Der dritte Tag beginnt mit einer Band, die viele schon einmal erlebt haben könnten, zum Beispiel im Bergkeller oder auf dem Night Of The Prog Festival auf der Loreley. Warum sie als Opener bereits 15 Minuten später die Bühne betreten, bleibt dem Festivalbesucher ein Rätsel. Die vorgegebenen Zeitfenster für die Umbaupausen und Konzerte scheinen heute auch alle anderen wenige zu interessieren.
Lesoir:
Die zwei Damen und drei Herren in der Band lassen ein gefestigtes Bandgefüge erkennen. Man ist eingespielt, der Sound sitzt. Die Musik ist schwer zu beschreiben. Das Konzert beginnt ruhig, nimmt aber später an Dynamik zu (teilweise wird eine Linie mit 3 Gitarren plus Bass auf der Bühne präsentiert) und wird so gefälliger.
Ein sehr guter Tages-Opener, der offenbar auch Uwe gefallen hat. Jedenfalls läßt er es sich nicht nehmen, sich mit jeweils einer Rose bei den Damen zu bedanken. Das Konzert kommt gut an, und die Band nimmt sich später am Merch ausführlich Zeit, die zahlreich mitgeführten Tonträger zu signieren, für Fotos zur Verfügung zu stehen und mit den Fans ins Gespräch zu kommen.
Setlist: Lesoir
Single-Eyed
Mosaic
In The Game
Thick Skin
Gone And Forgotten
Babel (Part V)
Dystopia
Press Play From Start
Somebody Like You
Eden´s Garden
Two Faces
Mad Fellaz:
Einen breiten Stilmix präsentiert und Mad Fellaz als nächste Band. Der aus Italien angereiste Band-Siebener überzeugt mit einer gefälligen und spannenden Mischung aus Jazz, Prog und Funk. Unterstützt wird der Mix durch kräftiges Gebläse in Form eines Saxofons.
Wir empfinden das Ganze als ziemlich laut, und da das alles etwas abgefahren und weniger proggig klang, nutzen viele diesen Act zu einer kleinen Pause. Wir meinen zu Unrecht, von manchem geduldigen Zuhörer wurde der Drummer sogar als “Weltklasse” bezeichnet. Aber kein Wunder, denn ein Dreitages-Festival kostet jedem Fan viel Kraft, wenn er viel erleben möchte, und die Hauptacts des Tages waren noch ein ganzes Stück weg.
Setlist: Mad Fellaz
The Animal Spell
Babylon
Free As A Dog
Liquid Bliss
Rise And Shine
Tuareg´s Dance
Candy Store
Tennouheka No Sakura
Jakepot
Birth Control:
Sehr gefälligen Krautrock in Reinkultur präsentieren uns Birth Control aus Berlin. Die Herren sind bereits seit über 50 Jahren “On the Road”. Aktuell sind auch wieder zwei Bandmitglieder aus den 70er und 80er Jahren wieder zur Band zurückgekehrt. Die Band erscheint aktiv wie Jungspunde, die sie weiß gott nicht mehr sind. Nicht nur auf der Bühne. Ein neues Album ist für 2022 angekündigt, von welchem mit “Out Of Control” auch ein Song im Konzert präsentiert wird. Die Musik ist authentisch und voller Enthusiasmus vorgetragen.
Das spürt auch das Publikum, denn längst sind die Festivalgäste aus ihren Pausen wieder in den Saal zurück gekehrt. Speziell der neue/alte Sänger Peter Föller (weißes langes Haar, mit Zylinder und bunter Batikhose) und auch der Gitarrist Martin Ettrich (etwas zurückhaltender, aber auch klar und bewußt in Retro gewandet) geben sich im Outfit, als ob sie gerade vom 1969er Woodstock Festival angereist sind.
Der hier präsentierte Krautrock mit der Gitarre vorneweg wird so manchem Unkundigen dazu verleiten, sich näher mit dieser Musikrichtung zu beschäftigen, denn das Publikum feierte die Band gehörig ab. Birth Control hat hier tolle Arbeit geleistet, Art-Rock-Fans auch für Kraut Rock zu begeistern. Andererseits scheint auch die Band vom Publikum angetan und präsentiert sich gern zum Gruppenfoto mit Fans nach der Show im Foyer.
Setlist: Birth Control
The Work Is Done
Right Place, Wrong Time
Plastic People
Titanic
Back From Hell
I Don´t Mind
Lost In The Sea
Gamma Ray (Very Short Version due to Time Limit)
The Watch:
The Watch hier näher vorzustellen wäre wie Eulen nach Athen zu tragen, denn schließlich sind sie seit Jahrzehnten mit jährlicher Wiederkehr Stammgäste in Reichenbach. Der Zahn der Zeit nagt auch hier an der Band – seit einigen Jahren ist auch der Sohn des kongenialen Sängers Simone Rossetti mit an Bord.
Was aber keineswegs Qualitäts-oder Energieverlust der italienischen Prog-Rocker andeuten soll! Erneut wurde eine Best-of der Best-of-Songs von Genesis Songs präsentiert – immer eine Bank beim Publikum. The Watch produzieren auch regelmäßig eigene Alben, die nur Insider kennen – die aber meinen, dass diese eine hervorragende Qualität haben. Warum die Band fast nie den Mut aufbringt, mehr eigene Musik auch in ihren Konzerten zu spielen, bleibt ihr Geheimnis.
Heute ist mit “Howls Downstair” ein einziger Song vom aktuellen Album dabei. Das Konzert ist nicht nur für den Genesis-Nerd ein Genuss. Die Songs und die Authentizität stimmt, so dass man in dem historischen hervorragenden Material genußvoll schwelgen kann. Passend dazu die zweimal eingespielte Ansage des alten Genesis-Manager zur Ankündigung der Songs. Ein schönes sehr gutes Konzert, keine Überraschung, nicht mehr und nicht weniger.
Setlist: The Watch
The Knife
Stagnation
The Musical Box
Firth Of Fifth
The Cinema Show
The Carpet Crawlers
Howl The Stars Down
Dance On A Volcano
Los Endos
Encore:
Supper´s Ready
RPWL:
Zum Abschlußgig des Festivals präsentierte sich wie beim Vorgänger eine Band, die zu den Konzert-Urgesteinen in Reichenbach gehört. Es gehört zur Geschichte des Bergkellers, dass ein Konzertbesuch in Leipzig bei RPWL Uwe auf die Idee brachte, in seiner kleinen Kneipe überhaupt Konzerte zu veranstalten, was zum ersten Gig einer Band im Bergkeller führte. Die hier aufgetretene Band: RPWL.
Die Verspätung bei den geplanten Konzertanfängen ist inzwischen auf über eine Stunde angewachsen. Alle gingen entspannt damit um, trotzdem stört dies so manchen Konzertbesucher, der am Abend noch nach Hause musste, um am nächsten Morgen wieder seiner Arbeit nachzugehen. So mancher Besucher sieht sich genötigt, aufgrund der zu erwartenden kurzen Nacht dieses Konzert vorzeitig verlassen zu müssen.
Auf der Bühne gibt es personell angenehme Neuigkeiten zu sehen. Erstens bringen RPWL Bine Heller und Caroline von Brünken als Background-Sängerinnen mit. Inzwischen arbeitet man hier auch seit einiger Zeit fest zusammen. Zweitens vermeldete die Band wenige Wochen vor dem heutigen Auftritt in Reichenbach mit Markus Grützner das erste Mal seit mehreren Jahren eine feste Verpflichtung am Bass. So hatte Markus heute seinen ersten Auftritt mit der Band! Zurückhaltend und mannschaftsdienlich erledigte Markus seinen neuen Job sehr gut.
Die Setlist empfinden wir anfangs etwas enttäuschend, hatten doch wir doch wie viele Fans das komplette Abspielen des ersten Albums “God Has Failed” erwartet. Schließlich hatte die Band das Album für (im wesentlichen ausgefallene) Konzerte geprobt und das Werk in klasse Qualität live im Studio eingespielt und im vergangenen Jahr auf breiter Tonträgerschaft veröffentlicht.
Doch wiederholt beginnt das Konzert mit dem Album “Tales From Outer Space”, welches in Reichenbach live bereits mehrfach in Gänze zu bestaunen war. Überrascht sind wir, einen gefühlt wackligen, breiigen Sound in der Stimme zu vernehmen. Sollte dieses letzte Konzert wirklich das einzige Konzert mit beschreibbaren Soundproblemen des gesamten Festivals sein oder sind unsere Ohren nur nach drei Tagen Festival müde geworden?
Wie auch immer. Auf jeden Fall wird es später besser. Was auch daran gelegen haben kann, dass die die Band nach einer knappen halben Stunde das Album “Tales From Outer Space” verließ und erfreulicherweise Songs hauptsächlich älteren Datums spielt, die man live sehr lange nicht oder vielleicht gar noch nie gehört hat. Alles in Allem erleben wir mit RPWL ein Wohlfühl-Konzert alter Freunde mit “Roses” in der Zugabe als Festival-Abschluss zum Mitsingen.
Setlist: RPWL
A New World
Light Of The World
Not Our Place To Be
What I Really Need
3 Lights
Sleep
Masters Of War (Bob Dylan Cover)
Trying To Kiss The Sun
Give Birth To The Sun
Unchain The Earth
Encore:
Hole In The Sky
Roses
Fazit:
Man muss sich bei genauerem Hinsehen jedes Jahr kneifen, wieder so ein tolles nahbares Prog-Festival in unserer sächsischen Heimat erleben zu dürfen. Denn selbstverständlich ist das wirklich nicht; es funktioniert nur durch extremes Engagement einzelner Menschen, die ein Team mit sich reißen. Unser Uwe bezeichnet die 2022er Ausgabe die am schwersten zu organisierende Edition der drei Pandemie-Festivals 2020-2022. Das genießende Publikum spürt davon vor Ort nichts, alles hat super funktioniert.
Bis auf das erwähnte Beispiel war der Sound klasse, genau wie das Licht. Da der Saal komplett im Dunkeln ist, ist es eben im Neuberinhaus möglich, toll beleuchtete Shows bereits zur Mittagszeit zu veranstalten. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann die mangelnde Gastronomie, denn sich drei Tage ausschließlich von Würstchen und Steaks zu ernähren ist auch dem härtesten Rocker zu wenig abwechslungsreich.
Dies liegt nicht in Uwe ́s Verantwortung; er bietet alternativ in seinem Bergkeller an zwei Tagen eine Mittags-Vollkost an, die aber aufgrund der größeren Entfernung zum Neuberinhaus nur vergleichbar wenige Fans wahrnehmen. Allerdings kennt man inzwischen gute Kneipen in der Stadt, die fußläufig zu erreichen sind und gutes Essen zu sehr guten Preisen anbieten.
Damit profitiert, wie bereits in der Einleitung erwähnt, die gesamte Innenstadt Reichenbach von diesem Festival, und so soll es sein. Hoffen wir, dass in den nächsten Jahren (?) ebenfalls das Festival wieder zum angestammten Termin in der ersten April-Hälfte stattfinden kann und dass die massiven Probleme in der Vorbereitung für unseren Uwe Treitinger der Vergangenheit angehören. Jedenfalls hat er bereits verkündet, dass das Gerüst im Lineup für 2023 bereits steht.