Livereport: Ayreon – „30th Anniversary“ An Amazing Flight Through Time – Tilburg, 013 Poppodium, 14. September 2025 (Abendshow)

Es gibt Dinge, die sollte ein Prog-Fan einmal in seinem Leben gemacht haben. Einmal im Ausland einem Prog-Konzert beiwohnen zum Beispiel. Oder im „Hackepeter“ in Reichenbach zu Mittag essen. Oder eben ein Ayreon-Konzert besuchen. Nur selten hat der geneigte Fan diese Gelegenheit. Die 15.000 Tickets für die insgesamt fünf Konzerte an den drei Tagen der 2025er-Edition waren im Herbst letzten Jahres innerhalb einer Stunde komplett ausverkauft.

Seit der ersten Ausgabe 2017 findet dieses Konzert-Event im niederländischen Tilburg nun schon zum vierten Mal statt. Die Vorbereitungen sind immens, der Perfektionismus des Masterminds Arjen Lucassen (der Mann, der praktisch Ayreon verkörpert) kommt dann noch dazu. Dass Ayreon-Konzerte immer nur an einer Stelle stattfinden und nicht getourt wird, ist völlig nachvollziehbar. Wir sind etwa eine Stunde vorher am Ort des Geschehens, und die Schlange ist da schon mehr als beachtlich. Die Stimmung allerdings ist super, und es stellt sich auch tatsächlich sofort so etwas wie ein Community-Feeling ein. Man ist sofort mit anderen Fans im Gespräch, und die Zeit vergeht sehr schnell. Der Merch-Shop ist über den ganzen Tag offen und auch ohne Einlassticket erreichbar. Eine klasse Idee der Organisatoren, denn so kann sich jeder Fan sein Lieblings-Erinnerungsstück dieses besonderen Events in Ruhe aussuchen. Auch dadurch ist der Einlass entspannt und reibungslos. In Holland sieht man die Dinge offensichtlich etwas lockerer als häufig hierzulande, Taschen – oder Personenkontrollen sind quasi Fehlanzeige.

Im Saal angekommen, finden wir im hinteren Bereich des Poppodiums Stufen. Dort haben wir optimalen Blick auf die Bühne und außerdem einen wunderbar kurzen Weg zur nächsten Bar. Oben ein großer Balkon für die Fans, die es übersichtlich haben wollen, aber auch das normale Stehpublikum in der Mitte bekommt alles von überall mit, da die Bühne hinreichend erhöht ist.

Pünktlich um 20:30 Uhr ging es dann auch los. Mike Mills begrüßt die Fans, bittet um den Verzicht auf das Machen von Fotos und weist auch darauf hin, dass die Show mitgefilmt würde. Tatsächlich bedienen die Fans ihre Handys sehr vorsichtig und besonnen, im Saal stört das jedenfalls im Gegensatz zu den üblichen Konzerten das Live-Erlebnis kaum. Danach übernimmt ein Hologramm von Irene Jansen sozusagen die Moderation, und der Vorhang öffnet sich endlich. Was ab jetzt von der Bühne kommt, ist einfach begeisternd und bleibt allen Konzertbesuchern nachhaltig in Erinnerung. Dabei ist der Bühnenaufbau im Vergleich zu den 2023er-Konzerten (wo über ein integriertes Baugerüst in zwei Etagen gespielt wurde) eher einfach. Auch bei den Mitwirkenden nimmt man es 2025 nicht mehr so genau wie in vorigen Editionen, wo auch auf der Bühne Stars des Prog erschienen, die original auf den Alben mitgewirkt hatten, wie beispielsweise James LaBrie, Fish oder Daniel Gildenlöw. Dass diesmal offenbar ausschließlich Künstler auf der Bühne stehen, die Stammgäste bei Ayreon sind, tut der Qualität des Konzerts überhaupt keinen Abbruch.

Beeindruckende eigens für die Konzerte erstellte und zu den einzelnen Stücken passende Videoprojektionen bestimmen und durchziehen das gesamte Konzert. Die halbrunde Projektionsfläche nimmt die vielleicht 10 x 15 m große Bühnenfläche hinter der Band ein.  Die Flächen links und rechts werden ebenfalls benutzt, um diese Projektionsfläche noch zu vergrößern. Aber nicht nur das: die Filmaufnahmen werden durch Laser und Lichter, welche in den Saal hinein die Effekte aus den Video´s fortsetzen, noch verstärkt. Jeder Konzertbesucher, egal wo er sich im Saal befindet, wird so quasi in das Konzertgeschehen hineingesaugt. Etwas Vergleichbares habe ich vorher noch nicht gesehen. Diese Visuals hauen mich um, zeitweise hatte man das Gefühl, zum Beispiel in das Innere eines Raumschiffes zu schauen. Die Projektionen, das Hologramm – perfekt.

Im ersten Teil der Show werden ausschließlich Stücke präsentiert, die bisher noch nie oder nur selten live gespielt wurden. Die Unterteilung in ein Set mit bisher nie oder selten live gespielten Songs und Klassikern ist eine gute Idee. Auch dass neben Ayreon-Tracks Stücke seiner Neben – und Soloprojekte gespielt werden, ist völlig legitim. Dieser Ansatz ist allerdings schon mutig, wenn man um die Besonderheit dieser Konzerte weiß: Fans aus angeblich 71 Ländern sind angereist sind und viele erwarten hier ihre Favoriten aus der Ayreon-Literatur. Aber Arjen Lucassen vertraut seinen Fans, und er fährt gut damit.

Es beginnt mit „My House On Mars“, einem meiner Lieblingssongs von Ayreon, wobei mir der ursprüngliche Gesang von Johan Edlund besser gefällt als diese Version heute mit Wudstik. Darüber hinaus ragt für mich der Star One Song „Year of 41“, gesungen von Dino Jelusick, heraus. Arjen Lucassen selbst performt im knallroten Anzug oder eher Frack mit „Days Of the Knights“ einen Song von seinem allerersten Soloalbum „Pools of Sorrow, Waves of Joy“, das gerade auch wieder neu veröffentlicht wurde. Ich habe mich besonders über „My House on Mars“ gefreut, den Guilt Machine Song „Green and Cream“ hätte ich nicht gebraucht.

Im zweiten Teil gibt es dann Ayreon-Classics zu hören. Meine Highlights hier sind „Valley Of The Queens“, ein Song, der mich immer wieder flasht, hier gesungen im Trio von Heather Findley, Anneke von Giersbergen und Marcela Bovio. „Castle Hall“ ist dann auch so ein Song, den ich nicht oft genug hören kann. Mit einem Augenzwinkern wird „Amazing Flight“ präsentiert: Arjen trinkt an einem Tisch sitzend (vermutlich) Tee, und Robert Soeterboek (auch fein gekleidet, aber lila statt rot) agiert als zweiter Sänger. Nach dem zweiten Set gibt es eine Ansprache von Arjen und Keyboarder Joost van den Broek, bevor das Konzert mit der Zugabe beendet wird, wobei hier „Set the Controls“ von Star One mein Highlight ist. Gegen 23 Uhr war dann Feierabend und die Künstler werden von einem begeisterten Publikum verabschiedet. Gerade als der Beifall zu verebben beginnt, passiert noch etwas Besonderes: Damian Wilson erscheint vor dem Vorhang und lässt sich in die Menge fallen. Der Stage-Diver wird dann noch auf den Händen seines Publikums durch den gesamten Saal getragen, bis hinten auf die Stufen. So was erlebt man auch nicht alle Tage.

An der Performance gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Wir erlebten das letzte der fünf Konzerte. Alles war eingespielt. Die Leadsänger waren top (Arjen inklusive, von dessen sprichwörtlichem Lampenfieber nichts zu merken war). Die Backgroundsängerinnen Marcela Bovio und Irene Jansen müssen unbedingt hervorgehoben werden, die dieses typische Element der Ayreon-Alben perfekt auf die Bühne bringen. Die Band agierte auf höchstem Niveau. Besonders Jeroen Goossens an allen möglichen Blasinstrumenten ist hier noch zu nennen, wie beispielsweise das Didgeridoo oder die Subkontrabassflöte, die so groß ist, dass sie wie ein Kontrabass aufgestellt werden muss. Und natürlich Joost van den Broek, der nicht nur eine echte Hammond und alle Keyboards auf der Bühne spielt, sondern wie immer alle Live-Arrangements verfasst hat und die gesamte musikalische Leitung des Ayreon-Live-Projekts innehat. Bei aller Perfektion der Show ist es immer wieder der Spaß und die Leidenschaft aller Musikanten, die beobachtet werden kann. Das kommt beim Publikum super an und sorgt nicht zuletzt ebenfalls für einen begeisternden Konzertabend. Für das Schluss-Bild stellen sich ganze 20 Musiker auf die Bühne, die den Abend gemeinsam gestaltet haben.

Wir durften ein Konzert der absoluten Spitzenklasse erleben. Beim Umschauen sahen wir ein Haus voller unscheinbarer Kameras. Wir freuen uns jetzt schon auf das Erscheinen der Blu-Ray dieses Abends – auch diese waren von vergangenen Events immer herausragend. Andeutungen von der Bühne herab lassen vermuten, dass die Vorbereitungen auf ein mögliches neues Ayreon-Event 2027 bereits begonnen haben.

Mitwirkende

Gesang: Arjen Lucassen, Wudstik, Robert Soeterboek, Damian Wilson, Anneke van Giersbergen, Marcela Bovio, Irene Jansen, Heather Findlay, Maggy Luyten, Mike Mills, Tommy Karevik, Dino Jelusik

Band: Joost van den Broek (Keys) Ed Warby (dr), Timo Somers (git), Ferry Duijsens (git), Johan van Stratum (Bass), Jeroen Goossens (verschiedenste Blasinstrumente), Ben Mathot (violine), Juriaan Westerveld (cello)

Setlist Teil 1

My House on Mars

Sail Away to Avalon

Green and Cream (Guilt Machine cover)

Days of the Knights (Arjen Anthony Lucassen song)

Day Six: Childhood

Dragon on the Sea

Day Thirteen: Sign (Shortened)

Sea Of Machines

The Year of ’41 (Star One cover)

The First Man on Earth

The Lighthouse

The Argument 2

Carried by the Wind

Setlist Teil 2

The Theory of Everything, Part 1

Actual Fantasy

Into the Black Hole (Shortened)

The Awareness

Dawn of a Million Souls

Valley of the Queens

Day Sixteen: Loser

The Castle Hall

Amazing Flight (Shortened)

Everybody Dies

Zugabe

Set Your Controls (Star One cover)

Day One: Vigil (sur bandes)

Day Two: Isolation

Text: Renald Mienert & Gunter Dressler Bilder: Gunter Dressler

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