Es ist schon ein paar Jahre her, als mir Yogi Lang von RPWL eine Anekdote erzählte, die er im Rahmen der “The Man And The Journey” Tour erlebt hat. “Wann spielt ihr denn nun etwas von PINK FLOYD?” soll er von einer Dame in der Pause eines Konzertes gefragt worden sein, als der PINK FLOYD Teil schon vorbei war. Das skizziert in knappster Art und Weise, wie sich eine der wichtigsten Bands des Rock überhaupt in den Köpfen der Fans heute darstellt. Ich meine, jeder Bauarbeiter und jede Hausfrau der westlichen Hemisphäre kennt irgendwelche PINK FLOYD Songs. Aber nur solche, die auf dem ersten Mega Seller “The Dark Side Of The Moon” von 1973 und später veröffentlicht wurden. Alle bekannten PINK FLOYD Coverbands die spielen live nur Songs aus der Zeit einer Mega-Band, und selbst David Gilmour und Roger Waters tun dies in ihren Solo-Shows genau dies. Und was ist mit der großartigen Musik davor und den sechs Studioalben zwischen “The Piper At The Gates Of Dawn” und “Obscured By Clouds”? Eigentlich ist diese Musik doch spannender, da man mit ihr viel mehr auf der Bühne spielen und herum experimentieren kann. RPWL sind die große Ausnahme. Sie pflegen dieses Erbe über ihre gesamte Bandgeschichte, zuletzt im Rahmen von Nebenprojekten oder einzeln eingestreuten Songs in ihre Konzerte. Ja, die Musik unterscheidet sich stark von “Wish You Were Here” oder “The Wall”, auch wenn z.B. “Meddle” oder “Obscured By Clouds” musikalisch zu “The Dark Side Of The Moon” hin führen. Kennen tun sie aber nur eher Insider, im Vergleich zur Hausfrau oder zum Bauarbeiter.
Im Jahr 2018 bearbeitete der Gitarrist Lee Harris seinen Freund NICK MASON, es doch einmal mit einer Band und ein paar Live-Konzerten zu versuchen, die PINK FLOYD Musik ausschließlich aus der Zeit vor 1973 präsentiert. Der eher medienscheue Drummer der legendären Original-Band zierte sich zunächst. Allerdings war der Erfolg der ersten Show Mai 2018 als NICK MASONS SAUCERFUL OF SECRETS in London so überwältigend, dass folgend Touren im September 2018 in Europa und Frühjahr 2019 in Nord Amerika gebucht wurden. Im selben Jahr spielte man eine begeisternde Headliner Show auf dem “Night Of The Prog Festival”. Die wegen zweijähriger Konzertstarre verschobene Folgetour wird 2022 nun nachgeholt. Lee Harris steht seit dem bis heute gemeinsam mit NICK MASON auf der Bühne, gemeinsam mit Gary Kemp (Gesang, Gitarre), Guy Pratt (Gesang, Bass) und Dom Beken (Keyboards).
Beim Betreten des Konzertsaales fällt sofort eine große Video-Leinwand auf, die die gesamte Fläche hinter der Band einnimmt. Auf ihr werden zumeist psychedelisch wabernde Bilder projiziert, die später den experimentellen Charakter der Musik unterstreichen und die entsprechende Wirkung optisch verstärken werden. Überhaupt wurde im Vergleich zu 2018 optisch aufgerüstet und perferktioniert. Das Licht und die Videoshow ist aufwändig, bunt und abwechslungsreich. Bereits vor Beginn des Konzerts schweben psychedelische Soundscapes durch den Saal. So ist der Konzertbesucher bereits beim Platznehmen für das Kommende eingestimmt. Pünktlich um 8 wird es dunkel, und in die weiter schwebenden Soundscapes mischen sich die ersten Bass-Töne von “One Of These Days” aus dem Off. Mit Einsetzen des Bass-Motivs ist auch gleich Guy Pratt (als Bassist nicht nur für Nick Mason aktiv, sondern auch festes Bandmitglied in den Solo-Touren von David Gilmour und Roger Waters) an den Bühnenrand gesprungen. Die Band folgt, Nick Mason nimmt unspektakulär hinter seinen Drums Platz, bereits jetzt vom Publikum gefeiert.
Die nun folgenden Songs werden mit einer großen Spielfreude aller Beteiligten dargeboten; wobei Nick Mason oft ein verschmitztes zufriedenes Lächeln zeigt. Von Ermüdungserscheinungen jetzt, gegen Ende der schon ein paar Wochen anhaltenden Tour, keine Spur. Er verteilt gerne mal liebevolle Spitzen in Richtung seiner ehemaligen Bandkollegen David Gilmour und Roger Waters, deren vergangene Touren ja von Superlativen überhäuft wurden. Er benennt explizit die Zusammenarbeit mit David Gilmour im Rahmen des aktuellen PINK FLOYD-Songs “Hey Hey Rise Up” für die Opfer des Krieges in der Ukraine im April diesen Jahres, auch wenn er den Song nicht spielt. Er huldigt in seinen Moderationen den verstorbenen Bandmitgliedern Rick Wright und Syd Barrett. Besonders letzterem mit viel gespielter Musik. Nicht nur vom ersten PINK FLOYD- Album (dem einzigen an dem Syd Barrett aktiv beteiligt war), sondern auch weitere Stücke von Solo-Platten. Bei “Vegetable Man” betont NICK MASON, dass dieser Song von niemanden anderes bisher live gespielt worden ist: weder von PINK FLOYD, weder von SYD BARRETT noch auf den Solo-Touren seiner Band-Kollegen oder irgendeinem der weltweit zahlreichen PINK FLOYD- Cover-Projekte. Über 50 Jahre nach Veröffentlichung dieser Musik erfüllt ihn dies schon sichtlich mit etwas Stolz.
Im Gerüst ähnelt die aktuelle Setlist der Tour von 2018. Ob melodiös wie bei “Arnold Layne”, balladesk wie bei “Fearless”, psychedelisch-experimentell wie in “Set The Controls For The Heart Of The Sun” oder kraftvoll wie in “The Nile Song”: die Klaviatur der steinalten PINK FLOYD Songs wurde begeistert und überzeugend dargeboten. Mich hat besonders die Eigeninterpretation von “Atom Heart Mother” in der Klammer von “If” besonders beeindruckt. Im Mittelpunkt steht aber der 20 Minuten Mega Song “Echoes” vom Album “Meddle”, der der Tour auch seinen Namen gab. Mich bewegt dieses Stück Musik seit über 40 Jahren, seit ich es als Teenager über den DDR- Rundfunk kennengelernt habe. Das Ganze gewissermaßen vom Original noch einmal live hören zu dürfen war ein riesengroßes und bleibendes Erlebnis. So sah es offenbar auch ein Großteil des Publikums. Der Beifall wollte gar nicht enden; und Nick Mason bedankte sich später noch mehrfach und sichtlich bewegt beim Leipziger Publikum für dessen gezeigte Begeisterung.
Mir tun sich Vergleiche mit STEVE HACKETT auf. Er hat sich wie NICK MASON als einziges Bandmitglied seiner legendären Original-Band der Präsentation der Musik verschrieben die gemacht wurde, bevor seine Band kommerziell überaus erfolgreich wurde. Während STEVE HACKETT damit schon seit ca. 10 Jahren sehr erfolgreich um die Welt reist, hat NICK MASON leider sehr viel später damit begonnen und geht auch schon auf die 80 zu. Er hat zwar immer noch den Schalk im Nacken und sichtlich Freude am Musizieren, aber der Zahn der Zeit ist nicht zu übersehen. Wünschen wir uns, dass er diesen Spaß und die Energie dieser Musik noch lange auf die Bühnen Europas und der Welt tragen und mit seinen begeisterten Fans teilen kann. Man wünscht sich eine Fortsetzung dieses Projekts. Potential gibt es genug, wenn man beispielsweise an die Präsentation kompletter Alben aus dieser Zeit oder eine voll-orchestrale Präsentation von “Atom Heart Mother” denkt. Auf jeden Fall haben wir einen wunderbaren musikhistorisch bedeutsamen Abend erlebt, der noch lange nachhallen wird.
Setlist:
One Of These Days • Arnold Layne • Fearless • Obscured By Clouds • Candy And A Current Bun • Vegetable Man • If/Atom Heart Mother/If • Remember A Day • Set The Controls For The Heart Of The Sunday
Pause
Astronomy Domine • The Nile Song • Burning Bridges • Childhood ́s End • Lucifer Sam • Echoes
Zugaben
See Emily Play • A Saucerful Of Secrets • Bike