Die Einleitung – Wir haben uns schon wochenlang auf zwei Blues-Musik-Reisen, einmal zum renommierten, internationalen Blues-Festival Schöppingen sowie zum ebenso multikulturellen 11-tägigen Blues-Gipfel auf der nördlichsten deutschen Ostseeinsel Rügen gefreut. Hier standen zuerst einmal vom 06. bis 09. Juni 2024 die sogenannten „Blue Notes“ wieder einmal fast nonstop beim Blue Wave Festival im Mittelpunkt. Erneut wurde hier musikalisches Strandgut von diesmal fünfzehn Nationen und überlappend aus den Bereichen Blues, Funk, Jazz, Soul und vor allem Rock gelandet, zum hautnahen Erleben auf verschiedenen Freiluft- und Club-Bühnen im mondänen Ostseebad Binz.
Das viertägige, tatsächlich schon 26. Festival zeigte wieder gewünscht Gewohntes, überraschend Unbekanntes, aber auch hoffnungsvolle Neuentdeckungen. So konnte man dieses Jahr The Wake Woods leibhaftig erleben, die 2023 im Vorprogramm von den legendären The Who auf der Berliner Waldbühne brillant und bärenstark die Zuhörerschaft angeheizt haben. Das starke deutsche Rock-Trio gehört wie die schwedischen Skybenders, die hier auch wieder, diesmal sogar 7-köpfig als Virginia & Skybenders with Delta Friends und als Festival-Höhepunkt magische Akzente setzten, zu den jungen wilden Neo-Blues-Rockern, die uns Hoffnung für den vielschichtigen Rock machen. Über diese neue junge Generation von Musikern, hier ebenso preisverdächtig Muddy What? und später noch in einem anderen Bericht das Dom Martin Trio bei der Bluesnacht Petershagen, möchten ich kurz berichten.
Donnerstag: Muddy What? – Wie gewohnt startete zum 26-mal am Donnerstag um 20:00 Uhr das vielfach prämierte Blue Wave Festival in Binz mit einem Club-Auftritt, diesjährig mit Ina & Fabian Spang alias Muddy What? in der schönen, imposanten Eingangshalle des historischen Land-Bahnhof Binz. Von hier aus dampft auch die überregional bekannte, historische Dampf-Lokomotive Rasender Roland nach Putbus und Göhren. Der für Binz-Karten-Besucher kostenlose Club-Auftritt ist natürlich seit Wochen ausgebucht, aber wir können dennoch dank Marikke von der Pressestelle und Micha Maass als Festival-Chef vom starken Auftritt des Geschwisterpaars berichten.
Die Markenzeichen des Trios, diesmal gut unterstützt von Manfred Mildenberger am Schlagzeug, moderner kraftvoller Blues mit einer signifikanten Gesangsstimme von Fabian und die gefühlvollen oder rasanten Soli seiner Schwester Ina an der führenden Gitarre und Mandoline. Herzblut und Leidenschaft sind zusammen die tragenden Elemente über deren zweiteiligen zweistündigen Auftritt mit Interpretationen von Klassikern und massig einigem Material. Volltreffer, eine würdige und passende Eröffnung mit erfrischend flippigen, hippiesken, aber auch satten, erdigen Blues-Rock, auch nachzuhören auf deren vier bisherigen Alben, im modernem Gewand vom inzwischen international anerkannten Rock-Nachwuchs aus deutschen Landen.
Freitag: Guca Meets Wacken – Traditionell ging es aber nach kurzer nächtlicher Verschnaufpause am frühen Freitagnachmittag erst so richtig in die Vollen. Die traditionelle Straßen-Parade bringt wie in New Orleans am Mississippi den Blues in die Fußgängerzone, Promenade, Seebrücke, Restauration und zu vielen Binzern sowie Besuchern der Stadt. Die Trompeten von Jericho sind diesmal die multieuropäischen Guca Horns, die kurz danach auf der Hauptbühne am historischen Kurpark noch einmal als Teil der Guca Meets Wacken ihr Rock-Programm den Zuschauern ins Gesicht geblasen haben.
Auf dem großen Platz vor dem historischen Kurhaus ist wieder einmal mittig die Pink-Piano-Bühne aufgebaut, diesmal ohne Dach, da ja der Rügener Wettergott drei Tage kein Regen angesagt hat. Flankiert natürlich mit dem pinken Piano und hinten im Pavillon massenhaft pinke Sitzgelegenheiten für die Künstler und VIP-Gäste. Auf der Bühne versammelt sich das Guca-Gebläse und eine vielköpfige Rocktruppe. Die Bühne ist fast zu klein für das gesamte Personal und der Frontschreier im bunten Hawaiihemd zappelt in dem Klanggewitter über die Bühne, gibt echt alles, animiert das Publikum nach Leibeskräften. Auf seine Frage: „Habt ihr auch so viel Spass wie ich“, ist die Resonanz leider etwas verhalten. Vielleicht weil man ängstlich einer ganzen Armada von wild spielenden Musikern gegenübersteht. Für viele Zuschauer keine leichte Kost nach dem folkloristischen Einstieg mit Balkanflair.
Freitag: The Wake Woods – Das junge, wilde Trio mit dreistimmigen Gesang aus Berlin, Ingo Siara (Bass), Helge Siara (Gitarre, Harmonika), Sebastian Kuhlmey (Schlagzeug), bestreiten den Tagesabschluss und haben leider als einzige Band des 4-Tage-Festival etwas Pech mit dem Wettergott. Wir waren leider beim Aufritt der The Wake Woods auf der Berliner Waldbühne nicht dabei, aber wenn die Drei auch so hart den Aufschlagball gespielt haben, war es sicher für die Legende The Who, schwer den Spielball ordentlich zu retournieren.
Geplant war, so die Aussage der drei Musiker, dass sie hier in Binz viel von ihrem aktuellen Werk „Treselectrica“ zum Besten geben wollten. Leider vereitelte das teilweise ein kurzer aber heftiger Regenschauer. Zuschauer, Kurgäste, Künstler, Techniker, Equipment verschwinden in Blitzgeschwindigkeit in ihren Deckungen und damit unterbricht diese Zwangspause einen brettharten, energiegeladenen Spielfluss. Auf dem digitalen Wetterradar wird sofort ein regenfreies Zeitfenster gefunden, danach stürmen alle wieder für 15 Minuten auf und an die regennasse Bühne und der Pegel geht sofort übergangslos in den Endanschlag. Mit dem brettharten Rocker „Take The Money And Run“, mit einem passenden Augenzwinkern Richtung Veranstalter, ist leider Schluss und die Technik muss aus Sicherheitsgründen passen.
Wir haben ein besonderes Freiluft-Konzert erlebt und fühlen uns dadurch alle verbunden. Der Veranstalter ist aber auf der Seite der Künstler, Moderator Ulf Drechsel verkündet das es beim 27. Blues Wave 2025 einen Nachschlag für The Wake Woods geben wird, hoffentlich dann ohne Wetter-Kapriolen oder mit geschlossenem Dach. Sehr gute Entscheidung, wie wir Festival-Leiter Micha Maass später bestätigten. An dieser Stelle auch schon mal ein großes Lob an Veranstalter, Festival-Leiter, Künstler, freiwillige Helfer, die hier wieder ein preisverdächtiges internationales Blues-Festival auf die Beine gestellt und am Laufen gehalten haben. Auch wenn man nicht, beispielweise wie in Schöppingen, sehr stark auf die englischsprachigen Künstler setzt, haben wir hier exzellente Blues-Leckerbissen aus ganz Europa im Programm, vor allem aber wird auch unsere deutsche Blues-Rock-Szene kollegial unterstützt.
Samstag: Virginia & Skybenders with Delta Friends – Wer zu Virginia & Skybenders 2021 noch nichts auf seinem Zettel stehen hatte wie wir, der hatte dann zwei Jahre später schon einige, zwar noch wenige, Notizen darauf. Nach zwei bärenstarken Auftritten 2023 in Binz und Göhren, ist diese Formation aus Südschweden zum diesjährigen Blue Wave Festival aber nun viel deutlich sichtbarer in der deutschen Blues-Szene angekommen. Immer wieder werden wir zur magischen Stunde am Abschluss des Samstags auf diese junge Formation angesprochen. Die charismatische Virginia Pihlblad (Front-Stimme) und Maisan Gustafsson mit futuristischer elektrischen Violine (Saxofon, Violine, Gesang) haben diesmal die fünf Wikinger Joakim Wahlander (Front-Gitarren), Peter Höglander (Bass, Gitarre), Svenne „Ozzy“ Jansson (Orgel, Keyboards), Tobias Johansson (Schlagzeug) und Branko Bergstrand (Mundharmonika) als Blues-Septett Virginia & Skybenders with Delta Friends mit nach Binz auf den Platz vor dem Kurhaus mitgebracht. Und wir sagen es gleich vorab, wer sich diesen Auftritt hat entgehen lassen ist zu bedauern !!
Die Band war bärenstark, fantastisch, pure Magie auch während des Kampfs mit dem Wetter über Rügen. Wir bewundern die Musiker in Sommerkleidung, denn es ist kühl geworden zum 2-stündigen Hauptprogramm. Aber die Akteure auf der Bühne sind unter Adrenalin und ständig in Bewegung, agieren gekonnt als Team, in Kleingruppen, massenhaft brillante Soli aller Musiker, überschäumend Ozzy Svenne mit einer ekstatischen entfesselten Orgel-Orgie beim Soul-Klassiker „Green Onions“, heizen gemeinsam die Stimmung immer weiter an. Leider hat Svenne seine uralte und malträtierte Emerson-Hammond-Orgel diesmal nicht mitbringen können, aber zumindest das Leslie-Kabinett. Zum Ende des Auftritts sogar noch unter einem heranziehenden Schauer, alle Akteure im Rausch und Joakim mit am Boden liegender Gitarre mit Zähnen spielend bei der Zugabe. Kaum einer auf dem Festivalgelände ist vor dem stürmischen Wetter geflüchtet, fast alle wollen sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Leidenschaft pur auf beiden Seiten und besonders bei der 3-fachen Mutter Virginia, die leicht bekleidet, uns mittendrin im überraschend starken Andrang beim Verkauf des bisher einzigen Album „Live At Malmoe – Copenhagen Blues Connexion“ herzlich verabschiedet.
Sehr kurzweilig war diese Hauptspeise, besonders wegen des Ablaufs; mal rockig, dann balladesk, zu zwei akustischen Gitarren und Harmonika singt Maisan, dann röhrt bei einem Rocker wieder die markante Orgel von Svenne über den Platz. Aber immer ist Virginia Herrin im Ring, mit ihrer sanften, charmanten, gestenreichen und dennoch druckvollen vokalen Darbietung sowie außergewöhnlicher körperlicher Präsenz dirigierte sie alle Akteure nonverbal und stachelte ständig zu Höchstleistungen an. Sie bezaubert mit ihrem Gesang, kurzen Geschichten und Präsenz; hinter, vor, neben und auf der Bühne; das Publikum tobt, immer wieder brandete stürmischer Szenenapplaus auf. Genau wie am Vortag das junge Berliner Trio The Wake Woods die Geister des Rock’n’Roll beschworen haben, knüpfen die ebenfalls etwa gleichaltrigen „jungen Schweden“ Skybenders mit einem Feuerwerk an Spielfreude und Emotionen an. Das ist die Musik die unsere jungen Generationen hören wollen und an die Bühnen zurückbringen wird, aber ebenso die älteren Musikfans dort hält, gemeinsam im Bann der Magie dieser furiosen Künstler gefangen. Weitermachen Virginia & Skybenders aus Sverige, bringt euer Publikum egal wo und auch mit den Delta Friends zum Überschäumen, auch wir arbeiten weiter an Möglichkeiten, versprochen.
Das Blue Wave Festival war wieder mal preisverdächtig. Diese Art von kraftstrotzenden Programm schreit nach Wiederholung, wir sind dann wieder dabei. Man kann nur hoffen, das Micha Maass, ein echter Unterstützer der jungen Wilden, gesund bleibt und weiter motoviert ist, für uns alle, weitere Blue Wave Festivals zu organisieren. Wir denken, ein passendes Schlusswort für eine preisverdächtige zeitgemäße Veranstaltung.