Als PETER GABRIEL vor einigen Monaten eine neue Konzerttournee (nach inzwischen 8 Jahren Abstinenz auf den Konzerthallen dieser Welt) und ein neues Album (sage und schreibe 20 Jahr hat er keine neue Musik veröffentlicht, obwohl dies schon lange angekündigt wurde) bekannt gab, war die Vorfreude unter den Fans groß. Die letzten Alben „Us“ (1992) und “Up“ (2002) enthielten Pop-Rock Songs voller besonderer Ideen und Sounds. In seinen Tourneen ruderte er seine Band schon mal über einen Laufsteg von der großen auf die kleinen Bühne oder hing kopfüber singend über seiner kreisrunden Bühne. Kein Wunder, dass man 2023 nur großes erwarten konnte.
Natürlich bedient sich PETER GABRIEL der Mechanismen der Marktes, aber ansonsten macht er kräftig sein eigenes Ding und alles anders als seine Kollegen. Titel für Titel an neuer Musik wird 2023 jeden Monat zum Vollmond veröffentlicht. Einen Veröffentlichungstermin des seit Jahrzehnten angekündigten Albums „i/o“ gibt es aktuell immer noch nicht, obwohl die Tour „i/o“ benannt ist. Hier kann sicher nicht davon sprechen, dass in Vorbereitung der Album-Veröffentlichung vor Tourbeginn das eine oder andere nicht geklappt hat. Nein, das ist so gewollt, denn schließlich hatte er ja für diese Veröffentlichung zwanzig Jahre Zeit. Inzwischen mehren sich Stimmen die fragen: kommt die Musik von „i/o“ überhaupt als Album bzw auf Tonträger oder bleibt es bei der freien Veröffentlichung der Songs auf youtube? Zuzutrauen ist das dem Meister durchaus.
PETER GABRIEL ist ein sehr mutiger Superstar. Denn auch die live Präsentation ist anders als man es erwarten mag. Er könnte es sich leicht machen, einen Abend voll seiner Hits plus ein paar neuen Songs präsentieren. Tut er aber nicht. Von 11 unbekannten Stücken, die etwa die Hälfte des Konzertes einnehmen, sind nur ganze 5 bisher bekannt, und diese nur im Internet. Also sechs Songs hat sein treues Publikum noch nie gehört. Also da muss man mit reichlich 70 Jahren schon ganz schön E… in der Hose haben und sich seiner Sache extrem sicher sein.
Zum angekündigten Konzertbeginn 19 Uhr schält sich aus den in orange gewandeten Bühnenarbeitern einer hervor, stellt sich ans Mikro. Tatsächlich, er ist es! Setzt die Mütze ab, zieht sich den orangenen Overall aus und moderiert sich selbst mit mindestens einem Augenzwinkern in deutsch selbst an. Übrigens hält er alle Moderationen des Abends in deutsch – was für eine Referenz an sein heutiges Publikum! Die Show beginnt „klein“: er entzündet ein illuminiertes Lagerfeuer, Tony Levin kommt mit auf die Bühne, und intoniert gemeinsam mit dem Meister alleine „Hier kommt die Flut“ als deutsche Version von „Here Comes The Flood“. Den Blick auf Umweltverschmutzung und Menschenrechte hat er sich in seinen Songs seit vielen Jahren zu einer wesentlichen Aufgabe gemacht. PETER GABRIEL äußert sich hier deutlich, aber dezenter und unaufdringlicher als so manche andere Weltstars. Bei „Growing Up“als zweitem Song gesellt sich die Band zu ihm ans Lagerfeuer zu einer gewissermaßen Akustikversion des Stückes. Seine Bandmusiker sind ihm seit Jahrzehnten treue Begleiter: Tony Levin am Bass, David Rhodes an der Gitarre und Manu Katché begleiten ihn schon seit den 80ern. Dazu gesellen sich heute mehrere Backgroundsängerinnen sowie jeweils einen ein kleiner Bläser- und Streicher-Satz. Diese werden dezent, aber gezielt eingesetzt. Die Begleitung verleiht alten Gassenhauern eine neue Dimension, wenn z.B. bei „Digging In The Dirt“ eine Trompete und Backgroundgesang zum Einsatz kommt oder in „Darkness“ mit Streichern gearbeitet wird. Einer dieser Knaller war auch, als er seinen mit größten Hit „Sledgehammer“ dann natürlich mit Live-Bläsern würzte!
Auch der Bühnenaufbau war, wie so oft bei PETER GABRIEL, eigenwillig und besonders. Optische Effekte wurden auf schlanken Videowänden im Halbkreis hinter der Band sowie auf einem kreisförmigen Screen in 45 Grad unmittelbar über der Band gezeigt. Wir hatten aus Preisgründen Plätze im hinteren Bereich der Berliner Waldbühne gewählt. Standard-Videowände an der Seite sorgten dafür, dass auch wir als weit weg sitzendes Publikum auch etwas mehr von den Künstlern mitkriegten. Zu erwähnen ist auch, dass die in den Screens gezeigten Artworks der Songs von namhaften Künstlern wie z.B. Ai Weiwei gestaltet wurden, die PETER GABRIEL in seinen Moderationen vorstellte bzw. beschrieb. Ansonsten war die Band und die Bühnenshow für uns doch eher nur als Mäusekino wahrzunehmen. Ein selbst verschuldeter Wermutstropfen des Abends, denn Bilder aus anderen Konzerten lassen erahnen, dass diese Show zur Musik aus unmittelbarer Nähe betrachtet eine ganz andere optische Wucht vermittelt.
Was uns aber dort hinten in Berlin übereinstimmend tief beeindruckt hat war der glasklare Sound, den man so selbst dann selten erlebt, wenn man sich an der akustisch besten Stelle eines live Konzertes befindet. Selbst an balladesken Stellen schaffte es das allgemeine Volksgemurmel heute nicht, die Musik zu übertönen. Wenn man die Quelle der Töne suchte, sah man neben den Boxen an der Bühne nur ganze zwei Türme im ganzen 22.000 Leuten fassenden Areal, die unter Regenschutzhüllen zwei Lautsprechersysteme minimalen Ausmaßes hätten enthalten sollen. Ein beeindruckendes Hörerlebnis!
Besucher des Konzertes sollten es also trotz der teilweise exorbitant hohen Kosten für Ticket, Merch und Catering nicht bereut haben, dabei gewesen zu sein. Man kann Peter Gabriel nur beste Gesundheit wünschen, und dass er nicht wieder so lange warten möge, bis er sich wieder zu live Konzerten seinem Publikum zeigt. Sollte die neue Musik von „i/o“ noch auf Tonträger veröffentlicht werden, kann man sich auf großartige und perfekte Musik freuen.
Setlist:
Hier kommt die Flut
Growing Up
Panopticom
Four Kinds Of Horses
i/o
Digging In The Dirt
Playing For Time
Olive Tree
This Is Home
Sledgehammer
Darkness
Love Can Heal
Road To Joy
Don´t Give up
The Court
Red Rain
And Still
Big Time
Live And Let Die
Solisbury Hill
In Your Eyes
Biko