Livereport: Aqua Maria Festival 2022

Die Plattenburg heute – Die Anreise aus dem Ruhrgebiet ist lang, aber ab Wolfsburg über Land sehr schön. Durch endlose pure Natur geht es bei Wittenberge über die Elbe und dann zu einem Kleinod abseits jeder größeren Ansiedlung. An einem Straßenstück von circa 500 Meter, gibt es ein paar Häuser und eine verfallene alte Mühle. Zwischen einem kleinen Waldstück und den Fischteichen erhebt sich hier die imposante Plattenburg. Den hohen Hauptturm sieht man zuerst. Zugang hat man nur über eine Brücke, nach überqueren öffnet sich das Gelände und man steht nach hundert Metern vor dem Haupttor. Nach durchqueren ist man im zweigeteilten Innenhof, der Blick auf die um den rechteckigen Hof angeordneten Bauwerke ist bis heute sehr beeindruckend, besonders, wenn dort was los ist und abends auch noch passend beleuchtet wird. Zusätzlich mit Ständen, Zelten und vielen feiernden Menschen fühlt man sich in das späte Mittelalter versetzt und nun zeigt sich der wahre Charme dieses historischen Ortes erst richtig. Fehlen nur noch die Gaukler und Musikanten, die gibt es bei einigen Gelegenheiten massig und zu denen kommen wir noch, nun kann das rauschende Fest beginnen. Allein um dieses Erlebnis einmal haben zu dürfen, solltet ihr mal zu einer Veranstaltung dort übernachten. Ich stand auf dem Besucher-Parkplatz mit dem Rücken zu einer Kuh-Weide und fühlte mich drei Nächte sauwohl.

Aqua Maria Fest – Genau, diese Gaukler und Musikanten und weitere Horden von glücklichen Menschen hatten sich, etwas moderner ausgesprochen, wieder im oberen Teil des Burghofs niedergelassen, hatten dort Bühne, Zelte, Technik aufgebaut und warteten auf den Startschuss. Letztes Jahr berichtete Bodo sehr positiv über das Spektakel. Diesmal habe ich das Vergnügen, und ich kann bereits vorausschicken das Ton, Licht und Sicht über alle insgesamt 10 auftretende Bands durchgängig fantastisch war. Man kann es eigentlich nicht oft genug erwähnen, aber ich möchte mich im Text nicht unnötig wiederholen. Das ist sowieso nicht so einfach, weil die von Veranstalter Maria, Uwe & Eike Steuer ausgewählten Künstler mich auch immer wieder zu Lobpreisungen animiert haben. Üblicherweise sprach ich mit vielen Besuchern, Helfern, Anrainern im Dorf und alle waren sehr stolz auf ihr Aqua Maria Fest. Ich sprach auch mit Urgestein Sebastian am zentralen Brücken-Einlass. Er ist seit Beginn 1992 mit auf dieser Mission unterwegs, hat sogar anfangs auf den kleinen Eike aufgepasst. Nach einem mehrjährigen Pausieren hat nun mit Eike die nächste Generation das Ruder in der Hand. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die gebuchten Bands. Es ist aber weiterhin ein Familien-Projekt und das strahlt auch dieses Festival aus, überall Lob und Zuspruch für dieses Engagement. Entspannte Menschen überall, im Camp, auf Parkplatz & Wiesen, in & um die Burg. Das ist verantwortungsvolles Arbeiten für die deutsche Musik-Kultur.

Halbtagsarbeit – Das hat sich für mich wieder einmal beim diesjährigen Aqua-Maria-Festival in der geschichtsträchtigen Plattenburg im Nordwesten von Brandenburg bestätigt. Dynamik und Klanggewitter sind nicht abhängig von der Personalstärke auf der Bühne, sondern von Spielfreude und routiniertes Interagieren. Umso mehr ist hervorzuheben, dass die 2-Mann Formation Nerd School die am Freitagabend um 20:00 Uhr endlich wieder mit feinster gut gemischter Rockmusik das Fest im oberen Burghof direkt am Hauptturm eröffnete, erst kurz vorher nach Absage von Jail Job Eve von ihrem Glück erfuhr. Und Gitarrist Thomas „Tom“ Castro Molina Crowe und Schlagzeuger Lars D.G. haben das mehrmals während des Spielens deutlich Richtung Publikum und Veranstalter positiv geäußert: Ja, es ist eine Freude hier in diesem Burgfried zu spielen, besonders bei gutem Wetter, massivem Publikum und exzellenter Technik. Das Berliner Duo eröffnete furios, Lars stichelte ständig den Tom: mach mal, schneller, schneller, gib Gas, weiter mehr Tempo. Er arbeitete hinter seiner Schießbude rum wie ein Derwisch, zog Grimassen zu den Fotografen und den Besuchern, sprang mehrmals auf und streckte vor Lebensfreude die Arme weit von sich. Davon ließ sich auch der introvertiert wirkende und konzentriert arbeitende Tom zwar etwas anstecken aber nicht nervös machen. Der Hüter der Gitarrentechnik bearbeitete auch parallel das führende Mikro im Nahkampf, manchmal war es nicht mehr zu sehen, weg das Ding irgendwo zwischen Mund und Mageneingang. Hammer, was diese beiden kampferprobten Vollmusiker da entfachten. Da war es gut, brennbares Material fern von der Bühne zu halten. Wer das Glück hat das Duo Nerd School mal leibhaftig zu erleben: anschnallen und rauchen einstellen.

Und nun hatte sich auch das Technik-Team warm geregelt. Mit Welcome Inside The Brain aus Leipzig war dann erheblich mehr Personal auf der Bühne. Gitarrist Georg Spieß und vokaler Frontmann Frank Mühlenberg sind seit beinahe 10 Jahren die prägenden Figuren dieser interessanten Truppe. Nun als Quintett inklusive satten Keyboards, tourt man nach Pandemie-Pause erfreulicherweise wieder durch die deutsche Underground-Szene, wenn auch trotz vieler Live-Auftritte immer noch als Geheimtipp. Die Fünf schaffen leicht den Spagat zwischen dem deutschen Rock der 70er und der druckvollen modernen Mucke der heutigen jungen Generation. Das meiste des dargebotenen Materials stammt von dem letzten Album Queen Of The Day Flies.

Mit diesem Vortrag ist eine kurzweilige Überleitung in die späte Rocknacht gelungen und der Staffelstab problemlos an Valley Of The Sun aus Cincinnati, Ohio weitergegeben. Die vier Stoner-Rocker drücken von Beginn an auf das Gaspedal und ziehen das durch bis zur Zugabe. Sie sind seit Ende Juni bereits auf ihrer The Chariot Tour in Europa unterwegs, haben auch ein Dutzend renommierte deutsche Festivals bespielt und dort deutlich ihre Spuren hinterlassen. Auch hier in der lauen Sommernacht in der Prignitz. Viele Fans des Aqua- Maria-Festival sind frühzeitig angereist, somit ausgeruht, genießen diese instrumentalen Frontal- Angriffe der eingespielten amerikanischen Männer in der nächtlichen, imposant beleuchtenden Kulisse der Plattenburg. Spät geht es für die meisten zurück in die Nachtlager im Camp Aqua Maria nur 300 Meter von der Burg entfernt.

Volles Programm Teil Eins – Die Nacht war trotz nur drei, aber starken, Auftritten am Freitag recht kurz und nun versammeln sich nach den ersten Tönen immer mehr Feierbiester vor der Bühne. Schon gegen Mittag standen mit den Cannabineros die nächste Two-Man-Army, Säsh und Igor, wie das Duo Nerd School am Vortag ebenfalls aus Berlin, auf den bebenden Brettern vor den ersten Gruppierungen von Rocksüchtigen. Standen ist nicht ganz korrekt, denn die eine Hälfte der Band saß mit glitzernden Leggings in der Trommelburg und bearbeitete mit nackten, schwitzenden Oberkörper wild armschwingend seine ihn umringenden Gerätschaften. Igor steht dagegen tatsächlich, konzentriert und ruhig bearbeitet er seine Gitarre und Effektgeräte.

Als musikalische Unterhaltung in den Umbaupausen fungieren bühnenunabhängig im gesamten Burghof die Vier-Mann-Kapelle The Booty Jive. Mit ihren bunten Kostümen, transportablen Verstärkern, Megafon, Schweißerbrillen und ständiger Präsenz sind sie sehr auffällig im Gelände. Wenn sie mit Trommeln, Saxofon, Bass und Gitarre loslegen ist sofort Partystimmung bei Jung und Alt angesagt. Sofort bildet sich eine Menschentraube, die eben an Zeiten der Gaukler und Musikanten erinnern.

Aber zum Verschnaufen und Durchatmen gibt es wenig Zeit. Schon stehen vor der historischen Burg-Kulisse Shotgun Valium aus Erfurt auf der Bühne. Harter Rock in höchster Qualität ist das Aushängeschild von Gitarrist Denny Waldner, Schlagzeuger Lin Dittmann, Tieftöner Konstantin Hummel. Gegründet 2013, 2 Alben 2015/17 veröffentlicht, über 200 Konzerte druckvoll und unwiderstehlich absolviert, die Bühne geteilt mit Schwergewichten der Szene, gut eingespielt, das merkt man auch hier heute am frühen Nachmittag. Im Vordergrund das Gitarren-Personal mit konzentrierten Gesichtern und wehenden Mähnen, hinten die kurzhaarige LD-Schlag-Maschinerie. Es macht richtig Spaß diesem talentierten Trio bei dem Vortrag ihrer dynamischen Lieder beizuwohnen. Hier kommt für die Feierbiester keine Idee nach Ruhepause auf, die Stände unten im Hof müssen leider warten, im Gegenteil hier werden massig Besucher abgeworben und wandern zur Bühne hinauf. Geballte Präsenz auf der Konzertbühne, genau was ihr Erfurter versprochen habt.

Was ist denn hier los, mit Neànder schon wieder eine Band aus der Bundeshauptstadt und nach einem Power-Trio jetzt sogar ein Rock-Quartett. Und es geht personell aufgestockt fließend ohne Atempause weiter. Ich erspare mir, wie auch die Band selbst, vergleiche zu Kollegen oder Genres. Wer mal eine Chance hat, hört euch diese leidenschaftlichen harten Rocker mal an, es lohnt sich total. Immer mehr Zuschauer versammeln sich, die Inszenierung fesselt genau wie beim Vortag das Publikum, alles erstklassig von der Technik in Szene gesetzt. Mir hat der Teil als Jan Korbach zur akustischen Gitarre greift besonders gefallen, denn er kann es gut, was er in vielen verschiedenen Produktionen schon gezeigt hat. Mutig und sorgsam eingebettet in den Ablauf des Auftritts ist es eine echte Überraschung. Lohn ist ein begeistertes Publikum.

Volles Programm Teil Zwei – Alle warten auf das schwedische Highlight zum Schluss, ich nicht, denn ich habe nach viermal deutsche Mucke vom Allerfeinsten, nun Hunger auf MEHR Rock’n’Roll. Bunt gekleidete Gestalten huschen nun beim Einspielen über die Bühne, immer noch derselbe Ort und der Festival-Samstag, aber nun mit Enigma Experience eine neue Facette. Schweden und Norwegen kommen zusammen, wenn Niklas „Mr. Dango“ Källgren (grüne orientalische Robe) und der Schlagzeuger Oscar „Pezo“ Johansson (Vollschwarz-Robe) von den Truckfighters sowie Orange-Mantel Maurice Adams (Breed, Motorfinger) am Gesang sich zusammentuen. Hier können die Fans schon mal erste Witterung mit dem Headliner aus Schweden aufnehmen. Aber ich greife hier schon mal vor, ein großer Name macht noch lange nicht das größte Spektakel. Aber hier und jetzt wird mit der skandinavischen Patchwork-Truppe ein Feuerwerk schon lange vor Mitternacht gezündet. Gespielt wird das komplette einzige Album Question Mark. Die ausreichende Bühnenfläche scheint zu klein für den Bewegungsdrang des Vierers, da muss auch mal auf die Boxen und in den Pulk Menschen davor ausgewichen werden. Niklas scheint an ein unsichtbares Stromkabel angeschlossen worden zu sein, später in der Nacht noch einmal, oder er hat einen Kurzschluss mit seiner Gitarre, eine Stunde zappelt wer wie ein Zitteraal, hebt ständig zu atemberaubenden Flugeinlagen vom Boden ab. Eine unvergessliche Show die Enigma Experience hier zeigen, Gesang von Maurice bärenstark, da müssen sich die Lastenwagen-Kämpfer später ordentlich anstrengen.

Mit Bartosz Janik (Gitarren), Jan Rutka (Bass), Kamil Ziółkowski (Schlagzeug) ein Mann weniger, auch nicht ganz so bunt, aber mitnichten weniger Explosiv war das polnische Trio Spaceslug aus Wroclaw, sie mäandern zwischen Doom, Stoner und Psychedelic hin und her. Seit 2015 zusammen haben sie inzwischen 7 Alben veröffentlicht. WDR-Rockpalast: „Lieblingsmodus fraglos in epischen Momenten durch diverse Galaxien schweben. Bei ihrer Kreuzfahrt durch Raum und Zeit hat das polnische Trio stets den Aspekt der Balance im Blick.“ Genau das spielen sie und passt somit gut in den musikalischen Ablauf.

International geht es dann mit US-Gitarrist Eddie Glass weiter. Mit Drummer Ruben Romano trennt er sich 1996 von Fu Manchu, um als Nebula weiterzumachen. Inzwischen sind die Langzeit-Partner Tom Davies an der Vier-Saite und Michael Amster in der Trommelburg. Und man merkt dem US-Trio an, sie haben Bock die Plattenburg zum Einstürzen zu bringen. Sie sind wild, laut, fordernd, hier wird das Feiervolk durchgerüttelt, denn der Boden und alles was sich darauf befindet bebt. Die Ami’s machen die Fans noch heißer auf den Hauptgang zum Schluss.

Egal mit wem ich spreche, auf das schwedische Power-TrioTruckfighters haben ganz offensichtlich die meisten „Aquamarianer“ gewartet. Überall im Gelände sieht man das prägnante Band-Logo; Kappen, Shirts, CDs; nur auf der Bühne nicht komplett, da reicht die Breite nur für Truck, die Fighters liegen hinter der Bühne. Na ja, man spielt ja oft auch auf größeren Anlagen. Dafür prangt das Logo auch deutlich auf der Bass-Trommel von Johan „Toro“ Marberg. Nach dem Soundcheck geht das Trio für einige Minuten von der Bühne, um dann zurückzukehren und quasi im Kaltstart sofort zu explodieren. Gitarrist Niklas „Mr. Dango“ Källgren, nachmittags noch in grüner orientalischer Robe, steht nur mit einer roten Shorts als Bühnenbekleidung vor den dicht gedrängten Zuschauern. Und er ist natürlich wieder am unsichtbaren Stromkabel angeschlossen, zappelt, springt, schraubt sich in die Luft, bearbeitet seine elektrischen Saiteninstrumente wie ein dem Untergrund entstiegener Berserker. Darauf haben die immer noch circa 1.000 Anwesenden gewartet. Auch Basser Oskar „Ozo“ Cedermalm gibt alles, kann aber die vokale Leistung von Maurice Adams nicht annähernd übertreffen. Dennoch gibt es kein Halten mehr und die Fuzzcrusaders Truckfighters werden, mittlerweile ja eine Institution weltweit, einfach lautstark abgefeiert. Auch ich genieße diesen Stoner-Thunder-Storm und Aquamaria, das ruft nach Wiederholung für mich, hoffentlich wieder mit so einem Feuerwerk an rockigen Emotionen !! Maria, Uwe & Eike, Respekt vor euren Mut und Leidenschaft.

Bands (Freitag):

20:00 Nerd School (Berlin)

21:30 Welcome Inside The Brain (Leipzig)

23:00 Valley Of The Sun (Cincinnati, Ohio, US)

Bands (Samstag):

14:00 The Booty Jive (Planet Bayou7)

14:00 Cannabineros (Berlin)

15:30 Shotgun Valium (Erfurt)

17:00 Neànder (Berlin)

18:30 Enigma Experience (SWE/NO)

20:00 Space Slug (Wroclaw, PL)

21:30 Nebula (Kalifornien, US)

23:00 Truckfighters (SWE)

Text und Bilder: Roland A. Koch

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