Livereport: Marillion Weekend Padua 2025

Alle zwei Jahre laden Marillion ihre Fans dazu ein, in verschiedenen Teilen der Welt Wochenenden voller Konzerte der Kultband zu erleben. In diesem Jahr sind es insgesamt neun solcher Weekends, die von der Band und den internationalen Fanclubs organisiert werden. Über das legendäre Wochenende im niederländischen Port Zélande haben wir bereits ausführlich berichtet. Anfang Mai führt uns unser Weg dann wieder zum Marillion Weekend nach Padua, das wir gleich mit zwei Wochen Urlaub in Italien verbinden. Bereits 2023 haben wir in Padua ein Marillion Weekend erlebt und waren begeistert. Daher fiel unsere Entscheidung in diesem Jahr nicht schwer, zumal wir im Juni beim Marillion Weekend in Berlin nicht dabei sein können.

Donnerstag, 08.Mai 2025

Unser Wochenende beginnt am Donnerstagabend mit dem Marillion Weekend Appetizer in der Radio City Music Hall in Padua. In dieser kleinen Halle mit dem beeindruckend klingenden Namen wird die italienische Marillion Tribute Band Mr Punch vor allem Songs aus den 1980er Jahren spielen, als Fish noch Frontmann der Band gewesen ist. Obwohl Mr Punch relativ häufig in Deutschland auftreten und ich die Gitarristin Marcella Arganese im Laufe der Jahre auch persönlich kennenlernen durfte, hatte ich bisher noch nicht die Gelegenheit, die Band live zu erleben. Typisch für Konzerte in Italien ist das Cena – das gemeinsame Abendessen vor dem Konzert.

Nach Pizza, Pommes, Burger und Co. startet die Band gegen 22:30 Uhr ihre musikalische Reise in die frühen Jahre von Marillion. Mr Punch präsentieren eine nahezu perfekte Nachbildung einer Show, wie sie Marillion in ihren Anfangsjahren wohl gespielt hätte. Die Setlist umfasst dabei Songs aus allen vier Alben, die Marillion mit Fish eingespielt haben. Sänger Marco Vincini beeindruckt mit einer Gesangsleistung, die dem jungen Fish sehr nahekommt, und wechselt immer wieder in authentische Outfits. Die gut eingespielte Rhythmusgruppe, bestehend aus Luca Cristofaro am Bass und dem großartigen Marco Fabbri an den Drums, sorgt für einen ordentlichen Drive und trägt maßgeblich zum mitreißenden Konzert bei.

An den Keyboards begeistert Licia Missori, die mit ihrem Posieren hinter den Tasten nicht nur optisch ein Hingucker ist. Vor dem Song Fugazi verzaubert sie das Publikum mit einem virtuos gespielten Keyboard-Solo. Star des Abends ist für mich jedoch Marcella Arganese, deren einzigartiges Gitarrenspiel immer wieder Szenenapplaus hervorruft.

Trotz eines manchmal kaum auszuhaltenden Lautstärkepegels und eines suboptimalen Sounds schafft es die Band, die Fans in eine Zeit zurückzuversetzen, in der der Progressive Rock seine zweite Renaissance erlebte. Das insgesamt beeindruckende Konzert, das die Leidenschaft für die frühen Jahre von Marillion auf lebendige Weise erlebbar macht, endet erst spät nach Mitternacht mit Easter, dem einzigen Song aus der Hogarth Ära.

Freitag, 09.Mai

Die Hauptkonzerte des Wochenendes finden im Gran Teatro Geox statt, das einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt. In diesem Jahr haben wir für beide Tage Plätze in einem der Shuttle-Busse reserviert, die vom italienischen Marillion-Fanclub „The Web Italy“ organisiert wurden. So sind An- und Abreise ganz bequem, und wir haben Zeit, das Merchandise zu erkunden, ein Bier zu trinken und zwischen Pizza oder Burger zu wählen. Bereits ab 17:30 Uhr sorgt das Duo The Roux Crue auf der kleinen Bühne im Vorraum des Theaters für musikalische Unterhaltung. Ihre Musik wird auch nach außen übertragen, sodass wir sie in der Paduaner Abendsonne genießen können.

In Italien gibt es bekanntlich sehr viele gute Bands, die dem weiten Feld des Progressive Rock zugeordnet werden können. So erleben wir an beiden Abenden des Weekends einheimische Support Acts. Am Freitagabend ist es die italienische Band NoSound. Dank der Zusammenarbeit mit renommierten Musikern wie Chris Maitland (ehemals Porcupine Tree), Tim Bowness (No-Man) und Vincent Cavanagh (ehemals Anathema) hat sich die Band längst einen festen Platz in der internationalen Prog-Szene erarbeitet. NoSound wurde im Jahr 2005 von dem Sänger und Multiinstrumentalisten Giancarlo Erra zunächst als Solo-Studioprojekt ins Leben gerufen.

Im Lauf der Jahre entwickelte er daraus jedoch eine vollwertige Band. Die Musik von NoSound ist eine faszinierende Mischung aus Post-Rock, schwebenden Ambient-Sounds, atmosphärischen Keyboards und melancholischen Melodien. Giancarlo Erra interpretiert die meist ruhigen Songs mit seiner zerbrechlichen Stimme und mit emotionaler Eindringlichkeit, was den Zuhörern eine intensive Erfahrung bietet. Unterstützt wird er von Paolo Vigliarolo an den Gitarren, Marco Berni an den Keyboards, Orazio Fabbri am Bass und Daniele Michelacci am Schlagzeug.

Das Set ist geprägt von Stücken aus verschiedenen Studioalben, wobei die Band erstmals die neue Single Worn-Out Parts präsentiert, bei der Erra seine Gitarre mit einem Geigenbogen malträtiert. Der Song ist auf dem brandneuen Studioalbum To The Core zu hören, das am 27. Juni veröffentlicht wurde. Trotz der großartigen Performance hätte man sich für die Band ein breiteres Interesse seitens der Marillion-Fans gewünscht, da die meisten erst nach NoSound ins Gran Teatro Geox strömen. Dennoch ist es ein beeindruckender Auftakt, der die musikalische Vielfalt und Qualität der italienischen Prog-Szene eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Gegen 21:15 Uhr ist die riesige Halle des Theaters prall gefüllt, als die eingespielten Drum-Sounds den ersten Song erkennen lassen. Sänger Steve Hogarth erscheint im Anzug, mit Brille und streng nach hinten gekämmten, jetzt weißen Haaren und erzählt uns die Geschichte von The Invisible Man, die von Isolation und Einsamkeit handelt. Es wird sein erster theatralischer Auftritt an diesem Abend. Von Anfang an werden er und die Band von den Fans enthusiastisch gefeiert. Auch ich bin wieder begeistert von der Intensität, mit der die Musiker agieren.

Erwartungsgemäß steht heute das gesamte Album Marbles auf dem Programm. Es ist eine wunderbare Sammlung von traumhaften Balladen wie Genie, Fantastic Place oder The Only Unforgivable Thing. Hinzu kommen das dramatische Ocean Cloud sowie die eingängigeren Stücke Don’t Hurt Yourself und You’re Gone, dazwischen schiebt sich das rhythmische Cannibal Surf Babe, das nicht von Marbles stammt. Alle Songs sind eingebettet zwischen den kurzen Schnipseln Marbles I – III, bei denen Steve Hogarth jeweils ans Piano wechselt.

Das Set endet mit dem gigantischen King. Die Band spielt mit großer Verve. Nur Gitarrist Steve Rothery scheint etwas gegen den Strich zu gehen. Dafür erleben wir bei King ein eindringliches Gitarrensolo, bei dem er sich seinen ganzen Frust vom Leib zu spielen scheint. Bei fantastischem Sound und der äußerst effektvollen Lichtshow gerät das Konzert zu einem beeindruckenden Erlebnis. Der Zugaben Block gerät kurz, aber mit dem Vier-Minuten-Popsong Waiting To Happen startet er versöhnlich. Bei einem weiteren großartigen Gitarrensolo versucht Steve Hogarth einen Annäherungsversuch an den Gitarristen, doch dieser bleibt tief in sein Spiel versunken. Marbles IV und ein traumhaftes Neverland beschließen das heutige Konzert. Schon jetzt steigt die Vorfreude auf den zweiten Tag des Weekends.

Samstag, 10.Mai

Die Band RanestRane aus Rom hat sich längst einen festen Platz im Umfeld von Marillion erobert. Keyboarder Riccardo Romano ist Mitglied der Steve Rothery Band. In Essen sprang er auch schon mal für den verletzten Mark Kelly bei einem Marillion-Konzert ein. Bereits 2015 traten RanestRane erstmals beim Marillion Weekend in Port Zélande auf, und zweimal begleiteten sie Steve Hogarth bei seinen „h Natural“-Konzerten in Rom. Kein Wunder also, dass die Plätze vor der Bühne bei ihrem Auftritt fast vollständig gefüllt sind.

Ihre Musik, meist als Soundtrack zu bekannten Filmen konzipiert, funktioniert auch ohne visuelle Begleitung erstaunlich gut. Das beweisen die vier Musiker heute eindrucksvoll, indem sie eine Art „Best of…“ von Songs aus ihren mittlerweile sechs Studioalben spielen.

Der dröhnende Lärm nahender Hubschrauber kündigt das dramatische Napalm an, das aus ihrem letzten Studioalbum Apocalypse Now stammt. Eine treibende Basslinie, gespielt von Maurizio Meo, und ein feines Gitarrensolo, bei dem Massimo Pomo schon jetzt sein Können zeigen darf, führen uns in diesen eindringlichen Song über Napalm-Bombardierung, brennende Wälder und das Leid der Menschen während des Vietnam-Krieges. Wenn Daniele Pomo zu singen beginnt – mal hinter seinem Drumset stehend, mal mit vollem Drive spielend – steigt die Dramatik spürbar an. Riccardo Romano steuert ein energetisches Orgelsolo bei, das dem Song noch mehr Tiefe verleiht. Es ist ein kraftvolles und bombastisches Stück Musik, mit dem die Band ihr Set eröffnet und sofort die Aufmerksamkeit des Publikums fesselt.

Anschließend entführen uns Glockentöne in eine andere Welt: ins eingeschneite Overlook Hotel, wo ein Wahnsinniger seine Familie bedroht. Auch hier spüren wir die intensive Dramatik, die die vier Musiker gekonnt in Szene setzen. Bei Passerà Presto aus dem Album Nosferatuwird es balladesk, bevor uns die Band auf eine imaginäre Reise mitnimmt: von der Via da Wismar nach Transsilvanien, wo ein Treffen mit einem gewissen Grafen Dracula geplant ist. Zum krönenden Abschluss präsentieren RanestRane drei Stücke aus ihrem ambitionierten Soundtrack zu Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey. Viel Bombast, viel Dramatik und wunderschöne Melodien – genau das, was den sogenannten Italo-Prog ausmacht, erleben wir bei RanestRane in höchster Güte. Das Publikum reagiert begeistert und belohnt die Band zu Recht mit stehenden Ovationen.

Wenn Marillions gestrige Setlist aufgrund der Erfahrungen aus den vergangenen Weekends erwartbar gewesen ist, so erahnt wohl niemand, was uns an diesem zweiten Abend erwartet. Schon der erste Song ist eine Überraschung: Marillion beginnen mit Slàinte Mhath, einem Stück aus dem Jahr 1987. Sofort reißt die energiegeladene Performance die Fans mit, und Frontmann Steve Hogarth, der eigentlich nicht mehr so gern die alten Songs singt, macht sich dieses Stück zu eigen. Dabei kann er voll auf die Fans zählen, die Zeile für Zeile mitsingen.

Es folgt The Uninvited Guest, zu finden auf dem ersten Album, das Hogarth eingesungen hat. Das ist bereits über 35 Jahre her. Steve Hogarth ist seitdem im wahrsten Sinne des Wortes DER Frontmann von Marillion. Er lebt die Songs förmlich, deren Texte er meist verfasst hat. Dabei ist seine Bühnenpräsenz beeindruckend: Mit unglaublicher Energie nimmt er jeden freien Platz auf der Bühne ein, ungeachtet der Risiken, die das mit sich bringt. Erinnert sei an seinen Sturz von der Bühne in Port Zélande 2017. Steve Hogarths Performances sind geprägt von viel Theatralik, die jedoch so authentisch wirkt, dass man sie ihm abnimmt.

Die Band ist im Laufe der Jahre mit ihm gewachsen und hat einen ganz eigenen Musikstil entwickelt, der Marillion so einzigartig macht. Obwohl Steve Hogarth das Gesicht der Band ist, prägen die anderen vier Musiker den Sound maßgeblich. Besonders hervorzuheben ist Steve Rothery, dessen gefühlvolles Gitarrenspiel immer wieder unter die Haut geht. Ohne Mark Kellys Keyboard-Sounds und seine gelegentlichen Soli ist die Musik von Marillion nicht vorstellbar. Ian Mosley, hinter seinen Toms und Becken kaum auszumachen, sorgt für ein präzises, treibendes Drumming, während der Liebling der Fans, Bassist Pete Trewavas, mit melodiösen Bassläufen den Sound abrundet.

Mit Holloway Girl und der wunderschönen Ballade Beautiful präsentiert Marillion zwei weitere Songs aus den frühen 1990er Jahren. In den nächsten gut 20 Minuten nimmt uns die Band dann noch einmal mit in ihre Anfangsjahre. Insbesondere bei Kayleigh und Lavender wird mir bewusst, dass ich das Konzeptalbum Misplaced Childhood, mit dem Marillion weltweit für Aufmerksamkeit sorgte, damals unbedingt haben wollte. Die Mutter einer Freundin, die 1988 schon in den Westen reisen durfte, erfüllte mir diesen Wunsch. Das Album, das meine Faszination für die Musik von Marillion begründete, steht immer noch in meinem Plattenschrank.

Marillion überspannen im ersten Teil ihres Konzerts gekonnt zwei Phasen ihrer Karriere, die Jahre mit Fish als Sänger und die ersten Jahre mit seinem Nachfolger Steve Hogarth. So endet der erste Block des Konzerts mit drei Stücken des Konzeptalbums Brave aus dem Jahr 1994, das ich persönlich für eins ihrer besten halte.

Als erste Zugabe präsentiert uns die Band den vierteiligen Longtrack The New Kings vom Album F.E.A.R., das 2016 veröffentlicht wurde und damals wohl als das zeitkritischste Album von Marillion gewertet werden konnte. Auch hier performt Steve Hogarth mit viel Theatralik, wenn er in seinem mit Gold besetzten Mantel über die Bühne tanzt und einen der New Kings mimt, der nach Macht und Einfluss giert. Rothery liefert schwelgerische Gitarrenklänge dazu. Das großartige Stück Musik wird von den Fans mit Begeisterung aufgenommen. Die Pause vor den nächsten Zugaben ist etwas länger, da auf der inzwischen verhängten Bühne Umbauarbeiten stattfinden. Die Fans, die auf dem diesjährigen Weekend in Port Zélande gewesen sind, haben sicher eine Ahnung, was gleich passieren wird. Als der Vorhang fällt, hat sich in der Bühnenmitte ein Chor formiert. Die Band und der Chor Flowing Chords leiten mit The Crow and the Nightingale das Finale des Weekends ein.

Hogarth trägt bei dem Leonhard Cohen gewidmeten Song sein Krähenkostüm. Der Gesang des Chores und Rotherys eindringliches Solo am Ende des Stücks sorgen für Gänsehautmomente. Das Publikum bricht in Begeisterungsstürme aus. Mit den Songs Go!, Beyond You und Easter bewegen sich Marillion weiter in ruhigem Fahrwasser, wobei die Chor-Arrangements diesen Songs zusätzlich Tiefe verleihen. Bei Man of a Thousand Faces ist es vorbei mit der Ruhe. Ich sehe kaum noch jemanden, der auf seinem Platz sitzt. Alle klatschen den Takt mit und bewegen sich zum Rhythmus des Songs, bis hin zum eingängigen Schlussteil, der förmlich zum Mitsingen einlädt. Der Chor auf der Bühne und der Chor der tausenden Fans erzeugen eine berauschende Atmosphäre. Man sieht nur noch strahlende Gesichter, als Steve Hogarth sich bei allen bedankt, die zum Weekend gekommen sind und vor allem bei den Organisatoren von „The Web Italy“, die dieses fantastische Weekend ermöglicht haben. Die Band verabschiedet sich mit dem Song Care, der den wahren Engeln während der Corona-Pandemie gewidmet ist. Emotionaler kann dieser Abend nicht ausklingen.

Wenn mich jemand fragen würde, was die Faszination für Marillion für mich ausmacht, könnte ich nur sagen: Es ist nicht allein die Musik der Band. Es ist vielmehr das Gefühl, Teil einer Familie zu sein, die mit der Band im Laufe der Jahre älter und reifer geworden ist. Es ist die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die durch die Liebe zur Musik und durch gemeinsame Erlebnisse mit der Band verbunden ist. Getreu dem 2005 von der Band ausgerufenen Motto „Find a better way of life with Marillion“.

Setlist Marillion Freitag

The Invisible Man
Marbles I
Genie
Fantastic Place
The Only Unforgivable Thing
Marbles II
Ocean Cloud
Marbles III
The Damage
Cannibal Surf Babe
Don’t Hurt Yourself
You’re Gone
King

Zugaben

Waiting to Happen
Marbles IV
Neverland

Setlist Marillion Samstag

Slàinte Mhath
The Uninvited Guest
Easter
Holloway Girl
Beautiful
Script for a Jester’s Tear
Kayleigh
Lavender
Bitter Suite (iii. Blue Angel)
Heart of Lothian (i. Wide Boy)
The Space…
Afraid of Sunlight
Wave
Mad
The Great Escape

Zugaben 1

The New Kings: I. Fuck Everyone and Run
The New Kings: II. Russia’s Locked Doors
The New Kings: III. A Scary Sky
The New Kings: IV. Why Is Nothing Ever True?

Zugaben 2

The Crow and the Nightingale
Go!
Beyond You
Easter
Man of a Thousand Faces
Care (IV) Angels on Earth

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