Werkschau: Ines & Hans-Jürgen Fuchs

Wann hat man als Betreiber eines kleinen unabhängigen Labels mal das Glück tatsächlich zwei herausragende Studio-Konzept-Alben aus deutschen Landen von zwei außergewöhnlichen deutschen Multi-Instrumentalisten an einem Tag in die Musik-Welt zu katapultieren, das ist fast schon eine Sternstunde. Label-Chef Dirk Jacob von Tempus Fugit hatte dieses Glück am Festival-Freitag des Night Of The Prog 2023 an der Loreley mit dem ersten fantastischen Solo-Album von Marek Arnold’s Artrock-Project, wir berichteten hier bei Stone Prog ausführlich über dieses Debüt. Und mit diesem Bericht nun auch über das am gleichen Tag erschienene und ebenso hörenswerte Konzept-Album »Too Much Too Many«. Bei diesem bisher besten Werk vom Stuttgarter Hans-Jürgen Fuchs, geht es im Kern um Selbstverwirklichung und um die Suche nach Glück und Zufriedenheit. Ich las kürzlich sehr passend: „der fünfte Streich der Prog-Schwaben, das bisher stärkste und gelungenste Werk überhaupt.“ Stimmt genau, und auch hier die Gemeinsamkeiten der beiden Ausnahme-Musiker. Marek Arnold und Hansi Fuchs haben vieles weitere gemeinsam, beispielsweise, dass sie Musiklehrer, Komponisten, Texter, Produzenten, Studiobetreiber, wieselflinke Keyboarder sind, in ähnlichem professionellen Fahrwasser schwimmen, mit mehreren Frontstimmen arbeiten und mit extrem erfahrenen Personal auftreten. Marek auch noch unter anderem mit seiner Prog-Band Seven Steps To The Green Door und vielen weiteren Formationen und Projekte.

Ines Fuchs – Die Tasten-Instrumentalistin Ines Fuchs überraschte 1994 (aber auch besonders mich) mit ihrem starken Debüt »Hunting The Fox« und dazugehörigen von ihr virtuos gespielten Keyboards als INES die Welt des wiederbelebten progressiven Rock. Unter anderem gastierten weiterhin mit Harald Bareth (Sänger Anyone’s Daughter) und Francesco „Chicco“ Grosso, Chris Bianchi d’Espinosa, Massimo Michieletto von der deutsch-italienischen Prog-Band Asgard bereits bekannte Musiker dabei. Ehemann Hans-Jürgen „Hansi“ Fuchs singt ebenfalls auf dem Album, spielt Gitarre und produzierte das Debüt, wie auch alle drei folgenden Alben. Fast die gleiche Besetzung findet sich auch auf dem zweiten Album »Eastern Dawning« (1996) wieder, das ein ähnlicher Erfolg wie die Fuchsjagd wurde.

Mit zusätzlicher Hilfe des Folk-erfahrenen Musiker Adaro, mit dem sich Ines Ehemann Hansi Fuchs das Artes-Aufnahme-Studio teilte, wurde das dritte Album namens »The Flow« aufgenommen. Dieses Album wurde 1999 veröffentlicht und der progressive Rock wurde um passende Folk-Melodien ergänzt. Hier beginnt im Übrigen auch die bis heute bestehende Zusammenarbeit mit Dirk Jacob und Label Tempus Fugit. 13 schöne fließende Lieder beschreiben thematisch das Wesen eines Flusses, seinen Einfluss auf die Welt. 2002 veröffentlichte die Keyboarderin und Songschreiberin INES ihr bisher letztes Album als INES Project »Slipping Into The Unkown«, leider wie dreimal zuvor viel zu unbeachtet. Seitdem konzentriert sich Ines Fuchs mehr auf das Malen, Fotografieren und Musizieren in Figuren-Theatern. Aber sie steht auch immer wieder mit Hansi’s FUCHS auf der Bühne. Eine großartige Frau und Musikerin die mich schon seit 1994 sehr stark an die ebenso starken Damen Pia Lund und Toyah Willcox erinnert.

Hans-Jürgen (Hansi) Fuchs – Der Multi-Instrumentalist aus der Region Stuttgart war über Jahrzehnte an vielen verschiedenen musikalischen Projekten und Arbeiten in unterschiedlichen Funktionen beteiligt. Er ist auch einer der starken musikalischen Köpfe hinter allen Produktionen seiner Frau Tasten-Instrumentalistin Ines Fuchs, die unter dem Namen INES zwischen 1994 und 2002 vier viel beachtete Art-Prog-Rock Alben aufgenommen hat. Gitarrist, Keyboarder und Sänger Hans-Jürgen Fuchs ist auch als Musik-Produzent tätig. Anfang der 90er, als sich die Art-Prog-Szene erneut verdichtete und sortierte, produzierte er viele Alben von verschiedenen Künstlern in seinem eigenen Roxanne Studio in Leonberg, das dann später mit dem bekannten Artes-Studio fusionierte. Mit mehr als 30 Produktionen (unter anderem Airborne, Black Jester, Garden Wall, Ivanhoe, Lanvall, Männer, Maryson) für das inzwischen aufgelöste Label Music Is Intelligence (Vertrieb WMMS) von Peter Wustmann, dort wurden auch die beiden ersten Werke von INES veröffentlicht, sowie weiteren freien Produktionen, zum Beispiel für die deutschen Celtic-Rocker Adaro, war dies eine sehr produktive Zeit für Hansi Fuchs. Seit mehr als 20 Jahren ist Hansi Fuchs auch Autor, Komponist und Regisseur einer Reihe von Schul-Musicals (beispielsweise 2017 Geröllkinder), die sich vor allem an Schüler verschiedener Altersstufen richten. Diese Musicals wurden mit großem Erfolg an Schulen in ganz Deutschland und im deutschsprachigen Raum aufgeführt.

Im Frühjahr 2012 ein weiterer Karriereschritt als Musiker und Band-Chef. Hansi veröffentlichte als FUCHS sein erstes Solo-Album unter dem Namen »Leaving Home«. Es erzählt die Geschichte einer deutschen Familie zwischen 1920 und 1945, beginnend mit den glücklichen Jahren einer jungen Liebe, gefolgt von Hitlers Machtergreifung bis hin zu Flucht und Vertreibung. Es ist die Geschichte der Familie seines eigenen Vaters, die er aus den Anekdoten seiner Großmutter zusammengesetzt hat. Hansi hat das Puzzle neu geordnet und daraus entwickelte sich ein sehr persönliches Konzept-Album. Seine musikalischen Wurzeln will er aber trotz oder gerade wegen der inhaltlichen Schwere und Dramatik der Geschichte nicht verstecken. Bei »Leaving Home« zeigt sich schon deutlich die Handschrift des Schwaben, verschiedene Einflüsse der 70er sind natürlich unvermeidlich. Und wie bei den vier Alben von Ines Fuchs der größte Unterstützer Ehemann Hansi war, ist nun Ines die Premium-Helferin. Sie fügte dem Album schöne Synthesizer-Passagen hinzu, damit schließt sich der Kreis zu den gemeinsamen erfolgreichen Prog-Rock-Tagen der 90er. Auch dieses Debüt von FUCHS und alle vier weiteren Alben sind bei Tempus Fugit erschienen.

2014 veröffentlichte Hansi Fuchs sein zweites Solo-Album »The Unity Of Two«. Mit diesem neuen Album und einer von Hermann Hesse inspirierten Konzeptgeschichte geht die musikalische Reise mit stabiler Mannschaft noch tiefer in den progressiven Rock. Weiter 2018, da erscheint sein drittes Album »Station Songs« und 2020 in der Pandemie das Live-Album »One Lively Decade«. Sein Meisterstück Too Much Too Many (2023) führt er aber einen Tag nach der offiziellen Veröffentlichung an der Loreley beim Night Of The Prog sensationell auf.

Night Of The Prog Festival 2023Hansi ist mit seinen sechs Mitmusikern, sprich Freunden und Lebensbegleitern; Baggi Buchmann und Michael Wasilewski (Front-Gesang), sowie Ines Fuchs (Keyboards, Gesang), Andy Bartzik (Gitarren), Florian Dittrich alias Florsky (Schlagzeug) und Henrik Mumm (Bass) als Namensgeber FUCHS auf der historischen Freilichtbühne angetreten. Und Hansi’s gemischte Formation, live leider nur extrem selten zu sehen, spielte schon auf Startplatz zwei am Samstag phänomenal auf. Die Musiker, wie auch das regengeschützte Publikum, ließen sich vom einzigen starken längeren Regenschauer der gesamten dreitägigen Festivalzeit nicht die Spiellaune verderben oder aus der Ruhe bringen (mich sowieso nicht, da resistent gegen Schlamm, Regen, Menschen-Pulk). Hier wie da erlebten sie gemeinsam die Geburtsstunde von fünf der acht dieser neuen Kompositionen von »Too Much Too Many« Live in Bild und Ton auf der diesmal sehr aufgeräumten von überall gut einsehbaren historischen Bühne. Einzig »Here In My Void« kannte man ja als frühe Version bereits von der Live-Scheibe »One Lively Decade« (2020). Dazu kamen zwei Titel von »Station Songs« und »Don’t Think About« vom Debüt »Leaving Home«. Auch die Tontechnik, auch vertreten durch einen Weggefährten von Hansi, die für diese komplexe Lyrik, mehrstimmigen Gesang und komplexe, symphonische Klanglandschaften äußerst wichtig ist, war in diesem Jahr dankenswerterweise sehr gut und dass auch über alle drei Tage für alle Künstler.

Wer dachte, die Musiker im gesetzten Alter würden im Stil der alten Garde der 80er musizieren, der hatte sich völlig getäuscht. Hans-Jürgen Fuchs und seine Truppe präsentierten stolz ihr einstündiges Material im modernen Gewand. Was besonders angenehm war, musikalisch steht niemand übertrieben im Vordergrund, jeder der sieben Akteure hat seinen Raum zur Entfaltung, bekommt seine Chancen sich zu präsentieren. Natürlich erinnert das melodiöse Keyboard-Arsenal von Ines und Hansi gelegentlich an vergangene Helden, aber mir hat der zeitgemäße Vortrag sehr gut gefallen, auch hier ist wieder die Verbindung und schließt sich der Kreis zur Einleitung zu Marek Arnold und seinem Werk. Das Motto des Albums: „Sie haben Erfolg im Leben, wenn Sie nur das wirklich wollen, was Sie wirklich brauchen“, darin steckt eine Menge wahres Leben. Bescheidenheit würde aktuell manchem guttun, FUCHS bestimmt nicht, denn die haben ein großartiges Werk würdig präsentiert und ihre Chance echt genutzt. Deutscher Art- und Progressive Rock zeitgemäß vorgetragen von einer Bande von Freunden.

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