Im Rahmen eines Konzertes von MARRIAGE MATERIAL am 01.02.2022 im Kulturhof Gohlis Leipzig hatten wir die schöne Gelegenheit, exklusiv mit Felix Lehrmann über Musik in Pandemie Zeiten, über seine vielen musikalischen Projekte, über seine Zeit bei den FLOWER KINGS und über seine neue Band MARRIAGE MATERIAL zu sprechen. Hier das komplette Interview:
STONE PROG: Felix, wie geht es Dir Anfang 2022?
Felix Lehrmann: Sehr gut, wirklich! Alle sind nett zu mir, ich bin in bester Gesellschaft von Leuten, die sich echt kümmern.
STONE PROG: Wie ist es Dir in den letzten 2 Jahren in Zeiten der Pandemie ergangen?
Felix Lehrmann: Ja, verrückte Zeiten. Es ist inzwischen fast schon zwei Jahre her: im Januar 2020 hatte ich beschlossen, mal zwei Monate Urlaub zu machen. Ich war davor nur auf Tour gewesen, 2019 bestimmt 300 Tage unterwegs. Zum Beispiel September noch in China, auf Drum Clinic Tour, inklusive 4 Tage in Wuhan. Ab März wollte ich dann wieder anfangen zu arbeiten, habe 2-3 Gigs gespielt, und dann kam der Power-Lockdown. Klar man war erstmal total verunsichert, aber ich hab das mit Kusshand genommen! Denn kurz davor habe ich mit meiner Freundin erst eine neue Wohnung bezogen. Wir hatten so richtig Zeit es uns gut gehen zu lassen, und das haben wir auch getan. Es gingen ja hin und wieder ein paar Zeitfenster auf wo man wieder spielen konnte, und da hatte ich auch glücklicherweise wieder viel zu tun.
STONE PROG: Das klingt, als hätte die Pandemie kaum Auswirkungen auf Dein Leben gehabt.
Felix Lehrmann: Natürlich gab es Verunsicherung und ein Auf und Ab des Gemütes, aber im Großen und Ganzen bin ich wirklich stabil, gut drauf und positiv gestimmt. Auch finanziell bin ich einigermaßen weich gefallen. Es gab ja auch nach kurzer Zeit ein bißchen Corona Hilfe vom Staat, die einiges erleichtert hat. Wenn man da alle seine Unterlagen zusammen hatte und die letzten Jahre seine Steuererklärung einigermaßen gemacht hat, dann lief das auch. Niemand ist verhungert in dieser Zeit, die Grundsicherung war immer gegeben. Ich habe auch viel Yoga gemacht, das hat auch geholfen, das Gemüt und den Kopf frei zu bekommen. Ganz viel Liebe geht auch raus an meine Freundin, die auch einen sehr tapferen Job gemacht hat in dieser Zeit. Wir haben sehr viel Glück miteinander gehabt. Ich glaube auch, dass wir das alle wirklich bald hoffentlich geschafft haben.
STONE PROG: Und die Musik?
Felix Lehrmann: Ich bin in der komfortablen Situation ein eigenes Studio zu haben, wo ich ständig aufnehmen und üben und von da meine Drum-Spuren durch die Welt schicken kann. Dieses befindet sich vielleicht 10 Minuten von meinem Zuhause weg, so ein alter DDR-NVA- Bunker, der von Till Lindemann (Sänger von Rammstein d. Red.) neu saniert wurde. Er ist praktisch mein Vermieter. Ich konnte also immer arbeiten, auch in Zeiten wo eigentlich sonst nichts mehr ging.
STONE PROG: Es ist bekannt, dass Du ein umtriebiger und vielbeschäftigter Musiker bist. Beschreib uns bitte einige Deiner Aktivitäten bzw. Projekte der vergangenen Jahre. Mit welchen Musikern bzw in welchen Bands hast Du gearbeitet bzw. arbeitest Du?
Felix Lehrmann: Seit Ende 2021 bin ich der neue Drummer der Till Brönner Band. Ich bin aber auch schon seit 13 Jahren der Schlagzeuger von Sarah Connor. Zu nennen ist auch Dendemann, Hip-Hop-Urgestein in Deutschland. Weiter seit 8 Jahren mit Dieter „Maschine“ Birr (ehem. Puhdys, d.Red.). Das sind so die Konstanten der letzten Jahre. Ich spiele viel mit Torsten Goods, einem Jazz Gitarristen. Erst im letzten Jahr war ich unterwegs mit einer Saxofonistin namens Stefanie Lottermoser, die in Hamburg wohnt und ganz fleißig Auftritte gebucht hat. Und seit kurzem auch nun die ersten Auftritte mit Marriage Material, worüber ich sehr sehr glücklich bin, und wo wir uns heute hier in Leipzig treffen!
STONE PROG: Dem PROG Publikum bist Du natürlich als ehemaliger Drummer bei den FLOWER KINGS bekannt. Noch heute lieben die Fans Deinen kraftvollen Stil, den Du auf zwei Alben und den damals umfangreichen live-Aktivitäten zeigen konntest. Bist Du mit Deinen damaligen Kollegen noch in Kontakt?
Felix Lehrmann: Ja, insbesondere mit Tomas Bodin und Jonas Reingold bin ich heute noch in gutem Kontakt und bin in einem sehr sehr regem Austausch. Mit den Flower Kings speziell hatte ich zwischen 2011 und 2016 etwa fünf ganz tolle Jahre. Vor 3 Jahren, als die Flower Kings in Berlin gespielt haben, habe ich sie zuletzt live gesehen. Das ist alles ganz entspannt auseinandergegangen, und ich möchte diese Zeit nicht missen, in dieses Prog Universum eintauchen zu können. Ich erinnere mich noch an die tolle Tour gemeinsam mit der Neal Morse Band, drei Wochen gemeinsam mit Mike Portnoy im Nightliner, sowas vergißt man nicht.
STONE PROG: Ich erinnere mich an Fotos im Netz, wo Du Mike Portnoy ins Berliner Nachtleben entführt hast…
Felix Lehrmann: Das ist durchaus passiert, und umgekehrt hat er mich auch entführt!
STONE PROG: In dieser Zeit ist auch ein Album entstanden, welches für manche eine Art Heiliger Gral des Progressive Rock ist. Vielleicht nicht unbedingt vom musikalischen Ergebnis, aber mit JON ANDERSON und ROINE STOLT haben 2015 die für mich größten Musiker des Progressive Rock ein gemeinsames Album gemacht! Du warst dort der Schlagzeuger. An sich war es ja ein reines Studio Projekt. Hast Du an die Arbeit an diesem Album spezielle Erinnerungen?
Felix Lehrmann: Für mich was er es eine große Ehre von Roine für dieses Projekt eingeladen zu werden. Ich hab Jon leider nicht persönlich getroffen. Roine, Jonas Reingold und ich hatten zehn tolle Tage in Schweden im Studio. Wir haben sehr viel mit dem Sound, aber auch mit den Songs experimentiert. Jede Studiosession mit Roine ist mir in bester Erinnerung.
STONE PROG: Kannst Du einen Grund nennen, warum Du nach Reunion der FLOWER KINGS 2018 Deine Arbeit in der Band nicht fortgesetzt hast?
Felix Lehrmann: Es war ein ganz schleichender Prozess. Es gab längere Zeit keine Aktivität der Band, dann hat Roine seine Solo Platte gemacht. Dann war klar dass da etwas anderes passiert. Und ich meine, meine Halbwertszeit als Schlagzeuger bei den Flower Kings war schon recht lang im Vergleich zu manchem Kollegen auf diesem Stuhl. In so fern hatte es mich schon gewundert: wann fliege ich denn endlich raus! Ich denke aber, ich habe dort auch keine verbrannte Erde hinterlassen oder Roines Frau an den Hintern gefasst, Haha! Wir sind alle nach wie vor sehr gut befreundet!
STONE PROG: Und Roine Stolt hat auch Werbung gemacht für das MARRIAGE MATERIAL Album!
Felix Lehrmann: Ja das stimmt. Das ist alles im besten Sinne, und wie gesagt, es war eine tolle Zeit.
STONE PROG: Bei allen Aktivitäten liegt Deine Liebe aber wohl bei der Jazz Musik. Sehe ich das richtig? Denn nach dem unter Deinem Namen erschienenen Album „Rimjob“ aus dem Jahr 2011 kehrst Du 10 Jahre später mit MARRIAGE MATERIAL zum Jazz zurück.
Felix Lehrmann: Doch, schon! Man muss aber grundsätzlich unterscheiden: „Rimjob“ war eine Solo Platte von mir. Eigentlich wollte ich erst wieder eine Solo Platte machen, hab mir aber gedacht: da wartet niemand drauf. Ich wollte deshalb eine Band gründen mit fester Besetzung und in der keiner ersetzbar ist. Die Liebe zum Jazz ist da, ich bin aber kein wirklicher Jazz- Schlagzeuger. Zum Beispiel traditionellen Bebop kann ich spielen, aber da gibt es ganz andere Kandidaten.
STONE PROG: Wie man an Deinen Musiker Kollegen so sieht mit denen Du zusammen spielst, bist Du schon insgesamt recht breit aufgestellt, in welchen Stilen Du Dich so bewegst.
Felix Lehrmann: Das hat alles irgendwie den gleichen Nenner, und zwar ist das Groove. Ob das nun ein bißchen leichtfüßiger daher kommt wie z.B. bei MARRIAGE MATERIAL, das ist schon Jazz. In welche Sparte möchte man es denn sonst stecken? Wir haben den Begriff „Cinematic Jazz“ dafür erfunden, denn durch das Vibrafon/Marimba von Raphael Meinhart hat das für uns einen gewissen cinematischen Effekt.
STONE PROG: Wie habt Ihr 4 Euch kennen gelernt? Von den Bildern zu urteilen, die man von Euch so findet, scheint ihr ein ziemlich lustiger Haufen Freunde zu sein.
Felix Lehrmann: Haha, genau! Thomas Stieger, den Bassisten, kenne ich schon seit etwa 10 Jahren.Wir haben in den verschiedensten Bands zusammen gespielt, aktuell zusammen bei Torsten Goods in der Band und bei Sarah Connor. Auch verschiedenste Studiojobs gab es gemeinsam, und es war klar, wir müssen eine eigene Band machen. Thomas hat mit Raphael Meinhart, unserem Marimba- und Vibrafon-Spieler, zusammen in Berlin studiert. Die Grundidee von MARRIAGE MATERIAL, als wir die Band 2019 gegründet haben, war eigentlich ein Trio. Es wurde nach den ersten Proben aber schnell klar, dass die gesamte harmonische Last leider bei dem armen Vibrafon-Kumpel liegt, der ja eigentlich auch ein Schlaginstrument spielt. Und haben wir uns den besten Gitarristen gesucht den wir finden konnten: Arto Mäkelä, ein Finne aus Tampere, der schon einige Jahre hier in Leipzig lebt. Thomas und Arto, wir spielen zusammen bei Sarah, Raphael und Thomas haben zusammen studiert, und dann war irgendwie klar: das sind die Boys die ich in meiner Band will!
STONE PROG: Auch Euer Bandname sowie die Namen einzelner Titel wie „A Valse De Mariage, „Remi Problemi“ oder „The End Is Gear“ klingt nach viel Spaß bei der Arbeit.
Felix Lehrmann: Das mag sein! Wenn Du mal die Liste mit Song Titeln sehen würdest, oder auch Bandnamen die es nicht geschafft haben, dann ist MARRIAGE MATERIAL noch mit Abstand der Beste! Die Liste war auf jeden Fall gefüllt mit vielen unqualifizierten Namen.
STONE PROG: Der Name MARRIAGE MATERIAL ist schon eine lustige Sache…
Felix Lehrmann: Schau uns doch mal an! Das ist die Wahrheit! Vier wirklich fesche junge Männer!
STONE PROG: Wie ist das Album dann entstanden? Habt Ihr es gemeinsam in einem Studio eingespielt? Wurde dabei viel improvisiert? Erzähl uns doch ein Bißchen davon.
Felix Lehrmann: Jeder der Bandmitglieder hat seine besten Kompositionen eingebracht. Dazu konnte ich die Jungs wirklich beknien. Das sind alles ganz schöne Leseratten, da kommen gerne mal 5seitige Tapeten an – so, das hier ist jetzt das Stück…
STONE PROG: …Du meinst also umfangreiche Notenblätter, Notentapeten…
Felix Lehrmann: Ja genau. Oft passiert auch, dass jemand mit einem Thema kommt, und wir erfinden dann gemeinsam den nächsten Part. In den meisten Fällen kommen aber meine drei Bandkollegen schon mit sehr sehr fertigen Kompositionen um die Ecke. Dann arrangieren wir die, schmücken die aus und gucken wie wir die instrumentieren, und dann wird der Spaß schon aufgenommen. Wir waren bei den Aufnahmen auch alle gemeinsam in einem Raum. Es gibt kaum Schnitte. Wir glauben an ganze Takes von vorne bis hinten, ohne dass man viel editieren muss. Natürlich musste auch mal eine Marimba-Linie drüber gepackt werden, aber das Grundgerüst von allen Songs ist wirklich zusammen und gleichzeitig aufgenommen und entstanden.
STONE PROG: Im Zusammenspiel von super Musikanten sticht in Eurer Musik für den Hörer besonders das Marimbafon heraus. Ich habe noch nie jemanden dieses Instrument so virtuos spielen hören.
Felix Lehrmann: Das geht mit haargenau so! Das ist auch genau der Grund warum Raphael in der Band ist. Er ist einfach ein verrückter, guter Zeitgenosse, ein Privileg ihn in der Band haben zu dürfen. Ohne ihn wären wir sonst vielleicht das „Arto Mäkelä Trio“, so sind wir MARRIAGE MATERIAL!
STONE PROG: Raphaels Marimbaspiel ist mir sofort beim ersten Höreindruck, den ich von MARRIAGE MATERIAL hatte, aufgefallen. Ich kann mir das auch vorstellen, dass die Band ohne Gitarre ein bißchen eintönig wirkt, aber durch Zusammenspiel und Harmonie zwischen Gitarre und Marimbafon entsteht „Cinematic Jazz“, da wird ein richtig toller Bandsound daraus!
Felix Lehrmann: Er kann dann auch mal die Gitarre stützen und das Marimba kann sich ein bißchen freier machen, da gibt es einfach mehr Möglichkeiten.
STONE PROG: Ich höre z.B. bei dem herunter gemischten Intro „La Valse De Mariage“ und den „Unidentified Man – Interludes“ heraus, dass Ihr versucht habt eine Art Albumkonzept zu kreieren. Interpretiere ich das richtig?
Felix Lehrmann: Das ist sehr richtig. Ich freue mich sehr dass Dir das auffällt! In der heutigen Zeit ist es leider aussterbend, dass sich jemand so einem ganzen Album widmet und sich die Zeit nimmt zu gucken, wie die Songs angeordnet sind. Das war die Idee, durch diese Interludes das Album in ein paar Teile zu spalten, dem Hörer so auch mal eine kurze Auszeit zu geben und derartig schöne mono-gemischte Interludes wie auf einem Kassettenrecorder zu haben.
STONE PROG: Ich mag das Album, weil es für mich als nicht unbedingt passioniertem Jazz Fan trotz seiner Verspieltheit und der guten Produktion sehr organisiert wirkt.
Felix Lehrmann: Toll, Gunter, schön dass Du das so siehst.
STONE PROG: Worauf freut sich ein Felix Lehrmann im noch jungen neuen Jahr am Meisten?
Felix Lehrmann: Bereits im April sind wir wieder im Studio um unser zweites Album einzuspielen! Ich bin sehr gespannt was da passieren wird. Ansonsten gibt es sehr viele Termine mit Sarah Connor und Till Brönner. 2022 verspricht ein sehr volles Jahr für mich zu werden. Ich freue mich auf alles was kommt!
STONE PROG: Danke Felix für das schöne Interview! Es war sehr angenehm mit Dir zu schwatzen. Ich wünsche Euch nun heute ein schönes Konzert und uns gemeinsam viel Spaß dabei!
Album:
Album Wertung: 8,5/10 Punkte veröffentlicht am 14.05.2021
Band:
Felix M. Lehrmann (dr)
Thomas Stieger (bass)
Raphael Meinhart (vibes, marimba, syn)
Arto Mäkelä (git)
Konzert 01.02. 2022 Leipzig, Kulturhof Gohlis
Alle Konzertfotos (C) gunter dreßler