Nachdem die Norweger anlässlich ihres hochgelobten zweiten Albums “Alienism” 2022 sogar auf der Night Of The Prog gastierten, erschien vor einem Jahr mit “Black Science and White Lies” ein ebenbürtig Nachfolger. Renald Mienert sprach mit Sänger Hans Andreas Brandal.
Ich habe das Gefühl, gerade in jüngster Zeit werden von Progbands sehr viele Konzeptalben veröffentlicht. Ihr seid da keine Ausnahme!
Wir haben zu Beginn unserer Karriere darüber gesprochen, welche Art von Alben wir machen wollen. Und ich als Texter wollte immer schon Geschichten erzählen, die sich über eine gesamte CD erstrecken, keine Standalone-Songs. Natürlich lieben wir auch Konzeptalben, mein Favorit ist “Operation Mindcrime” von Queensrÿche. Dieses Album hat einen neuen Trend ausgelöst, eine Art zweite Welle, was Konzeptalben betrifft. Es gibt ja kein jährliches Meeting der Progbands, wo sie entscheiden, Konzeptalben zu veröffentlichen. Es macht aber Spaß. Dieser Ansatz, ein Album als einen einzigen langen Song zu betrachten, wie es jetzt bei uns war, noch mehr als bei den vorherigen. Es ist eine sehr lineare Geschichte, von A nach B, erzählt von einem Hauptdarsteller. Die Geschichte setzen wir auch auf der Bühne entsprechend theatralisch um. Außerdem enthält das Booklet zusätzlichen Text. Wer der Geschichte optimal folgen will, der muss die Musik hören, das Booklet lesen und uns live sehen.

Ein Frage, die ich in dem Zusammenhang gerne stelle: Sehr oft lassen Konzeptalben dem Hörer viel Spielraum für eigene Interpretationen. Wie steht ihr dazu?
Unser letztes Album „Alienism“ war ja vom Thema eher abstrakt. Ich habe dann einen Post auf Facebook gelesen, wie jemand nach einer Show von uns die Geschichte interpretiert hat. Er hat es als starke Kritik am norwegischen psychiatrischen Gesundheitssystem aufgefasst. Er lag jetzt nicht komplett daneben, aber wir hatten nichts Politisches im Sinn, es ging um die mentale Gesundheit und Psyche. Aber er war sehr enthusiastisch bezüglich seiner Interpretation. Aber es gibt Raum für beide Herangehensweisen. Als Künstler macht es auch Spaß, unterschiedliche Ansätze für die Alben zu wählen. Wenn man zu abstrakt wird, besteht die Gefahr, dass es den Leuten nicht gefällt, dass ihnen das Vorstellungsvermögen fehlt, sich eine eigene Geschichte zu schaffen. Ich mag diese abstrakten Alben durchaus, wenn man aber eine Geschichte erzählt, wie wir es jetzt machen, dann sollte man schon genügend Hinweise geben, dass der Hörer zumindest die Hauptaussagen versteht.


Ich habe ein Review gelesen, in dem euer neues Album inhaltlich mit den religiösen Alben von Neal Morse verglichen wird.
Ich auch. Ich glaube, hier hat der Autor tatsächlich missverstanden, was ich ausdrücken wollte. Es ist kein religiöses Album, es ist eher ein religionskritisches. Ich wollte nicht direkt eine etablierte Religion ansprechen, deshalb haben wir uns eine eigene für das Album geschaffen, eine Art konservativer Kult oder eine Sekte.
Euer Album besteht aus zwei Longtracks, die jeweils perfekt auf eine Seite einer LP passen.
Ja, das war kein Zufall. Für die digitalen Plattformen haben wir die Songs zusätzlich noch in separate Teile gegliedert. Es gibt vielleicht Leute, die nicht gleich einen zwanzig Minuten Song hören möchten und so haben sie die Chance, Zugang zu unserer Musik zu finden.
Es gibt personelle Verbindungen zwischen euch und The Windmill.
Der Flötist und Saxophonspieler von Windmill ist der Vater unseres Gitarristen Stig. Und Stig spielt auch bei Windmill Gitarre. Unser Drummer hat auch auf dem letzten Windmill Album gespielt und hat sie auch einige Male live unterstützt, aber aktuell nicht mehr.

Norwegen scheint eine sehr aktive Progszene zu haben.
Man kann sagen, es gibt hier zwei lokale Schwerpunkte für den Prog. Einer ist Oslo und Umgebung und der andere Bergen. In Norwegen wird wirklich viel Progressive Rock gemacht, das hat man so vielleicht nicht kommen sehen. Die Leute kennen sich, spielen zusammen in unterschiedlichen Bands. Morten, von Windmill, organisiert zum Beispiel ein zweitägiges Prog Festival in der Nähe von Oslo. Unsere ganze Band hilft da mit, beim Auf – und Abbau, hinter der Bühne. Man lernt Künstler kennen, mit denen man hoffentlich auch einmal spielt. Es gibt hier viele gute Veranstaltungsorte. Man trifft auf den Konzerten dieselben Leute und kommt ins Gespräch, trinkt vor und nach der Show ein Bier. Wir haben hier eine gute Community. Und es wird viel gute Musik produziert.
Was gibt es zu euren Konzerten zu sagen?
Wir haben 2017 unser erstes Konzert gegeben, das war als unser Debüt “Transition” erschien. Es folgten dann einige eher klassische Shows, ohne diese theatralischen Elemente. Mittlerweile haben wir einen eigenen Tontechniker, was viel hilft. Und wir verwenden viele schauspielerische Elemente, tragen Kostüme, vor allem ich. Für die zwei Longtracks auf dem neuen Album trage ich insgesamt sechs Kostüme, das ist also ziemlich hektisch. Wir haben gerade an unseren Backing Vocals viel gearbeitet. Insgesamt sind wir als Band besser geworden, wir sind alle gute Freunde und das spürt man auch auf der Bühne. Wir möchten natürlich auch einen guten Eindruck hinterlassen, ich glaube gerade in der Progszene ist man da sehr professionell. Da wird nicht vor der Show großartig getrunken. In der Progszene sieht man auch nicht viele Künstler trinken, es ist technisch anspruchsvolle Musik, man muss konzentriert bleiben. Wir heben uns das Bier für nach der Show auf.
Oder für den Proberaum.
Wir hatten eine Bierzapfanlage in unserem Proberaum. Wenn nichts passierte, haben wir ein paar Bier getrunken. Vielleicht zu viel, aber wir wurden Freunde und hatten eine gute Zeit.

Wie entstehen eure Songs?
Für das Debüt haben wir noch auf alte Ideen zurückgegriffen, die sich angesammelt hatten. Aber für das zweite und dritte Album ist alles komplett neu entstanden. Früher haben wir die Songs mehr im Proberaum entwickelt, heute werden die Ideen zuerst am Computer umgesetzt und dann den übrigen Mitgliedern präsentiert.
Lag das auch an Corona?
Durch die Pandemie haben wir diese Möglichkeiten zwar stärker genutzt, haben das aber auch schon früher gemacht. Ich glaube, viele Bands haben erkannt, dass es zumindest ein guter Weg ist, den kreativen Prozess zu starten.
Du hast eine besondere Art, die Texte zu schreiben….
Wenn ich einen Text schreibe, dann schreibe ich immer zuerst eine ganze Geschichte und wähle dann aus, welchen Part ich davon singen möchte. Bei den beiden ersten Alben war zuerst die Musik da, dieses Mal waren die Texte als erstes fertig, natürlich musste ich dann noch einige Anpassungen vornehmen, abhängig von der Songstruktur.
Seit “Alienism” sind fünf Jahre vergangen…
Die Arbeiten an diesem Album haben recht lange gedauert. Die ersten Ideen hatten wir ziemlich früh. Aber dann gingen wir auf Tour mit dem zweiten Album. Das erschien 2019, kurz vor der Pandemie, und es kam ja gut an. Wir waren zur NotP eingeladen, auch wenn das Event dann zweimal verschoben werden musste. Außerdem leben wir in verschiedenen Landkreisen, nicht allzu weit entfernt voneinander, aber natürlich konnten wir uns dann während der Pandemie nicht persönlich treffen, alles lief nur noch digital. Und dann haben wir auch Familie, einige wurden Eltern, es zog sich und zog sich. Die Aufnahmen dauerten dann ein Jahr, ab Januar 2022 ging es dann ziemlich schnell, an den meisten Wochenenden wurde geprobt und aufgenommen.

Hoffentlich sieht man euch hier bald wieder…
Das Album ist leider etwas später erschienen als geplant. Die Festivals waren schon ausgebucht, aber wir arbeiten an Terminen für 2025. Wir versuchen die Dinge jetzt etwas professioneller anzugehen, mit der Plattenfirma und einer Promoagentur.
Dann kann ja nichts mehr schief gehen!
