Review: Jean-Michel Jarre – AMAZÔNIA

Seit einiger Zeit hat es JEAN MICHEL JARRE als Pionier der elektronischen Popmusik schlechthin über Sony Music zum Prog Label Inside Out verschlagen. Hier erscheint nun im April 2021 sein neues Werk „Amazonia“. Die Informationen im Vorfeld waren dürftig, der im Netz kursierende kurze Audio Clip wenig aussagefähig. So durfte man auf das Album gespannt sein, welches nun vorliegt.

„Amazonia“ ist ein Soundtrack zu einer Fotoausstellung des Künstlers Sebastiano Segaldo mit Fotografien des brasilianischen Regenwaldes. Diese Fotos scheinen, gemäß den auf dem Cover und im Beiheft abgebildeten fünf Aufnahmen, als schwarzweiß und konstrastreich gestaltete Kunstwerke, ziemlich beeindruckend zu sein. Die Musik ist wie auf vielen seiner CD ́s als ein Stück mit einer Länge von insgesamt 52 Minuten dargestellt, hier scheinbar wahllos aufgeteilt in neun namenlose Teile. Jarre hat nie den Amazonas Regenwald besucht. Integriert wurden in die Musik gemäß Beiheft ca. 40 Klangquellen aus dem Museum für Völkerkunde Genf, die zwischen den 1960er Jahren und 2019 original im Regenwald des Amazonasentstanden sind, sowie Aufnahmen aus Privatarchiven musikethnologischer Forscher.

Hört man die Musik ist nicht identifizierbar, ob die natürlichen Klänge die Musik oder die Musik die natürlichen Klänge unterstützen sollen. Alles ist sehr harmonisch und gleichberechtigt verwoben. Klanglich ist das Ganze perfekt und höchst beeindruckend gestaltet. Bereits von der Original CD alleine mit dem manipulierten Surround Sound meiner Anlage ist das Ganze rein vom Raumklang her spannender als so manche 5.1 Version auf Blu Ray anderer Künstler. Weitere Versionen werden mit CD Kauf zum kostenlosen Download angeboten.

Als langjähriger Freund der Musik von Jean Michel Jarre drängen sich Vergleiche zu „Waiting for Cousteau“ von gleichnamigen Album aus 1990 auf, wo in dem 46 Minuten langen Stück klangliche Monotonie dahin wabert. Diese Vergleiche werden „Amazonia“ aber nicht gerecht, weil dieses Werk mehr will. Auch wenn man an mancher Stelle meint, jetzt haben wir eine Sequenz, woraus ein interessanter Song entstehen könnte, bleibt die Idee im Ansatz stecken und das Klangbild wird wieder fließend geändert. Dies würde in meinen Augen auch das Wesen der Musik ändern, ein Soundtrack zu einer Ausstellung zu sein.

Nach seinen vielen space-geschwängerten Alben, nach den Hommage Produktionen zu seinen Erstwerken „Oxygene“ und „Equinoxe“ der letzten Jahre („Equinoxe Infinity“ ist dabei bereits bei Inside Out erschienen) und seinen immer wieder aufpoppenden Annäherungen an die populäre elektronischen Musik der heutigen Zeit (die man nicht mögen muss) scheint JEAN MICHEL JARRE mit „Amazonia“ wieder auf der Erde angekommen. Die Beschreibung als“Soundtrack“ wird dem Werk tatsächlich am besten gerecht. Diese Musik wird nicht nur Freunde finden, da sie auch mit klassischen Hörgewohnheiten bricht. Das heißt, ein bewußtes konzentriertes Zuhören über die 52 Minuten ist kaum möglich, wohl aber ein Fallenlassen in ein von den Klängen verursachtes Kopfkino. Die CD hat an sich keinen Anfang und kein Ende; böse Zungen werden sie auch deshalb als langweiliges Soundgewabere abtun. Die Musik entzieht sich einer wirklichen Analyse, weil es keine Songs gibt und nichts, was was man aus dem Werk heraus hervorheben oder tadeln kann.

Im harmonischen und gleichberechtigten Verflechten elektronischer und natürlicher Klänge stellt „Amazonia“ auch in der bereits 45-jährigen Bibliothek des Meisters ein besonderes Werk dar, was unterstreicht, wie viele verschiedene Facetten an elektronischer Musik JEAN MICHEL JARRE zu gestalten in der Lage ist. Dazu muss man mit inzwischen über 70 Lenzen auch erstmal noch in der Lage sein. Hut ab vor diesem Werk!

Wertung: (8.5 / 10)

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