Interview: Arjen Lucassen’s Supersonic Revolution – Zurück ins goldene Zeitalter der Musik

Gerade noch hat der umtriebige Holländer seinem Ayreon Klassiker „Universal Migrator“ eine Frischzellenkur verpasst, und jetzt steckt er in den Vorbereitungen für das mittlerweile schon traditionelle Live-Event, wo in diesem Jahr „01011001“ geboten wird. Und trotzdem hat er zwischendurch die Zeit gefunden, mit Supersonic Revolution ein weiteres Projekt an den Start zu bringen. „Golden Age Of Music“ ist eine Hommage an die Siebziger geworden, doch wer jetzt frohlockt und ein Retro-Prog-Album a la Genesis, Yes oder ELP erwartet, der liegt falsch. Hörenswert ist das Ergebnis aber alle mal.

Arjen Lucassen wird ja in Prog-Kreisen vor allem für seine Ayreon-Veröffentlichungen geliebt. Daneben ruft er aber immer wieder Nebenprojekte ins Leben. Auch wenn damit  eigentlich Schluss sein sollte.

Ich wollte eigentlich keine Nebenprojekte mehr starten. Mein Hauptfokus liegt natürlich bei Ayreon, dann ist da noch Star One. Aber es gab ja auch noch Ambeon, Guilt Machine, The Gentle Storm und meine Soloalben. Irgendwann ist es zu viel und verwirrt die Fans.

Na ja, wenn die Qualität stimmt – und davon kann man bei dem Lucassen in der Regel ausgehen – dann vertragen die Fans das schon. Aber man soll ja bekanntlich nie nie sagen.

Das ganze Projekt begann ja damit, dass mich das Eclipsed bat, eine Cover-Version eines ZZ Top Tracks aufzunehmen, und dazu musste ich eine Band zusammenstellen. Wir hatten nur eine Woche Zeit, es musste also sehr schnell gehen.

Und das ging es dann auch. Arjen Lucassen selbst spielt Bass, Keyboarder Joost van den Broek und Sänger Jaycee Cuijpers hatten auch schon mit ihm Musik gemacht.  An der Gitarre haben wir  Timo Somers, der unter anderem auch bei Vengeance agiert, eine Band bei der auch Lucassen aktiv war. Allerdings lange vor Timo.

Er war noch gar nicht geboren, als ich bei Vengeance war. Er ist der Sohn des damaligen Gitarristen von Vengeance, von dem ich glaube, dass er damals der beste Gitarrist Hollands war. Und dann bekam er einen Sohn Timo, und Timo entwickelte sich zu einem noch besseren Gitarristen als sein Vater, für mich, zu einem der Besten der Welt. Ich kannte ihn auch von früher, er hat auf einem „Gentle Storm“ – Album für mich gespielt. Er ist bei Vengeance eingestiegen, als ich schon lange nicht mehr in der Band war.

Fehlt noch  Drummer Koen Herfst.

Ich habe also Jost, den Keyboarder angesprochen, dass ich einen Drummer suche, aber keine Zeit hätte, ein Studio zu buchen. Er kannte Koen, der auch in der Lage war, das Material in seinem Homestudio aufzunehmen. Koen ist wirklich gut und spielt aktuell bei Vandenberg und war auch bei Epica. Er war sofort einverstanden und meinte, schick mir das Material, morgen hast du es zurück. Tatsächlich hatte ich seine Drum-Tracks am nächsten Tag und sie waren perfekt.

Das Lucassen Bass und nicht Gitarre spielt, dürfte für einige Fans überraschend kommen.

Genau genommen, habe ich bei dem ZZ Top Cover „Heard It On The X auch Gitarre gespielt und Timo das Solo. Aber er war so gut, dass ich mir gesagt habe, ich will keine Gitarre auf einem Album spielen, auf dem auch er Gitarre spielt. Und ich wollte auch nicht mit zwei Gitarren arbeiten, auch wenn das eine neue Herausforderung für mich war. Normalerweise habe ich ja, was Gitarren angeht, einen Wall Of Sound, damit kann man leicht die Leute beindrucken. Aber nimm das erste Van Halen Album, da hörst du Eddie van Halen in der Ecke und erkennst jede Note, die er spielt. Oder Deep Purple – du hast die Hammond Orgel und eine Gitarre. Ich liebe es, den Bass zu spielen, und ich glaube, ich spiele Bass auf demselben hohen Niveau, wie der anderen Bandmitglieder ihre Instrumente. Ich halte mich für einen besseren Bassisten als Gitarristen. Auch wenn es damals nicht auf dem Albumcover stand, habe ich auch bei Bodin Bass gespielt.

Bei einem Song ist es dann ja nicht geblieben.

Als der Track fertig war, dachte ich, was, das soll es schon gewesen sein? Ich wollte mehr und habe die anderen kontaktiert, und ja, es hatte allen gefallen und alle waren bereit, weiterzumachen. Ich hatte so viel Spaß dabei, wie in den letzten zehn Jahren nicht. Und das lag daran, dass ich es nicht alleine gemacht habe und Gastmusiker dazu einlade. Dieses Mal waren wir eine Gruppe von fünf Leuten. Wir hatten eine eigene WhatsApp-Gruppe, haben Witze gemacht, Files ausgetauscht – es hat einfach nur Spaß gemacht. Zunächst dachten wir an weitere Cover, aber dann sagte ich, nein, lasst uns eigene Songs schreiben. Der erste eigene Track war „Come To Mock, Stayed To Rock“, eigentlich ein lustiger Song, aber nicht leicht zu spielen, mit komplexen Gitarren und Drumparts. Aber auch das hat sehr gut funktioniert und von da an war klar, dass wir ein eigenes Album machen würde. Egal, was passiert, auch wenn es keinen interessieren würde.

Die Gefahr dürfte nicht bestehen, zumal das neue Material ja fast komplett von Lucassen geschrieben wurde

Ja, fast. Das Intro und die mittlere Sektion von Glamattack stammen von Jost und unser Sänger hat etwas bei den Texten geholfen.

„The Glamattack“ ist wie der Titel schon vermuten lässt, den Glamrockern der Siebziger gewidmet, konkret Sweet, David Bowie, T. Rex und Alice Cooper. Und auch „Radio Caroline“ ist gespickt mit Hinweisen auf Künstler und Songs aus dieser Epoche. Den Sender gab es übrigens tatsächlich.

Der Sender war auf einem Schiff an der holländischen Küste, ich glaube es waren Amerikaner oder Engländer. Ich war damals zehn Jahre alt und hatte so ein kleines Transistorradio, es gab nur AM und FM. Auf FM gab es dieses ganze kommerzielle Zeug, aber auf AM gab es diese ganzen Piratensender. Es gab einen holländischen, der hieß Veronica und eben Radio Caroline, und die haben diese  unbekanntere Musik gespielt. Wenn ich ins Bett bin, habe ich dann heimlich unter der Bettdecke die Musik gehört. Ich bin sicher, dass hast du auch gemacht.

Yep, allerdings in einem kleinen Dorf in Mecklenburg mit dem Deutschlandfunk und Radio Luxemburg, aber das ist eine andere Geschichte. Eine Geschichte gibt es auch zu „Burn it down“ zu erzählen.

Ich glaube, das ist der beste Text, den ich jemals geschrieben habe, ich bin so stolz darauf. Wie das so ist, ich schaue einen Film, liege auf dem Sofa, dann läuft YouTube und ich schlafe ein. Ich wache auf und es spielt „Smoke On A Water“. Und ich denke, was macht diesen Song so genial? Ich hole meine Gitarre und beginne zu spielen, und dann denke ich, ne, das klingt zu stark nach dem Original, die Leute werden mich dafür hassen und Deep Purple mich verklagen. Nun ist die Geschichte hinter dem Song ja schon erzählt, aber man hat ja nie herausgefunden, wer den Brand damals gelegt hat. Und so kam ich auf Idee in meinem Text den Leuten zu erzählen, wer es war und warum er es gemacht hat. Es geht um einen Mann der von einer Frau enttäusch ist, und die Frau ist auf diesem Konzert und der Mann denkt sich, das ruinier ich dir aber. Es ist natürlich rein fiktiv, aber es hat Spaß gemacht.

Aber nicht nur Musik der Siebziger stand für die Texte Pate, auch das Kino hat es Lucassen angetan.

Bei „Golden Boy“ geht es um Steven Spielberg, er war damals der jüngste Regisseur, der einen solchen Erfolg hat, und es dreht sich um drei seiner frühen Filme, „Das Duell“, „Der weiße Hai“ und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.

Bei „Rise of the Starman“ könnte man auch auf den John Carpenter Film „Starman“ tippen, liegt damit aber falsch.

Die Leute glauben bei „Rise Of The Starman“ es geht um David Bowie, aber genau genommen basiert der Song auf der Figur des Ziggy Stardust, die David Bowie erschaffen hat. „Ziggy Stardust“ ist ja ein Konzeptalbum, aber es wird nie wirklich klar, was das Konzept eigentlich ist. Ich wollte in meinem Song erzählen, was und warum er es macht.

Musikalisch bietet das Album vor allem traditionellen Hard Rock, der an Bands wie Rainbow oder Deep Purple erinnert, aber nie angestaubt klingt. Da hat es auch geholfen, dass Lucassens Mitstreiter alle viel jünger sind als er.

Das war ein großer Vorteil. Ich wollte ganz bewusst, dass die Musik nicht nach den Siebzigern klingt – die sind vorbei. Ich wollte einen modernen Sound. Das Album ist inspiriert von den Siebzigern, feiert die Siebziger und verwendet die gleichen Instrumente wie in den Siebzigern, Gitarre, Bass, Hammond Schlagzeug und Gesang. Aber die musikalischen Helden von Timo sind nicht Van Halen oder Blackmore, und Jost begann mit Dream Theater.

Weniger heavy ist dann „Holy Holy Ground“, eine gefühlvolle Ballade, die an Gary Moore erinnert.

Es gab eine Band „Gamma“ mit Ronnie Montrose, die mich zu diesem Song inspiriert hat. Und ja, durch den bluesigen Charakter entstehen natürlich auch Vergleiche zu Gary Moore.

Und das schon erwähnte „Come To Mock, Stayed To Rock“ überrascht mit einem verzwickten, jazzigen Intro.

Das war völlig spontan. Timo war bei mir in meinem Studio, weil wir einige akustischen Gitarrenparts aufnehmen wollten und begann zu spielen. Er spielte dieses unglaublich schnelle Zeug und ich sagte, cool, lass uns ein Intro machen, improvisiere weiter. Es erinnert mich an Van Halen, an „Ice Cream Man“ oder „Take Your Whisky Home“. Was ich an Van Halen so mag, ist der Humor auf der einen Seite, aber der handwerklichen Perfektion auf der anderen.

Handwerklich perfekt werden dann natürlich auch Coverversionen umgesetzt. „Children Of The Revolution“ bleibt recht nah am Original, bekommt aber Soli spendiert. Das Original ist ja nur zwei Minuten lang. Und ich wollte auf jedem Song ein Gitarren – und Hammondsolo haben. Marc Bolan weilt nicht mehr unter uns, ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel.

Davon können wir wohl ausgehen. Und bei „Fantasy“ von „Earth Wind & Fire“ sieht es bestimmt nicht anders aus, auch wenn der Song ja im Original so gar nichts mit Rock zu tun hat.

Es war eine große Herausforderung für mich, aus einem Discosong einen Rocksong zu machen. Ich erinnere mich, als ich in den Siebzigern zur Disco gegangen bin. Wegen der Mädchen natürlich, nicht wegen der Musik, die habe ich gehasst. Und dann wurde „Fantasy“ gespielt, nach außen tat ich natürlich so, als ob ich das Lied nicht mögen würde, aber heimlich in meinem Inneren habe ich die Komposition geliebt. Allerdings mochte ich diesen Falsett Gesang überhaupt nicht. Also hielt ich es für eine gute Idee, den Song von einem Rocksänger mit diesem kräftigen Gesang singen zu lassen. Wenn du einen Song coverst, musst du ihn entweder besser machen, als das Original oder wirklich anders.

Während diese beiden Songs im Original sehr bekannten sind, dürfte das bei „Love Is All“ ander  aussehen. Das Stück stammt aus Roger Clovers Solo Album „The Butterfly Ball and the Grasshopper’s Feast“, wird aber von Dio gesungen.

Dio ist der Lieblingssänger von Jaycee. Wir wollten unbedingt einen Song von Dio covern, aber jetzt nicht „Stargazer“. „Love Is All“ war witziger Weise nur in Holland ein Hit. Ich habe gegoogelt, aber der Song ist bisher nur von einem Kinderchor gecovert worden. Es gibt zu dem Original  auch dieses witzige Video mit einem Zeichentrickfilm auf YouTube.

Apropos YouTube. Da wurde das Album ja recht spektakulär angekündigt.

Der Verantwortliche für Social Media bei Mascot hatte die Idee zu diesem Count Down. Du kannst chatten, siehst wie der Timer runterläuft, einfach eine coole Sache. Es gibt so viele Leute, die sich über Plattenfirmen aufregen, wie böse die sind. Die Leute bei Mascot sich meine Freunde und machen einen prima Job.

Den hat die Band auch gemacht. Bleibt die Frage, ob Supersonic Revolution eine Projekt für nur ein Album bleiben.

Viele meiner Nebenprojekte waren eine einmalige Sache, aber dieses hat so viel Spaß gemacht, dass ich wirklich hoffe, es geht weiter. Aber wir müssen natürlich zunächst abwarten, wie das Album aufgenommen wird. Wenn es keinem gefällt, brauchen wir auch nicht weitermachen. Ich bin einer der Künstler, die positives Feedback brauchen. Wenn ich Mails bekomme, he, du hast mein Leben verändert, das gibt mir Ansporn, weiter zu machen. Liveshows sind nicht ausgeschlossen, wir kommen alle aus Holland und es ist nicht so komplex wie bei Ayreon. Aber definitiv nicht in diesem Jahr, die Arbeiten an den Ayreon-Shows sind sehr aufwändig, danach gibt es eine Live-Veröffentlich mit Video, was auch viel Zeit in Anspruch nimmt. Aber wenn der Bedarf da ist, im nächsten Jahr, das ist nicht unmöglich.

An der Nachfrage wird es sicher nicht scheitern.

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