Interview mit Stephan Lill von Vanden Plas – Immer noch Prog Metal der Extraklasse

Nachdem Vanden Plas Sänger Andy Kuntz beim Stone Prog Podcast zu Gast war, sprach Renald mit Gitarrist Stephan Lill über das neue Album „The Empyrean Equation Of The Long Lost Things“, über den neuen Mann an den Keyboards aber auch über die Vergangenheit.

Euch gibt es schon seit über 35 Jahren. Wie fing es für dich an?

Ich bin ja tatsächlich kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag in die Band eingestiegen. Der damalige Gitarrist war nicht in der Lage, ein Konzert zu spielen. Und die Band hat damals schon bei uns zuhause im Hobbyraum geprobt, mein Bruder war ja der Schlagzeuger. Seit ich etwa zwölf war, war ich bei den Proben dabei und kannte alle Lieder. Ich habe damals schon angefangen Gitarre zu spielen, und da haben sie mich gefragt, ob ich mitspielen wollte.  Da war also schon Zufall mit dabei. Ich war aber noch nicht gut genug für die Soli, also haben wir extra dafür einen anderen sehr guten Gitarristen aus Kaiserslautern  geholt und ich habe die Rhythmusgitarre gespielt. Wie gesagt, ich war noch keine sechzehn und musste meine Eltern um Erlaubnis fragen, ich musste ja vor zwölf zurück sein. Damals war noch niemandem bewusst, wo die Reise hingeht. Aber mir war damals schon klar, dass Musik mein Ding war, aber ohne Gedanken an eine professionelle Karriere.

Stephan Lill | pic: (C) promo Vanden Plas

Allerdings nahm eure Karriere dann doch recht schnell Fahrt auf!

Aber als ich dann so achtzehn, neunzehn war, hatten wir dann sogar schon Auftritte im Dritten Programm und auch zu den Konzerten kamen recht viele Leute. Ich machte mein Abi und wollte am liebsten Gitarre studieren, aber dass man speziell E-Gitarre studieren kann wie heute, das gab es damals noch gar nicht. Ich hätte dazu in die USA gehen müssen, aber das traute ich mich nicht. Anfang der Neunziger hatten wir dann auch durch viele Zufälle die Möglichkeit, Jesus Christ Superstar am Saarländischen Staatstheater zu spielen, eine richtig große Produktion mit dreißig Leuten und Orchester.  Wir mussten – und sind es auch – dafür deutlich besser werden. Und damals wurde uns zum ersten Mal bewusst, dass es eine Profikarriere werden könnte – auf der einen Seite die Band und auf der anderen diese Theaterschiene. Ich habe dann studiert und am Ende des Studiums eine Musikschule übernommen. Es kam also immer ein Mosaikstein dazu. Diese Hollywood-Träume waren nie unser Ding. Du schnallst dir deine Gitarre auf den Rücken, gehst nach Berlin und kommst da groß raus. Wir haben das immer realistisch betrachtet, irgendwie muss man ja Geld verdienen.

Du hast studiert, aber nicht Musik!

Ich bin Diplom-Geograph, speziell Biogeographie.

Aber auf dem Gebiet hast du nie gearbeitet?

Nein, ich habe zwar abgeschlossen und auch sehr gut. Ich hatte zu meinem Dozenten ein etwas engeres Verhältnis, der wusste zwar, dass ich Musik mache, war aber doch überrascht, als ich sagte, dass das nach dem Studium meine eigentliche Tätigkeit wird. Ich habe sehr fokussiert studiert und nicht wie viele andere links und rechts geschaut, das ging ja aus Zeitmangel gar nicht. Ich habe aufgepasst, dass ich meine Scheine kriege, aber ich fühlte mich als ein besserer Musiker als Geograph. Einer meiner  Freunde trifft sich heute noch mit meinem Dozenten, und er fragt immer nach mir und freut sich für mich.

Und es gibt sogar auf dem Cover des neuen Albums einen Hinweis auf dein Studium!

Die Idee zum Cover hatte Andy. Zunächst verwendete er als Motiv  einen brennenden Schmetterling. Ich sagte, die Idee gefällt mir, aber einen brennenden Schmetterling gab es vielleicht schon. Aber meine Diplomarbeit habe ich über Libellen geschrieben. Und so haben wir eine Libelle verwendet.

Was euch von vielen anderen Bands unterscheidet, ist das konstante Line Up. Wobei man jetzt sagen muss, war das konstante Line Up.

Günter Werno hat vor circa zwei Jahren angekündigt, dass er aufhören wird, und er war beim aktuellen Album nicht mehr dabei. Wir haben quasi hinter verschlossener Tür überlegt, was machen wir, wir brauchten ja schließlich einen Top-Mann. Wir hatten vorher schon Kontakt mit Alessandro del Vecchio, haben gemeinsam mit ihm Songs für andere Künstler geschrieben und es hat gut funktioniert – Super Typ, super Mensch, super Sänger und super Keyboarder. Er ist ja eher bekannt für melodische Sachen und hat  viel für Frontiers produziert und komponiert. Aber Andy meinte, ne, der hat einen Background im Prog, das weiß nur kaum jemand und warum soll er es jedem erzählen. Wir hätten natürlich auch nach einem jüngeren, talentierten  Musiker suchen können, aber wie viele gibt es davon und wie viele sind dann auch so professionell, dass sie da sind, wenn man sie braucht. Das Leben eines Musikers hat sich ja stark verändert, zwar mag das Studieren einfacher sein, aber auf der anderen Seite haben wir diesen Einbruch, was die Verkäufe von CDs angeht, und man kommt schwerer an Gigs. Alessandro blieb der einzige, den wir gefragt haben. Er hat uns dann erzählt, dass er uns etwa 1996 als Teenie in Mailand auf einem Konzert gesehen hat, als wir Support für Angra waren, und er seit unserer ersten Platte ein Fan von uns sei. Er fühle sich sehr geehrt, dass wir ihn fragten. Er brauchte ein paar Tage Bedenkzeit, aber dann hatte er alles geregelt und sagte zu. Er ist froh, und wir etwas froher.

Allesandro del Veccio | pic: (C) promo Vanden Plas

Wie hat Günter seinen Ausstieg begründet?

Günter war ja etwa dreißig Jahre in der Band und ich denke,  er hat vielleicht den Enthusiasmus, die Leidenschaft verloren. Dreißig Jahre sind ja auch eine ewig lange Zeit. Er kam einfach zu uns und sagte, er möchte aus der Band aussteigen. Er hat mittlerweile ja ein Faible für Rock mit Klassik entwickelt und hat sein „Anima One“ gemacht.  Solche Dinge muss man hinnehmen. Wir haben ja danach auch noch für Theatersachen zusammen gearbeitet. Aber bei Vanden Plas ist er komplett raus. Er ist ein toller Musiker und hat natürlich auch den Sound von Vanden Plas mitgeprägt. Wir brauchten also jemand, der das reproduzieren kann, aber auch seinen eigenen Touch einbringt.

Aber die Songs auf der neuen Scheibe stammen von dir?

Dreiviertel der Musik von Vanden Plas habe praktisch immer ich geschrieben, das soll jetzt nicht überheblich klingen. Günter hat auch komponiert, aber weniger. Aber das hat auch das Besondere an Vanden Plas ausgemacht. Aber bei den beiden „The Ghost Experiment“ – Alben hat er nur noch sehr wenig geschrieben. Es war also klar, dass ich die aktuelle Scheibe von der Musik her alleine schreiben würde. Die Platte war ja fertig, bevor Alessandro eingestiegen ist. Aber  ich bin froh, wenn Alessandro sich beim nächsten Album auf seine Liebe zum Prog  besinnt und sich im Songwriting einbringt. Dass ich alle zukünftigen Vanden Plas Scheiben alleine schreibe, wäre vielleicht doch etwas zu viel. Ich schreibe Lieder im Voraus. Wenn eine Platte fertig ist, habe ich schon die Lieder für die nächste im Kopf. Ich weiß, dass viele Künstler anders arbeiten. Die sagen, ich schließe ein Album ab und lasse mich dann inspirieren. Wenn ich Ideen habe, dann nehme ich die auf – egal welche Stilrichtung. Daraus werden dann Lieder für Vanden Plas oder unsere Musical-Produktionen. Aber auch für andere Bands oder – wie vor zwei Jahren – für unser Nebenprojekt „All My Shadows“.  Das war jetzt mehr AOR oder Melodic Rock, aber wir fanden die Lieder zu gut für die Schublade. Wir hätten es nicht gemacht, wenn es nur so ein halbgarer Achtziger-Abklatsch geworden wäre. Es hat uns aber auch als Vanden Plas weiter gebracht, einfach durch diese Melodik. Die Alben davor waren vielleicht etwas verkopft, und von diesen Melodien ist auch einiges auf die neue Scheibe übergeschwappt. Es ist zwar immer noch viel Prog, gerade die Instrumentalpassagen, aber besonders  der Gesang und die Refrains, für die ja Andy zuständig ist, sind schon sehr eingängig.

War es eine besondere Herausforderung, das Album quasi im Alleingang zu schreiben?

Ich habe jetzt keine schlaflosen Nächte, aber wenn du weißt, du musst jetzt etwa eine Stunde Prog schreiben, dann ist das nicht ohne. Man dreht schon jeden Song drei Mal um, ob er auch wirklich gut genug ist für die Platte.  Ich mache das Demo fertig und es klingt zu achtzig, neunzig Prozent wie die fertige Platte. Da ist natürlich viel programmiert und ich kann nicht so programmieren wie Alessandro Keyboard spielt und mein Bruder die Drums. Aber das kennt jeder Songwriter.  Wenn ich der Meinung bin, das Lied ist gut genug, lade ich Andy ein oder ich schicke ihm das Material. Wenn er nicht dazu singen kann, dann bringt es nichts, da kann es so gut sein, wie es will.

Wie genau funktioniert  die Zusammenarbeit mit Andy?

Da sind Andy und ich ein eingespieltes Team, wir machen das schon so lange. Früher habe ich gar keine Gesangslinien geschrieben, aber auch durch die Musicalproduktionen habe ich das mehr und mehr gemacht. Wenn ich jetzt eine Idee für eine Gesangslinie habe, dann stelle ich sie Andy vor. Natürlich will im Normalfall ein Sänger die Gesangslinie selbst schreiben. Aber wenn ich jetzt die Idee zu einer Gesangslinie habe und bin mir hundertprozentig sicher, sie passt, dann präsentiere ich sie Andy  – auch wenn ich kein guter Sänger bin. Und mittlerweile sagt auch Andy in der Regel, ja, das passt, das machen wir so. Ich habe aber auch Ideen für den Gesang, die ich ganz gut finde, aber zunächst für mich behalte. Wenn die nicht so gut ist und ich habe sie Andy vorgespielt, dann hat er das in seinem Kopf. So lass ich ihn seinen Vorschlag singen, und wenn ich seine Idee besser finde, als meine, dann bekommt er meine gar nicht zu hören. Manchmal kombinieren wir auch Teile. Was aber auch schon passiert ist, ich spiele dann seine und meine Idee parallel, und sie überschneiden sich zu achtzig Prozent. Und dann schauen wir uns an und sagen, das gibt’s doch gar nicht!

Wie stehst du zum im Prog so beliebten Thema Longtracks?

Bei manchen Liedern hat man das Gefühl, es muss nicht zwingend länger sein, als es ist. Es ist auch kein Fehler,  einen eher kommerziellen Track auf dem Album zu haben. Und man sollte sich auch als Progrocker davor schützen, hier noch ein Teil, da noch ein Teil, und noch länger und noch länger. Es gibt halt diese Lieder, da merkt man einfach, jetzt ist es fertig.  „My Icarian Flight“ ist ja um die sechs Minuten lang. Natürlich könnte man noch etwas hinzufügen, man könnte genauso sagen, wir nehmen den Mittelteil raus und beschränken uns auf das Gitarrensolo, dann sind es nur viereinhalb Minuten.  Aber wir nehmen uns das Recht, nichts zu kürzen, sind aber als Progger auch nicht dazu verdammt, jeden Song auf zehn Minuten zu trimmen. Der Song hat uns so gefallen, wie er war. Beim letzten Song war es dann anders. Der war ohnehin schon zwölf Minuten lang, da haben wir gesagt, hier gibt es ohnehin keine Limits mehr, wenn wir noch eine Idee haben, dann werden es eben fünfzehn Minuten. Es darf nur nicht langweilig werden, es darf keine Art Selbstverwirklichung werden, bei der man Songs künstlich auf irgendetwas trimmt.

Was hat es mit dem Albumtitel „The Empyrean Equation Of The Long Lost Things“ auf sich?

Da musste ich Andy auch zweimal fragen. Aber er hat es mir dann erklärt. Es geht um diese kleinen Dinge im Leben, die man im Laufe der Zeit vergisst oder nicht mehr beachtet und sich stattdessen auf die vermeintlich großen konzentriert. Und irgendwann merkt man, wie wichtig doch diese kleinen Sachen waren. Das Thema hat Andy schon länger beschäftigt. Man soll die großen Sachen nicht schlecht machen, man soll die kleinen nur nicht vergessen. Wir bekommen immer noch Nachrichten, nach dem Motto, warum ist Vanden Plas nicht bekannter? Wir haben am Anfang unserer Karriere in Berlin vor sieben Leuten gespielt und haben alles gegeben, genau wie auf der Tour mit Dream Theater. Wenn junge Bands zu uns kommen und sagen wir haben das und das gemacht. Unsere Antwort ist immer: Egal was ihr sagt, wir haben alles gemacht. Wir haben in Schlafsäcken auf der Bühne gepennt, und wenn wir keine Decken hatten, haben wir uns mit Merch zugedeckt. Ich habe ein Konzert in Passau gespielt und musste am nächsten Morgen in der Uni in Saarbrücken sein. Natürlich hätte es besser laufen können, aber wenn wir mit dem nicht zufrieden sind, was wir erreicht haben, wären wir auch fehl am Platz – schließlich leben wir von der Musik. Natürlich habe ich auch meine Musikschulen, ohne das geht es nicht, aber ich konnte meine Berufung zum Beruf machen. Und wir machen nach 35 Jahren immer noch CDs, geben immer noch Interviews und es gibt Leute, die sich für uns interessieren. Wenn ich mich da hinsetzten würde und jammern, man müsste sich an den Kopf fassen. Wir haben noch nicht in Wembley vor 50000 Leuten gespielt, aber ist das ein  Grund, unzufrieden zu sein? Da sage ich ganz klar nein.

Und da hast du Recht!

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