Livereport: Woodstock Forever | Waffenrod 2023 Teil 1

Wir haben uns schon bei der Abreise vom letztjährigen Woodstock Forever 2022 wieder auf die diesjährigen vier Tage im Thüringer Wald etwas außerhalb vom Dorf Waffenrod, ein klein wenig abseits vom unteren Dorfteil Hinterrod, im Areal des Feriendorf Auenland gefreut. 2023 war das 20-jährige Jubiläum, jedes Jahr ein großartiges Woodstock Festival, außer 2020, da hat die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach der kurvigen Zufahrt bergauf aus Eisleben, kommt man aus dem Wald und schaut direkt auf die riesige imposante Zeltstadt. Mich erinnert sie inzwischen an die Neue Heimat beim Herzberg-Festival. Uns erscheint sie diesmal noch größer geworden zu sein und das wird uns oben am Einlass ins Gelände bei der Hundeschule auch von den drei herzlichen Helfern stolz bestätigt.

Von der kleinen Hütte Zur Prinzenruh hat man einen atemberaubenden Blick talwärts über das Auenland-Camp und weiter in die bayrische Ebene. Allein dafür lohnt es sich schon zum fantastischen Woodstock Forever vorbei zu kommen. Wer auf eine Übernachtung in den Hobbit-Quartieren hofft, keine Chance, die sind immer sofort für das folgende Jahr ausgebucht. Die Veranstalter Melanie & Michael haben über das Jahr wieder einiges an Infrastruktur verbessert, jetzt ist das Areal unten an der Scheunen-Bühne und dem After-Show-Bereich sehr gut überarbeitet worden. Die Park-Bühne ist nun Teil der Bereiche Familie und Workshops. Sehr erfreulich ist deshalb nun die dritte Lift-Bühne in der Nähe der Händler-Meile. Es ist hier zwar nicht mehr so kuschelig wie im Park, nun gibt es aber viel mehr Platz für die Feierbiester und die Künstler. Wer die Freak-Bühne des Herzberg-Festival kennt, hier haben wir in Waffenrod nun ein ähnliches Format. Selbst die vielen Besucher vom Handicap-Camp kommen problemlos an alle Stellen des Geländes. Das ist mehr als Vorbildlich und für die Größe des Festivals eine Besonderheit.

Auch das 12-seitige Programm-Heft, bekommt jeder kostenlos bei der Einfahrt in das Gelände, ist in dieser Form auch mehr als vorbildlich. Man hat damit gebündelt alle Informationen immer kompakt zur Hand, vom übersichtlichen Lageplan, Informationen zu allen wichtigen logistischen Belangen, Beschreibung des Familien-Programms, Verhaltens-Codex, Vorschau auf 2024 und natürlich das Musik-Programm von Mittwoch bis Sonntag. Ebenso erfreulich ist auch das ALLE 24 Bands auf den drei Bühnen und auch das Nacht-Programm nicht überlappend stattfinden, somit alles ohne Abstriche sogar barrierefrei und wetterunabhängig genossen werden kann. Auenland-Häuptling Michael lässt es sich nach wie vor nicht nehmen jeden Künstler persönlich mit einer kurzen Ansage vorzustellen. Er ist bei den Musikern und Besuchern äußerst beliebt, auch weil er IMMER ansprechbar ist und für seine große Woodstock-Familie sorgt wie ein liebenswerter Patron.

Schon am Mittwoch geht es druckvoll los mit zwei Tribute-Bands, Black On Blue aus München stehen für die Rolling Stones und die Italiener Nirvana IT für den Grunge aus Seattle. Danach Party zum Einstieg ins Festival. Zum weiteren dreitägigen Programm kommen wir im nachfolgen Text. Hiermit haben wir nun zum vierten Mal hintereinander den Blick von zwei Generationen auf diese schöne Veranstaltung. An dieser Stelle auch eine sehr traurige Nachricht für alle Fans und Förderer des Woodstock Forever. Vor ein paar Tagen verstarb ganz unerwartet unser Freund und Kollege Jan Hofmann. Er war eine wichtige Säule der Veranstaltung seit 2003. Er hat mit seiner Arbeit in Wort, Bild, Film, Ton, Drohne, Grafik aber besonders mit seiner sympathischen Erscheinung immerzu mitgeholfen, dass dieses fantastische Festival zu einer menschlichen Heimat für viele wurde und blieb. Lasst uns trauern, jedoch besonders unseren Jan so in Erinnerung behalten wie wir ihn erlebt haben.

Urgesteine Kirsche & Co – Begonnen hat alles bereits 1979, mit stabiler Mannschaft aber mehreren Kapellen in Folge. Danach beackern seit nunmehr 36 Jahren vier befreundete Musiker aus Erfurt dann als Kirsche & Co bis heute die Clubs und Live-Bühnen im Osten der Republik. Abseits von Radio-Einheitsgedudel und Konformität mit dem Zeitgeist gingen sie immer wieder ihre eigenen Wege. So erspielte sich dieses erfahrene, fleißige Quintett mit zahllosen energetischen Live Auftritten, unglaublichen 14 CDs und 2 DVD Veröffentlichungen eine riesige und treue Fangemeinde. Mit viel Energie, Kreativität, Musikalität und ungezügelte Spielfreude, gepaart mit zeitgemäßen Texten, spielt die Band ihre anspruchsvolle Musik, wo auch immer wieder die Wurzeln zu deutschsprachigen Helden im Stil von Ton Steine Scherben eine wichtige Rolle spielen. So auch auf dem aktuellen Werk »Herbst« mit Songs voll ungeschönter Erinnerungen, unverhohlenem Zorn, aber auch Liebe und Hoffnung, unverwechselbarer Deutsch-Rock auf höchsten Niveau. Und das alles gibt es auf der Wald-Bühne beim Woodstock Forever zu bestaunen, gibt es einen würdigeren und besseren Start für dieses Festival ??

Frauen-Duo Fischer & Rabe – Die Sängerin und Pianistin Julia „Jules“ Fischer aus Hersbruck, Oberpfalz und das No-Hit-Wonder aus dem Bayerischen Wald Karin Rabhansl erobern als Duo Fischer & Rabe mit ihren Lieblingsliedern aus zwei Portfolios die Herzen des Publikums schon am Donnerstag. „2 Stimmen, 3 Zungen, 6 Saiten, 76 Tasten, Piano-Soul trifft Mundart-Riot!“ sagen sie selbst zu ihrer Kunst-Melange zweier selbstbewussten, lebendigen Damen. Nur jeweils ein Tasten- und Saiteninstrument reichen zusammen mit zwei ausgebildeten Stimmen, das dieses Liedermacher-Duo die Menschenmenge vor Bühne in ihren Bann zieht. Wieder einmal die Frauen, wieder gut ausgesucht Melanie & Michael.

Bluesröhre Véronique Gayot – Wildkatze und Tier heißen ihre beiden Alben und das passt zu der elsässischen Französin Véronique Gayot. Sie setzt mit einem spektakulären Auftritt und einer Besonderheit das ersten riesengroße Ausrufezeichen auf der Scheunen-Bühne beim wieder ausgezeichneten diesjährigen 4-tägigen Woodstock Forever Festival. Fast exakt zum Zeitpunkt am 17. August 1969 als Joe Cocker und seine Grease Band dort beim Woodstock 1969 zu seiner ekstatischen Version »With A Little Help From My Friends« ansetzt, intoniert Véronique sagenhafte 54 Jahre und drei Generationen später genau zur selben Zeit um circa 15:00 Uhr diese Hymne in großartiger Manier. Gibt es eine größere Verbeugung vor Woodstock und alle die es lieben und bis heute am Leben erhalten ??

Stürmischer Marley’s Ghost – Wahrlich meint man einem Geist vom Jamaikaner Robert Nesta Marley zu begegnen. Denn das Aussehen und die Stimme von Sebastian Sturm passen haargenau zu diesem charismatischen Frontmann mit deutschindonesischen Wurzeln. Diese Marley-Tribute-Band Nummer Eins gründete sich 2015 aus der Reggae-Truppe Sebastian Sturm & Exile Airline. Die Musiker touren seit vielen Jahren gemeinsame kreuz und quer durch Europa, waren sogar schon in Jamaika, der Wiege des Reggaes. Die dargebotene Vorstellung war kraftstrotzend und nahe an den ursprünglichen Wailers-Wurzeln. Es wurden keine der bekannten Songs des viel zu früh verstorbenen Reggae-Gott Marley ausgelassen. Es ist für sich sehr ergreifend und eine Zeitreise zurück zum 13. Juni 1980 (Rockpalast-DVD: »Uprising Live!«) als ich in der Westfalenhalle mit 15.000 Menschen 15 Minuten bei eingeschalteten Hallenlicht tobte damit Bobby noch einmal auf die Bühne kommt. Es ging nicht mehr, er war am Ende seiner Kraft. Sebastian wirkt wie ein junger kraftstrotzender Klon. Die Band Marley’s Ghost agiert bei Jamaika-Wetter sehr routiniert und der Spaß auf der Bühne steckt wie eine Infektion sofort alle Zuschauer an. Get Up, Stand Up !!

Echte Satanic Hippies – Jung, wild, ungezügelt sind das erste was mir zu dieser 4-köpfigen Formation Satanic Hippies aus Hagen einfällt. Und dann noch, dass die Frontfrau Jule Nickschas alias Jules Barrow einen ungewöhnlichen Nachnamen hat, den sie mit Lied-Poetin Cynthia teilt, sie hatte 2022 die Wald-Bühne gerockt. Die teuflischen Hippies haben einen rauhen, psychedelischen spacigen Sound, der an die großen Hard-Rock-Helden der 70er erinnert. Treibend im Genre Space-Rock mit starkem 70er Einfluss lässt sich diese Musik am ehesten einordnen. Diese Combo treffe ich immer wieder, fleißige Live-Arbeiter, die gerne und lange musizieren.

Manu Lanvin & The Devil Blues – Blues ist mehr als Musik, Blues ist schiere Leidenschaft, Blues muss man leben. Und genau das ist schon seit Kindheit die Berufung von Manu Lanvin, Sohn des französischen Schauspielers Gerard Lanvin, das merkt man ab erster Tonfolge seiner Gitarre. Dieser Star der französischen Blues Szene beweist mit einer eruptiven Vorstellung, die ihn auch mal weit vor die Bühne führt, über den gesamten Auftritt mit seinen The Devil Blues hier in Waffenrod, das auch heute noch der Blues in der jungen Generation lebendig ist. Für mich ist er mit dem Briten Krissy Matthews (wir berichten später im Text und beim Aqua Maria) und dem Slide-Wolf Stef Rosen (wir berichten beim Blue Wave) aus Italien die europäische Speerspitze des kraftvollen und gefühlvollen elektrischen Blues. Nach dem Auftritt mussten erst einmal einige Glut-Nester auf der Bühne beseitigt werden, denn die abgeleitete Energie von Manu hatte zu hohen Temperaturen im Bodenbereich geführt. Hier bestand auch Gefahr für die hölzerne Scheune, dem Catering-Bereich für unsere Künstler.

Erik-Uwe Hecht mit Freunden – Seit 1991 ist Erik Hecht Mitglied der Celtic-Rock-Band Subway To Sally, ab 1994 deren Hauptsänger und seit 1999 steht er mit Eric Fish & Friends auch mit seinem Liedermacher-Solo-Programm auf den Bühnen der Republik. Begleitet wird er meist von Uwe Nordwig (Gitarre, Gesang), manchmal werden sie noch von anderen Gästen unterstützt, wie diesmal mit Keyboards und Schlagzeug. Die Bühnenbeleuchtung ist defensiv gestaltet, wenig Nebel, dafür am Bühnenrand mehrere Dutzend große Kerzen. Auch beim Auftritt auf der Wald-Bühne in Thüringen gelingt es den vier erfahrenen Musikern leicht mit ihrer Darbietung das Publikum zu gewinnen und für etwas Ruhe im Blues-Rock-Gewitter des ersten Tages zu sorgen.

Die Banditen aus Plymouth – Mich haben Wille Edwards mit seinem Banditen-Power-Trio ein Dutzend Mal mit ihren starken und kraftvoll vorgetragenen Liedern erfreut. Die authentische Spielweise nahe an den Blues-Wurzeln und deren schlafwandlerisches Zusammenspiel waren immer das Aushängeschild. Sie sind für mich die moderne Variante einer typischen Rockband, die viele Stile, Strömungen, Klassisches verwendet und damit ihre eigene Musik zusammenwebt. Nun tourt Wille im neuformierten Quartett durch Europa. Und er geht mit seinen drei neuen Bandidos noch einen Schritt weiter. Die Musik wirkt nun noch voluminöser und wie neu arrangiert durch die präzise Zuarbeit von Bass: Harry Mackaill, Schlagzeug: Tom Gilkes und Orgel: Matthew Gallagher. Wer bisher noch nicht das Vergnügen hatte die Viererbande Wille And The Bandits Live erleben zu dürfen, dem empfehle ich das neue Live-Album »The Kernow Sessions«. Das ist natürlich keine Entschädigung für das pure Erlebnis, wie ich es hier im Thüringer Wald erlebt habe. Diese vier Briten sind ein Live-Erlebnis.

Smoke On The Stage – Und kaum sind die letzten Rock-Salven von den britischen Banditen verklungen, geht es nach (hoffentlich) ein paar Stunden Schlaf bereits mittags ebenso energetisch mit der klassischen Rockband Smokemaster aus Köln weiter. Das Quintett mit lustigen Künstlernamen eröffnet den Freitag auf der Wald-Bühne mit der ganzen Bandbreite der modernen rockigen Mucke. Smokemaster ist auch passend für die stark eingenebelte Bühne, unumgänglich für die Lichttechnik um bei schon wieder strahlenden Sonnenschein ein paar Farbtupfer und Lichteffekte für die fünf lichtscheuen Akteure zu kreieren. Gut gespielte, zum Teil ausufernde Stücke, immer wieder glaubt man Phrasen zu hören die man schon kennt, was aber nicht ungewöhnlich ist für deren kompositorisch gute eigene Musik. Aktuell haben sie gerade ihr zweites Album »Cosmic Connector« veröffentlicht, das hier nicht überraschend im Mittelpunkt ihres Auftritts steht. Die Titel »Rolling«, »Animal«, »War Piece«, »Forest«, »America Dreamt« zeigen schon ein wenig wo ihre Schwerpunkte sind. Früh schon ein rockiger Weckruf der weit über das Areal des weitläufigen Woodstock-Camp hallt.

Eve Of Eden & The Drunken Daddy – Es wird danach auf der neuen Lift-Bühne wieder etwas ruhiger, aber mit Eve Of Eden & The Drunken Daddy nicht ein Deut minder intensiv. Zwei erfahrene Straßenmusiker aus dem fränkischen Großraum Nürnberg mit Kostümen, Dekorationen und Liedern passen zur Hippie-Stimmung nähe Auenland-Camp. Die Lift-Bühne ist gut gewählt und von einem relaxten Technik-Team mit gurgelnder Wasserpfeife gut gemischt und beleuchtet. Das Publikum ist begeistert von dem handwerklich gut gemachten Programm im Dunstkreis Blues, Country und Folk. So wie dieses junge, charmante gemischte Duo Eve und ihr betrunkener Gitarren-Papa, der hat auch schon bei Satanic Hippies unterstützt, haben viele große Stars der 60er auch angefangen und sind in unfassbare Höhen aufgestiegen. Das zahlreiche Publikum vor der Bühne hat den Geist der frühen Hippie-Generation und dieses Festivals aufgenommen, die Stimmung ist friedlich, menschlich, herzlich, eben Woodstock Forever !!

Söhne spielen Apfeltraum – Drei auf einen Streich: Nach den großen Auftritten der Ost-Legenden Kirsche & Co und Eric Fish & Friends nun der in Leipzig geborene Bassist, Sänger, Komponist, Produzent Robert Gläser. Der hält mit seinen Kumpels vom Projekt Apfeltraum die Erinnerung an seinen Vater Peter Cäsar Gläser und seine großartigen Lieder am Leben. Umso mehr ist Veranstalter Michael Memm berechtigt sehr stolz und begrüßt deshalb wortreich diese erfahrene 5-köpfige Truppe hier auf der noch im Schatten liegenden Scheunen-Bühne. Erwartungsgemäß ein bärenstarker Auftritt des Quintetts und natürlich eine Zeitreise für viele Zuschauer hier vor der Bühne in Thüringen. Apfeltraum spielen viele Lieder von »Cäsars Söhne Spielen Cäsars Songs« (2022), es wird oft mitgesungen und die zeitlosen Lieder begeistern auch heute noch immer Jung und Alt. Alles ist wie immer von der Technik sehr gut betreut, auffallend ist der innovative Bühnenaufbau des Scheunen-Areal. Und machen wir uns nichts vor, so ein jährlich wiederkehrendes Festival, hier bereits seit 2003, lebt von dem immer wieder guten Zusammenspiel und Interaktion von Veranstalter, Künstler, Publikum, Helfer. Unsere 12 Punkte gehen wie immer nach Waffenrod in den Thüringer Wald.

Mumble Jumble Workout – Unser junger Woodstock-Reporter Marvin Brauer war letztes Jahr schon völlig begeistert und er meinte: „die herzlichste Band des Wochenendes.“ Jetzt verstehe ich es endlich. Warum einen Aerobic-Kurs besuchen, hier beim achtstimmigen Multi-Instrumental-Ensemble The Magic Mumble Jumble um die authentischen Vorturner Leah Uijterlinde und Paul Istance ist kollektives gemeinsames Fitmachen von Band & Publikum ein wichtiger Teil der gemeinsamen Zeit. Ich stehe auf dem erhöhten Wall, ein ständiges Zucken in allen Gliedmaßen, für mich ist es sehr ergreifend, diese große Masse an tanzenden und fröhlichen Menschen jeden Alters in herzlicher Verbundenheit zu beobachten.

Man spürt förmlich die pure positive Energie, die wunderbare Atmosphäre, den zeitlosen Geist von Woodstock Forever, hier und jetzt. Schön bei der Party, aber auch als Berichterstatter, wieder dabei gewesen zu sein. Ab hier übernimmt die jüngere Generation mit Marvin nun die nachfolgenden Berichte von 12 weiteren Künstlern.

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