Eine leuchtende Insel der Glückseligkeit in dunklen Winterzeiten – dies stellt das Midwinter Prog Festival im Niederländischen Utrecht für Fans der Szene dar. Vieles ist trist und eben dunkel in diesen Tagen – ein Festival im Januar sorgt hier für eine Aufhellung des Gemütes. Auch in diesem Jahr sind fünf besondere Konzerte auserlesener klassischer und jüngerer Bands angekündigt. Dazu Freunde treffen, Spaß haben – dieses Gesamtpaket motiviert uns, die doch recht lange Reise erneut anzutreten. Aufgrund unserer ersten Erfahrungen im Stadtzentrum von Utrecht 2024 können wir diesmal auch logistisch einiges optimieren. So gelingt es uns diesmal zum Beispiel, mehrere Spaziergänge durch die wunderschöne Altstadt von Utrecht vorzunehmen, an denen wir uns trotz des etwas durchwachsenen Wetters erfreuen können.
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LESOIR
Zu unserer Überraschung betritt pünktlich um 13.45 Uhr Olivia Elektra als Moderatorin die Bühne. Überraschend deshalb, weil diese deutschstämmige Dame den Stammgästen des deutschen „Night Of The Prog“ Festivals wohl bekannt ist. Denn bis hin zur letzten Edition 2024 hatte sie viele Jahre durch das Programm des größten Europäischen Prog-Festivals geführt. Zum Staunen bleibt aber nicht viel Zeit, denn schon beginnen die einheimischen LESOIR ihr Set. Zwar kreuzten sich unsere Wege in letzter Zeit schon so manches Mal mit dieser spannenden Band – heute soll es aber ein ganz spezielles Konzert werden.
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Im ersten Teil steht ihr neues Album „Push Back The Horizon“ im Mittelpunkt. Die zwei Instrumentals „Aeon“ und „Dystopia“ machen das LESOIR-Konzerterlebnis gleich mal spannender und zupackender als vorher erlebt. Besonders ist jedoch insbesondere der zweite Konzertteil: Das 20-minütige „Babel“ wird hier komplett in großer Besetzung aufgeführt, was in der Bandhistorie verdammt selten passiert. Hierfür kommen Freunde der Band zur Unterstützung auf die Bühne: eine zusätzliche Sängerin, ein Perkussionist, ein Streichquartett namens „The Magic Strings“ sowie Prominenz am Bass: Kristoffer Gildenlöw.
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Die Sängerin Maartje Meesen erzählte uns mal, dass LESOIR „Babel“, komplett, nur in dieser großen Besetzung live aufgeführt wird, ansonsten nur in Auszügen. Die klasse Aufführung wird nach dem instrumentalen Power-Mittelteil mit Szenenapplaus bedacht. Gleich die erste Band überzeugt und beeindruckt den Festivalbesucher. Zufrieden gehen wir in die erste Umbaupause.
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Setlist Lesoir
Aeon | You Are The World | The Drawer | Dystopia | Under The Stars | Push Back The Horizon | Babel
AVKRVST
Die norwegíschen AVKRVST sind für uns die Wundertüte des Festivals. Wir kennen nur den Namen und Lobpreisungen befreundeter Fans, bevor die erste Note im Saal ertönt. Und dieses Klangpaket haut uns schon etwas um. Initial sind anderthalb Songs gleich mal rein instrumental. Wir hören gespannt einen mitreißenden Vortrag der Musik von ihrem 2023er Debütalbum „The Approbation“, welche trotz seiner düsteren Stimmung eine enorme Strahlkraft hat. Wir sehen zwei Gitarren auf der Bühne – geführt wird das Audio-Paket aber von Oystein Aadland´s Bassgitarre, von der man jede Note hört und die voll in die Magengrube haut.
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Großartig! Die jungen Kerle spielen ihre energetische Musik in einer zurückhaltend-statischen Show, was der Wirkung der Klänge aber keinen Abbruch tut. Zum Schluss des Konzertes genießt der Gitarrist, Sänger und Kreativkopf Simon Bergseth aber doch ein Bad in der Menge. Später in einer Pause steht da plötzlich eine kleine eher schüchterne Gruppe junger Männer neben uns – ey, das sind doch… AVKRVST erzählen uns hier, dass bereits im Juni 2025 das zweite Album erscheinen wird. Alle mitgebrachten Artikel am Merch-Stand sind in dem Moment bereits ausverkauft. Offenbar haben die jungen Norweger nicht mit so viel Zuspruch gerechnet. Für uns heißt das, sich zu Hause in die einschlägigen Verkaufsportale zu begeben, um sich dann auf dem anderen Weg Zugang zum Tonträger zu verschaffen. Hinweis in eigener Sache: Hier auf den STONE PROG Seiten finden Neugierige ein Interview mit AVKRVST aus dem Jahr 2023 mit tieferen Einblicken in die Gedankenwelt der jungen Norweger und das Entstehen des ersten Albums.
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Setlist AVKRVST
The Pale Moon | Isolation | The Geat White River | Arcane Clouds | Anodyne | The Approbation
RENDEZVOUS POINT
Auch wenn hier anscheinend fünf langjährige Freunde miteinander musizieren – Star dieser ebenfalls aus Norwegen stammenden Band ist ganz klar Baard Kolstaad. Der angestammte Drummer von LEPROUS ist für uns einer der derzeit besten Drummer, die in der Prog Szene aktuell so herum laufen.
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Die Komplexität seines Spiels gepaart mit einer unglaublichen Power sucht in diesem Paket seinesgleichen. Auch heute entledigt er sich nach der Hälfte des Konzertes seines Oberteils und wird dann später noch von seinem Sänger aus der Wasserflasche bespritzt, weil wohl die Hitze der Musik ansonsten zu viel wird. Und sonst? Spielt RENDEZVOUS POINT heute offenbar endlich den ersten Gig seit Mitte 2022! Man spürt, dass hier eine Menge Energie raus muss, die sich seitdem aufgestaut hat. Die Parallelen zu TEMIC, die wir beim Hören der aktuellen CD „Dream Chaser“ meinten ziehen zu können, bestätigen sich im Konzert nicht.
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Hier wird feinster Prog Metal präsentiert, der sich hinter größeren Namen überhaupt nicht zu verstecken braucht! RENDEZVOUS POINT hat schon eine ordentliche Bandhistorie: in dreizehn Jahren ihrer Existenz erblickten 3 Studio Alben das Licht der Welt. Der Sänger Geirmund Hansen berichtet im Konzert vom ewig nicht fertig gewordenen Song „Presence“ oder von „Still Water“, welches die Band im Studio mit einem vollen Orchester einspielen konnte. Später steigt er zum Bad in der Menge auch nochmal ins Publikum hinein. Interessant auch Gunn-Hilde Erstad am Bass zu beobachten, die völlig unspektakulär und songdienlich ihre Arbeit verrichtet.
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Genügend Eindrücke, die Band mehr als bisher im Hinterkopf zu behalten, wenn der Markt des Progressive Rock / Progressive Metal künftig beobachtet wird. Allen neugierig gewordenen Fans sei die Tour empfohlen, die die Band in der zweiten März Hälfte 2025 gemeinsam mit TEMIC in unter anderem drei deutsche Städte führen wird.
Setlist Rendezvous Point
Digital Waste | Utopia | Pressure | Para | Oslo Syndrome | The Tormented | Universal Chaos | Presence
Still Water | Dont Look Up | Apollo | Mirrors
THE FLOWER KINGS
Den langjährigen Freund der Band überrascht und erfreut, dass das im vergangenen Jahr veröffentlichte Live-Album von ihrer letzten großen Tour 2023 einen derartig großen Erfolg zu finden scheint. Ankündigungen aus dem Haus der Blumenkönige, dass heute in Utrecht auf dieser Basis ein spezielles „Stardust We Are“ Set gespielt würde, machen neugierig. Und tatsächlich: mit „Compassion“ startet die Show ungewöhnlich und getragen.
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Die sinfonische Kraft des Schlusses wird dann in die restlichen vier komplett überlangen Stücke getragen. Man schwebt und schwelgt durch absolute Klassiker der stärksten Zeit der Band, den 90er Jahren und freut sich, dass es diese klassische Band des Progressive Rock nicht nur weiter gibt, sondern dass sie aktuell genau so aktiv ist, wie sie es zu ihren besten Zeiten war. Der Chronist bemerkt, dass nur drei der heute gespielten fünf Stücke tatsächlich von ihrem vielleicht besten Album „Stardust We Are“ stammen, aber wen scherts? Das baden in der alten tollen Musik macht richtig Spaß. Auch wenn fairerweise angemerkt werden muss, dass nicht wenige Festivalbesucher heute meinen, eine gewisse Routine der Jungs beim musikalischen Vortrag zu spüren.
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Die Band ist eingespielt, harmoniert und passt zusammen, so wie sie heute ist. Das war nicht immer so. Einen Minuspunkt bekommt allerdings der Konzertbeleuchter. Das Licht ist im Wesentlichen sehr statisch. Roine Stolt und seine Mannen bleiben zumeist im Dunkel, dafür sind störende, blendende Spots minutenlang direkt ins Publikum gerichtet. Auch wenn die FLOWER KINGS keinen eigenen Licht-Ingenieur dabei haben – das geht definitiv besser. Alle anderen Konzerte heute beweisen das. Seit dem Neubeginn der Band im Jahr 2018 ist das Stück „Stardust We Are“, inzwischen durch ein wunderschönes Solo von Lalle Larsson vor dem dritten Teil auf fast 30 Minuten Länge ausgedehnt, permanent in der Setlist ihrer Konzerte.
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Durch diesen langen Block bleiben erhoffte Überraschungen durch z.B. länger nicht gespielte Songs leider aus. Am 2. Mai 2025 erscheint das inzwischen 17. Studio-Album der inzwischen 30jährigen Band, das die Jungs als besonders in der Bandhistorie empfinden und ankündigen. Wir dürfen gespannt sein!
Setlist The Flower Kings
Compassion | Church Of Your Heart | Garden Of Dreams („Flower Power Medley“) | Big Puzzle | Stardust We Are
RIVERSIDE
Während der Autogrammstunde am Nachmittag geben sich die Jungs von RIVERSIDE empathisch, freundlich und geduldig zu ihren Fans – trotz der schier nicht abreißen wollenden Schlange an Leuten, die Autogramme, gemeinsame Fotos oder einen kurzen Schwatz mit ihren Helden möchten. Und doch hat das heutige RIVERSIDE Konzert einen Wermutstropfen: es wird das einzige Konzert 2025 in Europa sein.
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Und dafür haben sich die Mannen um Mariusz Duda eine ganz besondere Setlist zurecht gelegt, die gleich mit dem 15 Minuten Knaller „Second Life Syndrome“ beginnt. Das gute Teil hat nun schon ganze 20 Jahre auf dem Buckel. Die gespielten Stücke unterscheiden sich auch im Folgenden deutlich von dem gerade gestern veröffentlichten Live Album ihrer letzten großen Tour namens „Live ID“. Bewährte Showeffekte sind heraus genommen und werden durch eine großartige Lichtshow ersetzt, die von roten und blaue Laser-Bündeln dominiert wird.
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Wen der blecherne Sound im stehenden Auditorium stört, der kann sich ja auf die Ränge zurück ziehen, wo es nicht nur in diesem Konzert deutlich besser klingt. RIVERSIDE hat sich über viele Jahre zum aktuell vielleicht größten Act im Progressive Rock Zirkus gemausert, was sie heute wieder großartig untermauern. Wenn sie sich jetzt in eine längere kreative Ruhepause zurück ziehen, darf man gespannt sein, wie sie daraus wieder auftauchen. Dass dies mit toller und vielleicht überraschender neuer Musik sein wird – daran braucht bereits jetzt nicht gezweifelt werden.
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Setlist Riverside
Second Life Syndrome | Out Of Myself | Big Tech Brother | Wasteland
Hyperactive | Friend Or Foe? | Escalator Shrine | Encore: The Curtain Falls
Fazit:
Die Niederländer um Rob Palmen KÖNNEN Prog Festival – das haben sie auch heute wieder bewiesen. Die fünf Bands sind handverlesen ausgewählt, jeder Act mit irgend etwas besonderem im Gepäck, was das eigene Konzert der jeweiligen Band von dem jeweils eigenem Standard unterscheidet. Die Umbauzeit von ca. 45 Minuten zwischen den Konzerten wird als sehr kurz empfunden, wenn man mit den Protagonisten von der Bühne oder selten zu treffenden Freunden ins Gespräch kommen, mit ihnen in den zahlreichen Rückzugsecken etwas Zeit verbringen oder dem Drang der Nahrungsaufnahme folgen möchte. Zur Freude von Musikern und Fans ist im Unterschied zum letzten Jahr der Merch heute zentral und direkt am Saal-Ausgang postiert und muss nicht gesucht werden.
Es bleibt aber ein Rätsel, warum nur den beiden Haupt-Acts THE FLOWER KINGS und RIVERSIDE eigene Autogramm-Stunden zugestanden wird. Platz und Zeit war genug da, dass sich auch LESOIR, AVKRVST und RENDEZVOUS POINT hätten würdig ihren Fans präsentieren können. Finden kann man diese Musikanten in der Menge zwischen den Konzerten natürlich trotzdem. Fürs leibliche Wohl sorgt ein für ein Festival recht ordentliches Speisengebot inklusive Restaurantbereich im Venue, und auch die Freunde eines gepflegten holländischen Bieres können unter drei Sorten auswählen. Wie bereits eingangs erwähnt, wir empfinden den zunächst ungewöhnlichen Festival Zeitpunkt im tiefsten Winter als inzwischen hervorragend und verlassen Utrecht hochzufrieden. Den Termin 07.02.2026 blockieren wir uns für die 3. Edition gleich mal im Kalender.
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Text: Gunter Dressler | Fotos: Andreas Tittmann