Interview: IQ blicken positiv in die Zukunft

Gerade hat die britische Proglegende mit “Dominion” ein neues Album veröffentlicht und im nächsten Jahr feiert man das 45jährige Jubiläum, aber von Alterserscheinungen kann  zum Glück keine Rede sein. Renald sprach für Stone-Prog.de mit Sänger Peter Nicholls

Seit eurem letzten Album “Resistance” sind sechs Jahre vergangen.

Zunächst muss man sagen, dass es ohne Covid nicht sechs Jahre gedauert hätte. Die Pandemie hat ja allen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für etwa zwei Jahre konnten wir uns nicht sehen, konnten nicht proben, keine Konzerte geben. OK, wir sind nun nicht die schnellste Band der Welt, aber üblicherweise liegt eine Spanne von vier bis fünf Jahren zwischen unseren Alben, aber auch das ist keine Absicht.  “Resistance” von 2019 war ja auch ein Doppelalbum, das ist eine Menge Arbeit, es gibt viel zu schreiben, viel zu proben. Danach brauchten wir wirklich eine Pause. Das aktuelle Album ist nur eine einzelne CD, ich glaube, das war exakt die richtige Entscheidung zu diesem Zeitpunkt. Es war nicht so viel Arbeit und es ist ein starkes Album geworden. Ich glaube, wir haben jetzt ein gewisses Momentum. Ich bin sicher, dass es nicht wieder sechs Jahre bis zum nächsten Album dauert. Wir haben bereits begonnen, darüber zu sprechen und mit dem Schreiben begonnen. Es würde mich überraschen, wenn es nicht in den nächsten zwei bis drei Jahren erscheint. Wenn du älter wirst, dann erkennst du, dass die ganze Zeit eine Uhr tickt. Wir wollen das Beste aus der Zeit machen, die wir als Band haben.

Peter Nicholls pic: (C) IQ Band Promo

Also kann man sagen: Klasse statt Masse?

Wir könnten alle 18 Monate oder alle zwei Jahre ein Album veröffentlichen und es wäre ok. Aber wir wollen das bestmögliche Album präsentieren. Als wir dieses Album schrieben, hatten wir faktisch Material für ein zweites Album, das nicht verwendet wurde. Vielleicht nutzen wir es später. Wir nehmen  immer mehr Material auf, um das Beste auszuwählen. Manchmal werden sehr schnell  Alben veröffentlicht, dass der Künstler im Gespräch bleibt. Aber die Leute hören es, wenn du ein Album veröffentlichst, an das du nicht glaubst. Lieber alle fünf Jahre ein sehr gutes Album veröffentlichen als alle zwei Jahre ein Album, das gerade noch so akzeptabel ist.

Wie entstehen eure Songs?

Mike ist der Hauptsongschreiber. Er hat sehr viel Musik in seinem Kopf. Er ist ein sehr produktiver Komponist. Er verschickt dann Demos, aber er ist sehr offen. Die Demos sind nicht komplett fertig, sodass jeder Raum hat, seinen Beitrag einzubringen, aber sie sind schon so, dass man ziemlich genau weiß, in welche Richtung sich der Song bewegen soll. Ich schreibe die Texte und die Vocal Lines. In den frühen Jahren von IQ saßen wir in abgewrackten und kalten Proberäumen und jammten und arbeiteten an Riffs oder einzelnen Ideen. Das war ein ziemlich langwieriger Prozess. Es hat lange gedauert, bis man einen Song hatte, mit dem jeder zufrieden war. Mit der jetzt vorhandenen Technologie ist das Arbeiten effektiver. Hätten wir diese Möglichkeiten schon dreißig oder vierzig Jahre früher gehabt, hätten wir sie genutzt.

Wer von euch hat eigentlich noch einen “normalen” Job und wer nicht?

Ich habe im letzten Jahr aufgehört zu arbeiten, was sehr gut für mich ist. Ich habe jetzt mehr Zeit und Energie für die Band. Mike, Tim und ich sind im Ruhestand, wir sind jetzt alte Männer. Paul arbeitet Teilzeit, Neil ist etwas jünger, er arbeitet noch. Wir versuchen, IQ die Zeit zu geben, die wir können und was mich angeht, betrachte ich IQ jetzt als meinen Job. Aber es ist ein Job, der mir Spaß macht. Ich bin froh, dass es die Band immer noch gibt und ich meinen Beitrag dazu leisten kann.

Kommen wir zum aktuellen Album. Es beginnt mit dem dreiundzwanzig Minuten langen “The Unknown Door”. Ihr habt ja schon einmal ein Album mit einem Longtrack eröffnet. Nach dem Motto, gebt den Fans gleich was sie wollen, dann haben wir unsere Ruhe?

Es kann tatsächlich so aussehen, aber das waren nicht unsere Gedanken. Du hast recht, wir haben unser erstes Album mit “The Last Human Gateway” begonnen. Eine Sache, über die man bei einem Album nachdenkt, ist, wie ich beginne und wie ich aufhöre. Wir wollten eine Art Statement, dass die ganze Band noch da ist. Wir dachten, diese Fanfare oder dieser Trompetensound wäre eine andere Art, ein IQ Album zu beginnen, aber wir hatten unsere Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war, mit einem 23-Minuten-Song zu beginnen. Wir haben noch einen anderen Song in Erwägung gezogen, aber es blieb bei “The Unknown Door”. Es ist ein starker Song, und am Ende sagten wir, das ist IQ, und das ist, was wir machen. Und ja, Progfans lieben Longtracks, also kriegen sie gleich am Anfang, was sie wollen.

IQ – Dominion

Der zweite Song „One Of Us“  ist völlig anders, drei Minuten und im Prinzip nur dein Gesang und Akustikgitarre.

Der Song ist das absolute Gegenteil vom Opener. Es gibt dir die Möglichkeit zu verschnaufen. Gleich ein weiterer Full-Band-Track wäre zu viel, du kannst dich  zurücklehnen und verdauen, was du vorher gehört hast.

Ich glaube, solche einfachen Songs zu schreiben ist nicht leichter als ein Prog-Epic. Ich habe im letzten Jahr mit dem Drummer von Evergrey gesprochen. Er hat die Band verlassen, weil er Popsongs schreiben wollte.

Als ich in den frühen Siebzigern begann Musik zu hören, hörte ich Pop Musik. Da sind diese Songs der Beatles oder eben auch andere Popsongs, und die Kunst dabei ist es, alles was du ausdrücken willst in zweieinhalb bis drei Minuten auszudrücken. Bei Texten, selbst wenn der Song 23 Minuten lang ist, bin ich ständig am Verändern, einfach um genau auf den Punkt zu bringen, was ich ausdrücken möchte. Und es ist exakt das gleiche bei einem drei Minuten Track wie bei einem 23 Minuten langen. Die Kunst besteht darin, alles in diesem kurzen Moment auszudrücken, um es funktionieren zu lassen. „One Of Us“ hat zwei Strophen und nicht mal einen Refrain, jedenfalls sehe ich es nicht als solchen, und trotzdem wird eine Geschichte erzählt. Jeder Song erzählt eine Geschichte. Nur dass wir hier eben nur drei Minuten Zeit dafür haben.

pic: (C) IQ Band Promo

Es ist ja heute üblich, dass man Songs vorab zum Beispiel auf YouTube veröffentlicht und das dann Single nennt. Ihr habt das mit “No Dominion” gemacht. Früher waren eine Single noch ein physisches Produkt…

Ich vermisse diese Zeiten. „No Dominion“ haben wir als Vorgeschmack auf das Album gewählt, die Zuhörer bekamen eine Idee, wie das Album klingen würde.

Wenn wir ein Album machen, dann wollen wir klingen wie IQ, auch weil wir glauben, dass die Leute, die unsere Alben kaufen, das erwarten. Aber man möchte die Leute auch überraschen, darum gibt es auch immer wieder Elemente, die man so von uns noch nicht gehört hat. „No Dominion“ klingt wie IQ, klingt aber nicht wie ein spezifischer IQ-Song. Sobald ein Album veröffentlicht ist, gehört es uns nicht mehr, es gehört dann den Leuten, die es hören. Die einen mögen es, die anderen nicht. Was ich bisher zum neuen Album gehört habe, war, dass es den meisten gefällt. Aber es gibt immer jemanden, dem es nicht gefällt, und das sind dann die Kommentare, die du am lautesten hörst.

Zwei Songs vom neuen Album habt ihr auch schon beim Weekender in Aschaffenburg gespielt.

Ja, wir haben “No Dominion” und “Far From Here” gespielt. Als wir an dem Album gearbeitet haben, haben wir einige andere Stücke live gespielt, aber keiner davon hat es schließlich auf das Album geschafft. Es waren gute Songs, aber sie haben nicht in das Gesamtbild des Albums gepasst. Sie liegen sozusagen im Tresor und werden vielleicht später verwendet.

Es gibt Künstler die schreiben Song für Song und wenn zehn fertig sind, dann wird eine CD veröffentlicht.

Was nehmen die Reihenfolge der Songs sehr ernst und dass es einen gewissen musikalischen Fluss gibt. Wir denken über die Reise nach, auf den wir den Hörer mitnehmen. Heute hören die Leute Alben oft anders, viele picken sich nur ein paar Tracks heraus, die sie dann hören. Wenn man „Dominion“ von Anfang bis Ende hört, dann fühlt es sich nicht wie ein langes Album an. Ich finde, die Zeit vergeht sehr schnell. Du schaust nicht ständig auf die Uhr und hoffst, es ist bald vorbei. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Mit dreiundfünfzig  Minuten ist das Album ja nicht unbedingt kurz, gemessen an den alten Standards ist es sogar recht lang.

Ihr spielt live auch immer einige Songs aus der Zeit, als du nicht in der Band warst.

Das ist kein Problem für mich, solange ich das Stück singen kann. Manchmal sind die Lieder in einer höheren Tonlage geschrieben, und sie passen nicht zu meiner Stimme. Diese Lieder sind Bestandteil der IQ-Geschichte, das stört mich nicht. Wir spielen nicht sehr viele davon, aber die Leute mögen diese Tracks und so ist es für uns kein Thema.

Sind diese Weekender etwas Besonderes für euch?

Mittlerweile sind sie es. Es gibt ja eins in UK, dann das in Aschaffenburg und in diesem Jahr gibt es auch eins in Polen und Paris. Für uns ist das eine ziemliche Herausforderung, weil wir ja zwei unterschiedliche Sets spielen. Es gibt so viel zu proben. Ich glaube, aktuell spielen wir achtundzwanzig verschiedene Songs. Man muss sich also viel merken, wir werden ja alle älter. Das Gedächtnis ist nicht mehr das, was es mal war. Die Weekender sind schon fast wie ein soziales Event für die Leute. Gerade in Aschaffenburg, wenn man die gleichen Leute jedes Jahr trifft.

pic: (C) IQ Band Promo

Die Fans in Aschaffenburg waren überrascht, dass ihr die CD schon verkauft habt, obwohl das offizielle Release Date noch in der Zukunft lag.

Wir dachten, das wäre eine schöne Überraschung für die Leute. Wir haben die CDs bereits ab Februar bei unseren Shows in Bury verkauft. Wir haben keinem was davon erzählt. Die Leute sollten kommen und überrascht sein, dass das Album  schon verfügbar war. Es ist eine Art Belohnung für die Loyalität und Geduld der Fans.

Na ja, ihr müsst ja auf keine Plattenfirma Rücksicht nehmen.

Ja, wir können machen was immer wir wollen!

Lass uns noch über die Texte sprechen. Gibt es ein Konzept oder einen roten Faden?

Für mich haben die Texte etwas Optimistisches und Positives, was es so auf „Resistance“ nicht gab. Als wir „Resistance“ geschrieben haben, befand ich mich in einer anderen Situation und hatte gewisse persönliche Probleme. Das hört man am Albumtitel oder an Songtiteln wie „Stay Down“ und „Rise“. Ich hatte einige persönliche Schlachten in dieser Zeit zu schlagen. Jetzt bin ich in einer optimistischen und nach vorne schauenden Phase. Das „Jetzt“ spielt eine große Rolle in den Texten. Wenn man älter wird, dann ist man sich der Tatsache bewusst, dass seine Zeit nichts Unendliches ist. Wir haben alle nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten und für mich ist es wichtig, daraus das Beste zu machen. Wenn es einen roten Faden gibt, dann: Nutze den Moment, mache die Welt für dich so gut wie es geht. Und mache es jetzt. Man findet immer Gründe, um Dinge zu verschieben, aber die Zeit ist jetzt. Heute ist der Tag, wir wissen nicht, was morgen ist und gestern ist vorbei.

Das einzig “richtige” Konzeptalbum von euch war “Subterranea”.

Ja, unter gewissen Aspekten ist „The Wake“ auch ein Konzeptalbum, aber die Geschichte ist dort nicht so exakt definiert wie bei „Subterranea“. Als wir „Road Of Bones“ veröffentlicht haben, der Titelsong handelt ja von einem Serienmörder, dachten einige Leute, das ganze Album ist ein Konzeptalbum über einen Serienmörder. Ich habe das oft gelesen und weiß nicht, woher es kommt, es ist wirklich nur das eine Lied. Vielleicht lieben die Leute Konzeptalben und suchen gezielt danach. Aber es ist ok, dass die Leute die Texte interpretieren wie sie möchten. Wenn jemand etwas aus meinen Texten mitnimmt, dann bin ich mehr als zufrieden damit. Ich habe vom ersten Tag an gesagt, dass ich Texte schreiben möchte, die eine Bedeutung für die Leute haben. Beim letzten Song „Never Land“ geht es um zwei Leute und einer verstirbt und der andere erinnert sich an ihn. Wir haben alle schon Menschen verloren.

Gab es eigentlich eine Phase, zum Beispiel in der Pandemie, als ihr dachtet, das wäre das Ende der Band?

Nein, uns war immer klar, dass wir weitermachen würden. An diesem Punkt gibt es Künstler, die aufhören. Wir sind sehr positiv, was unsere Zukunft betrifft. Im nächsten Jahr werden  IQ fünfundvierzig  Jahre alt, das ist schon eine lange Zeit für eine Band. Es gab ja nie eine Phase der Inaktivität. Manche Bands feiern ihr fünfzigjähriges Jubiläum, haben aber dreißig Jahre nichts gemacht. Natürlich war es während der Pandemie schwer, aber das war es für jeden. Wir haben noch Dinge zu erledigen. Solange die Leute uns mögen und zu unseren Konzerten kommen. Wenn wir vor zwanzig Leuten spielen würden, hätten wir vermutlich darüber nachgedacht aufzuhören. Natürlich müssen wir auch körperlich  noch dazu in der Lage sein.

Wenn man euch auf der Bühne sieht, hat man das Gefühl, ihr versteht euch sehr gut.

Ja, diese Freundschaft hält die Band zusammen. Im nächsten Jahr kenne ich Mike seit fünfzig Jahren, das ist eine lebenslange Freundschaft.  Es gibt keine Spannungen, jeder akzeptiert das Talent und die Fähigkeiten der anderen. Wir reden ja von der IQ-Familie, aber das ist nicht nur die Band, auch die Crew und die Fans.

Und das Touren scheint euch immer noch Spaß zu machen.

Als ich noch meinen normalen Job hatte, war es manchmal schwierig, die Dinge unter einen Hut zu bringen. Jetzt kann ich es ja machen, weil ich im Ruhestand bin. Wir waren gerade in Skandinavien und ich fliege nicht besonders gerne. Also bin ich mit dem Van gefahren, der auch das Equipment transportiert hat, drei Tage hin und drei Tage zurück. Für zwei Konzerte war ich eine Woche unterwegs, es war schon anstrengend, aber es war meine Entscheidung. Wie gesagt, solange ich gesund bleibe und meine Stimme mitmacht, was sie bis jetzt ja zu machen scheint, mache ich weiter. IQ ist ein großer Teil meines Lebens. Sollten wir entscheiden, mit IQ aufzuhören, dann wäre das auch wirklich das Ende der Band. Wir würden nicht mit 75 auf eine Reunion-Tour gehen!

Auf Reunion-Tour nicht, aber hoffentlich auf eine reguläre!

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