Interview: Ice Age – Eiszeit? Eher wie Phönix aus der Asche

Dieses Comeback hatte wohl keiner auf dem Zettel. Im Jahr 2001 hatten die amerikanischen Progmetaller Ice Age ihr letztes Album „Liberation“ veröffentlicht, und nun ist mit „Waves of Loss and Power“ tatsächlich ein Nachfolger erschienen. Und nicht etwa in irgendeiner neuen Besetzung mit nur einem Originalmitglied, am Start ist immer noch exakt das gleiche Quartett, das sich vor über zwanzig Jahren aus der Prog-Szene verabschiedet hat.

Renald Mienert unterhielt sich mit Gitarrist Jimmy Pappas und Bassist Doug Odell.

Vor etwa fünfundzwanzig Jahren war das amerikanische Label Magna Carta in der Szene ausgesprochen erfolgreich. Man hatte sich auf Prog-Metal spezialisiert und immerhin Bands wie Liquid Tension Experiment, Shadow Gallery, Cairo (ne, nicht die von heute), Magellan – oder eben auch Ice Age unter Vertrag. Die Band veröffentlichte 1999 ihr Debüt mit „The Great Divide“ und zwei Jahre später den bereits erwähnten Nachfolger. Da spielte mal allerdings schon zehn Jahre zusammen, nachdem die Schulfreunde Jimmy Pappas und Sänger und Keyboarder Josh Pincus ,komplettiert durch Drummer Hal Aponte und Bassist Arron DiCesare, zunächst unter dem Namen „Monolith“ firmierten. Unmittelbar vor der Veröffentlichung von „Liberation“ wurde DiCesare durch Doug Odell ersetzt. Es folgte eine Europatour und Auftritte auf diversen Festivals, doch dann verschwand man aus der Prog-Szene. Man versuchte sich in anderen Stilen, aber ohne wirkliche Resultate.

Doug: Wie Jim es schon in früheren Gesprächen gesagt hat, Ice Age waren immer schon sehr experimentierfreudig, das wollten wir damals auch zeigen. Wir waren aber mit der Businessaspekt nicht zufrieden, fühlten uns auch musikalisch eingeschränkt. Wir wollten uns frei entfalten, ohne uns an irgendeine Agenda halten zu müssen. Wir haben überlegt, unter anderem Namen weiter zu machen, aber es gab keine Veröffentlichung. Damals entstand viel Material, das bisher noch niemand außer uns gehört hat. Doch wir haben die Zeit sehr genossen, weil wir wirklich frei arbeiten konnten. Aber es war nicht die eigentliche Natur von Ice Age. Die hört man auf dem aktuellen Album. Der Unterschied zu früher ist, dass wir immer noch ohne Vorgaben und Einschränkungen arbeiten konnten. Es gab keine feste Timeline, es gab keine Interessen eines Labels, weil diese Dinge, als wir mit dem neuen Album 2015 begannen, einfach nicht existierten.

Und zum Glück hat auch Jimmy seine Entscheidung, die Gitarre an den berühmten Nagel zu hängen, wieder rückgängig gemacht.

Jimmy: Ja, ich habe 2005 aufgehört Gitarre zu spielen. Ich habe dieses Instrument sehr lange gespielt, seit meiner Teenagerzeit, aber ich hielt den Zeitpunkt für einen Break damals für gekommen. Ich betätigte mich in einem anderen kreativen Umfeld. Die übrigen Mitglieder haben alle an verschiedenen anderen musikalischen Projekten mitgewirkt.

Dennoch hat man sich nie aus den Augen verloren.

Doug: Das ist ja auch das Außergewöhnliche an uns. Wir haben zwar als Band eine Pause gemacht, aber keine Pause, was unsere Freundschaft anging. Hal bezeichnet und immer als Bruderschaft. Wir hatten immer engen Kontakt, haben uns oft über Musik unterhalten, aber auch über Filme oder einfach über Dinge, die in der Welt passiert sind. Hal war es dann auch, von dem die Idee ausging, wieder Musik zu machen. Lasst uns gemeinsam mit unseren Instrumenten in einen Raum gehen und sehen, was passiert.

Passiert ist einiges, und irgendwann merkte man dann, dass es ernst wurde mit einem neuen Album, auch wenn es dann bis 2023 gedauert hat.

Jimmy: Als wir 2015 begannen, da war das eher ein Jammen, wir kamen zusammen und arbeiteten an Material, aber was entstand, war eher ein Grundgerüst, weit entfernt von einem fertigen Song. Als es dann Interesse an dem neuen Album gab, haben wir ernsthaft mit den Arbeiten begonnen.

Doug: Viele Songs auf dem Album sind sehr ambitioniert. Zum Prog gehört ja auch eine – vielleicht ist „Erwartung“ nicht das richtige Wort – ein Anspruch, den du in einem vier Minuten Track nicht erfüllen kannst. In einem Song mit einer Tiefe wie „Perpetual Child 2“ steckt extrem viel Aufwand, fast vergleichbar mit der Arbeit an einem ganzen Album. Diese längeren Stücke auf dem Album brauchten also ihre Zeit. Zum Glück konnten wir dann sogar während des Lockdowns sehr produktiv sein, auch wenn wir uns nicht persönlich treffen konnten. Jimmy ist unser Tech-Guru und er fand eine Software, mit der wir virtuell arbeiten konnten.

Und schließlich war man soweit, dass man guten Gewissens begann, ein Label zu finden – und stieß auf einen alten Bekannten – Ken Golden von The Laser’s Edge.

Doug: Während des Lockdowns erstellten wir ein digitales Presskit und fügten die ersten sieben Minuten von „Perpetual Child 2“ hinzu. Das schickte ich an alle meine Kontakte bei diversen Plattenfirmen. Ich versuchte mich dabei natürlich an die noch existierenden Proglabel zu halten, da hatte sich ja in den letzten zwanzig Jahren auch viel verändert. Und Ken hat reagiert, ich wusste damals gar nicht, dass er diese persönliche Beziehung zu der Band hatte.

Jimmy: Ken war ein Fan von uns seit unseren Anfängen, noch vor der Veröffentlichung des ersten Albums. Wir spielten damals auf einem Progfestival, er sah uns da und mochte unsere Musik sofort. Er hat uns damals schon unterstützt. Speziell wenn es Live-Auftritte ging, half er uns mit Kontakten, zum Beispiel für das Near-Fest. Da war es sozusagen selbstverständlich, dass wir jetzt mit seinem Label arbeiten.

Die Arbeiten am neuen Material verliefen dann auch harmonisch, was angesichts der Freundschaft zwischen den Musikern nicht weiter verwundert, und am Ende steht jedes Bandmitglied zu hundert Prozent hinter den Songs.

Doug: Es geht bei uns definitiv demokratisch zu, auch wenn Jimmy und Josh die Bandleader sind. Josh hat auf diesem Album alle Texte und Vocal Lines selbst geschrieben, auch wenn Hal in der Vergangenheit auch getextet hat. Musikalisch kommen die Ideen primär von Jimmy und Josh, Hal schreibt seine Drumparts selbst, genau wie ich für den Bass. Jimmy und Josh haben ein sehr gutes Gespür dafür zu erkennen, ob es dann passt oder nicht, und wenn sie der Meinung sind, etwas muss überarbeitet werden, dann sagen sie das auch. Wir respektieren uns alle sehr.

Jimmy: Wenn ein Song fertig ist, dann haben wir diesen ganzen Prozess der Entwicklung dieses Titels gemeinsam durchlaufen. Wir wollten auch unbedingt Lückenfüller vermeiden, hätten wir bei einem Song dieses Gefühl gehabt, dann wäre er nicht auf das Album gekommen.

Auf dem neuen Album gibt es mit dem zweiten Teil von „Perpetual Child“ und dem vierten und fünften von „To Say Goodbye“ Fortsetzungen von Material der beiden ersten Alben.

Jimmy: Bei „Perpetual Child 2“ war es eher Zufall. Es war der erste Song des neuen Albums, an dem wir arbeiteten, und dabei hatte ich Elemente von „Perpetual Child“ im Hinterkopf. Als wir dies bemerkten, hat Josh dann die Vocal Lines und Lyrics in diesem Kontext geschrieben. Bei „To Say Goodbye“ war es genau das Gegenteil. Hier hat Josh von Anfang an daran gearbeitet, die Geschichte fortzusetzen.

Keine Fortsetzung, sondern neue Wege beschritt man beim Artwork und dem Mixing und Mastering. Das neue Bandlogo kreierte der bekannte deutsche Künstler Thomas Ewerhard, das Artwork – das viel Raum für Interpretationen lässt – stammt von Bjorn GooBes. Und für den finalen Sound sorgte kein Geringer als Rich Mouser.

Doug: Jimmy ist ein so talentierter Künstler, nicht nur was die Musik angeht. In der Vergangenheit hat er sich auch um Dinge wie Logo und Artwork gekümmert. Wir wollten ihm dieses Mal etwas von der Verantwortung nehmen, dass er sich nicht um zig Dinge kümmern musste, sondern sich auf die Musik konzentrieren konnte. Wenn man sich das Artwork genau betrachtet, findet man Hinweise auf die Cover der beiden ersten Alben. Die visuellen Dinge waren eine Sache, die wir Jim abnehmen wollten, Mixing und Mastering die zweite. Auch darum hatte er sich ja in der Vergangenheit gekümmert. Josh ist ein großer Fan von Rich Mouser, der ja für Spock’s Beard und Transatlantic hervorragende Arbeit geleistet hat. Josh hat ihn kontaktiert und einige Demos geschickt. Es hat Rich sofort gefallen, wir mussten ihn nicht lange bitten, mit uns zu arbeiten.

Das Resultat spricht jedenfalls  für sich. Jetzt hoffen wir nur, dass wir nicht wieder zwanzig Jahre auf ein neues Album warten müssen. Und gegen Konzerte hätten wir auch nichts.

Jimmy: Wir haben tatsächlich noch mehr Material geschrieben, als jetzt auf dem Album ist. Es würde nicht für ein ganzes Album reichen, aber es ist schon etwas da. Und wir denken darüber nach, etwas rein Instrumentales zu schreiben. Wir wissen, dass Progfans so etwas mögen. Was Liveaktivitäten angeht, so spielen wir auf dem Prog-Power Festival. Eine Tour ist nicht so einfach, wir sind alle zwanzig Jahre älter, haben Familie und diverse Verpflichtungen, aber sporadische Shows sind natürlich möglich und wir würden auch gerne in Europa spielen. Ich habe schließlich griechische Wurzeln.

Es wäre schön, wenn es klappen würde.

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