Das Luftschiff der bedeutendsten Supergroup des Progressive Rock der Neuzeit fliegt wieder durch die Konzertsäle Europas! Seit inzwischen ganzen 23 Jahren (wenn auch immer mit größeren Pausen) sind die Herren Morse, Stolt, Trewavas und Portnoy miteinander unter dem Namen TRANSATLANTIC unterwegs. Eigentlich war die Band als temporäres Nebenprojekt 1999 gegründet worden. So manches Mal dachte man, es wird TRANSATLANTIC nie wieder geben, und dann gab es nach Jahren der Sehnsucht unerwartet doch wieder Nachrichten betreffs Arbeit an neuem Material.
Es macht den Kreativmeistern Spaß, sich nach dem Sammeln von Ideen alle Jubel Jahre mal im Studio zu treffen, diese Ideen in demokratischen Diskussionen zu progressiven Meisterwerken auszuarbeiten und nach jeder Albumveröffentlichung diese mit ziemlicher Begeisterung auch live zu präsentieren. Auch wenn es mit zunehmender Quantität ihrer Musik immer schwieriger wird, das komplexe Material so zu komprimieren, dass ein Konzertabend daraus wird. Trotzdem ist ihnen auch im Jahr 2022 eine großartige Setlist gelungen, doch dazu später. Unerreicht ist ihre „Whirld Tour“ von 2010, in welcher sechs Stücke Musik komplett ausgespielt in über drei Stunden Netto-Konzertdauer gepackt mit einem Riesenspaß dem Publikum präsentiert wurde.
Nachdem ihr im Februar 2021 erschienenes Mammut-Album „The Absolute Universe“ (Rezension in drei Teilen von März 2021 hier unter „Reviews“ zu finden) anderthalb intensive Jahre bis zur Veröffentlichung benötigte, sollte es pandemiebedingt ein weiteres reichliches Jahr brauchen, bis das Album in Europa live präsentiert werden konnte. Eines der lediglich 5 Konzerte in ganz Europa konnte ich Ende Juli 2022 in Kölner E-Werk besuchen. In Köln machte TRANSATLANTIC auf jeder ihrer vier Europa Tourneen Station, der von der Kaleidoscope-Tour veröffentlichte Konzertmitschnitt wurde genau hier im E-Werk mitgeschnitten. Diesmal fehlte vor Ort professionelles Kamera-Equipment.
Viele Fans waren von weither angereist. Nicht nur Spätentdecker verdrückten vor Rührung und Begeisterung so manches Tränchen, als die Band mit Einsetzen der sphärischen Anfangsklänge von „The Absolute Universe“ pünktlich kurz nach 19 Uhr die Bühne betrat. Nur zu verständlich. Denn die letzten Konzerte sind nun schon ganze 8 Jahre her, und es ist unklar, ob es je wieder welche geben wird. TRANSATLANTIC live zu erleben hat dadurch etwas unwirkliches, magisches und legendäres, besonders 2022 auf einem ihrer extrem wenig Konzerte.
Die Band beginnt also mit der 100 Minuten andauernden kompletten Wiedergabe ihres aktuellen Albums. Dabei werden die einzelnen Stücke der beiden Album-Versionen so ausgewählt, dass kein Stück ausgelassen und nach meiner Auffassung immer die bessere Version des jeweiligen Stückes dargeboten und wird. Wie auf ihren vorigen Touren gelingt es TRANSATLANTIC auf wundersame Weise, ihre komplexe Musik in den Longtracks nicht sklavisch herunter zu spielen, sondern dabei Spaß zu haben, Jokes einzubauen und so kleine Fehlerchen gemeinsam mit dem Publikum mit Augenzwinkern zu überspielen. So überraschten mich beispielsweise die improvisierten Teile in „Overture“ und „Belong“. Neal Morse, Roine Stolt, Pete Trewavas und Mike Portnoy (wie immer so von links nach rechts positioniert) zeigten viel Spaß an der Musik und am gemeinsamen Spiel. Erwähnt werden soll dabei unbedingt noch Ted Leonard, der wie schon 2014 die vier Bandmitglieder live unterstützt. Er tut dies eher zurückhaltend, ist aber als „Fünfter Beatle“ (Zitat Mike Portnoy in der Moderation) voll in die Live Band integriert. Erstaunt war ich, dass diesmal die Menge kleiner Fehlerchen zumindest hier in Köln größer als gewohnt und diese auch kaum zu überhören waren. Die Zeit der gemeinsamen Proben ist immer knapp, und wir hatten in Köln erst das zweite Konzert der Tour. Den Konzertgenuss sollte dies aber nicht beeinträchtigen. Hey, da vorn auf der Bühne spielt die Legende TRANSATLANTIC!
Im Mittelpunkt der Lichtshow stand die Videoprojektion, die bei „The Absolute Universe“ sich stark an der Studio Blu-Ray orientierte. Sogar die Titelnahmen der einzelnen Stücke wurden eingeblendet. Im zweiten Teil gab es erfreulich neue Videofilmchen zum alten Material zu bestaunen. Die Scheinwerfer waren perfekt auf die Band abgestimmt. Trotzdem war das Licht und die Video-Show nie Selbstzweck; immer wurden die Musiker und ihr Spiel in den Mittelpunkt gestellt. Toll gemacht, so soll es bei TRANSATLANTIC sein! Der Sound erschien mir trotz einer guten Position in der vorderen Mitte der Arena etwas mittenlastig und laut, grundsätzlich aber ok.
Nach einer Pause von ca. 15 Minuten wurde noch ein brillanter Querschnitt über die ersten drei Alben gespielt. Das etwa halbstündige „Whirlwind“-Medley konzentrierte sich auf die besten und wirkungsvollsten Teile ihres Meisterwerkes. Dann ein balladeskes Luftholen mit „We All Need Some Light“ (ich persönlich hätte mir bei diesem Lied einen Gedanken der Band an die weltpolitische Lage gewünscht), bevor mit dem letzten Medley (Gesamtdauer vielleicht 20 Minuten) das Konzert in einem großen Bogen über die ersten beiden Alben abgeschlossen wird. Eine Zugabe gab es nicht. Hätte man den eher kurzen Fetzer „Black As The Sky“ von „Kaleidoscope“ noch eingebaut, wären in dem Mammutkonzert Stücke aller 5 Alben enthalten gewesen.
Bei aller Freude, ein legendäres Konzert einer legendären Band gesehen zu haben, muss doch noch einmal auf die extrem geringe Zahl an TRANSATLANTIC Konzerten in diesem Sommer zurück gekommen werden. Ich meine, das Timing für lediglich fünf Konzerte in ganz Europa in der letzten Juli-Woche konnte kaum schlechter sein. Insbesondere in Schweden zeigte man sich sehr enttäuscht, dass kein Konzert im Heimatland von Roine Stolt stattfinden konnte. Ein Verzicht der Tour in diesem Jahr, um eventuell 2023 mehr Konzerte geben zu können, war für Band und Management nie eine Option. Die Fans wurden insbesondere durch die Festival-Überschneidung mit „Night Of The Prog“ zu schwierigen Entscheidungen gezwungen: Auf den Besuch des 2 Jahre lang ausgefallenen Festivals verzichten? Nur den Sonntag auf der Loreley ganz oder teilweise für das TRANSATLANTIC Konzert in Köln weglassen? Oder den Montag dranzuhängen, um zum Konzert nach Tilburg weiter zu reisen? Oder ganz weg bleiben, um lieber den Sommerurlaub mit der Familie zu verbringen? Das Ganze führte überraschenderweise dazu, dass es an der Abendkasse für dieses besondere Konzert sogar noch Tickets für Kurzentschlossene zu kaufen gab.
Eine zusätzliche Headliner Show auf der Loreley am Samstag erschien möglich, denn an dem Tag hatte TRANSATLANTIC kein Konzert gebucht. Mike Portnoy gab einen spannenden Satz von sich: „As much as we like Night Of The Prog – thank you for being here tonight!“. In der Tat wurden viele Fans mit den Armbändchen und/oder 22er Festival-TShirts im Publikum gesehen. Seine Aussage lässt mutmaßen, dass TRANSATLANTIC gerne auf der Loreley gespielt hätte, dass man aber offenbar mit dem Festival-Management nicht zusammen kommen konnte.
Im Vorfeld wurde nach Tour-Ankündigung in den sozialen Medien immer wieder betont, dass man aufgrund der unterschiedlichen Planungen der einzelnen Bandmitglieder meinte, „The Absolute Universe“ gar nicht auf Tour präsentieren zu können, aber dann doch dieses kleine gemeinsame Zeitfenster, für genau diese fünf Konzerte gefunden zu haben. Nehmen wir das mal so hin und sind also froh, dass es diese Mini-Tour überhaupt gegeben hat. Jeder Fan hatte genügend Zeit, seine vielleicht manchmal schwierige Entscheidung für oder gegen dieses Konzert zu treffen. Für mich war es besonders, legendär, und in 30 Jahren kann ich meinen Urenkeln sagen – ich war dabei.
Inzwischen ist die Tour zu Ende. Gemäß unabhängig voneinander getroffenen Äußerungen von Roine Stolt, Mike Portnoy, Pete Trewavas und verschiedenen Fans in den Sozialen Netzwerken muss besonders das letzte Konzert in Paris ein wahrhaft magischer Abend gewesen sein, der auch für die Live-Veröffentlichung mitgeschnitten wurde. Ja, es war das Ende der aktuellen Zusammenarbeit von TRANSATLANTIC, und natürlich gab es nach Ende der jeweiligen Tour zumeist mehrere Jahre Pause. Diesmal klang es in den erwähnten Statements aber irgendwie alles nach endgültigem Abschied, was ziemlich schade wäre. Wenn dem so ist, dann war das offenbar es ein großartiger Abschied gewesen, den wir hoffentlich bald alle auf Silberling betrachten können. Aber fassen wir uns in Geduld und schauen was passiert. TRANSATLANTIC haben in den 23 Jahren ihrer Existenz immer mit ihrer Musik und ihrem Timing überrascht.
Setlist:
The Absolute Universe
Overture – Reaching For The Sky – Higher Than The Morning – The Darkness Of Light – Take Now My Soul – Bully – Rainbow Sky – Looking For The Light – The World We Used To Know – The Sun Comes Up Today – Love Made A Way (Prelude) – Owl Howl – Solitude – Belong – Lonesome Rebel – Can You Feel It – Looking For The Light (Reprise) – The Greatest Story Never Ends – Love Made A Way
Pause:
Whirlwind Medley: Overture/Whirlwind – Rose Colored Glasses – Evermore – Is This Really Happening – Whirlwind/Reprise SMPTe/Bridge Across Forever Medley: We All Need Some Light – Duel With The Devil – My New World – All Of The Above – Stranger In Your Soul
Transatlantic:
Neal Morse (keyb, git, voc)
Roine Stolt (git, voc)
Pete Trewavas (bass, voc)
Mike Portnoy (dr, voc)
Ted Leonard (git, keyb, perc, voc)
Bilder: (C) Gunter Dreßler (24.07.2022 Köln) Einzelportraits Udo Eckardt (25.07.2022 Tilburg)