Review: Jon Anderson & The Band Geeks – True

Als irgendwann im Frühjahr 2024 die Nachricht durchsickerte, dass JON ANDERSON mit der BAND GEEKS ein neues Album veröffentlichen würden, war die erste Reaktion zurückhaltend. Ja, diese Vereinigung großartiger Musiker war 2023 in den USA auf gefeierter Konzerttour und spielte in wunderbarer Art und Weise alle klassischen Stücke von YES in Perfektion sehr nahe an den Originalen. Also ein neues live Album… Nein! Es waren komplett neue Studio-Songs angekündigt. Und ab da wurde es richtig spannend. Denn nach den eher schüchternen Alben der Band mit dem Namen YES aus den letzten 20 Jahren einerseits und der herausragenden Präsentation von YES Musik durch JON ANDERSON & THE BAND GEEKS andererseits (zu Hauf nachzuverfolgen auf vielen youtube Clips) durfte man hier ein richtig tolles Album erwarten. Und das ist es auch geworden – so viel vorab.

Tracklist:

01. True Messenger (5:49)
02. Shine On (4:17)
03. Counties And Countries (9:50)
04. Build Me An Ocean (3:19)
05. Still A Friend (5:01)
06. Make It Right (6:06)
07. Realization Part Two (3:32)
08. Once Upon A Dream (16:31)
09. Thank God (3:48)

Es muss irgendwann 2022 gewesen sein, als ein Freund von JON ANDERSON ihm einen Clip einer Band zuspielte, der „Heart Of The Sunrise“ enthielt. Das hat ihn wohl so umgehauen, dass er sich die Telefonnummer des Chefs der BAND GEEKS, Richie Castellano, organisierte und diesen fragte, ob sie nicht Lust haben mit ihm auf Tour zu gehen. Betretenes Schweigen nach dieser Frage am Telefon. „Hallo, hier ist Jon Anderson. Bist du noch da?“. Nach der Tour verständigte man sich dann auf dieses gemeinsame neue Album, offenbar auch weil in dieser Zeit eine gute Bandchemie entstanden ist.

JON ANDERSON hatte über die Jahre in Interviews immer wieder betont, dass er zum Wiedereinstieg bei YES nach der Trennung 2008 aufgrund eine schweren Erkrankung bereit sei. Er habe auch ausreichend Material für ein neues Album zur Verfügung. Allerdings spätestens nach dem letzten Album der Band mit dem Namen YES im Jahr 2023 ohne ihn und der Aussage von Steve Howe „Dieses Thema steht für uns aktuell nicht auf der Agenda“ (Interview im eclipsed Magazin, Heft 4-2024) dürfte sich dieses Thema aufgrund des Alters der Protagonisten komplett erledigt haben. JON ANDERSON sieht in dieser neuen Konstellation nun die Chance, ein eigenes Album „voller Yesismus“ (ein Wort seiner Schöpfung) selber zu machen.

Richie Castellano auf der anderen Seite ist ein umtriebiger Produzent. Neben vielen kleineren Sachen hat er u.a. das Album von Blue Oyster Cult aus dem Jahr 2020 produziert. Nach der Entscheidung für das Album „True“ begann ein Hin- und Her-Senden von Clips zwischen ihm und JON ANDERSON. Verglichen mit dem Entstehen des ANDERSON/STOLT-Album aus dem Jahr 2017 war die Zusammenarbeit ähnlich: der Austausch der Ideen fand im Wesentlichen via Internet statt. Richie Costellano (analog damals Roine Stolt) leitete dann die Produktion und das Einspiel des Albums mit der BAND GEEKS, während dessen JON ANDERSON eine gewisse Kontrollfunktion hatte. Die Verantwortung dafür, dass „True“ jetzt doch sehr stark nach YES klingt, schiebt JON ANDERSON Richie Castellano zu. Naja…

Hört man das Album fällt es einem alten YES Fan schwer sich vorzustellen, dass Chris Squire, Rick Wakeman, Alan White und Steve Howe NICHT an den Instrumenten stehen. So nahe ist der Sound an die alten Prog Dinosauriere angelehnt. Über die immer noch emotionale Wucht der Stimme von JON ANDERSON ist auch auf diesen Seiten schon ausreichend geschrieben worden. Spätestens wenn im ersten Stück „True Messenger“ nach initialer Akustikgitarre mit Gesang nach 40 Sekunden Schlagzeug und Bass um die Ecke schauen, packt einen die Musik. Satzgesang, Bass, Gitarre und Keyboards die das Ganze begleiten, hier und da mit instrumentalen Soloausflügen – alles kommt dem alten Prog Fan in der neuen Musik sehr bekannt vor.

Der zweite Song „Shine On“, als erster Song ausgekoppelt und auf ein initiales Motiv von Richie Castellano aufgebaut, ist ein herausragend fokussiertes Stück Musik mit Ohrwurmcharakter. Satzgesänge aus der 80er Jahre Trevor-Rabin Ära von YES treffen auf den Band-Sound der 70er. Der folgende Zehnminüter „Counties and Countries“ ist Ergebnis der ersten Songidee, die JON ANDERSON an Richie Castellano für das Album geschickt hatte. Als zweite Stimme meint man Chris Squire zu hören, und man hat ein Gefühl, dass sogar Motive aus YES Klassikern als Variation eingebaut sind, insbesondere zum Ende hin. Dieses Gefühl wird sich an anderen Stellen des Albums wiederholen, was bis zum Zitat der Textzeile „Heart Of The Sunrise“ geht. Das soll aber jeder Hörer für sich entdecken. Das balladesk zurückhaltende „Build Me An Ocean“ glänzt insbesondere durch den zarten, brüchigen, rauchigen und hier besonders berührenden Gesang des Meisters.

„Make It Right“ beginnt mit einer herrlichen Akustik-Gitarre á la Steve Howe, endet hymnisch orchestral mit choralen Klängen und geht danach nahtlos in „Realization part two“ über, was mit einem kurzen a capella Gesang der Band endet. Wo part one steckt, entzieht sich heute der Kenntnis des Rezensenten. Damit sind wir am Opus Maximus des Albums „Once Upon A Dream“ angekommen. Das initiale Gesangsmotiv auf einem Ton hatte JON ANDERSON angeblich 10 Jahre in seinem Schreibtisch herum liegen – gemeinsam mit Richie Castellano hat er nun diesen großartigen Sechzehnminüter draus gemacht. Etwa in der Mitte bricht das ganze Song-Gebäude zusammen und mündet in einen zart begleiteten Gesang. Nachdem dieses Ein-Ton-Hauptmotiv hier plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich gesungen klingt, geht es krachend wieder in einen Schluß-Teil voller „Yesismus“ über. Mit „Thank God“ endet das Album balladesk und sinfonisch. Wir haben hier ein neues Liebeslied an seine Frau Jane. Sie hat eine enorme Bedeutung in seinem Leben, setzt eine offenbar immerwährende Kreativität frei, hält ihm den Rücken frei und begleitet ihn beispielsweise auf JEDES Konzert das er gibt.

Der kritische deutsche Rezensent findet aber auch auch ein paar Haare in der Suppe. Die Stücke sind strukturell etwas zerfasert (mit Ausnahme von „Shine On“). Soll heißen, dass eine bessere Fokussierung auf die verwendeten Motive in den einzelnen Stücken das Album zu einem richtigen Meisterwerk gemacht hätte. Das ausgewählte Albumcover ist sogar richtig schwach. Da fällt einem so viel ein was hätte abgebildet werden können, anstelle eines sonnenbebrillten JON ANDERSON mit der Hand an einem Mikrofon, an welches man laut Aussage der Produzentengilde während des Gesangs nie Hand anlegen würde. Das alles ist aber Jammern auf extrem hohen Niveau und trübt die Freude über ein großartiges Album nicht.

„True“ ist das YES Album geworden, auf welches die Fans der Band mit diesem Namen seit über 20 Jahren vergeblich gewartet haben. So weit würden wir uns an dieser Stelle aus dem Fenster lehnen. Ok, „Shine On“ ist natürlich kein „Owner Of A Lonely Heart“, und „Once Upon A Dream“ ist kein „Close To The Edge“ oder „Gates Of Delirium“. Bei vielen Freunden progressiver Rockmusik im Jahr 2024 sollte das Album trotzdem einschlagen wie eine Bombe, einfach weil es so überraschend kam und so gut geworden ist. JON ANDERSON meinte in einem der nicht wenigen im Internet verfügbaren Video-Interviews: „Wenn die Fans die Musik dieses Albums so lieben wie wir es tun, dann soll es 2025 eine Welttournee geben“. Also hier ein Appell an alle Prog Fans: KAUFT DIESES ALBUM!!! Dann werden wir alle vielleicht noch einmal die Chance bekommen, JON ANDERSON (diesmal begleitet von der großartigen BAND GEEKS) in Europa erleben zu dürfen.

Wertung: 9/10 Punkte

pic: (C) steve schenk

Jon Anderson & The Band Geeks

Jon Anderson / Vocals
Richie Castellano / Bass, Guitar, Vocals
Rob Kipp / Guitar, Keyboards
Christopher Clark / Keyboards
Andy Graziano / Guitar, Vocals
Andy Ascolese / Drums, Keyboards, Vocals

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