Mit progressiver Rockmusik ein größeres Publikum zu erreichen, ist in Mecklenburg-Vorpommern ein schwieriges Unterfangen. Der umtriebige Manager der Rostocker Band Inspierty startete im vergangenen Jahr den Versuch, in verschiedenen Städten Konzerte unter dem Motto „Prog-Night“ zu organisieren, auf denen sich regionale Prog-Bands präsentieren können. Eine der Bands, die bei diesen Konzerten häufig mit auf der Bühne stand, ist Dawnation aus Neubrandenburg. Ja, genau die Band, die 2023 bei ihrem allerersten Gig auf dem ArtRock Festival in Reichenbach einen überwältigenden Erfolg verzeichnen konnte, der Veranstalter und Fans gleichermaßen begeisterte. Kein Wunder eigentlich, denn drei der fünf Musiker spielten von 1998 bis 2004 schon in der Band Glistening Dawn zusammen, die in der deutschen Prog-Szene nicht unentdeckt blieb. Ich bin seinerzeit großer Fan dieser Formation gewesen, die während ihrer gemeinsamen Zeit immerhin drei Alben veröffentlichte.

Umso mehr erfreute es mich, dass die Jungs, oder jetzt besser – die Herren – wieder zueinander fanden, um neue Songs zu schreiben. Keyboarder Bert Wenndorff, Gitarrist Christoph Piel und Sänger Jan Mecklenburg vervollständigten ihre neue Band um eine Rhythmusgruppe und veröffentlichten 2020 ihr erstes Album The Mad Behind unter dem neuen Bandnamen Dawnation. Das Album stieß in einschlägigen Medien auf positives Echo. Corona bedingt hatte die Band keine Auftrittsmöglichkeiten und auch das gemeinsame Proben gestaltete sich während der Pandemie schwierig. Doch der kreative Prozess kam nicht ins Stocken. Der neue Drummer, Damian Krebs, brachte zusätzlich frische Impulse ein. So erschien am 14. April 2023 ihr zweites Album …well for the past, also genau einen Tag vor ihrem umjubelten Auftritt in Reichenbach.

Ich durfte Dawnation inzwischen mehrfach erleben, und jedes ihrer Konzerte hat mich so fasziniert, dass ich die Band auch an diesem Dienstagabend nicht verpassen wollte. Der Rostocker Klostergarten, mitten im Zentrum der Hansestadt, wird jeden Sommer für Konzerte und Theateraufführungen genutzt. Heute bietet er die perfekte Kulisse für die ProgNight.

Eine kleine Melodie, von Robert Reich auf dem Bass gespielt, wird von den anderen Instrumentalisten aufgenommen und entwickelt sich zu einer eingängigen Hookline. Das rockige Instrumentalstück Rise ist die perfekte Ouvertüre für das Konzert und gibt einen Vorgeschmack darauf, wohin die musikalische Reise heute Abend gehen wird. Harte Gitarrenriffs, treibende Rhythmen, ein fetter Keyboardsound und immer wieder Melodien, die sich im Ohr festsetzen, prägen die Musik von Dawnation. Beim nächsten Stück Holes kommt auch Sänger Jan Mecklenburg auf die Bühne. Mit seiner sympathischen Ausstrahlung und seiner Art zu singen, nimmt er das Publikum sofort für sich ein. Holes beginnt mit sanften Pianoklängen und dezentem Gesang, entwickelt sich jedoch zu einem mitreißenden Rocksong mit einem hymnischen Refrain, der durch seine Mehrstimmigkeit bombastisch klingt. Ein kurzes Pink Floyd Zitat im Song weist auf eine der Bands hin, von denen sich Dawnation inspirieren lässt. Toto, Deep Purple, Genesis und andere zählen wohl auch dazu.


Die Ballade The Mad Behind startet mit einer elegischen Gitarrenmelodie, die Gitarrist Christoph Piel sehr eindringlich spielt. Was anfangs noch verhalten klingt, entwickelt sich zu einem Longtrack mit ausufernden Synthi- und Gitarrensoli sowie einem grandiosen Finale. Dieses Stück ist live ganz großes Kino – die perfekte Symbiose aus Hard- und Progressive Rock wirkt hier vollendet. Mit The Hypocrite folgt ein weiterer längerer Song, der zunächst ruhig beginnt. Keyboarder Bert Wenndorff hat sich eine Akustikgitarre umgehängt und gesellt sich zu den anderen in die Bühnenmitte. Doch er muss bald zurück an sein Keyboard-Arsenal, denn auch dieses Stück hat einen rockigen Mittelteil mit fetten Gitarrenriffs und satten Keyboardsounds, Prog-Metal lässt grüßen. Mit diesem Titel positioniert sich die Band gegen Autokraten und Populisten, wie Jan Mecklenburg in seiner Anmoderation erwähnt. Im Internet findet man auch eine auf Deutsch gesungene Version dieses Stücks unter dem Namen Blaulackierter Faschist. Auf Wunsch des Veranstalters soll es bei dem Konzert eine Pause geben. Doch zuvor begeistert Dawnation noch mit ihrer wunderschönen Ballade Between.


Der zweite Teil des Konzerts beginnt mit einem Piano-Intro, das den Song Lovely Child einleitet. Diesen Song haben die Väter unter den Musikern ihren Kindern gewidmet, berichtet Jan Mecklenburg. Am Schluss des Stücks erleben wir wieder ein Gitarren- und Keyboard-Solo, das jedes Progger-Herz höherschlagen lässt. Bei dem erhebenden Schlussteil mit einer berührenden Melodie setzt die Band erneut zu Höhenflügen an: „Spread your wings and learn to fly, let your worries pass you by! – Ready to fly!“. Auch der Song Cheap Pills startet mit einem beeindruckenden Intro, bei dem Gitarre und Keyboards in klassische Gefilde vordringen. Das Stück ist eine rockige Nummer über Medikamentenmissbrauch. Anleihen bei Led Zeppelin bieten einen zusätzlichen Reiz.


Jan Mecklenburg zeigt hier erneut, dass er nicht nur ein großartiger Sänger, sondern auch ein mitreißender Frontmann ist. Mit Time, bei dem Damian Krebs ein beeindruckendes Drum-Solo abliefert, schließt sich der Kreis zum Konzertbeginn – denn der Song greift die eingängige Hookline von Rise auf, die den Abend eingeleitet hat. Das poppige Stück Fly bezeichnet die Band selbst als ihren Radio-Hit, falls er denn gespielt würde – und auch dieser Song schmeichelt den Ohren auf seine ganz eigene Weise. Dann kommt Fall, ein eindringlicher Song mit einer Botschaft, die aktueller denn je ist: „Master of war, what have you done?“ Doch das Stück endet versöhnlich, indem es erneut das Thema von Rise und Time aufgreift. Mit der Ballade Worthless findet das Konzert seinen emotionalen Höhepunkt.

Die Band präsentiert sich zum Abschluss mit der bissigen Rock-Nummer Don’t Bother als Zugabe. Dass dieser Song ein ausladendes Gitarrensolo enthält, ist eigentlich selbstverständlich, denn er stammt aus der Feder von Gitarrist Christoph Piel. Alles klingt wie aus einem Guss, in einem hervorragenden Sound, für den Morten Luxenburger verantwortlich zeichnet – der sogar einmal hinter seinem Mischpult mitsingen darf. Ich hätte mir für die Band an diesem Abend mehr Besucher gewünscht. Dennoch gehen alle Anwesenden mit einem positiven Gefühl in die Nacht. Auch ich bin wieder begeistert. Es ist bereits das fünfte Mal, dass mich die Band Dawnation mit ihrer Musik fasziniert. Überregionale Auftrittsmöglichkeiten wären definitiv längst angebracht.
Setlist
Teil 1
Rise
Holes
Behind The Mad
The Hypocrite [+ Far Away (Outro)]
Between
Teil 2
Lovely Child
Cheap Pills
Time
Fly
Fall
Worthless
Zugabe
Don’t Bother
