostalgische Klangbild hört sich so an, aber ohne jedoch angestaubt oder altbacken zu wirken. Es gab in der inzwischen auch schon 25-jährigen Bandgeschichte immer wieder etliche Wechsel, besonders bei den Gitarren und beim Frontgesang.
Die letzten Jahre war diese Position durchgängig auch mit einer musizierenden Frau besetzt. 4-Saiter Sam Riffer und Love Forsberg in der Trommelabteilung sind Urgesteine, Gründer, Konstanten und inzwischen bei den Wikingern am längsten dabei. Die schwarzhaarige Frontfrau Zubaida Solid und Gitarrist Johan Borgström sind erst 2020 im Svenske-Team. Mit Haut und (langen) Haaren den 70ern verschrieben haben sie wie gesagt mit dem signifikanten Einsatz einer Hammond-Orgel und den singend-heulende Gitarren ein charakteristisches Klangbild. Sie sind einfach für jedes Festival immer ein Glücksgriff. Für viele Besucher, und auch für mich steinalten Liebhaber der stahlharten Salven, waren die Retro-Schweden wieder ein Höhepunkt.
Der erst 26-jährige italienische Gitarrist Giacomo Turra ist hierzulande völlig unbekannt, hat aber schon die Hälfte seines Lebens sehr intensiv mit seinem Saiteninstrument verbracht und auch Karriere gemacht. Nach dreifach Rock-Orgie hintereinander bringt Turra und seine The Funky Minutes, bestehend aus Tastenfrau Anna Polinari, Tieftöner Francesco Dallago, Schlagzeuger Matteo Dallapè, mit seinen Jazz-Funk-Covers einen wohltuenden Kontrast in den Festival-Ablauf. Irgendwie ist eine Funk-Epidemie in Italien ausgebrochen, denn auch Stef Rosen aus Genua ist funky unterwegs.
Die eigentlich 5-köpfige Truppe ist inzwischen in Nordamerika und in der Heimat Italien sehr bekannt, spielen dort massenhaft Konzerte. Dieses Frühjahr haben sie noch im israelischen Tel Aviv gespielt, nun ein unsicherer Ort. Die Funk-Truppe ist aber diesmal leider ohne Saxofonist angetreten. Dennoch entfacht das geschrumpfte Quartett ein Feuerwerk an funkigen Rhythmen, alles fantastisch vorgetragen und mit mehrstimmigen Gesang garniert. Wie am Vortag bei Krissy Matthews müssen die Zweifler zugeben, das auch so ein Auftritt gut zum Aqua Maria Fest gepasst hat. Leider ist das Konzert unverdient nicht so sehr gut besucht. Aber alle die es erlebten, hatten Freude, auch wenn es vom Stil eine andere Ausrichtung war. Ich treffe die sympathischen Italiener später noch mehrmals im Gelände, sie haben Spaß hier im kühlen Norden, das merkt man ihnen deutlich an.
Stoner mit Texten in Schwedisch? Ja, auch das geht hier nach 2017 nun zum zweiten Mal gut !! Nachdenkliche, poetische und inhaltsvolle Texte, das geht auch auf Svenska. Mit Abramis Brama ist nun wieder Skandinavien an der Reihe. Noch einmal eine beinharte schwedische Rockband, die bereits schon Mitte 1997 gegründet wurde und inzwischen eine abwechslungsreiche Geschichte hinter sich hat.
Die beständigen Hard-Rocker Abramis Brama (Lateinisch: Brassenfisch) aus dem Süden Stockholms bringen uns wieder auf die realen Bretter der Tatsachen zurück und liefern groovige Rockmusik mit schweren Riffs und harten Gitarren-Breitseiten von Peo Andersson vom Allerfeinsten. Der singende Frontmann Ulf Torkelsson, ersetzte 1999 nach Veröffentlichung des Debüts den ursprünglichen Sänger, und bleibt uns mit Hand-Prothese, barfuß und barbauchig, im hautengen weißen Anzug und mit hoher Bühnenpräsenz sehr gut in Erinnerung. Sie legen vom ersten Ton an alle Hebel auf vollen Schub, befeuert durch das rhythmische Fundament von Schlagwerker Fredrik “Trisse” Liefendahl im Hintergrund sowie Basser Mats Rydström vorne rechts, ziehen das bis zur letzten Minute voll durch.
Ulf ist ein Frontmann alter Schule, erinnert mich stark an ähnliche charismatische langhaarige Schreihälse der 70er und er singt auch noch schwedisch. Letztes Werk ist »Tusen år« (2018) das im bandeigenen Hagaton-Studio von Mats Torkelsson aufgenommen und abgemischt wurde und den rockigen Idealen der Band absolut treu bleibt.
Und noch einmal etwas sehr Ungewöhnliches nun mit Samavayo (Sanskrit: Einheit, Eintracht), eine Stoner-Rock-Truppe aus Berlin, die 2000 als Quartett gegründet wurde. Mit Ausstieg von Marco Wirth seit 2013 ein Trio aus dem singenden Gitarrist Behrang Alavi, der seine Wurzeln im Iran hat und den Brüdern und Ost-Berlin-Gewächse Andreas (Bass, Gesang) und Stephan Voland (Schlagzeug, Gesang). Weit über ein Dutzend Veröffentlichungen und mehrere Hundert Live-Shows in Europa und Übersee sollten doch eine gute Visitenkarte sein.
Sicher, aber was wird auf der Bühne in der Plattenburg geliefert? Vor allem Musik von den letzten drei Alben »Payan« (2022), »Vatan« (2018) und »Dakota« (2016). Feinste harte Rockmusik, trotz Anleihen bei den üblichen Verdächtigen, mit einem stets eigenen Charakter. Alles wird versiert und routiniert vom Trio vorgetragen, unglaublich was jeweils drei Instrumente und Stimmen für eine Klangwand erzeugen können. Die Masse vor der Bühne ist inzwischen viel größer, die Stimmung und Feierlaune hat im gleichen Maß zugenommen. Die Zeit vergeht wie im Flug, Moment mal, warum gehen die drei Männer den schon, ach doch schon vorbei, Umbaupause, echt wahr.
Was hatten wir nicht schon alles in dieser fast 24 Stunden Premium-Rock-Beschallung, harten Blues-Rock, jazzigen Funk, Stoner mit deutschen sowie schwedischen Gesang, aber jetzt bitte Anschnallen und das Rauchen einstellen. Eine niederländische Latino-Rock-Mannschaft mit Trompete und Posaune als führende Instrumente, geht das wirklich ?? Und wie, denn mit ¡Pendejo!, schwere Blechbläser, brutales Riffing, hämmerndes Schlagzeug und gegröhlte spanische Urban-Texte, wird es nun noch angenehm ungewöhnlicher.
Als Alleinstellungsmerkmal dieser Band aus Amsterdam, blasen uns jetzt neben den klassischen Instrumenten Gitarre (Ed Romijn), Bass (Stef Gubbels), Schlagzeug (Sjoerd Van Der Knoop) brutal geblasene Trompete von El Pastuso und Posaune von Menno Roymans noch einmal schwer die Gehörgänge frei. Von zwei Cousins mit einer Geschichte in Lateinamerika 2006 im eigenen Genre Horny Asshole Desert Mariachi Music gegründet. Hier auf der Bühne ist jeder permanent in Bewegung, wird nicht nur musiziert, sondern manchmal kommt es mir wie ein Work-Out mit brachialer Musik vor. Wenn mal keine Mikrofone greifbar sind, wird auch schon mal in die Steck-Mikros an Trompete und Posaune gebrüllt. Das sieht von weitem etwas witzig aus.
Das Bekannteste kommt wie letztes Jahr zum Abschluss. Ein klassisches Rock-Urgestein aus Philadelphia, eine Institution für Fuzzheads. Dieser Heavy-Rock’n’Roll-Act wurde 2000 gegründet und zog bereits 2001 nach Los Angeles um, nachdem sich Frontmotor Keith Gibbs (Gitarre, Gesang) mit zwei Gleichgesinnten zum Trio zusammengetan hatte. Es gab danach noch einige Veränderungen aber auch mit »Fever Fantasy« (2022) inzwischen auch das sechste und bisher rockigste Album.
Keith hat seine derzeitigen Kumpels Craig Riggs (Schlagzeug, Zusätzliche Stimme, Kaffee) und Bassist Jason Casanova (Cas ist auch Logistiker) mitgebracht. Wenige Power-Trios haben die Kraft, traditionelle Hooks frisch klingen zu lassen, aber die Energie & Vitalität von Sasquatch lässt sich nicht leugnen. Leider werden die ansonsten routinierten Abläufe von Sasquatch, zum Missfallen vom Logistiker Jason, mehrmals von technischen Problemen mit dem Monitor unterbrochen. Das routinierte Trio lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Trotz alledem, das Publikum feiert mit den US-Boys den Ausklang eines wieder einmal wunderbar gelungenen Aqua-Maria-Festivals.
Resümee:
Ich habe bei den 12 Bands kaum Qualitätsunterschiede festgestellt. Im Gegenteil sind mir einige deutschen Künstler besonders gut in Erinnerung geblieben. Es war wieder ein fantastisches Festival, mit einer musikalischen Bandbreite, die kaum ein hartes Rock-Fest sonst irgendwo liefert. Dazu diese einzigartige Kulisse der historischen Plattenburg. Auch die für so eine mehrtägige Veranstaltung wichtige Infrastruktur, also kulinarische Versorgung, Beleuchtung, Ruhezonen, Helfer-Team, Merchandise waren wieder erstklassig. Auch hier blieben keine Wünsche offen. Dieser Stoner-Thunder-Storm und das Aqua Maria Fest 2023 waren wieder ein Genuss, das ruft für mich nach Wiederholung 2024, hoffentlich wieder mit solch einem Feuerwerk an rockigen Emotionen !! Maria, Uwe, Eike und das äußerst herzliche Team, Respekt vor eurem Mut, Leidenschaft, das sensationelle Programm und das Versprechen, das 2024 wieder die Burg gestürmt wird.
Bilder und Text: Roland Koch