Livereport: Summer Fog Festival 2023 – „Spodek“ Katowice, Tag 2, 16. Juli

Dass der zweite Tag ebenfalls erst am Nachmittag beginnt und sogar eine Band weniger aufzubieten hat als am Tag zuvor ist bereits im Vorfeld einigermaßen überraschend. Seis drum. Jedenfalls betreten auch heute pünktlich um 15.30 Uhr die polnischen Neo-Progger von COLLAGE die Bühne. Optisch ist zunächst das überdimensionale Schlagzeug auffällig, wo die Becken über Kopf hängend angeordnet sind. So etwas haben wir bisher nur bei Marc Manchini (DREAM THEATER) oder TERRY BOZZIO (Solo Drummer) gesehen.

Collage

COLLAGE wurde 1984 ins Leben gerufen. Nach zwischenzeitlicher Auflösung erschuf sich die Band 2013 neu, von den Gründungsmitgliedern ist heute nur noch der stets in weiß gewandete Drummer Wojciech Szaldkowski an Bord. Ganze 26 Jahre nach dem letzten Studio Album „Safe“ erschien 2022 mit „Over And Out“ ein neues Studio-Album.

Die Hälfte des heutigen einstündigen Sets nimmt Musik dieses Albums ein. So mancher Fan vergleicht COLLAGE mit MARILLION der FISH Ära; spannenderweise wirkt STEVE ROTHERY in „Man In The Middle“ mit einem 4minütigen Solo mit. Der MARILLION Star wurde heute dafür nicht eingeflogen, trotzdem wird dieser COLLAGE-“Hit“ heute eindrucksvoll dargeboten.

Das erste Mal beim gesamten Festival werden jetzt Ansagen in polnisch durchgeführt. Innerhalb von „Man In The Middle“ werden die Bandmitglieder singenderweise und in polnisch vorgestellt. Auch mal ne Idee! So manches Mal haben wir ob der sehr guten Musik schon unseren aktuellen Aufenthaltsort vergessen. Was ja auch für die Güte dieses sehr guten Festivals spricht. Aber ein gewisser Heimvorteil ist beim Publikum hier schon zu spüren.

Setlist Collage

What About The Pain (A Family Album)

The Blues

Ja I Ty

Living In The Moonlight

Basnie

Man In The Middle

A Moment A Feeling

Steve Hillage Band

Mit Konzertbeginn dieses Acts überrascht uns, dass wir neben STEVE HILLAGE die komplette Band GONG wiedersehen, die ja gestern das Festival eröffnet hatte. STEVE HILLAGE war selbst Mitglied bei GONG von 1972 – 1975. Dazu gesellt sich ein weiteres für (P)Rock-Konzerte ungewöhnliches Bild: Vorn am Bühnenrand ist ein DJ Pult aufgebaut, welches von Miquette Giraudy bedient wird, einer jung gebliebenen Dame, mit der Steve Hillage schon Jahrzehnte zusammen arbeitet und befreundet ist. Diese beschriebene musikalische Kombi arbeitet bereits seit 2006 als STEVE HILLAGE BAND zusammen.

Die Musik geht in Richtung SOFT MACHINE; HAWKWIND oder eben GONG; diese Bands und Musiker spielen seit den 70er auch in den verschiedensten Konstellationen unter verschiedenen Bandnamen. Die großartigen, etwas abgewandelten Projektionen erinnern ebenfalls an das GONG Konzert gestern nachmittag. Allerdings zeigt sich im Laufe des Sets, dass die Musik als breiter aufgestellt daher kommt. Erdiger Rock ist zunächst dominierend, wird aber später zum Beispiel von psychischen Keyboardschleifen als rhythmische Basis abgelöst. Das Ganze wirkt ziemlich abwechslungsreich und musikalisch interessant. Und die Videoprojektionen tun das notwendige um das Publikum zum Schmunzeln zu bringen. Die optische Kreativabteilung muss in ihrem Leben schon einiges eingeworfen haben, um auf derartige Ideen zu kommen. Beispielsweise Landschaften wo Schimpansen mit Pilzen zerfließen oder grünes Gras mit verschiedenen Regenbogen…

Ein Schelm wer böses dabei denkt. 🙂 Textzeilen wie „I can hear the gras grow, I can see rainbows in the evening“ sind Programm.  Die STEVE HILLAGE BAND ist für uns das positive Überraschungsmoment des gesamten Festivals!

Setlist Steve Hillage Band

Fish

It´s All Too Much

The Golden Vibe

The Salmon Song

Sea Nature

Ether Ships

Lunar Musick Suite

Why Are You Sleeping?

Solar Musick Suite

The Dervish Riff

Hurdy Gurdy Man

I Can Hear The Grass Grow

Crystal City

    The Glorious Om Riff

    Riverside

    Nun sehen wir, DEN gegenwärtigen Prog Act Polens schlechthin, einmal in ihrem Heimatland. Was bleibt zu sagen, nachdem wir von der Show der Band vor 3 Wochen beim Midsummer Prog Festival schon begeistert waren (Bericht hier im Magazin nachzulesen), das sich RIVERSIDE live zu einer Art Partyband entwickelt hat, ist auch hier zu spüren. Zum Beispiel das Erstarren bei „Sweet Shelter Of Mine“ (dabei Anheizen des Publikums mit einer zarten Handbewegung).

    Die Silent Scream Show zum Schluss bei „Conceiving You“. Der dargebotene Spaß bei der Arbeit ist nicht aufgesetzt, man spürt dass dies der Band heraus kommt und von Mariusz, Michal, Maciej und Pjotr mit innerer Freude dargeboten wird. Maruisz Duda entschuldigt sich zunächst bei den ausländischen Festivalbesuchern in Englisch, dass er folgende Moderationen in Polnisch vornimmt. Klar, bei vielleicht 80% heimischem Publikum.

    Bei der Zugabe versammelt sich das feiernde Publikum erstmalig bei diesem Festival in der sonst den Fotografen vorbehaltenen, vielleicht vier Meter breiten Zone zwischen Reihe 1 und Publikum: Die Ordner lassen unkompliziert gewähren. Das Publikum war voll dabei, es war ein tolles Konzert, aber haben wir das Publikum der nationalen Progband Nummer eins in ihrem Heimatland etwas euphorischer erwartet.

    Setlist Riverside

    Addicted (Konzert-Intro)

    02 Panic Room

    Landmine Blast

    Big Tech Brother

    Left Out

    Egoist Hedonist

    Friend Or Foe

    Zugabe

    Self-Aware

    Conceiving You

    Nick Mason’s  Saucerful Of Secrets

    Das Festival bekommt ein dickes Bienchen für das brillante Zeitmanagement. Bis auf das beschriebene Überziehen gestern bei SBB und der entsprechend verspätete Beginn von STEVE HACKETT beginnen alle Bands auf die Minute pünktlich. So auch NICK MASON´S A SAUCERFUL OF SECRETS, die die vorgesehene 50minütige Umbaupause gar nicht brauchen. Die wird teilweise genutzt, um das Publikums durch psychedelische Soundscapes auf das kommende vorzubereiten, unterstützt von entsprechenden Bildern von den Videowänden. Auf die Minute um 21 Uhr springt dann Guy Pratt förmlich auf die Bühne, nachdem er die ersten Töne von „One Of These days“ noch aus dem Off gespielt hatte. Was dann folgt, ist vielleicht von dieser Welt, aber nicht aus dieser Zeit.

    Das ist pure Musikgeschichte in die Gegenwart geholt. NICK MASON und Kollegen spielen konsequent das PINK FLOYD Material, was sonst niemand auf dieser Welt live präsentiert, nämlich Musik ihrer Alben bis 1972, also aus der Zeit vor „Dark Side Of The Moon“, was die Band damals zum Global Player unter den Rockbands gemacht hat. Und das tun sie so authentisch und lebendig, dass es einem Fan dieser Musik förmlich den Atem raubt.

    Während die alten Männer vor ihm Krach machen, lächelt der alte PINK FLOYD Drummer vor sich her und genießt die Szenerie, dass seine Band ihn und vor allem das Publikum mit Musik verzückt. Er war immer der eher leise Drummer. Dabei gibt er in seinen Moderationen manche Späße und Spitzen aus seiner PINK FLOYD Zeit von sich. Z.B. „Vegetable Man“ wurde nie von PINK FLOYD oder einem anderen Cover Projekt jemals live gespielt. Er sagt und spielt das entsprechend mit Stolz.

    Strahlend spielt er bei den beiden besonders psychedelischen Stücken „Set The Controls…“ und „A Saucerful of Secrets“ den Gong, was ihm ROGER WATERS angeblich nie erlaubt habe. Der Rezensent des Festivals hat das Gefühl, dass alleine die Aufführung von „Atom Heart Mother“ in der besonderen Version mit „If“ in der Klammer und vor allem auch „Echoes“ in voller 20minütiger Schönheit die Reise nach Katowice zu diesem besonderen Festival wert war. Schöner kann ein Festival nicht enden, maximal anders.

    Setlist Nick Mason´s Saucerful of Secrets

    One Of These Days

    Arnold Layne

    Fearless

    Obscured By Clouds

    When You´re In

    If/Atom Heart Mother/If

    Remember A Day

    Set The Control For The Hearts Of The Sun

    Astronomy Domine

    Childhood´s End

    Lucifer Sam

    Echoes

    Zugaben

    See Emily Play

    A Saucerful Of Secrets

    Bike

    Fazit

    Wir haben ein tolles, super organisiertes und rundum entspanntes Festival erleben dürfen. Ok, Punktabzug müssen wir für die Gastronomie aussprechen. In der Arena gab es neben langen belegten Baguettes nur süße oder herzhafte Knabbereien. Und der öffentlichen Bereich an der Arena hatte nichts mit dem zu tun, was drin stattfand (was man alleine darin merkte, dass einem unmittelbar nach dem Progressive Rock Konzertgenuss und Verlassen der Halle zackige Techno-Klänge zu Ohr kamen). Hier gab es zwar handgemachten Fast Food, die Gastonomen waren aber von dem Ansturm der Leute in den Pausen völlig überfordert, und es wurde stets darum gebeten, später zu bestellen. Wenn man keine Live-Musik verpassen wollte, musste man hier verzichten und vielleicht ein Bier mehr trinken, denn der Ausschank des leckeren Gestensaftes zum Preis von 16 Zl (ca. 4€) verlief ohne Probleme.

    In Deutschland wurde unter Fans und Veranstaltern viel diskutiert, dass dieses Festival dem genau zeigleich stattfindenden Traditions-Prog Festival „Night of The Prog“ zahlendes Publikum abziehen würde. Wir haben vor Ort an den zwei Tagen gerade mal eine Handvoll Deutsche angetroffen, so dass unsere Beobachtungen vor Ort diese Befürchtungen nicht bestätigen können. Beide Spielorte liegen ca. 1000km auseinander, so dass rein geografisch nur ein kleiner Teil der Fans die wirkliche Wahl hatte, nach Katowice oder nach St. Goarshausen zu fahren, bei der gleichen hohen Qualität der dargebotenen Bands.

    Am Ende des Festivals haben wir noch Kamil Kubica getroffen, den Chef-Organisator des „Summer Fog Festivals“. Er ließ durchblicken, dass er auch für 2024 wieder mit ganz großen Namen arbeiten möchte. Das zahlende Publikum wird urteilen, ob sie die weitere Fokussierung auf ausschließlich große Bands richtig ist. Auch sind in der 2023er Edition mit GONG, STEVE HILLAGE, COLLAGE und NICK MASON gleich vier Bands aufgetreten, die die Bühne dieses noch jungen Festivals schon einmal gesehen haben. Hm. Warum nicht so mancher unbekannten kleinen, gerne polnischen Band eine große Bühne geben, die sie in der Prog Szene sonst nirgends bekommen? Die vergangenen Editionen und die Aussagen von Kamil Kubica zeigen, dass er sich bisher mit dem „Summer Fog Festival“ nicht an ein spezielles Wochenende im Jahr binden möchte. Bleibt es bei den aktuellen Terminen, findet die 2024er Ausgabe wieder hier in Katowice und eine Woche vor der „Night Of The Prog“ statt. Auf jeden Fall werden wir die Entwicklungen um dieses Festival im kommenden Jahr wohlwollend verfolgen. Es hat uns sehr gefallen und wir kommen gern wieder, wenn alles zusammen passt.

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