Die Zweier-Combo Good Husband versteht sich als Kombination von dreckiger Gitarre und einer Stimme direkt geboren aus dem Aschenbecher eines alten Fischkutters. Ihr punkiger Blues treibt das Publikum zur Bühne, hinter der die Sonne immer weiter versinkt. Deutsche Texte, rau und reduziert. Gitarrist Uli Dodt ist dabei mit allen Gliedmaßen im Einsatz, denn zu seinen Füßen will noch ein halbes Schlagzeug bedient werden. Sänger Till Schulze-Geißler erbittet ein Bier zur Bühne, prompt wird es ihm aus mehreren Ecken gereicht. Knochentrockener und ehrlicher Act. Derweil wird unten an der Scheunenbühne ordentlich aufgefahren.
Das Colosseum öffnet seine Tore. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters liefern die sechs Herren die feinste Mischung aus progressiven Rock- und Jazz-Elementen. Chris Farlowe weiß auch mit 83 Jahren, davon über 60 im Dienst, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Ein Showman, der wohl nie in Rente gehen wird. Notwendige Pausen verschaffen ihm die grandiosen instrumentalen Parts des Abends. Das Unisono Spiel zwischen Clem Clempsons Gitarre und Kim Nishikawaras Saxophon glänzt dabei besonders. Aber jeder Musiker der Gruppe bekommt seine Momente. So auch Malcom Martimore, der nach dem Tod von Gründer John Hiseman 2020 nun Platz auf dem Schlagzeughocker gefunden hat. Gespielt werden dabei Stücke aus der Ära Jack Bruce, bis hin zu neuen Stücken des erst 2022 erschienenen Albums »Restoration«. Gereifte Künstler, die auch heute noch unfehlbar zusammenarbeiten.
Hoch oben ruft schon die Band Of Friends das Publikum zu sich. Gründer Gerry McAvoy spielte 20 Jahre an Rory Gallaghers Seite Bass und auch Drummer Brendan O´Neill war eine Dekade für ihn im Einsatz. Zusammen huldigen sie den Songs Gallaghers. Einst als Trio erdacht, sind sie nun mit zwei Gitarristen auf Tour. Ein Mann mehr an Bord raubt zwar den Charme eines Power Trios, dennoch spielen Paul Rose und Jim Kirkpatrick famos auf. In England sind beide bereits hoch anerkannte Musiker. Selbstbewusster Taktgeber ist Chef McAvoy. Nur die wechselnden Lichtverhältnisse scheinen ihn zu irritieren und so bittet er den Lichttechniker das hektische „Disco-Licht“ doch bitte zu unterlassen. Das Publikum zelebriert die Klassiker a la »Bad Penny« so oder so. Ihre eigenen Kompositionen blenden sich leicht ins Set, liegen sie doch stilistisch sehr nah an Gallaghers eigenen Werken. Auch die seltener gespielte Ballade »I Fall Apart« gibt es heute zu hören. Ein besonderes Stück zur späten Stunde.
Bevor die DJ-Area die Besucher in die Nacht begleitet, gibt es noch eine letzte Coverband zu hören. Der Name verrät es: The Doors Alive. Ein Sprung zurück in die 60er Jahre mit dem besonderen Aroma der Doors. Frontmann Mike Griffioen sieht, konträr zu seiner zwei Meter großen Präsenz, sehr jung aus. Gelingt ihm dieser Sprung in die Vergangenheit und das Eintauchen in einen Charakter wie Jim Morrison? Er stieß erst später zur Band dazu, die bereits 2005 gegründet wurde und nun schon mehr als 1.000 Gigs absolviert hat. Wie benommen und doch voll dabei schwingt Griffioen über die Bühne. Mit geschlossenen Augen gibt es kaum einen Grund zu glauben hier nicht dem Original gegenüber zu stehen. Nicht zuletzt auch, weil die Musiker auf originales Equipment aus alten Zeiten setzen. Ihr Konzert gleicht einer Messe, wie eine drogengefütterte Reise in die Unterwelt. Voll mit Abzweigungen, wirren Trips, Improvisationen, Rückkehr ins Licht. Es gibt Längen und atonale Momente und doch liegt in dieser Unberechenbarkeit auch der Reiz ihrer Show. Wer sich fragt, wie es wohl bei den Doors gewesen sein muss, erhält hier eine stimmige Antwort.
Der letzte vollgepackte Tag. Auch Woodstock Forever ist endlich. Wer zulange seinen Rausch ausschläft, verpasst den Einstieg mit einem Schweizer Quartett, dass sich nicht in Zurückhaltung übt. Velvet Two Stripes sind federführend drei Damen unterstützt durch einen Schlagzeuger. Sophie und Sara Diggelmann gründeten die Band als Sängerin und Gitarristin zusammen mit der gemeinsamen Freundin Franca Mock am Bass. Letztere blitzt durch ihre knallgelben Haare in der Mittagssonne schon aus der Ferne heraus. Die griffigen Songs mit fuzz-gefüllten Riffs ziehen schnell große Aufmerksamkeit auf sich. Sängerin Sophie verpasst ihnen mit ihrer Reibeisenstimme den letzten Schliff in Richtung Garage-Rock. Unbearbeitet, jedoch mit viel Gefühl. Weder die Handverletzung von Bassistin Franka, noch zeitweise überhitztes Gitarrenequipment können die erdigen Bluesrock-Bretter und stoppen. Gepaart mit der Spielfreude aller Beteiligten wieder mal ein Tagesstarter-Highlight.
Ausgepowert geht es weiter zur Liftbühne. Die BumbleBee Blues Band aus Thüringen covert Delta-Blues Klassiker großer Legenden, wie Muddy Waters oder Howlin´ Wolf. Authentisch und in rauer Handarbeit erschaffen, roh und geradeaus. Gewiss keine Neuerfindung, dennoch sympathisch. Alternativ ein guter Moment um sich Grillgut und Knoblauchbrot zuzuführen, bevor es auf den großen Bühnen weitergeht.
Fido Plays Zappa sind keine Neulinge mehr in Waffenrod. Dieses Mal haben sie jedoch Robert „Bobby“ Martin im Gepäck. Martin sang zuvor bei Frank Zappa höchstpersönlich für sieben Jahre. Als er die Cover-Band bei der Zappanale 2022 sah, sprang er als Special Guest auf die Bühne. Daraus entwickelte sich die neuste Tour von Fido Plays Zappa, die Martin als ihren festen Sänger etabliert. Gewiss ein Ritterschlag der seit zwei Dekaden spielenden Gruppe. Zappas Werke spielen sie präzise und ohne Grenzen. Alles kann passieren und Improvisation ist der Schlüssel. Taktwechsel, wirre Sprünge und Melodien sind an der Tagesordnung. Es steht außer Frage, dass Zappas Musik nicht leicht von der Hand geht. Offen für eine humorvolle Reise zwischen Jazz und Rock?
Ein besonderer Trip der ganz anderen Art erwartet die Festival-Besucher auf der oberen Bühne. Die sechs maltesischen Musiker von Tribali sind die tanzbarste Band des Festivals. Trance-Beats und psychedelisch verschwimmende Genregrenzen bringen die Füße vor der Bühne in Bewegung. Frontmann Peter Paul wechselt sich mit Percussions und Vocals ab, während Sängerin Elizas Stimme tänzelt federleicht darüber hinwegfegt. Dazu gesellen sich Didgeridoos, eine Sitar, sowie Reggae- und Ska-Elemente. Ein Abenteuer aus der Welt von Orange und Shpongle. Wer den Blick über den Tellerrand nicht scheut, erlebt eine hypnotische Band ohne Limit.
Ausruhen lässt es sich direkt eine Bühne weiter. Panama Red bezeichnen ihre Musik als Akustik-Space-Folk… und das trifft es. Die zwei Herren spielen nun schon 37 Jahre zusammen. Miko Mikuliczs Geige bettet sich auf Rainer Ranis Akustikgitarre. Ein paar Effektpedale hier und dort aber im Großen und Ganzen sind es nur die beiden Instrumente und ihre Besitzer. Ein paar Minuten dabeigeblieben, entfalten sich ihre Instrumentalstücke zu kleinen Ausflügen in friedliche Welten. Dabei ist die Geige stets die führende Melodie. Unaufgeregt virtuos.
In der Ferne klingen schon der erste Soundcheck der Hamburg Blues Band Allstars empor. Erklären muss man die kollektive Ansammlung eigentlich kaum noch. Eher jedoch wo Bandchef Gert Lange steck: Krankheitsbedingt muss der Abend ohne ihn abgefeiert werden. Die ersten Stücke teilen sich Bassist Reggie Worthy und der lebende Koffein-Kick Krissy Matthews auf. Nach und nach rücken immer mehr hochkarätige Gäste ins Rampenlicht. Stoppok bereitet einen humoristischen Einstieg und kaschiert auch Spielfehler charmant. Clem Clempson und Chris Farlowe lassen es sich nicht nehmen und steigen für diverse Songs auf die Bühne. Genug? Als wäre das keine ausreichende Star-Power, hat die Gruppe mit Inga Rumpf noch ein Ass im Ärmel. Grundsympatisch und mit einer gewaltigen Stimme beeindruckt die 77-Jährige das prall gefüllte Gelände. Spätestens mit »All Or Nothing« von Steve Mariott und allen acht Musikern auf der Bühne zeigt sich die besondere Magie eines einmaligen Konzerts. Die Freude über dieses besondere Treffen ist den Musikern gewiss anzusehen. Ein runder Abschluss… doch noch wollen zwei weitere Gruppen gehört werden.
Atomic Rooster waren einst die Idee von Vincent Crane und Carl Palmer nach ihrem Ausstieg bei der Crazy World of Arthur Brown. Nach ihrem Tod gab Cranes Witwe die Erlaubnis für ein Fortbestehen der Band. So agieren heute die Original-Mitglieder Steve Bolton und Pete French an Gitarre und Gesang im Rampenlicht. Dabei unterstützen sie hauptsächlich jüngere Musiker. Frischer Wind und Helden der Frühzeit ergänzen sich dabei, befeuern sich gar gegenseitig. Boltons Verstärker schreit in die Nacht, getragen von Ross Munros Orgel. Letzterer gibt der Band mit seinem Spiel dabei die nötige Tiefe. Schnörkelloser Rock, der auch gar nicht zwingend mehr als dass sein muss. Lediglich an massive Lautstärken gilt es die Ohren zu gewöhnen.
Vor dem großen Finale des letzten Abends versammeln sich das Personal und alle Helfer vor der Bühne. Mittendrin Veranstalter Michael Memm, seine Frau und Tocher Melanie. Dankesreden werden gehalten, passende Worte für die letzten Tage gefunden. Alle zusammen Stimmen Hannes Waders »Gut wieder hier zu sein« an: Eine Idee die in einer langen Nacht spontan entstanden sei. Nie geprobt und leicht holprig stimmt die ganze Location mit ein. Das familiäre Gefühl ist eine Säule des Woodstock Forever Festivals und auch 2024 soll es wieder weitergehen. Applaus. In die Tiefen der Nacht geht es nun mit der Deep Purple Tribute Band Demon’s Eye. „Sie können solange spielen, wie sie noch Luft kriegen“, leitet Michael Memm ein. John Lord und Ian Paice persönlich lobten die Band und standen schon persönlich mit ihnen auf der Bühne. Heute sollen vor allem die 70er Jahre der Band im Fokus stehen, die goldenen Jahre, wie sie selbst sagen. Dabei geben sie somit auch Stücke der Hughes und Coverdale Phase zum Besten. Gesanglich nicht leicht zu meistern und doch gelingt es Leadsänger Daniele Gelsomino und Bassist Jan Dickmann auch die höchsten stimmlichen Berge zu erklimmen. Auch vor »Child In Time« gibt es kein Halt. Stimmlich auf den Punkt abgeschmeckt, garniert mit feinsten Gitarren/Orgel-Duellen. Besonders Mark Zyks stakkato Gitarrenspiel im tobenden Stil Ritchie Blackmores beeindruckt Ohren und Augen. Gemeinsam preschen sie durch ein Set voller Klassiker und sparen nicht an langen Jams. Blicke in die Vergangenheit, alte Helden, Newcomer und Offenheit für Neues. Woodstock Forever war auch 2023 wieder eine Fusion all dieser Begriffe. Behält die Crew um Familie Memm dieses Level bei, wird auch 2024 wieder ein beseeltes Festival.
Text: Marvin Brauer