Doppelreview: Sigur Rós -Jónsi (2020)

Jónsi – Shiver

Sigur Rós – Odin´s Raven Magic

In den letzten Jahren war es sehr ruhig um SIGUR ROS geworden. Nach dem letzten Doppelschlag mit neuen Alben 2012 und 2013 und der letzten auch über Deutschland führenden Tour 2017 las man nur noch von Problemen der Band mit dem isländischen Finanzamt 2018 und dem Ausstieg des Drummers Orri Páll Dyrason wegen einer Vergewaltigungsanklage 2019. Eine seriöse Zukunft der Band scheint bis heute äußerst ungewiß.

Vor diesem Hintergrund ist das Erscheinen von zwei Alben Ende 2020 schon einigermaßen überraschend. Zunächst veröffentlicht der Sängers JONSI mit „Shiver“ sein zweites Solo Album. Sein erstes Werk erschien unter dem Namen „Go“ im Jahr 2010 und ist eher ein Progressive Pop-Album. Es klingt ein Bißchen so, als ob hier Restmaterial des 18 Monate vorher erschienenen SIGUR ROS Albums „Med Sud i eyrum…“ aufgearbeitet worden ist. „Shiver“ knüpft nun 10 Jahre später durchaus positiv an das letzte SIGUR ROS Album „Kveikur“ an. Spannende und wundersam gesampelte künstliche Klänge, hochemotionale Stücke mit der darüber schwebenden engelsgleichen Falsettstimme des Protagonisten lassen das Ganze durchaus wie ein neues SIGUR ROS Album wirken. Das Intro mit „Exhale“ erinnert phasenweise sogar an den genialen Minimalismus des Meisterwerkes „()“, wo man sich und seine Seele bereits nach wenigen Sekunden fallen lassen kann. Alles klingt sehr überlegt und aufwändig in jedem Ton produziert. Mit dem Auftürmen von Soundwänden nach minimalistischen Passagen wird auch hier, wie bei Sigur Ros häufig zu beobachten, an so manchen Stellen gespielt.

Im Vergleich zur Hauptband von Jonsi ist zu notieren, dass „Shiver“ vielleicht nicht ganz so gut strukturiert rüberkommt, was mich allerdings wenig stört. Zu einem großen Teil wird wieder mit englischen Texten gearbeitet, was die Musik ein Stück weit zugänglicher macht. SIGUR ROS arbeiten ja ihrerseits mit einer ihr eigenen Kunstsprache im Gesang, welche nicht von ihrer zumeist hochemotionalen Wirkung ihrer Musik ablenken soll, so dass ihre Alben trotz Gesang eigentlich als Instrumentalwerke bewertet werden können.

In die Zeit des Erscheinens dieses Albums platzte die Nachricht, dass bereits 2 Monate später ein neues SIGUR ROS Album erscheinen würde wie eine Bombe, insbesondere vor dem oben beschriebenen Hintergrund der Geschichte der Band der letzten Jahre. Der Knall wurde dann schon mal schnell leiser als zu lesen war, dass es sich bei dieser Veröffentlichung um sehr altes, bisher zurück gehaltenes Material handelt. „Odin ́s Raven Magic“ ist die Vertonung eines alten isländischen Gedichts, welches erstmalig 1992 in London aufgeführt wurde. Vor dem Hintergrund des offiziellen Gründungjahres von SIGUR ROS im Jahre 1994 könnten böse Zungen das Album auch als Mogelpackung bezeichnen, welches „nur“ wegen dem schnöden Mammon 2020 noch als SIGUR ROS Album veröffentlicht wird.

Das Werk erscheint als am Stück durchkonzipiert. Man hört im gesamten Album ein sehr pessimistisch arrangiertes Orchester, welches man mit seiner düsteren Stimmung in diesen schweren Tagen emotional kaum erträgt. Später gesellt sich noch ein Marimbaphon und eine sehr gewöhnungsbedürftige Bariton Stimme dazu, welche die meisten Gesangsparts auskleidet. Das Album ist eine gesamte live Aufführung von nahezu ausschließlich klassischer Orchestermusik mit Chor.

SIGUR ROS in irgend einer Form von Wiedererkennbarkeit ist de facto nicht vorhanden, bis im 4. Stück erstmals Jonsi ́s Stimme erklingt. Bei aller Spannung, die das Album mit aufwändiger Orchestrierung zu verbreiten versucht, meinen Geschmack trifft es leider nur wenig. Schade.

Wenn man die beiden Alben vergleicht ist das interessante, dass JONSI ́s Solo Album viel näher an SIGUR ROS dran ist als das neue alte Album seiner isländischen Hauptband, und dabei richtig Spaß macht beim Zuhören. „Shiver“ hat definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient, als nur eine Randnotiz aus dem SIGUR ROS Umfeld zu sein.

JONSI – „Shiver“ 02.10.2020, Bewertung 8,5/10 Punkten

1. Exhale 2. Shiver 3. Cannibal 4. Wildeye 5. Sumarid Sem Aldrei Kom 6. Kórall 7. Salt Licoride 8. Hold 9. Swill 10. Grenade 11. Beautiful Boy

SIGUR ROS – „Odin ́s Raven Magic“ 04.12.2020, Bewertung 6/10 Punkten

1. Prologus 2. Alfödur orkar 3. Dvergmál 4. Stendur aeva 5. Áss hinn hviti 6. Hvert Stefnir 7. Spár eda spakmál 8. Dagrenning

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