Half Past Four – ob es wohl Halb Vier war, als diese kanadische Band im Jahr 1999 von dem russisch-stämmigen Bassisten Dmitry Lesov und dem Gitarristen Constantin Necrasov gegründet wurde? Jedenfalls änderte sich die Gründungsbesetzung sechs Jahre später zu den heute noch aktiven fünf Musikern. Dabei gelang insbesondere mit der Sängerin Kyree Vibrant ein fulminanter Fang, die mit ihrer Stimme seither die Musik von Half Past Four prägt. So erzählen die Bandmitglieder, dass ihre Songs ursprünglich fast ausschließlich mit russischen Texten versehen waren. Kyree machte sich nach Bandeintritt sofort daran, diese ins Englische zu übersetzen oder einfach gleich neue, englische Texte hierzu zu schreiben. Mit anderen Worten: sie stieg nicht bei der Band ein, die Band stieg bei ihr ein. Mit „Finding Time“ liegt nun das vierte vollwertige Album dieser ungewöhnlichen Formation vor. Wobei vollwertig hier heißt: gerade einmal 34 Minuten lang.

Tracklist:
1. Tomorrowless (4:55)
2. Far Away Here (3:55)
3. Shake Your Head (7:39)
4. Igguana (5:58)
5. Branches (6:50)
6. Underbelly (4:45)
Bevor ich zur Musik komme, hier erst einmal ein paar Worte zu den Texten. Diese sind auf der Innenseite des Covers abgedruckt und dies in einer Schriftgröße, die problemlos von einem Adler gelesen werden kann, allerdings auch von diesem nur mit einer Lupe und aus nicht mehr als 20 Zentimetern Entfernung. Also ist Zuhören angesagt, was schwierig ist, da die Musik die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Was hier von Minute 1 in die Gehörgänge hereinbricht, lässt die Kinnlade herunter klappen. Mal klingt es, als hätten King Crimson ihre Finger im Spiel gehabt („Far Away Here“), mal schwört man Stein und Bein, dass Kate Bush das Sagen im Aufnahmestudio samt Mikrofon an sich gerissen hat (bei „Igguana“ und beim Auftakt im nachfolgenden „Branches“).
Dies ist nicht nur durch den kompositorischen Einfallsreichtum und die große Kunstfertigkeit der Musiker an ihren Instrumenten möglich, sondern auch durch die bemerkenswert kräftige und wandlungsfähige Stimme von Kyree Vibrant. Das geht so weit, dass ihre Stimme im ohnehin musikalisch wie auch textlich schon schrägen Auftaktstück „Tomorrowless“ bis an die Schmerzgrenze geht. Auf „Shake Your Hand“ säuselt sie hingegen verführerisch ins Mikro. Nichts wiederholt sich auf diesem Album und das finale „Underbelly“ lässt sich sowieso keiner Stilrichtung so richtig zuordnen. Und so staunt man, was sich alles in gerade einmal 34 Minuten hineinpacken lässt, die wie im Flug vergehen.
Im Fazit ist „Finding Time“ alles außer gewöhnlich. Konzentriertes Zuhören und ein breit gefächerter Musikgeschmack sind unerlässliche Voraussetzungen für ein positives Musikerlebnis. Und wer, wenn nicht gestandene Proggies, sollten über diese Voraussetzungen verfügen?

Musiker
Kyree Vibrant – Lead Vocals, BG Vocals
Igor Kurtzman – Keyboards, BG Vocals
Dmitry Lesov – Bass, BG Vocals
Boris Kalantyr – Guitar, BG Vocals
Roberto Bitti – Drums, BG Vocals
