Livereport: Marillion Weekend Padua 2023

Zum zweiten Mal in diesem Jahr ließen wir uns mitreißen von der Euphorie, die die Musik der britischen Band Marillion auf uns Fans ausübt. Zum zweiten Mal erlebten wir ein ganzes Wochenende in Gemeinschaft der weltumspannenden ‚Marillion Family‘, diesmal in der wunderschönen italienischen Stadt Padua. Das erste Marillion Weekend in Bella Italia wurde organisiert vom Management der Band in Zusammenarbeit mit dem italienischen Marillion Fanclub The Web Italy. Und was gemeinsam auf die Beine gestellt wurde, kann man nur als grandios bezeichnen.

Bereits am Donnerstagabend fand die Show ‚RanestRaneMarillion Weekend Appetizer‘ in Padua statt. Während der Vorstand von The Web Italy sich mit den Musikern von Marillion zu einem gemeinsamen Abendessen verabredet hatte, saßen wir in der nahegelegenen Radio City Music Hall ebenfalls beim Essen und warteten auf das Konzert von RanestRane. Die Band aus Rom ist bei den Marillion Fans längst keine unbekannte mehr. Der geniale Keyboarder Riccardo Romano ist seit langem Mitglied der Steve Rothery Band und auch mit Marillion stand er schon auf der Bühne, als Mark Kelly 2018 in Essen beim Joggen in einen Unfall mit einem LKW verwickelt wurde und ins Krankenhaus musste. RanestRane selbst präsentierten sich den Marillion Fans 2015 beim Marillion Weekend in Port Zélande mit großem Erfolg. Die Band, die in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert, zelebrierte in Padua ihr aktuelles Album Apocalypse Now in voller Länge. Mit dem Konzept der CineConcerti haben RanestRane ihre eigene Form gefunden, Klassiker der Filmkunst mit eigenen Soundtracks im Stil des Progressive Rock zu versehen. Zu den teils verstörenden Sequenzen des Antikriegsfilms Apocalypse Now von Francis Ford Coppola aus dem Jahr 1979, spielte die Band ihre Musik mit voller Inbrunst und Leidenschaft. Leider geriet das Konzert für meinen Geschmack etwas zu laut. Da verlor selbst der von mir benutzte Gehörschutz seine Wirkung. Doch insgesamt brachte dieser Abend, dem Fans aus verschiedenen europäischen Ländern beiwohnten, viel Spaß und steigerte die Vorfreude auf die zwei Abende mit Marillion.

Die beiden Marillion Shows fanden im Grand Teatro Geox statt, das 2.500 Plätze bietet. Bereits ab 17.00 Uhr öffneten die Pforten zum Gelände des Theaters und man konnte sich bei reichhaltigem Speisen- und Getränkeangeboten und bei musikalischer Umrahmung die Zeit bis zum Beginn der Konzerte vertreiben. Auch der Merchandising Stand hatte schon geöffnet, so dass man auch hier Geld loswerden konnte. Immerhin gab es eigens für das Weekend designte T-Shirts, zusätzlich zum umfangreichen Angebot an Artikeln aus der Marillion Welt.

Als Opening-Act für den Freitagabend agierte Riccardo Romano, diesmal mit seinem Band-Projekt Riccardo Romano Land. Die Band spielte zu Beginn ihres Konzerts vorrangig Songs des erfolgreichen Debutalbums B 612. Riccardo überzeugte nicht nur mit seinem eindringlichen Gesang. Er übernahm auch die Rolle des Bassisten in seiner Band. Neben Schlagzeuger Enrico Rossetti und Keyboarder Manuel Moorg, die von Beginn an zur Band gehören, war die Position des Gitarristen mit Giacomo Anselmi neu und prominent besetzt. Anselmis spielerisches Können konnte ich schon bei den Bands Barock Project und Goblin Rebirth bewundern. Natürlich hatte Riccardo Gäste dabei. Was wären Songs wie Invisible To The Eyes oder Sandcastles ohne die wunderschöne Stimme von Jennifer Rothery. Diese nutzte dann auch gleich die Gelegenheit, den eigenen Song In The Dark ihres Projekts Sylf zu performen, bei dem selbstredend Papa Steve die Gitarre spielte. Mit den drei Parts Wrong/Pierrot/Already won des tief bewegenden Longtracks The Winner, vom aktuellen Album Spectrum, beendeten Riccardo Romano und seine Band ihren umjubelten Auftritt, den sich leider zu viele Gäste entgehen ließen.

Setlist – Riccardo Romano Land

Dragonfly

Invisible To The Eyes

Laughing Star (Part two)

Sandcastles                  

In The Dark (SYLF Song)

The Winner (parts ii-iii-iv)

Zu Beginn des Marillion Konzerts sah man kaum noch einen unbesetzten Platz. Das Gran Teatro Geox war nahezu ausverkauft. Mit Stücken des aktuellen Albums An Hour Before It’s Dark begann die exzellente Show. Neu war für mich, dass die Band dieses Album nicht komplett spielte, sondern sich auf die ersten Stücke konzentrierte, die inhaltlich von aktuellen Themen wie dem Klimawandel oder der Corona Pandemie beeinflusst sind. Es folgten auffallend viele ruhige Songs wie Fantastic Place, No One Can oder White Paper. Alles Songs, die Steve Hogarth mit beeindruckender Stimmgewalt intonierte, die ihn jedoch nicht an seine Grenzen brachten. Hogarth agierte wie immer mit exzentrischen Posen und theatralischer Gestik, erzählte zwischendurch kurze Anekdoten und wusste das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Doch was wäre das alles ohne die anderen fantastischen Musiker der Band, ohne Ian Mosleys und Pete Trewavas präzises, rhythmisches Fundament, ohne Mark Kellys filigranes Keyboardspiel und ohne Steve Rotherys einzigartige Gitarrensoli? Erst das Zusammenwirken zeigte die große Qualität der Band Marillion, die fernab des kommerziellen Musikgeschäfts ihre riesige Anhängerschaft mit sich zieht.

Mit Warm Wet Circles und That Time of the Night erinnerte die Band schließlich an ihre Anfangsjahre, als Fish Sänger der Band gewesen ist, sehr zur Freude der älteren Fans. Mit dem schwelgerischen Estonia klang das reguläre Set aus. Die Band ließ sich nicht viel Zeit, um die begeisterten Fans weiter zu erfreuen. Das melodramatische Corona-Epos Care mit der abschließenden Hymne Angels On Earth traf mitten ins Herz und sorgte bei einigen Fans für feuchte Augen. Letztlich riss Garden Party, als Vorzeige-Klassiker aus der Fish-Ära, die Fans endgültig von ihren Sitzen. Der Bereich zwischen Bühne und erster Sitzreihe füllte sich mit Menschen in ausgelassener Stimmung. Steve Hogarth genoss das Bad in der Menge und selbst der sonst so konzentriert spielende Steve Rothery bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Ein grandioser Einstieg in das Marillion Weekend Italy 2023.

Setlist Marillion – Freitag, 28.04.

Be Hard On Yourself (I – III)

Murder Machines

Reprogram the Gene (I – III)

Fantastic Place

Map of the World

Fruit of the Wild Rose

No One Can

Afraid of Sunlight

White Paper

Afraid of Sunrise

Warm Wet Circles

That Time of the Night (The Short Straw)

Estonia

Zugabe:

Care (I – IV)

Zugabe 2:

Garden Party

Am zweiten Abend des Weekends gab es keinen Support-Act, eine Novität seit dem vergangenen Jahr. Dafür erlebten wir eine Plauderstunde mit der Band unter dem Motto ‚An Audience with Marillion‘, moderiert von Managerin Lucy Jordache. Fans konnten im Vorfeld Fragen einreichen, die von den Musikern dann mehr oder weniger ernsthaft beantwortet wurden. Auf die Frage, wie lange sie wohl noch gemeinsam musizieren würden, antwortete Ian, dass er jetzt sofort aufhören könne. Lucy fragte gleich in die Runde, ob da jemand wäre, der ihn ersetzen wolle. Natürlich wollte niemand. Allgemein wurde von den anderen Musikern der Standpunkt geäußert, dass sie so lange weitermachen wollen, wie es möglich ist. Witzig war auch der Part, an dem die Musiker zu kurzen Videos ohne Sound erkennen sollten, welcher Song gerade gespielt wurde. Da lagen nicht alle richtig. Schließlich wurde Davide Costa auf die Bühne gebeten, der als Vorsitzender des Fanclubs The Web Italy maßgeblich an der Organisation dieses ersten Marillion Weekends in Italien beteiligt war. Von der Idee bis zur Umsetzung vergingen 22 Monate, ein enormer Aufwand. „Wir kommen zusammen“ sei das Mantra gewesen, von dem sich die Leute von The Web Italy leiten ließen, um dieses Weekend zu einem Erfolg zu führen. Lucy und die Band dankten Davide und seinen Mitstreitern dafür, und für ihr langjähriges Engagement als italienische Marillion Community.

Kräftiges Rauschen und sägende Gitarrensounds, die wohl ein Nebelhorn signalisieren sollen, sowie dezente Keyboardflächen, ließen den Marillion Fan wissen, dass es sich um Musik aus dem erfolgreichen Konzeptalbum Brave handelt, mit der die Band in den Konzertteil startete. Steve Hogarth saß an seinem Piano, um mit zerbrechlicher Stimme die Geschichte des verlorenen Mädchens auf der Brücke zu erzählen. Im Hintergrund liefen Filmsequenzen, die ein junges Mädchen beim Heranwachsen zeigten. Steve Rotherys Gitarrensolo bei Living With The Big Lie ging unter die Haut. Runaway folgte, natürlich mit dem Strauß weißer Tulpen, den Hogarth beim Singen zerpflückte. Alles großartig inszeniert.

Mit dem Titelsong des Albums endete der erste Block des Konzerts mit sphärischen Klängen. Ich hätte mir noch The Great Escape dazu gewünscht. Genie und Older Than Me behielten das ruhige Tempo bei. Bei Steve Hogarths Verbeugung vor Leonhard Cohen, ausgedrückt in den Verszeilen zu The Crow And The Nightingale, blieb die Band in ruhigen Fahrwassern. Hogarth gab darin wieder die Krähe in seinem schwarzes Federkleid. Wunderbare Chöre und ein herzzerreißendes Gitarrensolo verliehen dem Stück ebenso Tiefe, wie der Animationsfilm, der im Hintergrund lief.

Mit Sierra Leone und This Train Is My Life erzählte der Sänger weitere Geschichten in Form typischer Marillion Songs. Dann kam Sugar Mice und riss die Fans aus der Lethargie, die sich langsam breit zu machen schien. Mitsingen, ein intensives Gitarrensolo, stürmischer Beifall … Dann wurde es wieder ruhiger. Das atmosphärische Somewhere Else holte uns zurück aus den 80er Jahren. Bei Three Minute Boy hatte Steve Hogarth es leicht, die Fans zum Mitsingen zu animieren. Er allein am Piano, die Spots auf ihn gerichtet, und alle machten mit. Ein grandioser Abschlusssong.

Doch Schluss war noch lange nicht. The Leavers mit dem bombastischen fünften Part One Tonight war nur die erste Zugabe. Die Mitglieder von The Web Italy, die direkt vor der Bühne saßen, waren auf diesen Longtrack vorbereitet. Im Part II – The Remainers, hielten sie ihre Schals mit dem Aufdruck ‚WE ARE THE REMAINERS‘ in die Höhe. Schönes Bild. Der nächste Song, das rockige Separated Out, brachte die Luft dann zum Brennen. Wieder war der Bühnenrand umhüllt von Fans, die ausgelassen mitmachten. Und es gab eine weitere Zugabe, einen meiner Lieblingssongs, This Strange Engine. Mit diesem Stück, das alle Trademarks enthält, die die Band aus Aylesbury ausmachen, fand das erste Marillion Weekend seinen würdigen Abschluss. Zwei Konzerte an zwei Abenden mit Setlists, die eine hohe Konzentration an selten live gespielten und vor allem an ruhigen Songs aufwiesen, begeisterten die Fans aus 28 Ländern. Nicht zu vergessen der hervorragende Sound, für den Phil Brown verantwortlich zeichnete, und das fantastische Licht, designt von Yenz Nyholm.

Ein ganz großer Dank geht an dieser Stelle an die fleißigen Organisatoren von The Web Italy, die das Weekend in Padua möglich gemacht haben. Wer jetzt neugierig geworden ist, sollte die Gelegenheit nutzen, das erste Marillion Weekend in Deutschland, am 23. und 24. Juni im Berliner Tempodrom zu besuchen. Wir werden aufgrund anderer Termine leider nicht dabei sein können.

Setlist Marillion – Samstag, 29.04.

Bridge

Living With the Big Lie

Runaway

Genie

Older Than Me

The Crow and the Nightingale

Sierra Leone (I – V)

This Train Is My Life

Sugar Mice

Somewhere Else

Three Minute Boy

Zugabe:

The Leavers (I-V)

Separated Out

Zugabe 2:

This Strange Engine

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