Interview mit Marek Arnold – Seven Steps to the Green Door … das Warten hat sich gelohnt!

Etwas später als geplant ist mit „The Truth“ der dritte Teil der „?“ – Trilogie der Band um Marek Arnold und Ulf Reinhardt erschienen, und das Mammutwerk hat durchaus das Zeug, zu einem Klassiker des deutschen Progressive Rock zu werden. Renald sprach für Stone Prog mit Marek Arnold.

Marek Arnold in seinem B´Side Studio

Du hast ja schon an einer Vielzahl von Alben in unterschiedlichsten Konstellationen mitgewirkt. Wenn man nun ein Projekt wie diese Trilogie abgeschlossen hat – fühlt sich das besonders an?

Ja, tut es. Zum einen ist da dieser sehr lange Entstehungsprozess und zum anderen ist die Arbeit an so einem Konzept auch intensiver, weil man auf verschiedenen Ebenen kämpft. Man schreibt die Musik, muss die Texte kennen, muss sich mit der Materie auskennen. Man muss permanent die Musik an den Text oder die Story anpassen. Dazu kommt ein deutlich höherer Aufwand, was das Artwork, aber vor allem auch die Charaktere angeht, die auf dem Album mitwirken. Wir arbeiten mit sehr vielen Gästen, weil  ja ca. vierzehn Personen auf den drei Alben vorkommen – und das betrifft nur den Gesang. Wir hatten vermutlich mit “The?Book“ den größten Aufwand, weil es der Start des Ganzen war und für uns auch Neuland. Das hat drei Jahre gedauert, und dieser Aufwand war dann auch der Grund, dass wir gesagt haben, jetzt müssen wir erstmal auftanken und das machen wir mit einem von dem Konzept völlig unabhängigen Album. So entstand dann zunächst „Fetish“, wo wir wieder in einzelnen Songs gedacht haben, viel im Proberaum gemeinsam jam´ten und dabei die Songs gemeinsam entwickelten. Wir wussten überhaupt nicht, in welche Richtung es geht und das ist definitiv ein großer Unterschied zu einem Konzeptalbum. Und als wir dann mit „The?Lie“ begannen und klar wurde, dass es zwei Alben werden, da haben wir erstmal tief durchgeatmet, weil uns klar war, dass uns wieder spannende Jahr bevorstehen, die aber auch sehr anstrengend werden. Und so ist es auch geworden.

Marek Arnold

Also habt ihr bewusst nach dem ersten Album nicht direkt mit den Arbeiten an der Fortsetzung begonnen?

Wir mussten zunächst wieder den Kopf frei kriegen, ein Konzept schränkt dich irgendwo ja auch musikalisch ein. Da hat uns die Arbeit an „Fetish“ wirklich gut getan.  Zum anderen wussten wir nach „The?Book“ auch noch nicht, dass es eine Fortsetzung geben würde. Es war eine abgeschlossen Geschichte, die Thoralf entwickelt hatte, wir haben damals die Texte noch selbst geschrieben, vor allem Lars und ich, und es gab ja dann auch ein klares Ende, eine klare Auflösung. Und die Ideen, einen Nachfolger zu schreiben, kamen wirklich erst Jahre später. „Fetish“ war schon erschienen, aber immer wieder bekamen wir Nachrichten von Fans, denen „The?Book“ so gefallen hatte, die die Story so packend fanden und meinten, die Story könnte man doch weiter führen. Und irgendwann wurden diese Stimmen so häufig, dass ich darüber nachdachte und auch wieder Lust bekam. Also rief ich Thoralf an und fragte ihn, ob er Lust hätte, die Story weiter zu schreiben. Beim ihm passte es auch gerade, was seine Stimmungslage und private Situation betraf, und er stimmte zu. Und dann hatten wir natürlich auch das Glück, mit George Andrade jemanden zu finden, der uns dann eine Storyline entwickelte. Und einen native Speaker dabei zu haben, ist natürlich ein Vorteil! Thoralf hat eine Art Grobkonzept entwickelt: welche Personen gibt es und was passiert ihnen. George hat das Thema weitergedacht, in verschiedenen Zeitformen und er gibt auch Personen, die in „The?Book“ nur am Rande vorkamen, nun eine neue Bedeutung. Sie werden jetzt zum Beispiel Familienmitglieder, die Geschichte dieser Familie aus „The?Book“ führt man jetzt über Generationen durch die Zeit. Dadurch entstehen neue Sichtweisen, was das Ganze unheimlich spannend, aber auch komplex gemacht hat.

Du hast ja vor einem Jahr mit deinem erfolgreichen Artrock-Projekt schon mit einer Vielzahl von Musikern zusammen gearbeitet. Funktioniert es bei Seven Steps Into The Green Door ähnlich?

Bei Seven Steps… hat sich über die Jahre eine ziemlich klare Struktur entwickelt. Ulf und ich bilden das Kernteam und halten die Fäden in der Hand. Das betrifft das Songwriting und die Konzepte, wir tragen auch die Ausgaben der Band, kümmern uns um das Organisatorische und treffen die meisten Entscheidungen. Dann gibt es viele Sänger und Musiker, die uns von Anfang an begleiten, es war aber auch immer viel Bewegung in der Band. Es ist im Prog ja so, dass man besonders versierte Leute braucht, aber gerade diese sind natürlich auch besonders gefragt und immer irgendwo unterwegs. Aber dadurch hatten wir über die Jahre gelernt, organisatorisch damit umzugehen, immer mit neuen Leuten zu arbeiten. Beim zweiten Teil hatten wir ja zeitweise keinen eigenen Gitarristen und so haben wir dann mit Luke Machin zusammen gearbeitet, den ich von meiner Arbeit mit Guy Manning kannte. Er ist ein sehr versierter Gitarrist und war für die Arbeiten an den Gitarren für „The?Lie“ dann eine Woche in Deutschland. Er hat für das Album alle Gitarren eingespielt, für „The?Truth” hatten wir dann Martin Fankhänel, dabei der auch auf meinem Soloalbum maßgeblich Gitarrenparts beigesteuert hat. Es ist also immer etwas Bewegung in der Band, was die Besetzung angeht. Aktuell ist Andreas „Eddy“ Gemeinhardt wieder dabei, der bereits auf unseren ersten beiden Alben gespielt hat. Allerdings kam erschwerend dazu, dass viele internationale Künstler einfach so weit voneinander entfernt leben, dass man sie nicht einfach mal so eben ins Studio holen kann. Es musste viel über das Internet passieren, das Timing musste sehr genau sein, was die Studiozeiten anging. Der logistische Aufwand war eine Herausforderung, aber er hat sich gelohnt.

Ulf Reinhardt

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit George Andrade?

Man muss sich das so vorstellen, dass wir im Grunde immer zuerst die Musik entwickeln. Und dann wird sie im Proberaum durch Ulf und mich – aber auch zum Teil mit den Sängern, mit Lars, als Hauptcharakter der Story und aktuell auch mit Sören, der jetzt ja unser Sänger ist – komplett neu gedacht. Wir versuchen unsere Musik, die ja sehr polyrhythmisch und komplex ist, durch die Gesangslinien dann wieder melodischer zu machen. Diese Melodien sind dann aber auch schon sehr konkret und werden dann mit „Oh Baby“ und „Balla Balla“ eingesungen. Diese Demos habe ich dann George geschickt, und er hat wirklich ein unfassbares Talent, die Texte darauf zu schreiben. Manchmal hat er sogar die Silben unserer Phantasiesprache angepasst, damit es sich besser singen lässt. Aber wenn wir diese Demos schreiben, dann wissen wir noch gar nicht, wer dann Final diesen Part singt. Das wird ja erst durch die Texte von George definiert. Wir geben aber schon Hinweise, zu welchem Sänger oder zu welcher Sängerin unsere Meinung nach dieser Song passen würde. Aber das sind natürlich nur Empfehlungen – wenn in diesem Teil der Geschichte diese Figur gar nicht vorkommt, dann muss es  halt jemand anderes machen. Aber da sind wir eben auch bei einer wesentlichen Einschränkung bei einem solchen Konzeptalbum. Die Sänger bekommen von uns Songs vorgesetzt, nach dem Motto, das müsst ihr bitte jetzt so singen. Ich glaube, es ist für Sänger wesentlich einfacher, ein „normales“ Album einzusingen. Und ich bin sehr glücklich, dass auch George ein Händchen dafür hat, bei den Texten zu spüren, welcher Sänger wofür geeignet ist.

Seven Steps To The Green Door – Lineup 2 Days+1 Prog in Veruno

Ihr habt ein feines Gespür dafür, Komplexität, Melodie und Story zu verbinden!

Danke! Seven Steps sind ja als eine Art „Progressive Crossover“ Band gestartet. Wir haben schon immer alles zusammengehauen, was irgendwie zusammen passte, ohne allerdings das Melodische dabei zu verlassen. Aber wir sind auch sehr experimentell. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch mal ein Rap vorkommt oder dass es funkige Passagen gibt. Bei dieser Trilogie ist alles natürlich dem Inhalt entsprechend angepasst. „The?Book“ war eher melodisch, abgesehen vom Titel „Crying Child“, wo es um den Tod geht und auch Growling eingesetzt wird. „The?Lie“ war unser düsterstes und härtestes Album, da geht es schon ordentlich zur Sache – eher Prog Metal, sehr virtuos und komplex, aber dadurch auch weniger zugänglich. „The?Truth“ fügt das alles zusammen und ist das stilistisch abwechslungsreichste Album – aber das hängt natürlich alles auch von der Story ab. Die Themen und Charaktere, die in den beiden ersten Alben vorgestellt worden sind, kommen hier zum großen Finale wieder zusammen. Wer das Leitmotiv von „The?Book“ verinnerlicht, wird feststellen, dass es in vielen Varianten auf allen drei Alben vorkommt. Mal im Hintergrund, mal prägnant, mal von Streichern gespielt, mal gesungen. Und dann gibt es ja im ersten Teil diese Türen, hinter denen sich Charaktere verbergen, und zu jedem gibt es ein eigenes Thema, und all diese kommen jetzt beim dritten Teil auch wieder vor. Das war für uns eine große Herausforderung. Der Hörer sollte ja nicht das Gefühl haben, es wird nur noch gestückelt – man darf ja den roten Faden nicht verlieren und muss in der Gesamtheit melodisch bleiben.

Ich höre immer wieder in Interviews, dass die Leute heute nicht mehr bereit sind, ausreichend Zeit in das Hören von Musik zu investieren. Schon ein Song über mehr als fünf Minuten ist zu lang. Ihr habt jetzt drei CDs, die eigentlich verdienen, am Stück gehört zu werden…

Es ist in der Tat so, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Leute immer mehr sinkt. Und erst recht, wenn man es mit einer so komplexen Story zu tun hat – man muss ja im Prinzip zuerst die Geschichte lesen und dann erkennen, welcher Charakter wie musikalisch umgesetzt wird. Da verlangen wir unserem Publikum schon einiges ab. Vermutlich werden es nur einige wenige sein, die das auch wirklich tun. Aber wir können ja nicht aus unserer Haut. Und wahrscheinlich ist das so ein Ding, das macht man für sich selbst. Die Alben sind ja so konzipiert, dass sie ineinander  übergehen und das dritte Album endet so, wie das erste beginnt, man könnte also wieder von vorne beginnen , und wenn ich mir die Alben jetzt anhöre, dann bin ich unheimlich stolz, wie wir es geschafft haben, eine solches Konzept umzusetzen. Es ist ja fast eine Rockoper, wenn vielleicht auch nicht so pompös wie bei Ayreon, den ich übrigens sehr mag, aber der etwas andere Trademarks hat. Aber ich hoffe natürlich, dass sich möglichst viele Hörer die notwendige Zeit für diese Musik nehmen.

Warum eigentlich nur „fast“ eine Rockoper?

Mit einer Rockoper assoziiert man ja eine gewisse Theatralik, die einfach dazu gehört. Und das hat unsere Trilogie nicht in dem Maße. Natürlich gibt es diese hymnenhaften Elemente, wie zum Beispiel beim großen Finale. Aber wenn jemand jetzt unsere Musik als Rockoper empfindet, dann habe ich damit auch kein Problem.

Seven Steps To The Green Door in Plauen 2023

Ohne die Leistung der anderen Sänger schmäleren zu wollen, ihr habt das Glück mit Pete Jones zu arbeiten. Aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich das nicht gewusst, es wäre mir nicht aufgefallen….

Das ist ja das Faszinierende an ihm. Er singt die Rolle des Vaters und gerade auf „The?Lie“ singt er ja unglaublich viel und auch auf „The Truth“ ist sein Anteil sehr hoch. Ich habe ihn bei einem Auftritt mit seiner Band „Tiger Moth Tales“ kennengelernt und man kennt ihn stimmlich ja eher in der Nähe zu Peter Gabriel, fast schon atmosphärisch. Aber hier schafft er es, seine Stimme deutlich härter klingen zu lassen. Man erkennt ihn schon, wenn man weiß, dass er es ist, vielleicht aber war es aber auch von ihm so gewollt, sich stimmlich von seinen anderen Produktionen zu unterscheiden.

Selbst als klar war, dass es eine Fortsetzung zu „The?Book“ geben würde, war zunächst nicht die Rede von einer Trilogie…

Ursprünglich sollte das zweite Album schon „The?Truth“ heißen. Aber als George dann die Storyline entwickelte, dann sagte er uns, Leute, ich habe so viel mehr Material als für „The?Book“, das schaffen wir nicht mit einem Album. Und so haben wir uns dann entschieden, „The?Lie“ sozusagen als Zwischenstück zu veröffentlichen und auch gezielt dafür zunächst die Musik geschrieben.

Es scheint euch auch besonders wichtig, immer wieder zu betonen, dass diese Trilogie sich nicht pauschal gegen Religionen richtet…

Die Alben sind schon gewisser Weise ein Gegenentwurf zu den sehr missionarischen Alben von Neal Morse, den ich als Musiker sehr verehre. Wir wollen Niemandem seinen Glauben nehmen, aber neben der Glorifizierung muss auch Kritik möglich sein,  besonders, wenn aus dem Glauben Fanatismus wird oder er von Institutionen missbraucht wird. Das Ende von „The?Book“ sagt ja: „Sieh selbst, geh deinen eigenen Weg, verlasse dich nicht auf ein höheres Wesen“. Man kann das religionskritisch sehen, man kann aber auch sagen, hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Ich habe dazu auch viel Zustimmung von Gläubigen bekommen, die gesagt haben, man muss sein Leben in die eigenen Hände nehmen, man kann nicht alles an eine höhere Macht delegieren. Im ersten Teil geht es ja vor allem darum, dass die Figur des Samuels mit seiner Liebe versucht, aus dem engen Korsett auszubrechen, das ihm im Namen des Glaubens durch seinen Vater und Großvater auferlegt wird. Er durchlebt schwere innere Kämpfe, was sich ja auch durch seine Träume von diesen sieben Räumen, widerspiegelt.  Im zweiten und dritten Album wird dann eher die Familiengeschichte über Jahrzehnte, fast Jahrhunderte erzählt, die von einem starken Fanatismus geprägt ist. Es wurde viel Unrecht begangen, aber man hat sich immer hinter seinem Glauben versteckt. Aber ich will nicht zu viel verraten, sagen wir mal, es geht bis zum Mord und Totschlag. Und es gibt Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen, nimm nur die Verbrechen, die nach wie vor im Namen der Religionen verübt werden.

Auf der einen Seite schreit ein Projekt wie dieses förmlich nach einer Liveaufführung, auf der anderen ist die bittere Realität….

Leider ist eine Aufführung dieser drei Alben derzeit wohl völlig utopisch. Wir haben bereits bei „The?Book“ tatsächlich darüber nachgedacht, eine Aufführung in einem kleinen Theater, zum Beispiel. Aber selbst mit Laiendarstellern – wenn man an den ganzen Aufwand, die Proben, die Technik, denkt – wäre es für uns nicht möglich gewesen. Mit all  den Charakteren wären da bis zu dreißig Künstler im Einsatz, und machen wir uns nichts vor, dafür ist unserer Szene einfach zu klein.

Also erfreuen wir uns an den Studioalben, und hoffen, dass auch das 3 CD Artbook bald verfügbar ist!

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