Die schwedische Band ÄNGLAGARD ist ein Phänomen. Nicht nur wegen der ungewöhnlichen Musik die sie machen, sondern auch wie sie auf dem Markt auftauchen und wieder verschwinden. Nach zwei hochgelobten Platten Anfang der 90er Jahre und einem live Album verschwand die Band praktisch wieder völlig in der Versenkung, abgesehen von sporadischen Aktivitäten 2002/2003. Richtig spannend wurde es erst wieder mit der Veröffentlichung ihres dritten Albums im Jahr 2012 und danach beginnenden regelmäßigen Konzertauftritten. Bezug nehmend auf das deutsche Publikum sind hier insbesondere der Auftritt beim „Night of The Prog“-Festival 2013 und die Tour 2015 zu nennen, die Änglagard auf ihrem einzigen Deutschland-Club-Konzert in „Das Rind“ nach Rüsselsheim führte. Danach gab es nach 2015 noch einen zweiten Auftritt bei „Cruise to the Edge“ 2017, es wurde viel über weitere geplante Aktivitäten und neue Musik geschrieben. Letztlich ist die Band aber danach bis heute erneut spurlos in die Versenkung verschwunden, was selbst Personen, die nahe an der Band standen frustriert.
So kann das hier rezensierte Konzert „Made in Norway“ durchaus als das bis heute ultimative live- Dokument des Ensembles bezeichnet werden. Von den Gründungsmitgliedern sind hier Anna Holmgren, Johan Brand geb. Högberg und Tord Lindman am Start. Mitgeschnitten wurde die Show am 21. Februar 2015 im norwegischen Sandvika. Die Bildqualität der BR ist sehr gut, trotz dass hier unter sichtbar räumlich schwierigen Bedingungen aufgenommen wurde und die Band nicht optimal ausgeleuchtet worden ist. Der Sound ist große klasse, 5.1. ist wirklich in sehr gutem Raumklang dargestellt, die Bass-Fraktion haut voll in die Magengrube.
Für angenehme Alltagbeschallung ist Änglagard nicht geeignet. Nahezu alles was Informationen betrifft wird konsequent in schwedisch vorgenimmen. Die Musik ist zu 95% instrumental, Sequenzen mit Gesang sind nur in Titeln vom ersten Album enthalten. Ziel der Musik ist es, an den Retro-Prog der 70er Jahre zu erinnern. Auch auf der Bühne werden als klassisches Rock- Instrumentarium unter anderem Hammond, Rickenbacker und Gongs verwendet, darüber hinaus aber auch Saxofone (teilweise zwei gleichzeitig!), Vibrafon und klassisches Piano, bis hin zu Spielereien wie quiekenden Luftballons oder Tröten. Die Musik die hier aufgebaut wird, erinnert in seiner „Schrägheit“ am ehesten an King Crimson, jedoch geht der musikalische Ansatz in eine andere Richtung. Melodiös, ja, schon, Motive werden manchmal wiederholt und verarbeitet, es gibt kaum Kakophonie. Die Struktur der Songs, die selten eine Länge von unter 10 Minuten haben, ist eher der klassischen Musik entlehnt. Es gibt kaum Strophe-Refrain Strukturen, der Songaufbau ist oft linear, manchmal auch für den Laien gar nicht erkennbar. Leise Stellen bauen Spannung auf, die sich dann in druckvollen laut dargebotenen Phasen entladen. So ist hier in meinen Augen besonders die Arbeit von Johan Brand am Rickenbacker Bass und Bass Pedal hervorzuheben, die der Musik teilweise extreme Power gibt und dem Zuhörer damit einen Riesenspaß bereitet.
Die Songs sind in gleichen Teilen allen drei Studioalben entnommen. Die Setlist dieses Konzerts entspricht, auch in der Reihenfolge, genau der in Japan 2013 aufgenommenen live Doppel-CD „Prog pa Svenska“ und ist im zweiten Teil durch „Vandringar in Vilsenhet“ vom 1992er Album „Hybris“ und ein spannendes Drum Solo ergänzt, in dem Vibrafon und Riesentrommel eine Hauptrolle spielen und welches filmisch mit kalten Winterbildern durchsetzt ist.
Wer nach PROG Musik sucht, die ungewöhnlich und besonders ist sowie mit kaum anderen Dingen zu vergleichen, ist bei ÄNGLAGARD und diesem Konzert hervorragend aufgehoben. Allerdings sei gewarnt: Alltagstauglich ist das Ganze hier nicht. Bestellbar ist das Ganze aktuell beispielsweise auf Burning Shed (BR + DVD) oder Bandcamp (DVD)
Erschienen am 10. Februar 2017
Wertung: 8,5/10 Punkten
Setlist:
1. Introvertus Fugu Part 1
2. Höstsejd
3. Längtans Klocka
4. Jordrök
5. Sorgmantel
6. Vandrigar i Vilsenhet
7. El Impetu del Bosque
8. Kung Bore
9. Sista Somrar
Änglagard 2015:
Anna Holmgren (fl, sax, mellotron, melodica)
Johan Brand (bass, basspedal)
Erik Hammarström (dr, cymbals, vibrafon, tub. bells, gong)
Tord Lindman (git, voc, gong)
Linus Kase (keyb)
Jonas Engdegard (git)